L 3 AL 21/21

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 26 AL 10/19
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 21/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Soweit ein Empfänger von Arbeitslosengeld Überlegungen anstellt und rechtsirrig davon ausgeht, dass er keiner Mitteilungspflicht unterliegt, geht ein solcher Rechtsirrtum zu seinen Lasten und lässt den Verschuldensvorwurf nicht entfallen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Rechtsirrtum unvermeidbar war.

2. Eine Rechtsgrundlage für die Reduzierung der Erstattungsforderung im Hinblick darauf, dass das von einem Kläger bezogene Arbeitslosengeld als Einkommen bei der Bemessung des Anspruches auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II berücksichtigt worden ist, besteht nicht.

3. Die Erstattungspflicht gegenüber der Bundesagentur für Arbeit hat im Verhältnis zum Träger der Grundsicherung lediglich die Bedeutung, dass der Hilfebedürftige (erst) von diesem Zeitpunkt an mit Schulden (gegenüber der Bundesagentur für Arbeit) belastet ist. Solche Verpflichtungen sind grundsätzlich bei der Bestimmung der Hilfebedürftigkeit unbeachtlich.

4. Es bedarf, um eine Verringerung der Erstattungsforderung im Einzelfall zu erreichen, keiner analogen Anwendung von § 107 SGB X. Denn es gibt den Weg über den (Teil)Erlass der Erstattungsforderung.

I.     Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 12. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

II.    Außergerichtliche Kosten im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

III.   Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Im Streit steht die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld sowie der damit verbundenen Forderung auf Erstattung von Arbeitslosengeld und Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) für die Zeit vom 24. September 2018 bis zum 31. Oktober 2018 in Höhe von insgesamt 1.068,78 EUR.

 

Die 1979 geborene Klägerin meldete sich am 12. Februar 2018 arbeitssuchend und beantragte zum 16. März 2018 die Zahlung von Arbeitslosengeld. Am 13. März 2018 meldete sie sich persönlich arbeitslos. Am Ende des Antragsformulars versicherte die Klägerin handschriftlich unter anderem, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben.

 

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 4. April 2018 für 360 Kalendertage vom 16. März 2018 bis zum 14. März 2019 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 22,81 EUR.

 

Daneben bezogen die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin, zu der neben ihr noch ihre 2005 und 2007 geborenen Kinder gehören, aufstockend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Vom zuständigen Jobcenter wurden für September 2018 Leistungen in Höhe von insgesamt 178,16 EUR und für den Oktober 2018 in Höhe von 205,45 EUR bewilligt. Das Einkommen der Klägerin aus Arbeitslosengeld, welches um die Versicherungspauschale von 30,00 EUR bereinigt wurde, wurde hierbei anspruchsmindernd berücksichtigt.

 

Am 19. September 2018 schloss die Klägerin mit der Y....  GmbH A.... einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag im Umfang von 35 Stunden wöchentlich ab. Die Klägerin nahm die Beschäftigung am 24. September 2018 auf.

 

Am 25. September 2018 kündigte die Klägerin auf Grund der Aussicht auf eine unbefristete Beschäftigung mit Wirkung zum 26. September 2018 das Arbeitsverhältnis. Die Klägerin wurde für den 25. September 2018 und 26. September 2018 durch den Arbeitgeber freigestellt. Sie erhielt für 8,41 Stunden einen Verdienst von 78,80 EUR brutto und 62,19 EUR netto. Das Beschäftigungsverhältnis teilte sie der Beklagten nicht mit.

 

Mit Veränderungsmitteilung vom 1. Oktober 2018 teilte die Klägerin der Beklagten mit, ab dem 1. November 2018 eine unbefristete Beschäftigung als Sachbearbeiterin bei der Firma X....  aufzunehmen.

 

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 25. Oktober 2018 die Bewilligung von Arbeitslosengeld bestandskräftig ab dem 1. November 2018 auf.

 

Anhand eines Datenabgleichs erhielt die Beklagte im November 2018 Kenntnis von der Beschäftigung der Klägerin im September. Mit Schreiben vom 19. November 2018 wurde die Klägerin zur möglichen Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld angehört.

