L 10 AL 120/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AL 131/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 120/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Der Beginn der Rahmenfrist nach § 143 Abs. 1 SGB III wird, soweit bereits Arbeitslosengeld im Wege der Gleichwohlgewährung bewilligt worden ist, durch die persönliche Arbeitslosmeldung festgelegt, auch wenn das versicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis über den Eintritt der leistungsrechtlichen Arbeitslosigkeit hinaus fortbesteht.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 27.07.2021 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) auch für September 2018.

Die 1956 geborene Klägerin war vom 01.09.2012 bis 31.10.2015 bei der S AG (S) als Assistentin des Vorstandes beschäftigt und bezog vom 01.11.2015 bis zum 31.07.2017 Alg von der Beklagten. Ab 01.08.2017 nahm sie wiederum eine Beschäftigung bei S auf. Nachdem über das Vermögen der S durch Beschluss des Amtsgerichts (AG) München vom 01.06.2018 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, stellte der Insolvenzverwalter die Klägerin mit ihr am 04.06.2018 zugegangenem Schreiben vom 01.06.2018 ab diesem Tag unter Erteilung des restlichen Erholungsurlaubes von der Arbeitsverpflichtung frei, und zwar im Anschluss an die vollständige Urlaubsnahme bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses unwiderruflich. Mit Schreiben vom 12.06.2018 kündigte er das Arbeitsverhältnis zwischen S und der Klägerin ordentlich betriebsbedingt zum 30.09.2018; es bleibe bei der am 01.06.2018 ausgesprochenen Freistellung. Der Klägerin wurde mit Bescheid vom 07.06.2018 Insolvenzgeld für die Zeit vom 01.03. bis 31.05.2018 bewilligt.

Bereits am 01.06.2018 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten persönlich arbeitsuchend und am 04.06.2018 mit Wirkung zum 01.06.2018 arbeitslos. Im Antragsformular für Alg findet sich ein handschriftlicher Vermerk des "OS 012", wonach der Klägerin mitgeteilt worden sei, dass sie ab 01.06.2018 einen Anspruch auf Alg für 90 Tage habe; die Klägerin habe die Auffassung vertreten, das Alg werde ab 01.10.2018 als Neuanspruch berechnet, falls das ausgezahlte Alg durch den Insolvenzverwalter zu einem späteren Zeitpunkt erstattet werde. Dies sei verneint worden; in diesem Fall würden lediglich die erstatteten Tage bei weiterer Arbeitslosigkeit an die Klägerin ausgezahlt. Mit Bescheid vom 14.06.2018 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alg in Höhe von 50,63 € täglich ab 01.06.2018 bis 30.08.2018 für 90 Tage. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein; sie befinde sich noch bis zum 30.09.2018 in einem Beschäftigungsverhältnis, erfülle damit die versicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten von mindestens zwölf Monaten und habe Anspruch auf Alg über den verbliebenen Rest der 2015 bewilligten Anspruchsdauer hinaus. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2018 als unbegründet zurück. Die Klägerin habe am 01.11.2015 einen Anspruch auf Alg für 720 Tage erworben, der sich aufgrund vorangegangener Zahlung (01.11.2015 bis 31.07.2017) um 630 Tage gemindert habe, und danach keine neue Anwartschaftszeit erfüllt. Innerhalb der Rahmenfrist vom 01.06.2016 bis 31.05.2018 habe sie nur 304 Tage an versicherungspflichtigen Zeiten zurückgelegt. Nach dem Tag der Anspruchsentstehung am 01.06.2018 liegende Zeiten der Freistellung könnten nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit herangezogen werden, denn danach befinde sich die Klägerin nur im Arbeits-, nicht aber im Beschäftigungsverhältnis.

Am 01.10.2018 nahm die Klägerin eine Beschäftigung als kaufmännische Angestellte bei R GmbH auf. Nach deren Beendigung bezog sie vom 01.08.2019 bis 30.05.2020 wiederum Alg bei der Beklagten und ab 01.06.2020 Altersrente für besonders langjährig Versicherte von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV).

