S 35 SO 265/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
35
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 35 SO 265/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
  1. Eine Übernahme der an eine private Ersatzschule gezahlten Fördervereinsbeiträge aus Mitteln der Eingliederungshilfe, die als „(Quasi-)Schulgeld“ den allgemeinen Unterricht finanzieren sollen, scheidet aus. Die gewünschte Übernahme ist – als eine vom Kernbereich der pädagogischen Arbeit umfasste Leistung – keine im Rahmen der individuellen Eingliederungshilfe vom Sozialhilfeträger zu erbringende Hilfe für eine angemessene Schulbildung.
     
  2. Eine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung von „(Quasi-)Schulgeld“ an eine in private Trägerschaft stehende Ersatzschule besteht insbesondere dann nicht, wenn der Schulträger sich zur Abwicklung eines Fördervereins bedient und es sich nach dem Willen des Schulträgers gerade um freiwillige Fördervereinsleistungen handelt.

Überschrift:

Urteil | Sozialhilfe – Eingliederungshilfe – Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung – keine Übernahme freiwilliger Fördervereinsbeiträge für den Besuch einer privaten Ersatzschule, Schulgeld, Kernbereich der pädagogischen Arbeit – notwendige Sozialleistungen – Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung | § 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX

 

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe bezogen auf die begehrte Übernahme von freiwillig erbrachten Fördergeldzahlungen („Quasi-Schulgeld“) in Höhe von 200,00 Euro monatlich an die in privater Trägerschaft befindliche Schule der Klägerin.

Die am 00.00.2009 geborene Klägerin ist schwerbehindert (psychomotorische Entwicklungsstörungen) und verfügt über einen Grad der Behinderung von 70. Ihre schulische Ausbildung findet an der in freier Trägerschaft befindlichen T-Schule, C-Straße 0, 00000 C statt. Die Schule verfügt über einen Förderverein. Über diesen besteht für die Erziehungsberechtigten der beschulten Kinder die Möglichkeit, auf freiwilliger Basis Fördervereinsbeiträge zu zahlen. Diese dienen dazu, einen Teil der allgemein anfallenden Schulträgerkosten abzudecken. Die Höhe der freiwillig zahlbaren Beiträge richtet sich nach den individuellen finanziellen Möglichkeiten der Elternhäuser. Über die Höhe der gezahlten Förderbeitragszahlungen erhalten diese eine Bestätigung für ihre Steuererklärung unter Bezugnahme auf § 10 Abs. 1 Nr. 9 Einkommenssteuergesetz (EStG).

Die Klägerin beantragte am 11.11.2019 die Kostenübernahme eines Betrages in Höhe von 200,00 Euro monatlich aus Mitteln der Eingliederungshilfe. Zur Begründung trug sie vor, dass dieser Betrag von ihren Erziehungsberechtigten als Förderbeitrag an die Schule entrichtet werde.

Mit Ablehnungsbescheid vom 18.10.2021 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Zur Begründung führte er an, dass die freiwillig geleisteten Beiträge eine Spende an den Förderverein der Schule darstellten. Eine Übernahme aus Mitteln der Eingliederungshilfe als Leistungen zur Teilhabe an Bildung käme nicht in Betracht. Die gezahlten Spenden an den Förderverein dienten der allgemeinen schulischen Ausbildung und seien nicht explizit für die Förderung einer bestimmten Person einzusetzen. Eingliederungshilfeleistungen seien einzelfall- und personenbezogen und richteten sich nach dem individuellen Bedarf. Zudem sei der Bedarf an Schulbildung auch durch öffentliche Schulen, für die keine Spendenbeiträge anfielen, ausreichend gedeckt.

Die Klägerin legte dagegen am 19.10.2021 Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass die gezahlten Beiträge zwar als freiwillig deklarierte Spenden gekennzeichnet seien. In einem persönlichen Gespräch sei ihren Erziehungsberechtigten durch die Schule aber deutlich gemacht worden, dass – notfalls unter Prüfung des Steuerbescheids – auf die Zahlung einer solchen Spende bestanden werde. Diese sei notwendig, um den Schulbetrieb zu sichern. Die monatlich als Spenden deklarierten Zahlungen seien faktisch als „(Quasi-) Schulgeld“ anzusehen.