 

Die Beklagte hob mit Bescheid vom 29. November 2018 die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 24. September 2018 bis zum 31. Oktober 2018 auf und forderte die Erstattung für diesen Zeitraum erbrachten Leistungen in Höhe von 843,97 EUR sowie der Versicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 27. September bis zum 31. Oktober 2018 in Höhe von 193,57 EUR (Krankenversicherung) und 31,24 EUR (Pflegeversicherung).

 

Mit Widerspruch vom 30. Oktober 2018 machte die Klägerin geltend, dass ihr von einer Mitarbeiterin der Beklagten mitgeteilt worden sei, dass eine Beschäftigung von 15 Stunden und mehr zu melden sei. Sie habe mit 8,41 Stunden darunter gelegen und sei deshalb davon ausgegangen sei, dass keine Mitteilungspflicht bestehe.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 2018 zurück.

 

Die Klägerin hat am 10. Januar 2019 Klage erhoben. Sie habe im Ergebnis eine Beschäftigung von unter 15 Stunden ausgeübt und sei daher entsprechend der Angaben der Mitarbeiter der Beklagten zur Mitteilung nicht verpflichtet gewesen. Zudem stehe auf Grund der Anrechnung des Einkommens aus Arbeitslosengeld auf die zeitgleich bezogene Grundsicherungsleistung die Sperrwirkung von § 107 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) einer Aufhebung entgegen. Die Rückforderung könne nicht rechtmäßig sein, da dies in die Existenzsicherung eingreife.

 

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 12. Januar 2021 die Klage abgewiesen. Vorrangig sei auf die getroffene Vereinbarung abzustellen. Dass der auf ein Jahr befristete Arbeitsvertrag, der eine regelmäßige durchschnittliche Arbeitszeit von 35 Stunden zum Gegenstand gehabt habe, bereits am 27. September 2018 geendet habe, bleibe daher ohne Auswirkung. Für die Zeit ab dem 27. September 2018 fehle es an der persönlichen Arbeitslosmeldung, da diese mit der Beschäftigungsaufnahme erloschen sei. Soweit sich sie Klägerin hinsichtlich ihrer Meldepflicht im Irrtum befunden habe, werde auf das ausgehändigte Merkblatt verwiesen. Ergänzend sei auf Grund der Eigenkündigung der Klägerin kraft Gesetzes eine Sperrzeit eingetreten. Der Erstattung stehe die Anrechnung des Arbeitslosengeldes auf die Grundsicherungsleistung nicht entgegen. Für die Anrechnung nach dem SGB II komme es allein auf den tatsächlichen Zufluss im Leistungsmonat an. Es fehle an einem Erstattungsanspruch zwischen den Leistungsträgern. Der die Erstattung begehrende Leistungsträger könne sich nur an den Leistungsempfänger wenden.

 

Die Klägerin hat gegen das ihr am 29. Januar 2021 zugestellte Urteil am 1. März 2021 Berufung eingelegt. Sie habe nicht grob fahrlässig gehandelt, sie habe nur das Kleingedruckte nicht gelesen. Zudem stehe das Grundrecht auf existenzsichernde Leistung der Rückforderung entgegen. Die Lösung über einen Erlassantrag sei nicht verfassungsgemäß. Entsprechend der Voraussetzungen des § 34a SGB II seien auch vorliegend zunächst Leistungen zu gewähren und könnten erst später erstattet verlangt werden. Eine adäquate und dem Grundgesetz entsprechende Lösung sei nur über eine analoge Anwendung von § 107 SGB X möglich. Auch nach der Sanktionsentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes seien 70 % des Regelbedarfes sowie die Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu decken.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Leipzig vom 12. Januar 2021 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2018 aufzuheben, hilfsweise den Bescheid abzuändern und die Rückforderung auf 30,00 EUR zu reduzieren und die Revision zuzulassen.

 

 

Die Beklagte beantragt,

 

Die Berufung zurückzuweisen.

