L 2 R 263/22

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Hildesheim (NSB)
Aktenzeichen
S 28 R 432/18
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 2 R 263/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe kann die Wirtschaftlichkeit einer Versorgung mit kostenaufwändigen Hörgeräten nur im Rahmen einer Gesamtbeurteilung unter Einbeziehung namentlich auch der damit verbundenen Rehabilitationschancen bewertet werden.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. Juni 2020 wird auf die Berufung der Klägerin geändert.

 

Die Beigeladene wird verpflichtet, die Klägerin mit Hörgeräten vom Typ Signia Pure charge & go 3AX zu versorgen.

 

Die Beigeladene trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt als Lehrkraft eine Hörgeräteversorgung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Von Beruf ist die am 28.04.1964 geborene Klägerin seit dem 01.06.2010 als Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung bei den K. Werkstätten (Behindertenhilfe) tätig und qualifiziert (überwiegend alleine) Gruppen von behinderten Menschen im Bereich Hauswirtschaft in der Nahrungszubereitung (z. B. Gemüsevorbereitung, Teigherstellung, Gartechniken, Schneiden, Abwiegen), Wäschepflege mit Waschmaschine, Wäschetrockner, Bügelstation und Mangel sowie Reinigungsarbeiten theoretisch und praktisch. Die praktische Ausbildung findet in einer Lehrküche mit Näharbeitsplätzen und einem Wäschebereich statt. Des Weiteren finden Unterrichte im theoretischen Bereich, u. a. in Arbeitssicherheit, Hygiene, Maschinen- und Gerätekunde und Nahrungsmittelkunde statt. Aufgrund von Hygienevorschriften muss die Klägerin Arbeitskleidung mit Hose, Oberteil, Sicherheitsschuhen, Kopfbedeckung und ggf. Schutzhandschuhen tragen. An der Dampfbügelstation beträgt die Lautstärke der Station, der Mangel und der Waschmaschine am Ohr gemessen gleichmäßig 72 dB (A).

Zunächst verordnete der Facharzt für Hals-Nasen-und-Ohrenheilkunde Dr. L. der Klägerin am 16.01.2018 wegen beidseitiger Innenohrschwerhörigkeit eine beidseitige Hörhilfe. Diese Verordnung übergab die Klägerin am 19.01.2018 dem Hörgeräteakustiker M.. Ab März 2018 testete die Klägerin zunächst zuzahlungsfreie und dann zuzahlungspflichtige Geräte. Am 11.05.2018 unterzeichnete die Klägerin bei ihrem Hörgeräteakustiker eine Patientenerklärung zur Versorgung mit Mehrkosten für die Versorgung mit dem „Audifon Sino S Hörsystem“. Der Hörgeräteakustiker übermittelte zunächst am 15.05.2018 einen Kostenvoranschlag für zuzahlungspflichtige Hörgeräte an die Beigeladene (Krankenkasse) und wegen fehlender Beträge am 24.05.2018 erneut. Die Beigeladene bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 30.05.2018 lediglich eine Festpreisversorgung in Höhe von insgesamt 1.608 € und leitete am selben Tag den Antrag an die Beklagte (Rentenversicherung) weiter. Die Klägerin stellte am 13.06.2018 bei der Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Mehrkosten wegen der besonderen beruflichen Anforderungen.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 27.06.2018 ab. Auch der Rehabedarf im Sinne von § 14 SGB IX werde durch die Versorgung durch die Beigeladene vollständig abgedeckt. Der Beruf der Klägerin würde keine spezifischen Anforderungen an das Hörvermögen stellen.

Die Klägerin gab die Hörgeräte am 29.06.2018 an den Hörgeräteakustiker zurück, weil für sie eine private Vorfinanzierung nicht in Betracht komme. Des Weiteren erhob sie gegen den Bescheid vom 27.06.2018 am 03.07.2018 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2018 zurückwies. Zwischenzeitlich absolvierte die Klägerin vom 03.-31.07.2018 eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in N. (vgl. hierzu den ärztlichen Entlassungsbericht der Rehabilitationseinrichtung O. -P. vom 07.08.2018, Bl. 17 VV).

Per Faxschreiben vom 21.12.2018 erhob die Klägerin hiergegen beim Sozialgericht Hildesheim Klage und verfolgte ihr Begehren weiter. Das Sozialgericht Hildesheim hat den Bescheid der Beklagten vom 27.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2018 mit Gerichtsbescheid vom 09.06.2020 aufgehoben und die Verpflichtungsklage im Übrigen abgewiesen. Die Beigeladene sei aufgrund der Übergabe der Hörgeräteverordnung an den Hörgeräteakustiker spätestens am 01.03.2018 zuständig geworden und habe nicht innerhalb von zwei Wochen gem. § 14 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IX entschieden. Die Beklagte hätte dementsprechend nicht über den Antrag mehr entscheiden dürfen. Allerdings habe die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Hörgeräteversorgung. Der Ausgleich des Hördefizits sei nach den vorliegenden Hörprotokollen auch mit zuzahlungsfreien Geräten möglich gewesen. Daneben hätte auch wegen der beruflichen Situation kein Anspruch bestanden. Die Anforderungen gingen nicht über das Maß an Hörvermögen hinaus, das für eine Berufsausübung im gewerblichen Bereich gefordert werde. Dass die Klägerin Gespräche und Telefonate nur mit dem aufzahlungspflichtigen Hörsystem hinreichend führen könne, sei nicht ersichtlich. Ausschlaggebend seien der subjektive Eindruck, der Klang und der Tragekomfort gewesen. Hierfür müsse sich die Klägerin an den Kosten beteiligen. Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 15.06.2020 zugestellt worden.

Hiergegen hat die Klägerin am 14.07.2020 Berufung eingelegt. Es liege ein berufsbedingter Mehrbedarf vor. Sie arbeite an einem von Maschinen geprägten lärmintensiven Arbeitsplatz, an dem sie auch beruflich telefonieren und mit Auszubildenden sprechen müsse. Telefonieren mit Hörsystemen, die ein Ohrpassstück hätten, sei nicht möglich. Das Mikrofon sei durch die Kopfbedeckung mit schwerem Baumwollstoff, die die Klägerin bei der Arbeit aus hygienischen Gründen tragen müsse, abgedeckt. Bei den getesteten aufzahlungsfreien Hörgeräten habe sich das Geräusch der Absaugeinrichtung der Bügelstation in das Hörgerät übertragen. Es habe sich so angefühlt, als wenn man bei starkem Sturm ein Gespräch führen möchte. Die Klägerin habe die Hörgeräte entfernen müssen, um mit den Teilnehmern kommunizieren zu können (Bl. 118 GA). Dazu komme eine Gruppe behinderter Teilnehmer, die sich oft sehr geräuschvoll verhielten und die Umgebungsgeräusche durch die Maschinen und Geräte der Hauswirtschaft. Auf den gerichtlichen Hinweis des Berichterstatters vom 16.01.2023 hat die Klägerin angegeben, dass Telefonieren unter erschwerten Bedingungen ständig vorkomme und nicht planbar sei. Das Verhalten der Teilnehmer sei nicht bekannt bzw. verändere sich. Zurzeit habe die Klägerin eine Teilnehmerin mit schweren epileptischen Anfällen, mindestens alle zwei Wochen einen. Es gäbe Aggressivität unter den Teilnehmern. So sei ein Teilnehmer auf den anderen mit einem Bürostuhl „los gegangen“. Für eine weitere Teilnehmerin, die sich in den Finger genäht hatte, habe ein Rettungsdienst gerufen werden müssen. 

