S 38 KA 65/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 65/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

I. Steht die durch eine Vertragsärztin/einen Vertragsarzt anzustellende Ärztin/Arzt, zu deren/dessen (Vertragsärztin/Vertragsarzt) Gunsten die Auswahlentscheidung nach Entsperrung des Planungsbereiches erfolgte, aus welchen Gründen auch immer nicht mehr zur Verfügung, erledigt sich das Auswahlverfahren (vgl. BSG, Urteil vom 05.11.2003, Az B 6 KA 11/03R; SG München, Urteil vom 22.11.2022, Az S 38 KA 35/21).

II. Die Zulassungsablehnung/en des/der Mitbewerber teilen das Schicksal der positiven Zulassungsentscheidung. Dieser Grundsatz gilt auch dann, wenn nach Verzicht des begünstigten Bewerbers bis auf einen Bewerber keine weiteren Bewerber vorhanden sind. Auch Versorgungsgesichtspunkte vermögen eine Ausnahme von dem Grundsatz nicht zu rechtfertigen.

III. Eine kombinierte Anfechtungs-und Verpflichtungsklage von abgelehnten Mitkonkurrenten nach § 54 SGG ist unzulässig.


I. Die Klage wird als unzulässig zurückgewiesen.


II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen zu 1. Kosten werden der Beigeladenen zu 1 nicht auferlegt.


T a t b e s t a n d :

Mit Bescheid des Beklagten aus der Sitzung vom 10.12.2020 erhielt die Beigeladene zu 1 eine hälftige Zulassung als Fachärztin für Neurologie am Vertragsarztsitz L-Stadt, während die Anträge der Mitbewerber, darunter der Antrag des Klägers auf Einstellung seines Bruders, Herrn Dr. M. S. und der Antrag des Klägers auf Einstellung von Dr. S. zurückgewiesen wurden. Der Beklagte wies auf § 26 Abs. 4 Nr 3 Bedarfsplanungs-Richtlinien hin und bewertete an Hand dieser die jeweiligen Anträge. Er kam letztendlich zu dem Ergebnis, dass dem Antrag der Beigeladenen zu 1 stattzugeben sei.
Dagegen ließ der Kläger Klage zum Sozialgericht München einlegen. Der Bescheid des Berufungsausschusses sei fehlerhaft. Denn Versorgungsgesichtspunkte seien nicht berücksichtigt worden. Der Kläger sei Gesellschafter einer großen fachübergreifenden Berufsausübungsgemeinschaft mit den Fachrichtungen Orthopädie, Unfallchirurgie, physikalische und rehabilitative Medizin, Neurochirurgie, Radiologie und Chirurgie. Diese "Versorgung unter einem Dach" hätte berücksichtigt werden müssen. Ebenfalls sei das Kriterium der Barrierefreiheit von großer Bedeutung (vergleiche UN-Behindertenrechtskonvention, § 4 Behindertengleichstellungsgesetz).
Mit Schriftsatz vom 01.09.2022 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, die Anträge würden nunmehr beschränkt auf die begehrte Anstellungsgenehmigung von Herrn Dr. S., nachdem sein Bruder im Wege der Nachbesetzung einen Vertragsarztsitz in A-Stadt habe übernehmen können (bestandskräftiger Bescheid des Berufungsausschusses aus der Sitzung vom 31.03.2022).
In der mündlichen Verhandlung am 15.03.2023 wurde die Sach-und Rechtslage mit den Beteiligten besprochen. Die Beigeladene zu 1 war weder persönlich zugegen, noch wurde sie in der mündlichen Verhandlung vertreten.
Festgestellt wurde auch, dass die beigeladene Neurologin über keine Praxisräume in der Altstadt von L-Stadt mehr verfüge. Außerdem sei nicht vorgetragen worden, dass sie neue Räume beziehen könne. Insofern - so der Prozessbevollmächtigte des Klägers - stelle sich die Frage, ob die Beigeladene zu 1 die Zulassungsvoraussetzungen erfülle. Die mündliche Verhandlung wurde vertagt. Außerdem wies das Gericht darauf hin, es bestehe die Absicht, im Wege eines Gerichtsbescheides nach § 105 SGG zu entscheiden. Die anwesenden Beteiligten erklärten diesbezüglich ihre Zustimmung.
Mit Schreiben vom 03.04.2023 teilte die Beigeladene zu 1 mit, sie verzichte auf die Teilzulassung in L-Stadt ab sofort.
Die Beteiligten wurden auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 5. November 2003, Az B 6 KA 11/03R) hingewiesen; außerdem auf das Urteil der 38. Kammer des Sozialgerichts München vom 22.11.2022 (Az S 38 KA 35/21).
Hierzu äußerte sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers. Er machte darauf aufmerksam, dass die Beigeladene zu 1 bereits zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung des Beklagten über keine geeigneten Räume in L-Stadt verfügen konnte. Dies bedeute, dass die auf sie entfallende Auswahlentscheidung keinen Bestand hätte haben können. Einer der tragenden Gründe in der zitierten Entscheidung sei außerdem gewesen, dass bei einer Entscheidung im Sozialgerichtsverfahren andere Mitbewerber, die der Berufungsausschusses bei der Auswahlentscheidung nicht berücksichtigt hatte, keine Rechtsmittel mehr einlegen könnten, wenn das Verfahren nicht neu aufgerollt würde. Im streitgegenständlichen Fall habe es aber keine weiteren Bewerber gegeben. Es bestehe also überhaupt keine Gefahr, bei der Berücksichtigung des Klägers als "Nachrücker" Verfahrensrechte anderer Beteiligter zu beschneiden. Außerdem spreche für die unmittelbare Berücksichtigung des Klägers, dass damit der Versorgungssituation möglichst schnell Rechnung getragen werden könne.
Die Anträge des Klägers ergeben sich aus dem Schriftsatz vom 10.05.2021 in der Fassung der Schriftsätze vom 11.05.2021 und vom 01.09.2022.
Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.
Die mit Beschluss vom 14.04.2021 Beigeladene zu 1 stellte keine Anträge.
Beigezogen und Gegenstand war die Beklagtenakte. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 15.03.2023 verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage - es handelt sich um eine Anfechtungs-und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG - ist bereits als unzulässig anzusehen, sodass eine materiellrechtliche Prüfung obsolet ist. Somit ist eine gerichtliche Entscheidung darüber, ob die Auswahlentscheidung des Berufungsausschusses rechtmäßig oder rechtswidrig war, nichs zu treffen. Es kann dahinstehen, ob - wie von der Klägerseite vertreten - ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Im Übrigen hätte das Gericht nur eingeschränkt Überprüfungsmöglichkeiten.