 

Es stehe der Klägerin frei, nach Beendigung des Rechtsstreits einen Erlassantrag zu stellen.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der elektronischen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

I. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

 

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die erstinstanzliche Entscheidung sowie der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 29. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2018, mit welchem die Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 24. September 2018 bis zum 31. Oktober 2018 aufgehoben und die Erstattung der für diesen Zeitraum gewährten Leistung in Höhe von 843,97 EUR und der Versicherungsbeiträge in Höhe von 193,57 EUR (Krankenversicherung) und 31,24 EUR (Pflegeversicherung) verlangt worden sind. Zutreffend verfolgt die Klägerin ihr Begehren mit einer Anfechtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

 

2. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

 

a) Maßgebend für den Anspruch auf Arbeitslosengeld dem Grunde nach sind vorliegend – soweit nichts anderes angegeben ist – die §§ 136 ff. SGB III in der vom 1. April 2012 bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung (vgl. Artikel 2 Nr. 18 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 [BGBl I S. 2854]). Nach § 137 Abs. 1 SGB III hat die Klägerin Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit (vgl. § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGB III), wenn sie im Sinne von § 137 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 138 SGB III arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 21 i. V. m. § 141 SGB III) und durch ihre vorangegangene Beschäftigung bei der Arbeitgeberin die Anwartschaftszeit erfüllt hat (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 142 SGB III). Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (vgl. § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit von 15 Stunden und mehr wöchentlich schließt die Beschäftigungslosigkeit aus, wobei gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer unberücksichtigt bleiben (vgl. § 138 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

 

b) Vorliegend ist durch die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses bei der Y....  GmbH A.... am 24. September 2018 im Umfang von über 15 Stunden wöchentlich eine wesentliche Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten.

 

Mit der Aufnahme einer Beschäftigung in diesem Umfang entfällt mangels tatsächlich bestehender Arbeitslosigkeit der Anspruch auf Arbeitslosengeld (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 SGB III, § 138 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 SGB III). Mangels Anzeige der Aufnahme der Beschäftigung entfällt zudem die Wirkung der Arbeitslosmeldung (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 2, § 141 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 2 SGB III).

 

Die Klägerin stand vom 24. September 2018 bis zum 26. September 2018 in einem die Arbeitslosigkeit ausschließenden Beschäftigungsverhältnis, was auch nicht weniger als 15 Stunden wöchentlich umfasste. Denn sie hatte einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag im Umfang von 35 Stunden wöchentlich abgeschlossen. Dass dann von ihr tatsächlich nur 8,41 Stunden am 24. September 2018 gearbeitet wurde, steht dem nicht entgegen. Denn es kommt für die Beurteilung bei der Bestimmung der Arbeitszeit auf die getroffenen Vereinbarungen und eine vorausschauende Betrachtungsweise an, die an die Verhältnisse zu Beginn der Beschäftigung anknüpft (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 2008 – B 11 AL 44/07 RSozR 4-4300 § 118 Nr. 3 = juris Rdnr. 20). Es ist nicht entscheidend, was sich in einer bestimmten Arbeitsperiode in der Rückschau tatsächlich an Arbeitszeit ergibt. Die spätere Beendigung des auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages im Umfang von 35 Stunden wöchentlich macht diesen nicht nachträglich zu einem Beschäftigungsverhältnis, das vereinbarungsgemäß nur unter 15 Stunden oder kurzzeitig ausgeübt werden sollte. Denn maßgebend ist allein der Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme.

 

Mangels Anzeige der Beschäftigungsaufnahme verlor die vorausgegangene Arbeitslosmeldung ihre Wirkung. Nach § 141 Abs. 2 Nr. 2 SGB III erlischt die Wirkung der Meldung mit der Aufnahme der Beschäftigung, wenn die oder der Arbeitslose diese der Agentur für Arbeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Zwar war die Klägerin ab dem 25. September 2018 wieder beschäftigungslos. Die für den Anspruch auf Arbeitslosengeld neben der bestehenden Arbeitslosigkeit zusätzlich erforderliche notwendige persönliche Arbeitslosmeldung lag jedoch bis zur erneuten Arbeitsaufnahme nicht vor.

 

c) Dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid stehen auch keine Vertrauenstatbestände entgegen.