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin auf Veranlassung des Senates im Rahmen eingehender sich jeweils über mehrere Wochen erstreckender Testungen eine Reihe aktuell auf dem Markt angebotener Hörgeräte unterschiedlicher Preisklassen erprobt (vgl. wegen der Einzelheiten den Anpassungsbericht vom 30. September 2022, Bl. 200 ff. GA). Aus der Sicht der Klägerin hat sich im Ergebnis gezeigt, dass allein die dabei erprobten Hörgeräte Signia Pure charge & go 3AX ein ausreichendes Hören am Arbeitsplatz auch unter Berücksichtigung der dortigen Störgeräusche ermöglichen.

Sie beantragt,

unter Abänderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Hildesheim vom 9. Juni 2020 die Beigeladene, hilfsweise die Beklagte, zu verpflichten, sie mit Hörgeräten Signia Pure charge & go 3AX zu versorgen,

            hilfsweise,

die Beigeladene, hilfsweise die Beklagte, zu verpflichten, über den Hörgeräteversorgungsanspruch der Klägerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senates erneut zu entscheiden.

 

Die Beklagte beantragt,

       die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, dass der angefochtene Gerichtsbescheid nicht zu beanstanden sei, und verweist diesbezüglich auf dessen Begründung. Ein berufsbedingter Mehrbedarf könne nicht festgestellt werden.

Die Beigeladene beantragt,

       die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladene macht weiterhin geltend, dass hinsichtlich des Antragseingangs nicht auf die Übergabe an den Hörgeräteakustiker abgestellt werden dürfe. Die Zwei-Wochen-Frist könne anderenfalls so gut wie nie eingehalten werden. Daneben lasse sich ein objektiver Hörgewinn gegenüber dem aufzahlungsfreien Hörsystem nicht belegen. Ein besseres Sprachverstehen bei der von dem Hörgeräteakustiker in der Messkabine durchgeführten Erfassung des Hörvermögens unter Störschall um 10 % sei nicht ausreichend. Hierbei handele es sich lediglich um zwei Worte. Der Unterschied sei auch aufgrund unterschiedlicher Tagesform bei der Testung nicht relevant.

Der Senat hat eine schriftliche Zeugenaussage des Hörgeräteakustikers M. vom 01.12.2020 (Bl. 110 ff. GA) eingeholt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten und Beigeladenen verwiesen, die jeweils Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die statthafte und zulässige Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 09.06.2020 ist begründet, weil nicht nur – wie bereits vom Sozialgericht entschieden – die Anfechtungsklage, sondern auch die Leistungsklage zulässig und begründet ist. Die Klage ist insgesamt als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG zulässig und insbesondere gegenüber der Beklagten fristgerecht nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren (§ 87 SGG) erhoben worden. Die Klägerin hat neben der vom Sozialgericht bereits vorgenommenen Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 27.06.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.12.2018 gegenüber der Beigeladenen einen Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit den Hörgeräten Signia Pure charge & go 3AX.

1. Die Verpflichtung der Beigeladenen folgt aus der durch § 75 Abs. 5 SGG eröffneten Befugnis, anstelle des verklagten Versicherungs- oder Leistungsträgers nach Beiladung den tatsächlich leistungsverpflichteten, aber nicht verklagten Träger zu verurteilen. Diese prozessual vorgesehene Möglichkeit der Verurteilung auf Beiladung dient vor allem der Prozessökonomie, einer Klageänderung (§ 99 SGG) bedarf es dabei nicht (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 11 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 19, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. August 2013, L 13 R 2607/10, juris, Rdnr. 33). Hierzu bedarf es insbesondere keines weiteren abgeschlossenen Vorverfahrens im Sinne des § 83 SGG (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R –, BSGE 113, 40-60, SozR 4-3250 § 14 Nr. 19, Rn. 13 m.w.N.).

2. Der Anspruch der Klägerin gegenüber der Beigeladenen auf Versorgung mit Hörgeräten Signia Pure charge & go 3AX ergibt sich vorliegend aus §§ 9 Abs. 1, 16 SGB VI i. V. m. §§ 4 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2, 13, 14 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 8 Nr. 4a SGB IX. Hiernach hat (zunächst) die Beklagte als Rehabilitationsträgerin im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gem. § 5 Nr. 2 SGB IX zu erbringen. Vorliegend begehrt die Klägerin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben eine Hilfe zum Erhalt des Arbeitsplatzes gem. § 49 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX in Form eines Hilfsmittels im Sinne von § 49 Abs. 8 Nr. 4a SGB IX. Hiernach werden die Kosten für Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung erforderlich sind, übernommen. Bei dem begehrten Hörsystem handelt es sich um ein Hilfsmittel zum Ausgleich der bei der Klägerin bestehenden Behinderung in Form einer Innenohrschwerhörigkeit. Die Beigeladene ist gem. § 14 Abs. 2 SGB IX als leistende Rehabilitationsträgerin für die Leistungsgewährung zuständig geworden.

a)

Nach § 14 Abs. 2 S 1 SGB IX verliert der materiell-rechtlich - eigentlich - zuständige Rehabilitationsträger (§ 6 SGB IX) im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Rehabilitationsträger (hier: die beigeladene Krankenkasse) eine i. S. von § 14 Abs. 1 SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt hat und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist (siehe hierzu und im Folgenden: BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R –, BSGE 113, 40-60, SozR 4-3250 § 14 Nr 19, SozR 4-2500 § 33 Nr 41, SozR 4-3250 § 31 Nr 8, Rn. 16 - 17). Sinn dieser Regelung ist es, zwischen den betroffenen behinderten Menschen und Rehabilitationsträgern schnell und dauerhaft die Zuständigkeit zu klären und so Nachteilen des gegliederten Systems entgegenzuwirken (vgl.BT-Drucks 14/5074 S. 95 zu Nr. 5 und S. 102 f. zu § 14). Deshalb ist der erstangegangene Rehabilitationsträger gehalten, innerhalb von zwei Wochen nach Eingang eines Antrags auf Leistungen zur Teilhabe festzustellen, ob er nach dem für ihn geltenden gesetzlichen Regelwerk für die Leistung zuständig ist; bei den Krankenkassen umfasst die Prüfung auch die Leistungspflicht nach § 40 Abs. 4 SGB V (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Muss für eine solche Feststellung die Ursache der Behinderung geklärt werden - vor allem in den Systemen der Unfallversicherung und der sozialen Entschädigung - und ist diese Klärung in der Frist nach § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX nicht möglich, wird der Antrag unverzüglich dem Rehabilitationsträger zugeleitet, der dem Grunde nach zuständig wäre und die Leistung dann zunächst ohne Rücksicht auf die Ursache erbringt (§ 14 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB IX). Anderenfalls bestimmt § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX: "Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest."