Der Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2021 als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf seine bisherigen Ausführungen im Ablehnungsbescheid vom 18.10.2021. Ergänzend führte er an, dass die Zahlung von Schulgeld unmittelbar dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit einer Schule zuzuordnen sei. Die Übernahme finanziere die von der Schule selbst zu erbringende Leistung, also den Unterricht. Mit der Zahlung des freiwilligen Beitrags solle der schulische Bildungsauftrag erfüllt werden. Dies stelle keine bloß unterstützende Leistung im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung der Klägerin dar. Die Zahlung von Schulgeld falle nicht unter den Anwendungsbereich der Eingliederungshilfe.

Die Klägerin hat am 21.12.2021 Klage erhoben.

Zur Begründung trägt sie vor, dass es sich um ein „Quasi-Schulgeld“ handle, welches durch den Beklagten zu übernehmen sei. Aufgrund der negativen Erfahrungen ihrer Eltern mit der zuvor besuchten integrativen staatlichen Grundschule, hätten sich diese für eine private Förderschule entschieden. Auch an einer staatlichen Förderschule fielen in erheblichem Maße Kosten an.

Die Klägerin beantragt,

  • 1. den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 18.10.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.12.2021 zu verurteilen, ihr 5200,00 Euro nebst jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 400,00 Euro seit dem 31.12.2019 und aus jeweils 200,00 Euro seit dem 31.01.2020, 29.02.2020, 31.03.2020, 30.04.2020, 31.05.2020, 30.06.2020, 31.07.2020, 31.08.2020, 30.09.2020, 31.10.2020, 30.11.2020, 31.12.2020, 31.01.2021, 28.02.2021, 31.03.2021, 30.04.2021, 31.05.2021, 30.06.2021, 31.07.2021, 31.08.2021, 30.09.2021, 31.10.2021, 30.11.2021 und 31.12.2021 zu zahlen.
  • 2. den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 18.10.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.12.2021 zu verurteilen, an sie Eingliederungshilfe im Rahmen des persönlichen Budgets in Höhe von derzeit monatlich 200,00 Euro (monatlicher Förderbetrag für die Beschulung an der T-Schule in C), beginnend ab dem Monat Januar 2022 zu zahlen, solange sie die private Schule besucht.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend führt er an, dass es sich um freiwillige Beiträge handelt. Die Zahlung werde erkennbar als Spende ausgewiesen. Diese diene der allgemeinen Schulausbildung und werde nicht explizit für die Förderung der Klägerin eingesetzt. Eingliederungshilfeleistungen seien ausdrücklich personenbezogen. Im Übrigen könne der Bedarf der Schulbildung für die Klägerin auch durch öffentliche Schulen gedeckt werden. Wohnortnahe öffentlich geförderte Schulen seien vorhanden.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands und bezüglich des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Sie hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Klage ist zulässig. Sie ist als Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig.

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klägerin ist durch die am 18.10.2021 erfolgte Ablehnung der Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Eine Übernahme der als Schulgeld geflossenen freiwilligen Förderleistungen in Höhe von 200,00 Euro monatlich aus Mitteln der Eingliederungshilfe besteht nicht.