 

Vorliegend liegen die das Vertrauen ausschließenden Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X vor. Die Klägerin kam zumindest grob fahrlässig ihrer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung zur Arbeitsaufnahme und somit einer wesentlichen für sie nachteiligen Änderung der Verhältnisse nicht nach (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

 

(1) Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I) hat, wer Sozialleistungen erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen.

 

Unstreitig hat die Klägerin der Beklagten nicht mitgeteilt, dass sie eine Vollzeitbeschäftigung, das heißt eine Beschäftigung von 15 Stunden und mehr, aufgenommen hat.

 

(2) Die Klägerin verletzte ihre Mitteilungspflicht auch grob fahrlässig.

 

(2.1) Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X). Es ist ein subjektiver Maßstab anzulegen. Danach handelt grob fahrlässig, wer unter Berücksichtigung seiner persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, seines Einsichtsvermögens und der besonderen Umstände des Falles schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. BSG, Urteil vom 11. Juni 1987 – 7 RAr 105/85BSGE 62, 32 [35] = SozR 4100 § 71 Nr. 2 = juris Rdnr. 18, m. w. N.; BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 21/00 RSozR 3-1300 § 45 Nr. 45 = juris Rdnr. 23, m. w. N.; BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 R 14/11 R – SozR 4-1300 § 45 Nr. 15 = juris Rdnr. 25). Die Verletzung von Mitteilungspflichten auf Grund Unkenntnis der Pflichten ist dann durch eigenes Verhalten grob fahrlässig verursacht, wenn der Adressat eines nachweislich übergebenen Hinweisblattes, hier das Merkblatt 1 für Arbeitslose, hätte er den Hinweis gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, dass er eine Mitteilungspflicht hat oder der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht (vgl. Hess. LSG, Urteil vom 19. September 2014 – L 5 R 315/13 – juris Rdnr. 43; LSG für das Saarland, Urteil vom 21. August 2018 – L 6 AL 6/17 – info also 2018, 252 f. = juris Rdnr. 65; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 6. Mai 2021 – L 1 R 361/18 – juris Rdnr. 64).

 

(2.2) Dass eine Arbeitsaufnahme (auch wenn sie nur kurzzeitig erfolgt) für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, welcher jedenfalls Beschäftigungslosigkeit voraussetzt, erheblich sein kann, ist offensichtlich. Die Klägerin wusste auch um die Mitteilungspflicht. Dies belegt die rechtzeitig am 1. Oktober 2018 erfolgte Mitteilung der Arbeitsaufnahme ab dem 1. November 2018.

 

Dass der Klägerin zudem das Merkblatt 1 für Arbeitslose, in welchem die Anspruchsvoraussetzungen und Mitteilungspflichten verständlich erläutert worden waren, übergeben wurde und es von ihr zur Kenntnis hätte genommen werden können, bestätigte sie mit ihrer Unterschrift am Ende des Leistungsantrages. Sie las jedoch – wie sie selbst einräumt – das „Kleingedruckte“ nicht. Im Merkblatt 1 für Arbeitslose wird– leicht zu lesen und verständlich – ausgeführt: "Sie müssen jede Beschäftigung oder Tätigkeit oder die Entnahme versicherungspflichtigen Wertguthabens vor deren Beginn Ihrer Agentur für Arbeit anzeigen". An anderer Stelle heißt es: "Sie müssen alle Tatsachen angeben, die im Antrag abgefragt werden, also für die Leistung bedeutsam sind.". Ferner ist der Hinweis enthalten: "Sie sind verpflichtet, jede Nebentätigkeit Ihrer Agentur für Arbeit spätestens am Tag der Aufnahme der Nebentätigkeit zu melden."

 

Nach dem vom Senat gewonnenen persönlichen Eindruck von der Klägerin fehlte es ihr nicht am allgemeinen Verständnis für die Erläuterungen. Sie las das Merkblatt jedoch nicht vollständig oder nicht genau und nahm damit nicht vom gesamten, für sie im vorliegenden Zusammenhang maßgebenden Teil des Merkblattes Kenntnis. Wenn sie dies getan hätte, hätte sie durch einfachste und naheliegende Überlegungen erkennen können, dass sie zur Mitteilung der Beschäftigungsaufnahme verpflichtet war.