Diese Zuständigkeit nach § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX erstreckt sich im Außenverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem erstangegangenen Rehabilitationsträger auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (BSGE 93, 283 = SozR 4-3250 § 14 Nr 1, RdNr 15 ff; BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 14; BSGE 102, 90 = SozR 4-2500 § 33 Nr 21, RdNr 23). Dadurch wird eine nach außen verbindliche Zuständigkeit des erstangegangenen Rehabilitationsträgers geschaffen, die intern die Verpflichtungen des eigentlich zuständigen Leistungsträgers unberührt lässt und die Träger insoweit auf den nachträglichen Ausgleich nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX und §§ 102 ff SGB X verweist (BSGE 98, 267 = SozR 4-3250 § 14 Nr 4, RdNr 14-16).

Erstangegangener Rehabilitationsträger i. S. von § 14 SGB IX ist derjenige Träger, der von dem Versicherten bzw. Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist. Diese Befassungswirkung fällt nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich auch nach einer verbindlichen abschließenden Entscheidung des erstangegangenen Trägers nicht weg (BSG, Urteil vom 21. August 2008 – B 13 R 33/07 R –, BSGE 101, 207, Rn. 31).

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall die beigeladene Krankenkasse als erstangegangener Rehabilitationsträger für die begehrte Hörgeräteversorgung i. S. von § 14 SGB IX anzusehen. Die Beigeladene ist im Außenverhältnis zur Klägerin mangels rechtzeitiger Weiterleitung des Leistungsantrags an die Beklagte nach § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX für das Versorgungsbegehren ausschließlich zuständig geworden. Sie hat den Leistungsantrag sowohl unter dem Aspekt der Hilfsmittelversorgung zur medizinischen Rehabilitation (§ 5 Nr. 1, § 31 SGB IX, § 33 SGB V) als auch unter dem Aspekt der Hilfsmittelversorgung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Nr. 2, § 49 Abs. 8 S. 1 Nr. 4 SGB IX, §§ 9, 16 SGB VI) zu prüfen.

Die Zuständigkeit der Beigeladenen ist bereits mit Übergabe der Hörgeräteverordnung an den Hörgeräteakustiker am 19.01.2018 begründet worden.

Da die Krankenkasse im von ihr initiierten Versorgungsablauf praktisch das gesamte der ärztlichen Verordnung folgende Antrags-, Bedarfsfeststellungs-, Versorgungs- und Abrechnungsverfahren den Hörgeräteakustikern überantwortet hat, begründet sie bei ihren Versicherten ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass es sich beim Hörgeräteakustiker insoweit um eine zur Antragsentgegennahme zuständige Stelle handelt (siehe hierzu ausführlich: BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R –, BSGE 117, 192-212, SozR 4-1500 § 163 Nr 7, SozR 4-3250 § 14 Nr 21, insbesondere Rn. 42). Hier hat die Beigeladene nach dem für sie verbindlichen Vertrag über die bundesweite Versorgung von Versicherten der Betriebskrankenkassen mit Hörsystemen vom 13.09.2013 (vgl. insbesondere § 5 Abs. 7) die Versorgung und damit auch die Entgegennahme von Anträgen an die die sog. Leistungserbringer, hier die Hörgeräteakustiker, externalisiert oder „outgesourced“. In der Folge des selbst gesetzten Rechtsscheins muss sich die Krankenkasse so behandeln lassen, als handele es sich bei dem von ihr mit den eigenen Verfahrenspflichten belasteten Leistungserbringer um eine zur Antragsentgegennahme zuständige Stelle i. S. v. § 16 Abs. 2 SGB I (BSG, U. v. 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R –, BSGE 117, 192, Rn. 42).

Vor dem erläuterten Hintergrund ist davon auszugehen, dass Versicherte, die mit einem Leistungserbringer gerade als Vertragspartner ihrer Krankenkasse in Kontakt treten, damit grundsätzlich gleichzeitig den Antrag nach § 19 S 1 SGB IV stellen, den anders anzubringen ihnen durch das Verhalten ihrer Kasse faktisch gerade verwehrt ist (BSG, U.v. 30. Oktober 2014, aaO, Rn. 42). Diese Gesetzesinterpretation ist auch im Hinblick darauf angezeigt, dass sie zu einer effektiven Umsetzung der in § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB IX normierten Verpflichtung verhilft, wonach die Rehabilitationsträger sicherzustellen haben, dass ein Rehabilitationsbedarf frühzeitig erkannt und auf eine Antragstellung der Leistungsberechtigten hingewirkt wird.

Eine andere Auslegung liefe dem Gesetzeszweck zuwider, im Interesse behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen durch rasche Klärung von Zuständigkeiten Nachteilen im gegliederten System entgegenzuwirken (vgl. zu diesem Ansatz: BT-Drucks 14/5074 S 102 f zu § 14 und BSG, U.v. 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R –, BSGE 113, 40, Rn. 23).

Nach der Rechtsprechung des BSG kann allerdings ausnahmsweise ein Hörgeräteakustiker von Versicherten, denen ein freies Wahlrecht hinsichtlich des in Anspruch genommenen Rehabilitationsträgers zusteht, allein in dieser Funktion - und nicht gleichzeitig als Repräsentant des Krankenversicherungsträgers - aufgesucht werden, so dass dann noch Raum für eine (Erst‑)Antragstellung insbesondere bei einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung verbleibt. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, welcher rechtlich objektivierte Wille sich aus der Gesamtheit der in diesem Sinne rechtlich relevanten Zeichen erschließen (BSG, U. v. 30. Oktober 2014, aaO, Rn. 43).

Im vorliegenden Fall hat der die Hörgeräteverordnung ausstellende HNO-Arzt Dr. L. die Klägerin als Vertragsarzt behandelt und eine Verordnung zu Lasten der GKV vorgenommen. Schon diese Umstände sprachen indiziell dafür, dass damit auf Seiten der Klägerin der Wille zur Antragstellung bei der Beigeladenen zum Ausdruck gebracht worden ist (vgl. dazu ebenfalls BSG, aaO). Ohnehin brachte das Gesamtverhalten der Klägerin den Wunsch nach einer möglichst zeitnahen und effektiven Hörgeräteversorgung zum Ausdruck. Auch dies spricht indiziell dafür, dass es ihrem eigenen Interesse entsprach, bereits mit der Übergabe der Hörgeräteverordnung den maßgeblichen Antrag bei der Krankenkasse zu stellen. Objektivierbare Umstände, die für ein anderes Verständnis sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.

