L 11 R 863/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 1253/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 863/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Der Beteiligte muss in seiner Klageschrift den unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, dass eine Verwaltungsentscheidung bzw. ein Verwaltungshandeln durch ein unabhängiges Gericht überprüft werden soll. Die bloße Ankündigung weiterer Schritte oder der späteren Klageerhebung stellt noch keine Klage dar.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.12.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig; in erster Linie sind prozessrechtliche Fragen zu klären.

Der 1965 geborene Kläger ist in der Schweiz wohnhaft. Er beantragte bei der schweizerischen Ausgleichskasse SAK eine Invaliditätsrente.  Der schweizerische Sozialversicherungsträger übermittelte den Rentenantrag am 15.02.2019 an die Beklagte (Bl. 252 der Verwaltungsakten). Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09.10.2019 ab, weil die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien (Bl. 362 ff. der Verwaltungsakten).

Dagegen legte der Kläger am 07.01.2020 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2021 (Bl. 379 ff. der Verwaltungsakten) als unbegründet zurückwies. Die Beklagte wies in dem Widerspruchsbescheid darauf hin, dass der Kläger gegen diesen innerhalb von 3 Monaten nach seiner Bekanntgabe beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage erheben könne (Bl. 382 der Verwaltungsakten). Die Frist gelte auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen amtlichen Vertretung im Ausland eingegangen sei. Klage könne auch bei einer in der Schweiz zur Entgegennahme gleichartiger Rechtsmittel befugten Stelle (Gemeindezweigstelle der Ausgleichskasse, Ausgleichskasse, Schweizerische Ausgleichskasse in G1, Kantonale Rekurskommission, Kantonale Rekursbehörde, Kantonales Versicherungsgericht, Verwaltungsgericht und Obergericht) eingereicht werden. In den Verwaltungsakten wurde vermerkt, dass der Widerspruchsbescheid am 01.02.2021 zur Post gegeben worden sei.

Am 27.04.2021 hat der Kläger bei der Gemeindezweigstelle der SVA A1, H1, ein an die Beklagte adressiertes Schreiben eingereicht, in dem Folgendes ausgeführt wird:

„Ankündigung zur Klage gegen den Entscheid der Deutschen Rentenversicherung vom 28.01.2021

Betrifft:
Entscheid über den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung vom 10.03.2011

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich mache bekannt, dass ich gegen die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung rechtlich vorgehen werde.“

Dieses Schreiben des Klägers hat die SVA-Gemeindezweigstelle H1, Gemeindehaus B1, mit Schreiben vom 27.04.2021 an das SG übersandt, dort ist es am 04.05.2021 eingegangen. Mit Schreiben vom 10.05.2021 hat das SG dem Kläger den Eingang einer Klage bestätigt und ihn mit Schreiben vom 07.07.2021 gebeten, eine Klagebegründung vorzulegen. Am 16.09.2021 ist eine Klagebegründung des Klägers beim SG eingegangen (Bl. 15 der SG-Akten).

Mit Verfügung vom 09.11.2021 (Bl. 26 f. der SG-Akten), dem Kläger am 15.11.2021 zugegangen (Bl. 31 der SG-Akten), hat das SG u.a. darauf hingewiesen, dass die Klagefrist von 3 Monaten (§ 87 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) nicht eingehalten worden sei. Eine Klagebegründung sei erst am 16.09.2021 erfolgt, als bei Gericht eine „Klagebegründung“ eingegangen sei. Mit dem früheren Schreiben vom 27.04.2021 habe der Kläger hingegen gerade nicht erklärt, dass er bereits eine Klage erheben wolle. Vielmehr habe er nur bekannt gemacht, dass er künftig gegen die Entscheidung der Beklagten vorgehen werde. Diese Ankündigung könne rechtlich nicht als Klageerhebung ausgelegt werden. Zu diesem Hinweis hat der Kläger nicht Stellung genommen.