Festzustellen ist allerdings, dass der Beklagte bei der von ihm zu treffenden Auswahlentscheidung die gesetzlichen Auswahlkriterien (§ 26 Abs. 4 Nr. 3 Bedarfsplanungs-Richtlinie) angewandt hat und anhand dieser die einzelnen Bewerbungen überprüft und bewertet wurden. Wie der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2013, Az B 6 KA 19/12 R) zu entnehmen ist, gibt es keine festgelegte Rangfolge unter den einzelnen Auswahlkriterien. Es ist deshalb rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Rangfolge durch die Zulassungsgremien festgelegt wird, vorausgesetzt, hierfür bestehen sachlich-einleuchtende Gründe. Unter den Auswahlkriterien gibt es allerdings solche, denen grundsätzlich eine höhere Relevanz im Rahmen der Auswahlentscheidung zuzubilligen ist. So wird generell das Kriterium "Eintragung auf der Warteliste" nur dann den Ausschlag geben können, wenn die Bewerber, was die sonstigen Kriterien betrifft, annähernd gleichauf sind.

Wie bereits ausgeführt, ist die Klage als unzulässig anzusehen.

Mit der hier im Vordergrund stehenden Rechtsfrage, welche Auswirkungen ein Verzicht der begünstigten Bewerberin/des begünstigten Bewerbers auf die Bewerbungen und Klagen der Mitkonkurrenten hat, hat sich das Gericht erst jüngst in seiner Entscheidung vom 22.11.2022 (Az S 38 KA 35/21) befasst. Dort wurde wie folgt ausgeführt:
"Zu Recht weist der Beklagte auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 05.11.2003, Az B 6 KA 11/03 R) hin. Gegenstand des dortigen Verfahrens war eine Nachfolgezulassung nach § 103 Abs. 4 SGB V nach erfolgter Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes, um den sich mehrere Ärzte bewarben, wobei der von den Zulassungsgremien begünstigte Bewerber nachträglich auf seine Zulassung verzichtete. Das Bundessozialgericht führte aus, in diesem Fall sei das Nachbesetzungsverfahren - vorbehaltlich einer eventuellen Neuausschreibung erledigt. Die Zulassung des begünstigten Bewerbers könne nicht mehr aufgehoben werden, weil sie keine Wirkung mehr entfalte. Die Entscheidung des Berufungsausschusses enthalte auch nicht mehrere Entscheidungen, sodass von einer einheitlichen Entscheidung auszugehen sei. Deshalb teile die Zulassungsablehnung das Schicksal der positiven Zulassungsentscheidung.