Bereits am 09.08.2018 hat die Klägerin beim Sozialgericht Bayreuth (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, das Beschäftigungsverhältnis habe über den 31.05.2018 hinaus bestanden, denn sie sei zunächst nicht unwiderruflich freigestellt, sondern es sei ihr zuvor der restliche Jahreserholungsurlaub zugeteilt worden. Trotz Freistellung und zeitlich nicht näher definierter unwiderruflicher Freistellung sei sie nicht von ihren Tätigkeiten und Aufgaben entbunden gewesen, sondern "für die Beklagte" auch nach dem 31.05.2018 noch im Homeoffice vereinbarungsgemäß tätig gewesen. Sie habe noch Geschäftsunterlagen verwahrt, Posteingänge mit Posteingangsstempeln versehen und die eingehende Post jeweils mit dem Vermerk "Firma in Insolvenz" zurückgesandt. Auch habe sie für die S bzw. den Insolvenzverwalter telefonische Anfragen beantwortet und sei bei der Büroräumung im Juli 2018 tätig gewesen. Die Freistellungserklärung des Insolvenzverwalters vom 01.06.2018 sei intransparent und unwirksam, denn der konkrete Zeitraum der Freistellung könne ihr nicht entnommen werden. Bei dem bewilligten Alg handele es sich um einen "Alt-Anspruch"; darüber hinaus sei ihr für die Zeit vom 01.06. bis 30.09.2018 ein "Lohnausfall-Geld" zu zahlen, das mittels Abtretungserklärung der Klägerin durch die Beklagte beim Insolvenzverwalter zurückzufordern sei.

Auf Anfrage des SG hat die Kanzlei des Insolvenzverwalters mitgeteilt, die Klägerin sei ab 01.06.2018 von der Arbeitsverpflichtung freigestellt und damit weder für die Insolvenzschuldnerin noch für den Insolvenzverwalter aktiv tätig gewesen. Die Freistellung sei wegen vollständiger Betriebseinstellung und fehlender Beschäftigungsmöglichkeiten unwiderruflich erfolgt. Auf das arbeitgeberseitige Direktionsrecht sei nicht verzichtet worden. Am 01.06.2018 habe die Klägerin noch einen Resturlaubsanspruch von 28,5 Tagen gehabt. Differenzlohnansprüche bestünden für den gesamten Kündigungszeitraum; diese könnten infolge der angezeigten Masseunzulänglichkeit derzeit weder abgerechnet noch bezahlt werden. Eine Kündigungsschutzklage vom 03.07.2018 sei durch Vergleich beendet worden und habe das Arbeitsvertragsende einvernehmlich auf 30.09.2018 festgeschrieben. Lohnansprüche seien nicht geltend gemacht worden. S sei ab 01.06.2018 nicht mehr weisungsbefugt gewesen; weder diese noch der - allein verantwortliche - Insolvenzverwalter hätten der Klägerin Arbeitsaufträge erteilt. Die Klägerin habe weit vorinsolvenzlich Geschäftsunterlagen der S zu sich nach Hause "verfrachtet"; die näheren Umstände seien dem Insolvenzverwalter unbekannt. Dabei habe es sich jedoch nicht um eine vereinbarungsgemäße Verwahrung gehandelt. Die Klägerin habe Firmeneigentum erwerben wollen; dies sei aber kein Arbeitsauftrag des Insolvenzverwalters.