 

Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie die Mitteilung unterlassen habe, da eine Mitarbeiterin der Beklagten ihr erklärt habe, dass eine Beschäftigung von 15 Stunden und mehr zu melden sei, und dass sie rückblickend (ex post) betrachtet weniger gearbeitet, mithin nur ein „kurzfristiges“, der Arbeitslosigkeit nicht entgegenstehendes Arbeitsverhältnis bestanden habe, ändert dies nichts an der rechtlichen Bewertung. Denn die Prüfung und Bewertung, wann ein Arbeitsverhältnis mit 15 Stunden wöchentlich oder mehr vorliegt, obliegt nicht dem Empfänger von Arbeitslosengeld. Dies war für die Klägerin unter anderem auch aus den zitierten Hinweisen im Merkblatt 1 betreffend Ihre Mitteilungspflichten zu entnehmen. Soweit ein Empfänger von Arbeitslosengeld gleichwohl diesbezügliche Überlegungen anstellt und rechtsirrig davon ausgeht, dass er keiner Mitteilungspflicht unterliegt, geht ein solcher Rechtsirrtum zu seinen Lasten und lässt den Verschuldensvorwurf nicht entfallen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15. Februar 2019 – L 4 AS 165/12 – juris Rdnr. 44). Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Rechtsirrtum unvermeidbar war. Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Denn die von der Klägerin behauptete allgemeine Äußerung der Mitarbeiterin der Beklagten war für den Irrtum der Klägerin nicht maßgebend, weil sich die Äußerung zu der konkreten Fragestellung, ob das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin bei der Y....  GmbH A.... im Sinne von § 138 Abs. 2 SGB III leistungsunschädlich sein würde, nicht verhielt. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob sich ein Versicherter bei sich widersprechenden Angaben in einem Merk- oder Hinweisblatt einerseits und eines Behördenmitarbeiters andererseits bereits auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum berufen kann oder ob er gehalten ist, sich zur Klärung dieses Widerspruches zunächst an die zuständige Behörde zu wenden.

 

(2.3) Da der Vertrauensausschlusstatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X gegeben ist, bedarf es keiner Prüfung, ob auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vorliegen.

 

(d) Die Aufhebung erfolgte innerhalb der maßgeblichen Frist von einem Jahr nach Bekanntwerden der die Aufhebung der Bewilligung rechtfertigenden Tatsachen (vgl. § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X).

 

3. Zudem ist Rechtsgrundlage für die Aufhebung ab dem 25. September 2018 auch § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld hat wegen der Arbeitsaufgabe durch die am 25. September 2018 erklärte Eigenkündigung vom 25. September 2018 bis zum 31. Oktober 2018 geruht. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin bereits unwiderruflich freigestellt. Der Klägerin wäre es zuzumuten gewesen, die Eigenkündigung erst zu dem Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich eine neue Beschäftigung sicher anschloss.

 

Eine Sperrzeit tritt kraft Gesetzes ein, setzt also keinen konstitutiven Bescheid voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Mai 2012 – B 11 AL 18/11 R – SozR 4-4300 § 144 Nr. 24 = SozR 4-4300 § 121 Nr. 2 = juris Rdnr. 28; BSG, Urteil vom 27. Juni 2019 – B 11 AL 17/18 RBSGE 128, 262 ff. = SozR 4-4300 § 159 Nr. 8 = SozR 4-4300 § 161 Nr. 1 = juris Rdnr. 19).

 

Die Dauer der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe beträgt zwölf Wochen. Sie verkürzt sich nach § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB III auf sechs Wochen, wenn eine Sperrzeit nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Gründe hierfür sind nicht ersichtlich. Eine Verkürzung der Sperrzeit hätte zudem wegen des Wegfalls des Arbeitslosengeldanspruches in Folge der Mitteilungspflichtverletzung keine Auswirkung.

 

Obwohl die Beklagte nicht zum Eintritt und zur Dauer einer Sperrzeit angehört hat, liegt kein Anhörungsmangel vor. Denn es ist von der materiell-rechtlichen Rechtsansicht der handelnden Behörde auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 RBSGE 112, 221 ff. = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12 = juris Rdnr. 21). Eine Anhörung im Berufungsverfahren zur Gewährung rechtlichen Gehörs bedurfte es nicht, weil bereits das Sozialgericht seine Entscheidung auf das Vorliegen einer Sperrzeit eingegangen ist.