Soweit die Beigeladene geltend macht (vgl. Schriftsatz vom 16. November 2020), dass der erläuterten Auffassung des BSG schon „aufgrund praktischer Erwägungen“ nicht zu folgen sei, weil sie sonst „faktisch nie in der Lage“ wäre, ihre Zuständigkeit zu prüfen, vermag ihr der Senat nicht zu folgen. Als öffentlich-rechtliche Körperschaft ist natürlich auch die beigeladene Krankenkasse an die gesetzlichen Vorgaben gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG). Der Umstand, dass die Krankenkassen faktisch entsprechend der erläuterten Rechtsprechung des BSG den Versorgungsablauf hinsichtlich des gesamten der ärztlichen Verordnung folgenden Antrags-, Bedarfsfeststellungs-, Versorgungs- und Abrechnungsverfahrens den Hörgeräteakustikern überantwortet haben, ist schon im rechtlichen Ausgangspunkt nicht geeignet, ihre Bindung an die gesetzlichen Vorgaben entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 20 Abs. 3 GG auch nur zu modifizieren. Die Krankenkassen müssen den Versorgungsablauf so gestalten, dass sie allen gesetzlichen Vorgaben uneingeschränkt gerecht werden können. Es sind nicht etwa umgekehrt die Vorgaben des Gesetzgebers im Lichte der im vorliegenden Zusammenhang augenscheinlich an betriebswirtschaftlichen Kriterien ausgerichteten organisatorischen Entscheidungen der Krankenkassen auszulegen.

Soweit die Krankenkassen im angesprochenen Sinne Prüfzuständigkeiten auf die Hörgeräteakustiker faktisch übertragen, dann müssen sie eine entsprechende (ohnehin vom BSG, U.v. 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R –, BSGE 113, 40, Rn. 20 als „abenteuerlich“ eingestufte) Externalisierung jedenfalls so ausgestalten, dass ungeachtet ihrer eine vollständige und verlässliche Beachtung aller gesetzlichen Vorgaben sichergestellt ist. Bezeichnenderweise kommt nach der Entscheidung des Gesetzgebers in § 197b SGB V eine Wahrnehmung von Aufgaben der Krankenkassen durch Dritte nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass dies im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen liegt und Rechte der Versicherten nicht beeinträchtigt werden.

Wenn beispielsweise die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 1 SGB IX den Rehabilitationsträgern auferlegt, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ein Rehabilitationsbedarf frühzeitig erkannt und auf eine Antragstellung der Leistungsberechtigten hingewirkt wird, dann dürfen sie sich dieser Verpflichtung nicht durch organisatorische Entscheidungen auch nur partiell oder vorübergehend entziehen. Soweit gleichwohl eine Externalisierung von Aufgaben angestrebt und statthaft sein mag, muss diese jedenfalls so ausgestaltet werden, dass ungeachtet ihrer eine verlässliche und vollständige Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen gewährleistet ist. Die Ausgestaltung der dafür erforderlichen organisatorischen Maßnahmen etwa in Form zu vereinbarender spezifischer Berichtspflichten der konsultierten Hörgeräteakustiker gegenüber den Rehabilitationsträgern obliegt den für die Externalisierung verantwortlichen Krankenkassen.

Entsprechendes gilt auch, soweit das Gesetz im Interesse der (auch grundrechtlich geschützten, vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG) Interessen der behinderten Versicherten explizit eine unverzügliche und umfassende Feststellung des (Gesamt-)Rehabilitationsbedarfs verlangt (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Auch diesem Unverzüglichkeitsgebot dürfen sich die Krankenkassen nicht dadurch entziehen, dass sie die Zuständigkeit zur Entgegennahme der Anträge faktisch auf die Hörgeräteakustiker verlagern. Vielmehr müssen sie von Gesetzes wegen durch geeignete Maßnahmen (wie etwa die Vereinbarung entsprechender Berichtspflichten des eingeschalteten Akustikers gegenüber der zuständigen Krankenkasse in Fällen einer besonderen beruflichen Betroffenheit) sicherstellen, dass gleichwohl eine unverzüglich und umfassende Ermittlung des Gesamtbedarfs effektiv gewährleistet ist.

Eine fachgerechte Hörgeräteanpassung erfordert regelmäßig längere Zeiträume von jedenfalls nicht selten mehreren Wochen oder auch Monaten (so auch der eigene Vortrag der beigeladenen Krankenkasse im Schriftsatz vom 16. November 2020). Gerade vor diesem Hintergrund erfordert die Bindung der Krankenkasse an die gesetzliche Vorgabe zur „unverzüglichen“ Ermittlung des gesamten Rehabilitationsbedarfs eine Ausgestaltung des Verfahrens bei dem eingeschalteten Hörgeräteakustiker, bei der schon diese Anpassungsphase verlässlich und effektiv zur Abklärung des Gesamtbedarfs genutzt wird.

Im Ergebnis bestätigt damit das vom Gesetzgeber aufgestellte Postulat einer unverzüglichen und vollständigen Abklärung und Abdeckung des Rehabilitationsbedarfs auch die erläuterte Interpretation des BSG, wonach im Regelfall bereits mit der Übergabe der die Krankenkasse als Leistungsträger ausweisenden Verordnung an den Hörgeräteakustiker die maßgebliche Antragstellung gegenüber der Krankenkasse erfolgt. Mit der von der beigeladenen Krankenkasse befürworteten abweichenden Auslegung wären erhebliche Verzögerungen verbunden; zugleich wäre damit geradezu zwangsläufig eine Missachtung des gesetzlichen Gebots zur unverzüglichen Versorgung im Ergebnis intendiert.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin bereits am 19. Januar 2018 die ärztliche Verordnung dem Hörgeräteakustiker übergeben (vgl. die schriftliche Zeugenaussage des Hörakustikmeisters M. vom 1. Dezember 2020) und damit nach den erläuterten rechtlichen Vorgaben den maßgeblichen Antrag bei der beigeladenen Krankenkasse gestellt. Hieran gemessen hat die Krankenkasse mit der erst am 24. Mai 2018 erfolgten Weiterleitung an den Rentenversicherungsträger augenscheinlich nicht mehr die Zweiwochenfrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gewahrt.

Soweit sich die Beigeladene in diesem Zusammenhang auf die Zulässigkeit eines sog. Antragssplittings gemäß § 15 Abs. 1 SGB IX beruft (vgl. Schriftsatz vom 16. November 2022), verkennt sie wiederum die gesetzlichen Vorgaben. Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bezieht sich schon nach ihrem klaren Wortlaut allein auf Fallgestaltungen, in denen der leistende Rehabilitationsträger feststellt, dass der Antrag „neben den nach seinem Leistungsgesetz zu erbringenden Leistungen“ noch „weitere Leistungen zur Teilhabe“ umfasst, für die er nicht Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 sein kann. Nur unter dieser Voraussetzung hat er den Antrag „insoweit“ nach dieser Vorschrift unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zuzuleiten. Eine Anwendung des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IX kommt damit schon im Ausgangspunkt nur in Betracht, wenn der Antrag auf mehrere, also zumindest zwei, Leistungen zur Teilhabe gerichtet ist (von denen jedenfalls eine nicht in die Zuständigkeit des erstangegangenen Leistungsträgers fällt; vgl. in diesem Sinne auch Luik, Antragssplittung, Teilhabeplanung und getrennte Leistungserbringung – Anmerkung zu SG Heilbronn vom 27.08.2020 –S 15 R 411/20; SG Karlsruhe vom 22.04.2021 – S 6 R 4225/19, https://www.reha-recht.de/fachbeitraege/beitrag/artikel/beitrag-a3-2023/).

Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an diesem Ausgangspunkt für ein Antragssplitting. Die Klägerin hat allein die Versorgung mit einem Paar Hörgeräten (als Sachleistung) begehrt, nur in diesem Sinne konnte ihr Begehren von den beteiligten Rehabilitationsträgern verständigerweise gewertet werden.

Der Antrag der Klägerin richtet sich auf die Versorgung mit einem Paar Hörgeräte und war (zumal auch unter Berücksichtigung der Auslegungsregel des § 2 Abs. 2 SGB I) auf eine umfassende, nach Maßgabe des Leistungsrechts des Sozialgesetzbuches (hier: des Leistungsrechts der GKV nach dem SGB V sowie des Leistungsrechts der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI) bestmögliche Versorgung mit einem Paar Hörgeräte gerichtet. Diese rechtlich gebotene Auslegung des Leistungsbegehrens schließt die Aufspaltung des klägerischen Begehrens in zwei separate Leistungsanträge, nämlich in einen Antrag auf Bewilligung eines Festbetrages (etwa im Sinne einer sog. "Normalversorgung", § 12 Abs 2 SGB V) und einen weiteren Antrag auf Bewilligung einer über den Festbetrag hinausgehenden, technisch anspruchsvolleren und teureren Versorgung, von vornherein aus. Es ist also von einem einheitlichen, am 19. Januar 2018 bei der Beigeladenen gestellten Leistungsantrag auszugehen (vgl. zum Vorstehenden insbesondere auch BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R –, BSGE 113, 40, Rn. 21).

Die Klägerin wollte und will mit einem Paar Hörgeräte versorgt werden, mit dem ihre Hörbeeinträchtigungen sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld bestmöglichst ausgeglichen werden sollen. Dieses Begehren ist nicht teilbar in zwei Leistungen. Schon im Ausgangspunkt war es weder von der Klägerin gewollt noch hätte es sich unter Berücksichtigung der Gebote zur Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 69 Abs. 2 SGB IV) auch nur als sinnvolle Möglichkeit dargestellt, die Klägerin mit zwei Paar Hörgeräten (eines für den privaten und eines für den beruflichen Bereich) zu versorgen.

Die Gewährung eines Festbetragszuschusses durch die beigeladene Krankenkasse kann schon im Ausgangspunkt keine eigenständige Rehabilitationsleistung darstellen, da der Gesetzgeber mit den entsprechenden Festbetragsregelungen das Sachleistungsprinzip nicht aufgegeben hat (vgl. auch BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 1 BvL 28/95 –, BVerfGE 106, 275, Rn. 138).

Schon mangels Teilbarkeit der als Sachleistung begehrten Versorgung mit einem Paar Hörgeräte kam eine Teilweiterleitung des klägerischen Begehrens nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht in Betracht. Dementsprechend ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass es auch in diesem Zusammenhang an einer „unverzüglichen“ Weiterleitung im Sinne dieser Vorschrift gefehlt hat.

b) Gibt bei einem Antrag auf Leistungen zur Teilhabe der erstangegangene Leistungsträger den Antrag nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 SGB IX nicht unverzüglich an den seiner Meinung nach zuständigen Träger weiter, hat er Leistungen aufgrund aller Rechtsgrundlagen zu erbringen, die in dieser Bedarfssituation für behinderte Menschen vorgesehen sind (BSG, Urteil vom 21. August 2008 – B 13 R 33/07 R –, BSGE 101, 207-217, SozR 4-3250 § 14 Nr 7, SozR 4-2600 § 15 Nr 2). Dementsprechend ist die beigeladene Krankenkasse im vorliegenden Fall im Außenverhältnis zur Klägerin nicht nur Erfüllung der sich aus dem SGB V ergebenden krankenversicherungsrechtlichen Leistungsansprüche, sondern zugleich auch zur Befriedigung der im Ausgangspunkt im Verhältnis zum Rentenversicherungsträger bestehenden Rehabilitationsansprüche verpflichtet.

c) Schon nach den Vorgaben des SGB V beschränkt sich das Maß der notwendigen Versorgung mit Hörgeräten nicht in einem Ermöglichen einer „Verständigung beim Einzelgespräch unter direkter Ansprache". Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 S. 1 SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleichs ist es vielmehr, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs. 1 S. 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R –, BSGE 113, 40, Rn. 31).

Die Versorgung mit Hörgeräten dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich und demzufolge ist mit Hörgeräten im Ausgangspunkt grundsätzlich (unter Einbeziehung auch der Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebots) die nach dem Stand der Medizintechnik (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder zu bewirken, soweit die in Betracht kommenden Geräte „im allgemeinen Alltagsleben“ einen „erheblichen Gebrauchsvorteil“ gegenüber anderen Hörhilfen bieten (BSG, U. v. 17. Dezember 2009 – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170, Rn. 19).

Solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig erreicht ist im Sinne eines Gleichziehens mit einem gesunden Menschen, kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend (BSG, Urteil vom 16. September 2004 – B 3 KR 20/04 R –, BSGE 93, 183, Rn. 12). Auch ein solches „Gleichziehen“ ist allerdings nach den Vorgaben des SGB V im Ergebnis nur mit der Maßgabe damit einhergehender hinreichend gewichtiger Gebrauchsvorteile geboten (vgl. etwa die vom BSG, U. v. 16. September 2004, aaO, Rn. 13, bezüglich einer Versorgung mit einer fortschrittlichen Beinprothese herangezogenen Gesichtspunkte der Ermöglichung eines nahezu natürlichen Gangbildes und einer erheblichen Reduzierung der Sturzgefahr).

Im Ergebnis ist damit die höchstrichterliche Rechtsprechung zu der nach Krankenversicherungsrecht anzustrebenden „bestmöglichen Angleichung“ an das Hörvermögen Gesunder eine Gleichstellung in dem Sinne zu verstehen, dass die technischen Möglichkeiten zu einer Optimierung der Hörgeräteversorgung auszuschöpfen sind, solange damit vermieden werden kann, dass im Alltagsleben des betroffenen Versicherten greifbare die Teilhabe am Leben der Gesellschaft spürbar beeinträchtigende Gebrauchsnachteile verbleiben.

d) Einer Konkretisierung zugänglich sind die erläuterten rechtlichen Vorgaben nur bei der Prüfung des jeweiligen Einzelfalls, soweit die dort zu treffende Entscheidung davon abhängt. Schon die Beeinträchtigungen des Hörvermögens als solche können in ganz unterschiedlichen Ausprägungen auftreten. Die Ergebnisse eines Hörens unter Störschalleinwirkungen hängt überdies maßgeblich von in ganz unterschiedlichen Ausprägungen und Stärken in Betracht zu ziehenden Störschalleinwirkungen und natürlich auch von der Qualität der Primärschallquelle ab, deren Wahrnehmung auch unter Störschall ermöglich werden soll. Unterschiedliche Anforderungen können sich überdies auch hinsichtlich der im jeweiligen Lebenszusammenhang erforderlichen Qualität der Hörwahrnehmung ergeben. Soweit eine verlässliche Wahrnehmung von Sprachmitteilungen auch unter Störschall etwa zur Gefahrenabwehr erforderlich ist, wird dies vielfach höhere Anforderungen an die Verlässlichkeit der Hörwahrnehmung erfordern als wenn lediglich eine Beteiligung an einem sog. Smalltalk angestrebt ist.