Hierzu hat die Klägerin ausgeführt, die Verwahrung der Geschäftsunterlagen habe sich aus dem Arbeitsort Homeoffice ergeben und sei auch mit dem Insolvenzverwalter abgesprochen gewesen. Die Klägerin habe als einziger Kaufmann des Unternehmens die gesamte Verwaltung nebst vorbereitender Buch- und Lohnbuchhaltung geführt. Es sei bei ihrem Dienstantritt 2017 ein Nachsendeauftrag für die Eingangspost der S an die Homeoffice-Adresse der Klägerin gestellt worden; dieser sei nach Erinnerung der Klägerin bis zum 31.08.2018 gelaufen. Nach Insolvenzeröffnung habe der Insolvenzverwalter ihr den Auftrag gegeben, die Eingangspost mit Insolvenzvermerk zur Post zurückzugeben, und sie für weitere Kontakte um ihre private Erreichbarkeit gebeten. Die Klägerin habe lediglich ein altes MacBook für 200,00 € erworben. Der Insolvenzverwalter habe der Klägerin mitgeteilt, der Ausfall der Zahlung sei durch eine Lohnersatzleistung der "ARGE" zu decken gewesen; diese sei abgelehnt worden, und stattdessen habe die Klägerin Alg erhalten. Dies könne ihr nicht zum Nachteil gereichen.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.07.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei ab 01.06.2018 arbeitslos gewesen. Das Arbeitsverhältnis habe zwar noch bis zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung fortbestanden, die Klägerin sei aber unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt worden. Ein Fortsetzungswille habe auf Arbeitgeberseite nicht bestanden; das Arbeitsentgelt sei nicht weitergezahlt worden und die Klägerin habe gerichtlich keine Lohnansprüche geltend gemacht, so dass ab 01.06.2018 kein Versicherungspflichtverhältnis mehr gegeben gewesen sei. Damit habe trotz des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses keine (neue) Anwartschaft entstehen können. In der Zeit vom 01.06.2016 bis 31.05.2018 habe die Klägerin nur 304 Tage an versicherungspflichtigen Zeiten zurückgelegt und damit keinen neuen Anspruch auf Alg erworben.

Dagegen hat die Klägerin Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt und ergänzend ausgeführt, das SG habe sich nicht mit ihrem Vortrag betreffend die ab 01.06.2016 noch erbrachten Arbeitsleistungen auseinandergesetzt. Sie habe ihren Vergütungsanspruch im Rahmen der Forderungsanmeldung beim Insolvenzverwalter geltend gemacht, ohne jedoch eine Zahlung zu erhalten.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 27.07.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 14.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2018 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld auch vom 01.09.2018 bis 30.09.2018 für weitere 30 Tage zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vom 01.02.2023 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Akte der Beklagten und die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 14.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Streitgegenstand ist zuletzt noch ein Anspruch der Klägerin auf Alg für die Zeit vom 01.09. bis 30.09.2018, dessen Bewilligung die Beklagte mit Bescheid vom 14.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.07.2018 abgelehnt hat. Den erstinstanzlich zunächst noch darüber hinaus geltend gemachten Anspruch für sechs Monate verfolgt die Klägerin ausweislich ihrer Antragstellung vom 01.02.2023 nicht mehr weiter, nachdem sie zum 01.10.2018 eine Beschäftigung aufgenommen hat.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Alg für September 2018 jedoch nicht zu. Ein Anspruch auf Alg setzt nach § 137 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Arbeitslosigkeit (Nr. 1), eine Arbeitslosmeldung (Nr. 2) und die Erfüllung der Anwartschaftszeit (Nr. 3) voraus.

Die Klägerin hat zum 01.06.2018 kein neues Stammrecht auf Alg erworben. Gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist (§ 143 SGB III) mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. § 143 Abs. 1 SGB III in der vom 01.04.2012 bis 31.12.2019 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl. I, 2854) zufolge beträgt die Rahmenfrist zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg. Gemäß § 143 Abs. 2 SGB III reicht die Rahmenfrist nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der die oder der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte.

Die Klägerin hat in der Rahmenfrist von zwei Jahren, beginnend mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg - d.h. im Zeitraum vom 01.06.2016 bis 31.05.2018 - nicht mindestens zwölf Monate zu 30 Tagen (360 Tage, § 339 Satz 2 SGB III) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Ausgehend von ihrer Arbeitslosmeldung zum 01.06.2018 - von der Freistellung ab 01.06.2018 hat sie dem Eingangsstempel zufolge wohl erst am 04.06.2018 Kenntnis erhalten - beginnt die Rahmenfrist grundsätzlich am 31.05.2018 und endet - zurückgerechnet - am 01.06.2016; sie reicht nicht in die vorherige Rahmenfrist vom 01.11.2013 bis 31.10.2015 hinein. In der Rahmenfrist hatte die Klägerin auch unter Berücksichtigung der Zeit des Bezuges von Insolvenzgeld (01.03.2018 bis 31.05.2018) lediglich vom 01.08.2017 bis 31.05.2018 und damit 304 Tage in einem Versicherungspflichtverhältnis als Beschäftigte gestanden. Ihr stand aber der noch nicht erloschene Restanspruch auf Alg für 90 Kalendertage zu, den ihr die Beklagte ab 01.06.2018 (im Wege der Gleichwohlgewährung) bewilligt und ausbezahlt hat.