 

4. Die Pflicht zur Erstattung des Arbeitslosengeldes folgt aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Zugleich hat die Klägerin nach § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III auch die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erstatten. Der Erstattungsbetrag ist rechnerisch korrekt; Einwände diesbezüglich wurden von Klägerseite nicht erhoben.

 

5. Eine Rechtsgrundlage für die Reduzierung der Erstattungsforderung im Hinblick darauf, dass das von der Klägerin bezogene Arbeitslosengeld als Einkommen bei der Bemessung des Anspruches auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II berücksichtigt worden ist, besteht nicht

 

a) Der Erstattung steht weder dem Grunde noch der Höhe nach entgegen, dass das an die Klägerin im betreffenden Zeitraum geleistete Arbeitslosengeld bei der Bemessung von ergänzenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin nach §§ 9, 11, 11b SGB II (anspruchsmindernd) als Einkommen angerechnet wurde. Für die Anrechnung nach dem SGB II kommt es nur darauf an, ob ein bestimmtes Einkommen auf Grund seines tatsächlichen Zuflusses im Leistungsmonat zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stand, was hier in Bezug auf das in den Monaten September und Oktober 2018 an die Klägerin ausgezahlte Arbeitslosengeld der Fall war und auch durch eine spätere Aufhebung und Erstattung nicht geändert wird.

 

b) Zur Begründung einer Sperrwirkung hinsichtlich der Erstattungsforderung kann auch § 107 SGB X nicht herangezogen werden. Nach § 107 Abs. 1 SGB X gilt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht, der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt. Diese Erfüllungsfiktion setzt voraus, dass ein Erstattungsanspruch des Trägers, der Leistungen bewilligt hat, gegenüber einem anderen Träger objektiv besteht (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 2000 – B 8 KN 3/98 U RBSGE 86, 78 ff. = SozR 3-1300 § 111 Nr. 8 = juris Rdnr. 18; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Januar 2018 – L 7 AS 1875/17 – juris Rdnr. 70; Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X [2. Aufl., 2017], § 107 SGB X [Stand: 19.12.2022] Rdnr. 17, m. w. N.), an dem es vorliegend fehlt. Das Jobcenter hat im Hinblick auf das tatsächlich zugeflossene und zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehende Arbeitslosengeld (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2011 – B 14 AS 165/10 R – SozR 4-4200 § 11 Nr. 43 = juris Rdnr. 24) in rechtmäßiger Höhe geleistet. Wenn ein Anspruch materiell-rechtlich – wie vorliegend – tatsächlich nicht bestanden hat, kann sich der Erstattung begehrende Leistungsträger nur an den Leistungsempfänger wenden und diesem gegenüber (über die §§ 44 ff., 50 SGB X) seine Ansprüche durchsetzen.

 