Ein entscheidender Faktor ist nicht selten überdies auch die Dauer entsprechender Höranstrengungen. Der Betroffene mag häufig auch unter schwierigen Hörbedingungen noch wenige Minuten mit besonderer Konzentration der Primärschallquelle auch unter Störschall folgen zu können, aufgrund der damit einhergehenden vorzeitigen Ermüdung ist er dazu aber vielfach nicht über längere Zeiträume in der Lage.

e) Bei der beschriebenen Ausgangslage führt es schon im Ausgangspunkt nicht weiter, den konkreten Rehabilitationsfall mit pauschalisierenden Betrachtungen eines allgemeinen von den Besonderheiten des Einzelfalls abstrahierenden „Hörens unter Störschall“ erfassen zu wollen. Auch wenn, wie dargelegt, selbstverständlich es bereits zu den Aufgaben der Krankenkassen gehört, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen, so bedeutet dies doch nicht, dass die Krankenkassen bei der Hörgeräteversorgung ihre Versicherten auch zur Bewältigung von allen grundsätzlich in Betracht kommenden, im konkreten Alltag des einzelnen zu versorgenden Versicherten aber gar nicht relevant werdenden spezifischen Anforderungen an ein Hören unter Störschall befähigen müssten.

Umgekehrt dürfen tatsächlich im beruflichen oder auch privaten Alltag von dem Versicherten zu bewältigende spezifische Anforderungen an das Hörvermögen unter Störschall auch nicht unter Heranziehung pauschalisierender Betrachtungen vernachlässigt werden. Die vom Gesetzgeber insbesondere in §§ 4 SGB IX, 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI vorgegebenen Zielvorgaben für Rehabilitationsleistungen bedingen schon im Ausgangspunkt eine konkrete Erfassung des jeweiligen Einzelfalls mit allen maßgeblichen Besonderheiten. Zudem ist auch berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu entsprechen (§ 8 Abs. 1 SGB IX).

Dies gilt natürlich im besonderen Maße, wenn wie im vorliegenden Fall mit den begehrten Rehabilitationsleistungen eine möglichst dauerhafte Teilhabe am Arbeitsleben in dem ausgeübten Beruf und möglichst unter Beibehaltung des wahrgenommenen Arbeitsplatzes angestrebt wird. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben knüpfen nicht an das Alltagsleben des betroffenen Versicherten, sondern an seine berufliche Tätigkeit an. Die maßgebenden Zielvorgaben hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 1 SGB VI normiert. Danach haben die Träger der Rentenversicherung (und damit bei nicht fristgerechter Weiterleitung gemäß § 14 SGB IX auch die Träger der Krankenversicherung) insbesondere auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen, um (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten vorzubeugen, entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und (Nr. 2) dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Der Gesetzgeber strebt für Menschen mit Behinderungen ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft an; Benachteiligungen sind nach Möglichkeit zu vermeiden, ihnen ist entgegenzuwirken (§ 1 SGB IX). Ihre Teilhabe am Arbeitsleben ist entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten „dauerhaft zu sichern“ (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX). Sie sind „möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern“; soweit sie am Erwerbsleben noch teilnehmen, ist „ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern“ (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX).

f) Welche Maßnahmen zur Erreichung der erläuterten Ziele erforderlich sind, kann regelmäßig schon der Aufgabenstruktur nach nur prognostisch eingeschätzt werden. Dementsprechend stellt der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang wiederholt darauf ab, ob bestimmte Maßnahmen „voraussichtlich“ angezeigt sind (vgl. etwa §§ 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI, 8, 9, 13 SGB IX). Entsprechende Prognosen beinhalten notwendigerweise Abschätzungen, sie stellen auf Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten ab. Dies gilt allgemein im Rehabilitationsrecht. Auch der Erfolg einer in Betracht kommenden Umschulung und deren Auswirkungen auf die künftige Erwerbstätigkeit des Probanden lässt sich regelmäßig nicht im Vorhinein verlässlich feststellen, auch insoweit kommen regelmäßig nur prognostische Abschätzungen mit den ihnen eigenen Ungewissheiten in Betracht. Auch die die Rehabilitationsträger treffende Verpflichtung zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen (vgl. insbesondere §§ 12, 13 SGB IX, 20 SGB X) kann nur dazu dienen, eine hinreichend verlässliche Grundlage für die erforderlichen Abschätzungen zu schaffen.

g) Das Maß der in diesem Zusammenhang in Betracht kommenden Ermittlungen wird auch durch die gesetzlichen Gebote zur unverzüglichen Ermittlung des jeweiligen Rehabilitationsbedarfs (vgl. insbesondere § 14 Abs. 2 SGB IX) limitiert. Weitere namentlich eher zeitaufwändige Ermittlungen sind nur dann vorzunehmen, wenn der aufgrund ihrer zu erwartende Erkenntnisgewinn im Sinne einer sachgerechten Auswahl der erforderlichen und erfolgversprechenden Rehabilitationsmaßnahmen auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Rehabilitanden an der zeitnahen Realisierung seiner (auch grundrechtlich geschützten, vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 und Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG) Rehabilitationsziele den Aufschub rechtfertigt.

h) Nach den erläuterten gesetzlichen Vorgaben sind die Hilfen darauf auszurichten, dass der Betroffenen eine Teilnahme am Erwerbsleben, und zwar möglichst bezogen auf den bislang wahrgenommenen Arbeitsplatz, bis zum Erreichen der Regelaltersrente möglich sein wird. Bezogen auf die am 28. April 1964 geborene Klägerin ist in diesem Zusammenhang unter dem Gesichtspunkt der Berufsförderung der Zeitraum bis April 2031 maßgeblich. Leistungen zur Teilhabe haben Vorrang vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen wären (§ 9 Abs. 2 Satz 2 SGB IX).

Da es um die prognostische Abschätzung der erforderlichen Maßnahmen zur Bewältigung von Gefahren (im Sinne eines Arbeitsplatzverlustes oder sogar eines vorzeitigen vollständigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben) geht, ist die Gesamtheit der Risikofaktoren und ihre mögliche Beeinflussung durch die Auswahl und konkrete Ausgestaltung der in Betracht kommenden Rehabilitationsleistungen in die Abwägung einzustellen. Welche Gefahren in welcher Intensität einem Arbeitsplatz und der weiteren Teilnahme am Erwerbsleben aufgrund einer Behinderung drohen, kann natürlich nur im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der gesundheitlichen Verhältnisse des betroffenen Versicherten beurteilt werden. Dementsprechend sind im Rahmen der Prognose auch psychische Komorbiditäten (vgl. zur eingeschränkten psychischen Belastbarkeit der Klägerin insbesondere vor dem Hintergrund durchgemachter schwerer somatischer Erkrankungen auch den Rehabilitationsentlassungsbericht der Klinik O. -N. vom 7. August 2018) zu berücksichtigen.