Die Klägerin hat zum 27.07.2018, 360 Tage nach Aufnahme der Beschäftigung bei S, kein neues Stammrecht auf Alg erworben. Die Klägerin stand zwar in der Zeit ab 01.06.2018 - entgegen der Auffassung des SG - weiterhin in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Beklagten, hat aber die Anwartschaftszeit dennoch nicht erfüllt, weil dieses nicht in die maßgebliche Rahmenfrist gefallen ist.

Nach § 24 Abs. 1 SGB III stehen Personen in einem Versicherungspflichtverhältnis, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind. Nach Abs. 2 der Vorschrift beginnt das Versicherungspflichtverhältnis für Beschäftigte mit dem Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis und nach Abs. 4 endet es für Beschäftigte mit dem Tag des Ausscheidens aus dem Beschäftigungsverhältnis.

Das Versicherungspflichtverhältnis der Klägerin als Beschäftigte nach § 24 Abs. 1 und 2, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat jedenfalls in der Zeit vom 01.06.2018 bis 31.08.2018 fortbestanden und wurde nicht dadurch beendet, dass der Insolvenzverwalter sie nach Insolvenzeröffnung am 01.06.2018 mit sofortiger Wirkung von der Arbeit freistellte, denn das Arbeitsverhältnis - und der daraus abgeleitete Anspruch auf Arbeitsentgelt - haben noch bis zum 30.09.2018 bestanden, auch wenn der Zahlungsanspruch der Klägerin wegen Masseunzulänglichkeit nicht erfüllt wurde. Eine andere Beurteilung würde dazu führen, dass der Arbeitgeber den Versicherungsschutz der Arbeitnehmer mit unter Umständen schwerwiegenden Folgen für die ihnen zustehenden Versicherungsleistungen durch einen einseitigen Akt beenden könnte, auch wenn die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 26.11.1985 - 12 RK 51/83 - juris). Zudem gebietet die Solidarität derjenigen, die ihre Arbeitskraft einem Arbeitgeber gegen Entgelt zur Verfügung stellen, dass sie sich, solange ihnen Arbeitsentgelt zusteht, mit entsprechenden Beiträgen an der Finanzierung der Leistungen ihrer Versichertengemeinschaft beteiligten (BSG a.a.O.). Daran ändert auch die Gewährung von Alg für die Zeit, in der ein Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Arbeitsentgelt noch besteht ("Gleichwohlgewährung", § 157 Abs. 3 SGB III), nichts; in diesem Fall ersetzt das Alg - ausnahmsweise - nicht den wegen Arbeitslosigkeit, d.h. wegen des Fehlens eines Arbeitsplatzes, ausfallenden Lohn, sondern den Lohn, der ungeachtet eines bestehenden - versicherungsrechtlichen - Beschäftigungsverhältnisses nicht gezahlt wird. Mit der Gewährung von Alg erfüllt die Beklagte dann zwar nicht die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers, wirtschaftlich tritt ihre Leistung jedoch für den Arbeitnehmer in Höhe des gezahlten Alg an die Stelle des ihm vorenthaltenen Lohnes; die Beklagte tritt also, da der Anspruch auf Arbeitsentgelt insoweit auf sie übergeht, in Vorleistung (vgl. BSG a.a.O.).

Damit war die Klägerin, unbenommen des Umstandes, ob sie tatsächlich gearbeitet hat oder nicht, in der Zeit vom 01.06.2018 jedenfalls bis 31.08.2018, dem Ende der Zahlung von Alg im Wege der Gleichwohlgewährung, nach § 24 Abs. 1 und 2, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III beitragsrechtlich beschäftigt. Die Anwartschaftszeit nach § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist dennoch nicht erfüllt, denn die Zeit der Versicherungspflicht ab 01.06.2018 liegt nicht innerhalb der maßgeblichen Rahmenfrist und es wurden innerhalb dieser keine zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis zurückgelegt.