c) Soweit der Klägerbevollmächtigte die Auffassung vertritt, § 107 SGB X müsse zumindest analog angewendet werden, ist eine Analogie bereits mangels Regelungslücke ausgeschlossen. Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz voraus (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 2018 – B 5 R 25/17 RBSGE 126, 128 ff. = SozR 4-2600 § 51 Nr. 2 = juris Rdnr. 57, m. w. N.; Sächs. LSG, Urteil vom 8. Juli 2021 – L 3 AL 115/20 – juris Rdnr. 67, m. w. N.). Ob eine planwidrige Regelungslücke innerhalb des Regelungszusammenhangs des Gesetzes im Sinne eines Fehlens rechtlicher Regelungsinhalte dort, wo sie für bestimmte Sachverhalte erwartet werden, anzunehmen ist, bestimmt sich ausgehend von der gesetzlichen Regelung selbst, den ihr zugrunde liegenden Regelungsabsichten, den verfolgten Zwecken und Wertungen, auch gemessen am Maßstab der gesamten Rechtsordnung einschließlich verfassungsrechtlicher Wertungen (vgl. BSG, Urteil vom 23. Oktober 2018 – B 11 AL 20/17 R – SozR 4-6065 Art 61 Nr. 1 = juris jeweils Rdnr. 29, m. w. N.; Sächs. LSG, Urteil vom 8. Juli 2021, a. a. O.). An einer planwidrigen Regelungslücke fehlt es vorliegend. Die Erstattungspflicht der Klägerin, die für die Bestimmung der Hilfebedürftigkeit allein maßgebend ist, tritt erst zukünftig ein. Sie kann als bloße "Schuld" die Existenzsicherung nicht gefährden. Im Verhältnis zum Träger der Grundsicherung hat die Erstattungspflicht lediglich die Bedeutung, dass die Hilfebedürftige (erst) von diesem Zeitpunkt an mit Schulden (gegenüber der Beklagten) belastet ist. Solche Verpflichtungen sind aber grundsätzlich bei der Bestimmung der Hilfebedürftigkeit unbeachtlich (vgl. BSG, Urteil vom 23. August 2011, a. a. O., Rdnr. 25 m. w. N.). Selbst wenn es zum Zufluss des Arbeitslosengeldes allein durch eine fehlerhafte Arbeitsweise der Beklagten gekommen wäre, würde ein solcher Sachverhalte im Verhältnis zum Leistungsempfänger ausschließlich bei einer Entscheidung über den Erlass der Erstattungsforderung Berücksichtigung finden (BSG, Urteil vom 23. August 2011, a. a. O., Rdnr. 26 m. w. N.).

 

d) Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen ist eine analoge Anwendung von § 107 SGB X nicht geboten. Dies gilt auch, soweit der Klägerbevollmächtigten im vorliegenden Zusammenhang auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. November 2019 und auf § 34 SGB II verweist.

 

Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil entschieden, dass im Falle einer Verletzung von Mitwirkungspflichten durch einen Alg II-Empfänger die Minderung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe des maßgebenden Regelbedarfs um 30 % verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn in einem Fall außergewöhnlicher Härte von der Sanktion abgesehen werden kann und die Minderung nicht unabhängig von der Mitwirkung der Betroffenen starr andauert (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 [Sanktionen im Sozialrecht, Hartz IV-Sanktionen] – BVerfGE 152, 68 ff. = NJW 2019, 3703 ff. = SozR 4-4200 § 31a Nr. 3 = juris Rdnr. 159 ff.). Weiter hat es entschieden, dass die im Fall der ersten wiederholten Verletzung einer Mitwirkungspflicht vorgegebene Minderung in einer Höhe von 60 % mit dem Grundgesetz in der damaligen Ausgestaltung vor allem mangels tragfähiger Erkenntnisse zur Eignung und Erforderlichkeit einer Sanktion in dieser gravierenden Höhe nicht vereinbar ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. November 2019, a. a. O., juris Rdnr. 189 ff.). Einen vollständigen Leistungsentzug erachtete es nur dann als gerechtfertigt, wenn eine tatsächlich existenzsichernde und im Sinne von § 10 SGB II zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund willentlich verweigert wird, obwohl im Verfahren die Möglichkeit bestand, dazu auch etwaige Besonderheiten der persönlichen Situation vorzubringen, die einer Arbeitsaufnahme bei objektiver Betrachtung entgegenstehen könnten (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. November 2019, a. a. O., juris Rdnr. 208 f.). Aus diesem Urteil folgt, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten selbst im Falle einer Verletzung von Mitwirkungspflichten im Regelfall ein Grundstock an existenzsichernden Leistungen verbleiben muss.

 

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB II Ist, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB II gilt als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Nach § 34 Abs. 1 Satz 6 SGB II ist von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde. Diese Regelungen bedeuten, dass selbst derjenige, dem ein sogenanntes "sozialwidriges Verhalten" vorzuhalten ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 2. November 2012 – B 4 AS 39/12 RBSGE 112, 135 ff. = SozR 4-4200 § 34 Nr. 1 = juris Rdnr. 16 ff.), einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II hat, allerdings verbunden mit einem Ersatzanspruch.