Dabei ist die Prognose an den realen Verhältnissen und Anforderungen des Arbeitsplatzes auszurichten. Schon im Ausgangspunkt ist der Einsatz von Hörgeräten seiner Eigenart nach auf einen längerfristigen, tendenziell ganztägigen Gebrauch ausgelegt. Dies setzt natürlich einen möglichst anstrengungs- und ermüdungsfreien Gebrauch dieser Geräte voraus, was zugleich bedingt, dass diese die Höreindrücke – aus der maßgeblichen Perspektive des zu versorgenden Versicherten – in einer gut verständlichen Form verstärken. Überdies werden insbesondere bei anspruchsvollen beruflichen Tätigkeiten die Betroffenen regelmäßig – und so auch im vorliegenden Fall die Klägerin – bereits durch deren originären Anforderungen nachdrücklich gefordert, so dass sie in besonderem Maße auf eine wirksame und im Arbeitsalltag unproblematisch zu realisierende möglichst keine größere zusätzliche Aufmerksamkeit auf ihrer Seite erfordernde Unterstützung durch die zum Behinderungsausgleich benötigten Hilfsmittel angewiesen sind, um ihre berufliche Tätigkeit effektiv und dauerhaft wahrnehmen zu können. Die Auswahl und ggfs. Ausgestaltung der benötigten Hilfsmittel ist dabei regelmäßig und auch im vorliegenden Fall an dem Ziel auszurichten, dass sich der Einsatz im ohnehin die Leistungsressourcen der Versicherten fordernden Arbeitstag im Ergebnis möglichst effektiv und anstrengungsarm gestaltet. Damit werden Überforderungen vermieden. Es wird auf diesem Wege eine Festigung und Stabilisierung der für ein möglichst dauerhaftes Verbleiben im Arbeitsleben besonders bedeutsamen psychischen Ressourcen der betroffenen Arbeitnehmerin gefördert.

i) Damit verbundene finanzielle Aufwendungen der Rehabilitationsträger dürfen natürlich nicht losgelöst von dem den im Ergebnis anzustrebenden Rehabilitationserfolgen bewertet werden. Vielmehr führt erst ein verständig abwägender Vergleich zwischen den in Betracht kommenden Aufwendungen und den damit verbundenen prognostisch zu erwartenden mit einer erfolgreichen Rehabilitation verbundenen Chancen zu sinnvollen den gesetzlichen Wertungsvorgeben Rechnung tragenden Ergebnissen. Dabei sind die Chancen einer erfolgreichen Rehabilitation nicht nur im Sinne der damit für den Betroffenen verbunden Erfolge, sondern auch bezüglich der damit verbundenen Vorteile für die Allgemeinheit, insbesondere in Form der weiteren Einbringung der Arbeitskraft in den Wirtschaftsprozess und der Vermeidung von zusätzlichen mit einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben vielfach verbundenen Aufwendungen für Sozialleistungen angemessen zu berücksichtigen.

Die Gebote zur Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 69 Abs. 2 SGB IV) stehen diesem Ansatz nicht entgegen, sie fordern ihn vielmehr. Eine Nichterbringung von in Betracht kommenden Leistungen mit einer daraus resultierenden (im Rahmen der angesprochenen prognostischen Einschätzung zu erwartenden) Verfehlung der gesetzlichen Zielvorgaben wie namentlich in Form eines dadurch bedingten vorzeitigen Ausscheidens des Versicherten aus dem Erwerbsleben ist auf der Basis des gesetzgeberischen Regelungskonzepts unwirtschaftlich (solange nicht ausnahmsweise ein auffälliges Missverhältnis zwischen Rehabilitationskosten und den zu erwartenden Rehabilitationschancen anzunehmen ist). Mit den gesetzlichen Rehabilitationsvorgaben wie insbesondere auch mit der Normierung des Grundsatzes Rehabilitation vor Rente (§ 9 Abs. 2 SGB IX) hat der Gesetzgeber gerade als Ausgangspunkt die Einschätzung vorgegeben, dass eine zeitnahe den Bedarf möglichst vollständig abdeckende Gewährung von Rehabilitationsleistungen in der maßgeblichen Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung auch der mit ihr zu realisierenden rehabilitativen Chancen sich als sachgerecht und damit zugleich auch als wirtschaftlich darstellt.

Ein Betrag von beispielsweise 4.000 € für eine voraussichtlich für viele Jahre nutzbare hochwertige Hörgeräteversorgung ist gut angelegt, wenn damit die Chancen auf ein deutlich längeres Verbleiben im aktiven Erwerbsleben spürbar erhöht werden. Schon bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung ist dabei aus der Sicht eines Rehabilitationsträgers nicht nur mit einem vorzeitigen Ausscheiden des Betroffenen aus dem Erwerbsleben verbundene Ausfall seines Arbeitskraftbeitrages zum Erwerbseinkommen der Bevölkerung (überschlägig entsprechend der Höhe seines Bruttoverdienstes zuzüglich der bei wirtschaftlicher Betrachtung miterarbeiteten Arbeitgeberbeiträge) zu berücksichtigen. Vielmehr sind zugleich auch die voraussichtlichen zusätzlichen Ausgaben für im Gegenzug (jedenfalls ganz überwiegend) vorzeitig einsetzende Sozialleistungen gedanklich und prognostisch mit in Ansatz zu bringen. Darüber hinaus sind nach den gesetzlichen Vorgaben natürlich auch die immateriellen Belange des Versicherte angemessen zu berücksichtigen.

j) Im vorliegenden Fall lassen die Ausführungen der beteiligten Sozialleistungsträger keine inhaltlich nachvollziehbaren Prüfungen und Abwägungen anhand der erläuterten gesetzlichen Vorgaben erkennen. Eine den gesetzlichen Vorgaben Rechnung tragende ernsthafte Befassung mit den nach den maßgeblichen Rehabilitationszielen auf der Basis der individuellen Situation der Klägerin und unter Einbeziehung insbesondere auch der von ihr im beruflichen Alltag zu bewältigenden spezifischen Anforderungen an das Hörvermögen unter Einbeziehung auch der erheblichen und lang andauernden Störschallbelastungen ist nicht erkennbar.

k) Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens unter Auswertung insbesondere der auf Veranlassung des Senates im Berufungsverfahren durchgeführten weiteren Ermittlungen in Form eingehender jeweils mehrere Wochen dauernder Testungen von vier aktuell auf dem Markt angebotenen Hörgeräten unterschiedlicher Preisklassen (vgl. wegen der Einzelheiten den Anpassungsbericht vom 30. September 2022, Bl. 200 ff. GA) konkretisiert sich der Rehabilitationsleistungsanspruch der Klägerin gemäß § 9, 10, 13 SGB VI i. V. m. § 14 SGB IX auf die aufgrund dieser Erprobungen nunmehr von ihr begehrte Versorgung mit einem Paar Hörgeräte Signia Pure charge & go 3AX. Nur auf diesem Wege kann nach dem inzwischen erreichten Erkenntnisstand dem Rehabilitationsbedarf der Klägerin im Sinne der Sicherung ihrer möglichst dauerhaften Teilhabe am Arbeitsleben sachgerecht Rechnung getragen werden. Das im rechtlichen Ausgangspunkt dem Rehabilitationsträger nach § 13 Abs. 1 SGB VI zukommende Auswahlermessen ist daher im Sinne dieser Versorgung („auf Null“) reduziert.