Das SG hat - nach Anhörung der Beteiligten - die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20.12.2021 abgewiesen. Die Klage sei als unzulässig und überdies unbegründet abzuweisen. Das Schreiben vom 27.04.2021 sei nicht als Klageschrift anzusehen. Der Wille des Klägers, eine Klage rechtsverbindlich erheben zu wollen, sei mit dem Schreiben nicht hinreichend kundgetan worden. Vielmehr kündige der Kläger dem Wortlaut seiner Formulierung zufolge lediglich die spätere Klageerhebung für die Zukunft an. Eine Klageerhebung sei erst in der Klagebegründung vom 16.09.2021 zu sehen. Da die Klagefrist bereits Wochen zuvor abgelaufen sei und der Kläger keine Wiedereinsetzungsgründe glaubhaft gemacht habe, sei die Klage unzulässig. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet. Eine Erwerbsminderung sei nicht nachgewiesen. Das SG hat über eine Berufungsfrist von 3 Monaten belehrt.

Gegen den seinem jetzigen Bevollmächtigten am 24.12.2021 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid, wobei der Kläger diesen auf Anforderung des SG als Zustellungsbevollmächtigten benannt hatte, hat der Kläger am 22.03.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.

Nachdem der Kläger seine Berufung zunächst nicht begründet hatte, hat der Berichterstatter mit Verfügung vom 24.08.2022 (Bl. 28 der Senatsakten) darauf hingewiesen, dass nach vorläufiger Prüfung das SG die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen haben dürfte, und angeregt, die Berufung zurückzunehmen.

Am 30.09.2022 hat der Bevollmächtigte des Klägers die Berufung begründet und zur Zulässigkeit der Klage dahingehend Stellung genommen, dass der Kläger mit Schreiben vom 27.04.2021 auf den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 28.01.2021 reagiert habe. Die Erklärung sei so auszulegen, dass er - der Kläger - mit seinem Schreiben vom 27.04.2021 auch tatsächlich habe Klage erheben wollen. Die vom SG vorgenommene Auslegung sei nicht nachvollziehbar. Der Widerspruchsbescheid vom 28.01.2021 sei ihm wenige Tage nach dem 28.01.2021 zugegangen. Um die 3 Monate später ablaufende Klagefrist einzuhalten, habe er sein Schreiben vom 27.04.2021 am gleichen Tag bei der Gemeindezweigstelle der SVA A1 eingereicht. Die Annahme, dass er kurz vor Ablauf der Klagefrist mit seinem Schreiben nur eine Klageerhebung habe ankündigen wollen, ergebe keinen Sinn. Die SVA-Gemeindezweigstelle habe das Schreiben des Klägers vom 27.04.2021 auch als Klageschrift ausgelegt und dem SG weitergeleitet. Auch das SG habe zunächst das Schreiben des Klägers vom 27.04.2021 als Klageschrift ausgelegt. Mit Schreiben vom 09.11.2021 habe das SG erstmals die Auffassung vertreten, dass er - der Kläger - mit seinem Schreiben vom 27.04.2021 keine Klage formuliert habe. Im Übrigen liege auch eine Erwerbsminderung vor.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.12.2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2021 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, jeweils zumindest befristet, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.




Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Die Berufung bedurfte gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGG im Hinblick auf den Gegenstand (Rente wegen Erwerbsminderung ab Rentenantragstellung) auch nicht der Zulassung.

2. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 09.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.01.2021 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte einen Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung vom 10.03.2011 abgelehnt hat. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) und begehrt Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Rentenantragstellung.
 
3. Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

a. Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen einen Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Die Frist beträgt - wie vorliegend - bei Bekanntgabe im Ausland 3 Monate (§ 87 Abs. 1 Satz 2 SGG). Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids (§ 87 Abs. 2 SGG). Die Klage ist nach § 90 SGG bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Nach § 91 Abs. 1 SGG gilt die Frist für die Erhebung der Klage auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen Konsularbehörde oder, soweit es sich um die Versicherung von Seeleuten handelt, auch bei einem deutschen Seemannsamt im Ausland eingegangen ist. Vorliegend findet nach Anhang II des Abkommens über die Freizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union zudem Art. 81 VO (EG) 883/2004 Anwendung, wonach Anträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe, die gemäß den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats (Bundesrepublik Deutschland) innerhalb einer bestimmten Frist bei einer Behörde, einem Träger oder einem Gericht dieses Mitgliedstaats einzureichen sind, innerhalb der gleichen Frist bei einer entsprechenden Behörde, einem entsprechenden Träger oder einem entsprechenden Gericht eines anderen Mitgliedstaats (Schweiz) eingereicht werden können. In diesem Fall übermitteln die in Anspruch genommenen Behörden, Träger oder Gerichte diese Anträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe entweder unmittelbar oder durch Einschaltung der zuständigen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten unverzüglich der zuständigen Behörde, dem zuständigen Träger oder dem zuständigen Gericht des ersten Mitgliedstaats (Art. 81 Satz 2 VO (EG) 883/2004). Der Tag, an dem diese Anträge, Erklärungen oder Rechtsbehelfe bei einer Behörde, einem Träger oder einem Gericht des zweiten Mitgliedstaats Schweiz eingegangen sind, gilt als Tag des Eingangs bei der zuständigen Behörde, dem zuständigen Träger oder dem zuständigen Gericht.