Die Voraussetzungen für eine Übernahme aus Mitteln der Eingliederungshilfe liegen nicht vor. Die Zahlung von freiwillig erbrachten Förderleistungen, die von dem Schulträger allgemein zur Finanzierung der schulischen Ausbildung verwendet werden können, stellt keine individuelle Leistung zur Teilhabe an Bildung gemäß § 5 Nr. 4 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX) i.V.m. § 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX bzw. § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung (a.F.) dar. Zwar können gemäß § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII a.F. und § 112 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB IX Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu erbracht werden. Dabei bleiben die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt. Vom Wortlaut „Hilfen“ sind Maßnahmen erfasst, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, vorhandene Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22.03.2012 – B 8 SO 30/10 R –, BSGE 110, 301 ff RdNr. 20, SozR 4-3500 § 54 Nr. 8). Dabei ist aber zu beachten, dass mögliche Maßnahmen nicht dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit zuzurechnen sein dürfen. Soweit dies der Fall ist, sind entsprechende Maßnahmen den Regelungen des Sozialrechts entzogen. Die Übernahme von Schulgeld für eine private Ersatzschule ist als eine vom Kernbereich der pädagogischen Arbeit umfasste Leistung keine im Rahmen der Eingliederungshilfe vom Sozialhilfeträger zu erbringende Hilfe für eine angemessene Schulbildung (BSG, Urteil vom 15. November 2012 – B 8 SO 10/11 R –, BSGE 112, 196-201, SozR 4-3500 § 54 Nr. 10). Die Schulbildung selbst, also der Kernbereich der pädagogischen Arbeit, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt, obliegt allein den Schulträgern. Art. 7 Abs. 1 Grundgesetz (GG) überträgt dem Staat einen außerhalb des Sozialhilferechts liegenden eigenständigen Unterrichts- und Bildungsauftrag im Schulbereich (a.a.O. Rn. 15). Bereits nach diesen Maßstäben hat die Klägerin keinen Anspruch auf die Erstattung der an den Förderverein erbrachten Zahlungen als Leistung der Eingliederungshilfe. Zu dem Kernbereich der Schule gehören alle schulischen Maßnahmen, die dazu dienen, die staatlichen Lehrziele zu erreichen, in erster Linie also der Unterricht, der die für den erfolgreichen Abschluss notwendigen Kenntnisse vermitteln soll. Damit unterliegt auch die von Klägerin begehrte Übernahme des „(Quasi)-Schulgelds“ – in Gestalt der als “freiwilliger Beitrag“ zu erbringenden monatlichen Förderleistungen für die noch nicht finanzierten allgemeinen Schulkosten der privat geführten Schule – unmittelbar diesem Kernbereich, weil die Übernahme dieses Beitrags die von der Schule selbst zu erbringende Leistung, also den Unterricht, finanziert. Damit wird lediglich der schulische Bildungsauftrag erfüllt und keine bloß unterstützende Leistung im Zusammenhang mit der vorliegenden Behinderung der Klägerin vorgenommen.

Dahinstehen kann, inwieweit Schulgeld aufgrund der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin und ihrer Erziehungsberechtigten nach den Regelungen des 3. oder 4. Kapitels SGB XII zu erbringen sein könnte, da die Übernahme von Schulgeld – nicht aus Mitteln der Eingliederungshilfe – nicht streitgegenständlich ist.

Dahinstehen kann ebenfalls, ob die Übernahme des von der Klägerin geltend gemachten monatlichen Beitrags in Höhe von 200,00 Euro notwendig im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX ist, um unabhängig von der Ursache der Behinderung, die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Daran bestehen nach Überzeugung der Kammer zunächst erhebliche Zweifel im Hinblick darauf, dass es sich nach Angaben der Schule selbst um freiwillige Beiträge handelt, dessen Höhe sich nach den individuell finanziellen Möglichkeiten der Elternhäuser richtet. Insoweit dürfte eine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung dieser Beiträge bereits dem Grunde nach nicht bestehen und durch den Schulträger nicht zu fordern sein. Zudem dient die Zahlung gerade der Abdeckung der allgemeinen Kosten der privaten Schule und nicht der individuellen Förderung der Klägerin. Im Übrigen bestehen für die Kammer aber auch ernstliche Zweifel an der rechtlichen Notwendigkeit im Hinblick auf die Höhe des bezifferten Beitrags. Die Klägerin hat weder vorgetragen noch im Klageverfahren nachgewiesen, dass der Beitrag ihr individuell zugutekommt. Insofern kann die Kammer nicht erkennen, dass die konkrete Zahlung in der angewiesenen Höhe unmittelbare Auswirkungen in Gestalt der Milderung der Folgen der bei der Klägerin vorliegenden Behinderung hat.

Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Sache und beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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