Im vorliegenden Fall beginnt die Rahmenfrist für den Anspruch auf Alg, wie bereits oben dargelegt, am 31.05.2018. Sie reicht zeitlich nicht über den 31.05.2018 hinaus, denn die (weiteren) Voraussetzungen des Anspruchs auf Alg bei Arbeitslosigkeit haben am 01.06.2018 vorgelegen. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt wegen der unwiderruflichen Freistellung (leistungsrechtlich) arbeitslos (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 138 Abs. 1 SGB III), hatte sich bei der Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos gemeldet (§ 137 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 141 SGB III in der vom 01.04.2012 bis 31.12.2021 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl. 2011, 2854) und Alg beantragt. Die Rahmenfrist endet am 01.06.2016. In dieser Zeit hat die Klägerin aber - wie bereits dargestellt - keine 360 Tage in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden.

Hieran ändert nichts, dass nach dem Urteil des BSG vom 03.06.2004 (Aktenzeichen B 11 AL 70/03 R - juris) die Rahmenfrist in dem Fall, dass der Arbeitslose zum Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung die Anwartschaftszeit noch nicht erfüllt hat, erst dann beginnt, wenn die Anwartschaftszeit als Voraussetzung für den Anspruch auf Alg erfüllt ist. Das Urteil ist zu einem Fall ergangen, in dem die dortige Klägerin die Anwartschaftszeit erstmals erfüllte, eine vorangegangene Rahmenfrist nicht existierte und ein Restleistungsanspruch nicht bestand. In einem solchen Fall beginnt nach der zitierten Entscheidung die Rahmenfrist nicht, bevor die Anwartschaftszeit nicht erfüllt ist und auch eine "zu frühe" Arbeitslosmeldung ist unschädlich (BSG, Urteil vom 03.06.2004, a.a.O.; vgl. hierzu Söhngen in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 143 Rn. 28a).

Demgegenüber ist nach der Rechtsprechung des BSG eine nachträgliche Korrektur einer für den Leistungsfall maßgeblichen Rahmenfrist nicht möglich, wenn nach dem faktischen Ende der Beschäftigung ein Anspruch auf Alg bestanden hat und es zur Gleichwohlgewährung von Alg gekommen ist (vgl. BSG, Urteil vom 11.06.1987 - 7 RAr 40/86 -; Urteil vom 29.09.1987 - 7 RAr 59/86 -; Urteil vom 03.12.1998 - B 7 AL 34/98 R -; Urteil vom 11.12.2014 - B 11 AL 2/14 R -; alle zitiert nach juris). Die für Fälle der nachträglichen Verlängerung der Dauer des Arbeitsverhältnisses aufgrund arbeitsgerichtlichen Vergleichs bzw. Urteils entwickelten Grundsätze sind nach Auffassung des Senats auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen. Zur Zeit der persönlichen Arbeitslosmeldung der Klägerin stand - wie in den Fällen der Kündigungsschutzklage - ein Beendigungszeitpunkt des Arbeitsverhältnisses so wenig fest wie die Frage, ob der Klägerin im Rahmen der Insolvenz noch Lohn nachgezahlt werden würde. Das Gesetz sieht explizit eine nachträgliche Verschiebung des Beginns der Rahmenfrist bei nachträglichen Änderungen betreffend die Lohnzahlung nicht vor, deren es aber bedürfte, weil es sich um eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz der Sozialversicherung handeln würde, dass nach dem für die Berechnung einer vom Eintritt des Versicherungsfalles abhängigen Leistung die Verhältnisse zur Zeit des Eintritts maßgebend sind (vgl. BSG, Urteil vom 11.06.1987, a.a.O.). Eine erneute Berechnung der Anwartschaftszeit von einem Zeitpunkt ab Änderung tatsächlicher Verhältnisse ist in der Rechtsprechung nur in Fällen vorgenommen worden, in denen es bis zur Klärung dieser Verhältnisse nicht zu Leistungen der Arbeitslosenversicherung gekommen ist (vgl. RVA, GE 3531 AN 1929 IV 354, zitiert nach BSG, Urteil vom 11.06.1987, a.a.O.; BSG, Urteil vom 03.06.2004, a.a.O.). Selbst eine - hier nicht erfolgte - Rückabwicklung der Gleichwohlgewährung führt nach der Rechtsprechung nicht zu einer Verschiebung der Rahmenfrist (vgl. BSG, Urteil vom 11.06.1987; Urteil vom 29.09.1987; Urteil vom 11.12.2014, alle a.a.O.).