b. Zwar ist das Schreiben des Klägers vom 27.04.2021 am gleichen Tag bei der Gemeindezweigstelle der SVA A1 und am 04.05.2021 beim SG und damit vor Ablauf der Klagefrist von 3 Monaten eingegangen, wobei der Senat unter Zugrundelegung des Vorbringens des Klägers davon ausgeht, dass ihm der - am 01.02.2019 zur Post aufgegebene (Bl. 383 der Verwaltungsakten) - Widerspruchsbescheid wenige Tage nach dem 28.01.2021, spätestens am 08.02.2021, tatsächlich zugegangen ist (vgl. § 14 Satz 2 SGB X, § 15 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz). Das Schreiben des Klägers vom 27.04.2021 erhält jedoch nicht die Prozesserklärung der Klage.

Bei Prozesserklärungen - wie der Einlegung einer Klage - hat das Gericht das wirklich Gewollte, das in der Äußerung erkennbar ist, zu ermitteln (z.B. Bundessozialgericht <BSG> 14.12.2006, B 4 R 19/06 R, juris Rn. 14; BSG 08.11.2005, B 1 KR 76/05 B, juris Rn. 6; BSG 25.06.2002, B 11 AL 23/02 R, juris Rn. 21). Dabei ist nach dem in § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zum Ausdruck gekommenen allgemeinen Rechtsgedanken, der auch im öffentlichen Recht und im Prozessrecht gilt, bei der Auslegung von Erklärungen nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen (z.B. BSG 08.12.2010, B 6 KA 38/09 R, juris Rn. 17; BSG 09.08.2006, B 12 KR 22/05 R, juris Rn. 19; BSG 08.11.2005, B 1 KR 76/05 B, juris Rn. 6). Entscheidend ist, welchen Sinn die Erklärung aus der Sicht des Gerichts und des Prozessgegners hat (BSG 14.12.2006, B 4 R 19/06 R, juris Rn. 14; BSG 09.08.2006, B 12 KR 22/05 R, juris Rn. 19). Dabei muss die Klageschrift nicht die förmliche und ausdrückliche Erklärung enthalten, dass Klage eingelegt wird (vgl. BSG 04.06.2014, B 14 AS 73/13 B; juris Rn. 11; BSG 01.10. 2013, B 14 AS 72/13 B, juris Rn. 8; BeckOGK/Diehm, Stand 01.02.2023, SGG § 90 Rn. 13; Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 90 Rn. 4a). Der Beteiligte muss aber den unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, dass eine Verwaltungsentscheidung bzw. ein Verwaltungshandeln durch ein unabhängiges Gericht überprüft werden soll (vgl. z.B. BSG 08.12.2005, B 13 RJ 289/04 B, juris Rn. 7; BeckOGK/Diehm, Stand 01.02.2023, SGG, § 90 Rn. 15; Binder in Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 90 Rn. 3; Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 90 Rn. 4a). Die Ankündigung weiterer Schritte oder der späteren Klageerhebung stellt noch keine Klage dar (BSG 03.07.1962, 7 RKg 15/59, juris Rn. 16; BeckOGK/Diehm, Stand 01.02.2023, SGG, § 90 Rn. 17; Föllmer in jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 90 SGG <Stand 02.02.2023>, Rn. 13; Schmidt in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 90 Rn. 4a).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist dem Schreiben des Klägers vom 27.04.2021 nicht die Prozesserklärung einer Klage zu entnehmen. Er hat - aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers - in diesem Schreiben nicht seinen unbedingten und abschließenden Willen zum Ausdruck gebracht, den Ablehnungsbescheid der Beklagten einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Vielmehr hat er lediglich gegenüber der Beklagten angekündigt, dass er gegen die Entscheidung der Beklagten „rechtlich vorgehen werde“. Das Schreiben ist nicht an ein unabhängiges Gericht adressiert, sondern an die Beklagte. Inhaltlich hat der Kläger ein „rechtliches Vorgehen“ in der Zukunft unverbindlich angekündigt. Dieser unverbindlichen Ankündigung fehlt es aus objektiver Sicht der Erklärungsempfänger (Gericht und Verwaltung) an der erforderlichen Unbedingtheit und Ernsthaftigkeit. Der Erklärung kann gerade nicht entnommen werden, dass der Widerspruchsbescheid vom 28.01.2021 einer gerichtlichen Überprüfung durch das zuständige SG unterzogen werden soll. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten - und nicht dem zuständigen SG - klar und unmissverständlich lediglich seine Absicht formuliert, in Zukunft gegen den Rentenbescheid vorgehen zu wollen. Damit handelt es sich um eine unverbindliche Ankündigung einer späteren Klageerhebung, die noch keine Klage darstellt.