Nach Auffassung des Gerichts ist diese Entscheidung des Bundessozialgerichts, auch wenn sie sich auf eine Nachfolgezulassung bezieht, auf das streitgegenständliche Verfahren anwendbar. Denn in beiden Fällen, im gesperrten Bereich nach § 103 Abs. 4 SGB V oder nach (Teil-) Entsperrung nach § 26 Abs. 4 Nr 3 Bedarfsplanungs-Richtlinie, findet eine Auswahlentscheidung unter mehreren Bewerbern statt. Diese Auswahlentscheidung ist nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung derselben Auswahlkriterien zu treffen, wie sie in § 103 Abs. 4 S. 5 SGB V (Nachfolgezulassung) bzw. in § 26 Abs. 4 Nr 3 Bedarfsplanungs-Richtlinien enthalten sind. Allein der Unterschied, dass bei einer Nachfolgezulassung nach § 103 Abs. 3a SGB V in gesperrten Gebieten eine Entscheidung des Landesausschusses nicht vorausgeht, rechtfertigt nicht eine andere Sichtweise. Deshalb gelten die vom Bundessozialgericht in der genannten Entscheidung (BSG aaO) aufgezeigten Gesichtspunkte auch für das Auswahlverfahren nach (Teil-) Entsperrung. Die Rechtsauffassung der Klägerseite, nämlich, dass, bleibe im Laufe des Verfahrens nur einer der Bewerber übrig, so erledige sich zwar die Auswahl, nicht aber die Zulassungsentscheidung, ist nicht zu teilen. Das hätte nämlich zur Folge, dass ursprüngliche Mitkonkurrenten, die vor dem Hintergrund, dass sie eine Anfechtung nicht als aussichtsreich ansahen und deshalb die ablehnende Entscheidung ihnen gegenüber bestandskräftig werden ließen, es hinnehmen müssten, dass ein zunächst aussichtsloser Bewerber als einziger übrig bliebe und ihm die Zulassung zu erteilen wäre. Im Prinzip würde das darauf hinauslaufen, alle im Auswahlverfahren unterlegenen Bewerber zu nötigen, Rechtsmittel einzulegen, nur um ihre Rechtsposition bei Verzicht des begünstigten Bewerbers zu wahren. Dies kann, wie das Bundessozialgericht ausgeführt hat, nicht Sinn der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Verwaltungsakten mit Drittwirkung sein. Dem wird nur eine Betrachtungsweise gerecht, die als Gegenstand der Auswahl der Zulassungsgremien allein die Entscheidung sieht, einen bestimmten Arzt zuzulassen bzw. eine Anstellungsgenehmigung zu erteilen.

Auch bei einer Auswahlentscheidung unter mehreren Bewerbern nach (Teil-) Entsperrung hat der abgelehnte Bewerber um einen Vertragsarztsitz keine Rechtsposition inne, die vergleichbar wäre mit der eines unterlegenen Beschäftigten im öffentlichen Dienst, der sich um ein öffentliches Amt beworben hatte (Art. 33 Abs. 2 GG)."

Dem ist nichts hinzuzufügen. Zwar räumt das Gericht ein, dass im streitgegenständlichen Verfahren anders als in dem zitierten Verfahren bis auf den Kläger keine weiteren Konkurrenten vorhanden waren. Dieser Gesichtspunkt war in der Tat einer der tragenden Gründe für die dort vertretene Rechtsauffassung. Andererseits erscheint es rechtlich problematisch, einmal, nämlich im Fall, dass weitere Konkurrenten vorhanden sind, ein automatisches Nachrücken des verbliebenen Bewerbers zu verneinen, in dem anderen Fall, in dem keine weiteren Konkurrenten vorhanden sind, von einem automatischen Nachrücken des einzig verbliebenen Bewerbers auszugehen. Eine solche Differenzierung erscheint dem Gericht nicht als geboten, von dem Grundsatz abzurücken, dass die Zulassungsablehnung das Schicksal der positiven Zulassungsentscheidung teilt. Auch Versorgungsgesichtspunkte, die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragen werden, vermögen eine Ausnahme von diesem Grundsatz nicht zu rechtfertigen. Auch ist aus dem Umstand, dass lediglich ein hälftiger Vertragsarztsitz zu vergeben ist, zu folgern, dass eben keine beachtliche Versorgungslücke besteht, die es umgehend zu beheben gilt.

Aus den genannten Gründen war die Klage zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

Nach § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 3 VwGO können dem Beigeladenen Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt hat oder Rechtsmittel eingelegt hat. Dies ist nicht der Fall.

Nach § 197a SGG in Verbindung mit § 162 Abs. 3 VwGO sind außergerichtliche Kosten des Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn der Beigeladene erfolgreich Anträge gestellt bzw. das Verfahren wesentlich gefördert hat (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, Rn. 29 zu § 197a). Weder hat die Beigeladene Anträge gestellt, noch hat sie das Verfahren wesentlich gefördert, weshalb es nach Auffassung des Gerichts der Billigkeit entspricht, die außergerichtlichen Kosten dem Kläger nicht aufzuerlegen.

 

 

Rechtskraft
Aus
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