Damit bleibt es vorliegend bei dem Grundsatz, dass der Eintritt von Arbeitslosigkeit, die Arbeitslosmeldung und der Bezug von Alg im Wege der Gleichwohlgewährung den Beginn der zurückzurechnenden Rahmenfrist festlegt, soweit ein Stammrecht auf Alg bestanden hat (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 11.12.2014, a.a.O., Rn. 33). Die Rahmenfrist war mit Beginn 31.05.2018 ausgelöst, denn die Beklagte hat der Klägerin mit Bescheid vom 14.06.2018 Alg ab 01.06.2018 im Wege der Gleichwohlgewährung bewilligt; dies war durch spätere Zeiten in einem beitragsrechtlichen Versicherungspflichtverhältnis nicht mehr zu verändern.

Den Vortrag der Klägerin als richtig unterstellt, sie sei auch in der Zeit vom 01.06.2018 bis 30.09.2018 tatsächlich nicht von ihren Tätigkeiten und Aufgaben entbunden gewesen, sondern weiterhin für ihren Arbeitgeber bzw. den Insolvenzverwalter vereinbarungsgemäß tätig gewesen, hätte im Übrigen nicht nur ein Beschäftigungsverhältnis im versicherungsrechtlichen, sondern auch ein solches im leistungsrechtlichen Sinne fortbestanden; in diesem Fall hätte sie für den gesamten Zeitraum vom 01.06.2018 bis 30.09.2018 - oder der anderweitigen Dauer der Beschäftigung - bereits wegen fehlender Arbeitslosigkeit (§ 138 Abs. 1 SGB III) keinen Anspruch auf Alg gehabt und lägen ihrem Antrag vom 04.06.2018 unrichtige Angaben zur Verfügbarkeit zugrunde.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine Ausübung des Dispositionsrechts dahingehend, dass der Anspruch zu einem späteren Zeitpunkt als dem 01.06.2018 entstehen soll, die Klägerin zum gewünschten Ziel führen könnte. § 137 Abs. 2 SGB III sieht vor, dass die antragstellende Person bis zur Entscheidung über den Anspruch bestimmen kann, dass der Anspruch nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll. Aufgrund dieser Regelung wäre es möglich gewesen, die Entstehung des Anspruchs zeitlich auf den 27.07.2018 oder 01.10.2018 zu verschieben; dies würde zu einer Verlängerung des Anspruchs aber nur dann führen, wenn die Klägerin ab 01.06.2018 weitere Versicherungspflichtzeiten zurückgelegt hätte. Im Fall der Verschiebung wäre jedoch ab 01.06.2018 weder eine Gleichwohlgewährung nach § 157 Abs. 3 SGB III noch - wegen der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers - eine Zahlung von Lohn erfolgt, so dass keine weiteren Pflichtzeiten hinzugekommen wären.

Bereits deshalb ist das Begehren der Klägerin auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu erreichen. Voraussetzungen für den im Wege der richterrechtlichen Rechtsfortbildung entwickelten Herstellungsanspruch sind das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnen ist, ein dadurch ausgelöster sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden sowie die Möglichkeit, durch Vornahme einer rechtmäßigen Amtshandlung des Träger den Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre. Bei Wegfall der Gleichwohlgewährung ab 01.06.2018 bis 31.08.2018 entstünde - selbst wenn ihr ein Anspruch für September 2018 zugesprochen werden sollte - für die Klägerin aber keine bessere, sondern eine schlechtere Situation, denn dann erhielte sie - aufgrund der Arbeitsaufnahme zum 01.10.2018 - allenfalls Alg für 30 und nicht, wie bisher, für 90 Tage. Darüber hinaus ist die Erfüllung der Anwartschaftszeit in einer geänderten Rahmenfrist nicht herstellbar, wenn der Berechtigte - wie hier die Klägerin - bereits tatsächlich Alg bezogen hat. Der tatsächliche Leistungsbezug, der auch rechtmäßig gewesen ist, steht der Herstellung des rechtmäßigen Zustandes entgegen, der bestünde, wenn die Klägerin unmittelbar ihr Wahlrecht dahingehend ausgeübt hätte, dass sie erst später Anspruch auf Alg erhebt (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.1998; Urteil vom 11.12.2014, beide a.a.O.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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