c. Die vom Kläger sinngemäß am 16.09.2021 gegenüber dem SG mit der Klagebegründung erklärte Klage ist nicht fristgerecht, weil die Klagefrist von 3 Monaten spätestens mit Ablauf des 10.05.2021 (08.05.2021 war ein Samstag) geendet hatte.

d. Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gem. § 67 Abs. 1 SGG ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Mithin ist nur im Fall einer unverschuldeten Fristversäumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies setzt voraus, dass der Beteiligte diejenige Sorgfalt angewandt hat, die einem gewissenhaft Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zugemutet werden kann (z.B. BSG 31.03.1993, 13 RJ 9/92, juris Rn. 15; BSG 27.05.2008, B 2 U 5/07 R, juris Rn. 14). Ein Rechtsirrtum oder mangelnde Rechtskenntnis vermag grundsätzlich eine Fristversäumnis nicht zu entschuldigen. Auch dem juristisch nicht hinreichend vorgebildeten Beteiligten obliegt es, die erforderlichen Erkundigungen einzuholen, um Kenntnis von den Frist- und Formerfordernissen bei Klageerhebung oder bei der Einlegung eines Rechtsmittels zu erlangen. Unterlässt er dies, so handelt er nicht ohne Verschulden (BSG 12.01.2017, B 8 SO 68/16 B, juris Rn. 4; BSG 10.02.1993, 1 BK 37/92, juris Rn. 3;
BeckOGK/Jung, Stand 01.02.2023, SGG, § 67 Rn. 45). Auch juristische Laien müssen Rechtsmittelbelehrungen beachten und sich notfalls erkundigen (LSG Nordrhein-Westfalen 26.03.2012, L 19 AS 1916/11, juris Rn. 26; BeckOGK/Jung, Stand 01.02.2023, SGG, § 67 Rn. 45; Senger in JurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022 <Stand 03.04.2023>, § 67 Rn. 57).

Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats die Klagefrist schuldhaft versäumt. Er hat keinerlei Umstände vorgebracht, warum es ihm nicht möglich gewesen sein soll, eine Klageschrift innerhalb der gesetzlichen Klagefrist beim SG oder den in § 91 SGG bzw. Art. 81 VO (EG) 883/2004 genannten Institutionen einzureichen. Der Kläger hatte es in selbst in Hand, unmissverständlich eine Klage zu formulieren. Wenn er sich als juristischer Laie dazu nicht in der Lage sah, hätte ihn dies veranlassen müssen, rechtzeitig juristischen Rat einzuholen, um eine fristwahrende Klageeinlegung sicherzustellen.