 

Allerdings bedarf es, um eine Verringerung der Erstattungsforderung im Einzelfall zu erreichen, keiner analogen Anwendung von § 107 SGB X. Denn es gibt, wie vom Bundessozialgericht aufgezeigt, den Weg über den (Teil)Erlass der Erstattungsforderung. Ob dieser Weg, wie vom Klägerbevollmächtigten beschrieben, der etwas Beschwerlichere ist, kann dahingestellt bleiben, solange der Schuldner der Erstattungsforderung sein Ziel einer (Teil)Reduzierung der Erstattungsforderung auch auf diesem Weg erreichen kann. Denn der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der Rechtsweggarantie aus Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 1 BvL 18/11 [Kartellgeldbuße] – BVerfGE 133, 1 [23] = NJW 2013, 1418 ff. = juris Rdnr. 69). Die Ausgestaltung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz muss dem Schutzzweck des Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG Genüge tun. Dies verbietet Maßnahmen, die darauf abzielen oder geeignet sind, den Rechtsschutz der Betroffenen zu vereiteln; insbesondere dürfen zu Lasten der Rechtsuchenden nicht unangemessen hohe verfahrensrechtliche Hindernisse für den Zugang zum Gericht geschaffen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2012, a. a. O., m. w. N.). Dieser verfassungsrechtlichen Begrenzungen sind noch nicht überschritten, wenn der Schuldner einer Erstattungsforderung auf den Erlassweg verwiesen wird, um eine begehrte Verringerung der Erstattungsforderung zu erlangen.

 

Da aus den genannten Gründen eine analoge Anwendung von § 107 SGB X aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten ist, müssen weitere Fragen, die eine Analogie von § 107 SGB X aufwerfen würde, nicht behandelt werden.

 

Lediglich beispielhaft wird deshalb angemerkt, dass unter anderem zu prüfen wäre, ob das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. November 2019 betreffend die früheren Regelungen zu Sanktionen im SGB II überhaupt auf die vorliegende Fallkonstellation ohne weiteres zu übertragen wäre. Denn während die Minderungsregelungen in den §§ 31 ff. SGB II in den bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassungen, die Gegenstand des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. November 2019 waren, auf Leistungsbewilligungen mit Wirkung für die Zukunft abzielten (vgl. § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II a. F.: "Der Auszahlungsanspruch mindert sich mit Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung der Leistung feststellt."), das heißt die Deckung eines aktuellen Bedarfes betrafen, wirken Erstattungsforderungen in die Vergangenheit und erfassen Zeiträume, für die Leistungen bereits erbracht wurden und der damals bestehende Bedarf gedeckt wurde. Ähnlich verhält es sich bei der Ersatzregelung in § 34 SGB II. Auch dort wird zunächst die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zur Deckung eines aktuellen Bedarfs erbracht; erst danach wird der Leistungsempfänger zum Ersatz dieser Leistungen herangezogen.

 

In Bezug auf eine Härtefallregelung gibt es zwischen einem Ersatzanspruch bei sozialwidrigen Verhaltung und einen Erstattungsanspruch keine signifikanten Unterschiede. Während im ersten Fall nach § 34 Abs. 1 Satz 6 SGB II von der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs abzusehen ist, soweit sie eine Härte bedeuten würde, darf nach § 44 SGB II der Träger von Leistungen nach dem SGB II Ansprüche erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Eine von der Klägerseite geforderte generelle betragsmäßige Begrenzung der Erstattungsforderung hat der Gesetzgeber bislang, auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 5. November 2019, nicht vorgesehen.

 

Schließlich wäre in einem Fall wie dem der Klägerin, in dem Leistungen auf Grund eines dem Antragsteller vorzuwerfenden schuldhaften Verhaltens bewilligt und gezahlt worden sind, zu bedenken, ob eine Verringerung des Erstattungsbetrages infolge einer analogen Anwendung von § 107 SGB X nicht faktisch auf eine Art "Querfinanzierung" der Forderung nach Erstattung zu Unrecht erlangter Leistungen durch einen anderen Leistungsträger hinauslaufen würde. Damit müsste die Gemeinschaft der Versicherten oder die Gesamtheit der Steuerzahler ganz oder teilweise für das Fehlverhalten eines Antragstellers einstehen, der seinerseits die Vorteile seines Fehlverhaltens behalten dürfte.

 

II. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.

 

III. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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