Das Fristversäumnis des Klägers beruht auch nicht auf Fehlern oder Versäumnissen des SG. Beruht die Fristversäumung auch auf einem Fehler des Gerichts oder einer anderen staatlichen Stelle, sind die Anforderungen an die Wiedereinsetzung mit „besonderer Fairness“ zu handhaben; aus solchen Fehlern dürfen dem Beteiligten grundsätzlich keine Verfahrensnachteile erwachsen (Bundesverfassungsgericht <BVerfG> 26.02.2008, 1 BvR 2327/07, juris Rn. 22; BVerfG 27.09.2005, 2 BvR 172/04, juris Rn. 14; Keller im Meyer-Ladewig, u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 67 Rn. 4a). Dabei muss das Gericht grundsätzlich keine Vorkehrungen treffen, damit ein Beteiligter oder dessen Prozessbevollmächtigter davor bewahrt wird, einen fristschädlichen Fehler zu begehen, sondern nur Vorkehrungen, um den Beteiligten oder seinen Prozessbevollmächtigten vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren (BSG 28.04.2017, B 1 KR 15/17 B, juris Rn. 4; BSG 07.10.2004, B 3 KR 14/04 R, juris Rn. 18; Keller im Meyer-Ladewig, u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 67 Rn. 4b). Ein Beteiligter bzw. Prozessbevollmächtigter darf erwarten, dass das Gericht offenkundige Versehen, wie z.B. das Fehlen einer zur Fristwahrung erforderlichen Unterschrift, die irrtümliche Einreichung eines korrekt adressierten Schriftsatzes bei einem anderen Gericht oder die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht, in angemessener Zeit bemerkt und innerhalb des üblichen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen trifft, damit die Frist nicht versäumt wird (BSG 12.10.2016, B 4 AS 1/16 R, BSGE 122, 71, juris Rn. 28; BSG 17.11.2015, B 1 KR 130/14 B, juris Rn. 5; BSG 20.12.2011, B 4 AS 161/11 B, juris Rn. 9; BSG 07.10.2004, B 3 KR 14/04 R, juris Rn. 18; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Aufl. 2020, § 67 Rn. 4b und 4c).

Zwar hätte das SG im vorliegenden Fall dem Kläger nicht den Eingang einer Klage bestätigen dürfen, jedoch konnte sich die am 19.05.2021 versandte Eingangsverfügung des SG vom 10.05.2021 nicht mehr auswirken, weil am 10.05.2021 die Klagefrist ablief bzw. bei Versand bereits abgelaufen war. Die Eingangsbestätigung des SG war mithin von vornherein nicht in der Lage, den Kläger von der Erhebung einer Klage abzuhalten. Das Fehlverhalten des SG war mithin nicht kausal für die Fristversäumnis. Der Kläger konnte auch nicht darauf vertrauen, dass das SG noch vor Ablauf der Klagefrist am 10.05.2021 auf die bloße Klageankündigung reagiert. Unabhängig davon, dass mangels Klageerhebung mittels Schreiben vom 27.04.2021 grundsätzlich ein gerichtliches Tätigwerden nicht geboten war (Föllmer in jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 90 SGG <Stand 02.02.2023>, Rn. 14), ist das am 04.05.2021 beim SG eingegangene Schreiben des Klägers am 10.05.2021 durch das SG bearbeitet und am 17.05.2021 der seinerzeit zuständigen Kammervorsitzenden vorgelegt worden. Selbst wenn das SG verpflichtet gewesen sein sollte, bei dem Kläger auf Klarstellung hinzuwirken, ob sein Schreiben vom 27.04.2021 entgegen seinem Wortlaut eine Klage enthalten soll, und die tatsächliche Bearbeitung des SG nicht dem üblichen Geschäftsgang entsprochen habe sollte, konnte der Kläger nicht vor Ablauf der Klagefrist am 10.05.2021 mit einer Reaktion des SG rechnen. Unter Berücksichtigung der Postlaufzeiten sowie der üblichen Bearbeitungszeiten unter Beachtung der arbeitsfreien Tage am Wochenende 08./09.05.2021 war eine Reaktion des SG vor Ablauf der Klagefrist am 10.05.2021 nicht zu erwarten. Schließlich hat der Kläger weder auf das Hinweisschreiben des SG vom 09.11.2021 noch im Berufungsverfahren (vgl. Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 30.09.2022) Wiedereinsetzung beantragt. Er hat auch zu keinem Zeitpunkt Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht.

Mithin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
Saved