Die Klägerin sieht sich an ihrem Arbeitsplatz besonderen Anforderungen an das Hörvermögen gegenüber. Sie muss fortlaufend anspruchsvolle pädagogische Leistungen bei der Betreuung und Qualifizierung der ihr zugewiesenen Gruppe von Menschen mit Behinderungen bewältigen. Abgesehen davon, dass schon im Ausgangspunkt bei einer entsprechenden Gruppe zu betreuender Menschen nicht selten mit nicht unerheblichen Geräuschentfaltungen zu rechnen ist, findet die Arbeit auch unter erheblichen maschinellem Störschall statt. Insbesondere befindet sich in dem Unterrichtsraum, in dem die Klägerin im Rahmen ihrer lehrenden beruflichen Tätigkeit die zu Betreuenden zu hauswirtschaftlichen Tätigkeiten auszubilden hat, neben weiteren Maschinen auch eine für die Ausbildung erforderliche Dampfbügelstation. Die Arbeit an dieser Station ist nach der vom Arbeitgeber veranlassten Überprüfung durch den Sicherheitsingenieur L. (vgl. wegen der Einzelheiten Bl. 100 ff. GA) mit dauerhaften Lärmexpositionen von 72 dB (A) verbunden.

Ob diese Beeinträchtigung zulässig ist, hat der Senat mangels Entscheidungserheblichkeit nicht abschließend zu klären. Die Klägerin als Arbeitnehmerin hat diesbezüglich keine effektiv realisierbare Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen an ihrem Arbeitsplatz im Sinne einer Störschallreduktion zu beeinflussen. Der Beurteilung zugrundezulegen sind die realen Verhältnisse am tatsächlich wahrgenommenen Arbeitsplatz.

Es sei daher nur ergänzend angemerkt, dass in diesem Zusammenhang ausschlaggebend auf die Frage abzustellen ist, ob die Tätigkeit der Klägerin mit entsprechenden Hintergrundgeräuschbelastungen verrichtet werden darf. Aufgrund ihrer pädagogischen Anforderungen und der Notwendigkeit, im Bedarfsfall zum Schutz der Gesundheit der geistig behinderten Schüler sofort effektiv wirksame Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, erfordert die lehrende Tätigkeit der Klägerin eine andauernd hohe Konzentration im Sinne der Tätigkeitskategorie I im Sinne der Technischen Regeln für Arbeitsstätten „Lärm“ (ASR A3.7, vgl. dort Ziffer 3.16). Hiervon ausgehend darf allerdings ein Beurteilungspegel von 55 dB(A) nicht überschritten werden (Ziffer 5.1 ASR A3.7).

Bei der Ausübung ihrer pädagogischen Tätigkeit mit den diese prägenden besonderen Anforderungen an das Hörvermögen wirkt sich das behinderungsbedingt eingeschränkte Hörvermögen der Klägerin besonders nachteilig angesichts der die Arbeitssituation prägenden besonders hohen Störschallbelastung aus. Die Klägerin muss besondere Belastungen im Sinne eines verlässlichen Hörens unter Störschall bewältigen.

Die Ergebnisse der im Berufungsverfahren auf Veranlassung des Senates von der Klägerin mit großen Mühen und nachhaltiger Anstrengungsbereitschaft durchgeführten sich über mehrere Monate erstreckenden Erprobungen mehrerer aktuell auf dem Markt angebotener Hörgeräte unterschiedlicher Preisklassen hat zur Überzeugung des Senates ergeben, dass allein ein Einsatz der Hörgeräte Signia Pure charge & go 3AX zu einem ausreichenden ein effektives Arbeiten ermöglichenden Hörvermögen an ihrem Arbeitsplatz verhilft. Alle anderen von ihr getesteten Hörgeräte waren mit erheblichen Defiziten im praktischen Einsatz unter den erläuterten schwierigen Störschallbedingungen verbunden.

Die Klägerin hat im Ergebnis nach der intensiven zeitaufwändigen Erprobung glaubhaft und einleuchtend dargelegt, dass die von ihr auf deren Grundlage begehrten und ihr mit dem vorliegenden Urteil zugesprochenen höherpreisigen Geräte im Vergleich zu den getesteten kostengünstigeren Geräten ganz erhebliche Verbesserungen im Hörvermögen im beruflichen Alltag gezeigt haben. Während die aufzahlungsfreien Geräte Signia Intuis 3 P und Phonak Vitus P keine ausreichende Störschallreduzierung erzielen konnten, um eine ausreichende Kommunikation mit den zu Betreuenden insbesondere an den Maschinen zu gewährleisten und ein störendes Eigenrauschen die Kommunikation zusätzlich erschwerte, war das Pure charge & go 3ax (auch im Vergleich zum günstigeren, aber ebenfalls aufzahlungspflichtigen pure charge & go 1ax) in der Lage, die Störgeräusche soweit zu reduzieren, dass die Klägerin mit den Auszubildenden gut kommunizieren konnte.

Bei dieser Ausgangslage ist im Ergebnis nur ergänzend auch hervorzuheben, dass die Klägerin im Rahmen der ihr obliegenden praktischen Ausbildung bei Vorfällen wie aggressivem Verhalten der Teilnehmer, Unfällen oder etwa auch bei epileptischen Anfällen auf Seiten eines zu Betreuenden schnell und verlässlich reagieren können muss. Dies ist bereits für nicht behinderte Menschen schwierig. Es liegt auf der Hand, dass die Klägerin vor diesem Hintergrund in noch gesteigertem Maße auf eine verlässliche Kommunikation mit den Auszubildenden auch unter den ihren Arbeitsplatz prägenden Störschalleinwirkungen angewiesen ist.

Soweit die Betroffenen wie auch die Klägerin beruflich auch nur im weiteren Sinne im Bereich der Gefahrenabwehr eingesetzt sind (wie bei der Betreuung von behinderten Menschen, die in Gefahrensituationen vielfach nicht eigenverantwortlich die gebotenen Schutz- und Abwehrmaßnahmen ergreifen können), ist die Auswahl der benötigten Hilfsgeräte auch daran auszurichten, dass namentlich in Not- und Gefahrensituationen mit dem dadurch bedingten besonderen Stress ein unkomplizierter und effektiver Einsatz der Hilfsgeräte gewährleistet ist. Es wäre ein mit den gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben unvereinbares Ergebnis, wenn die Gesundheit der zu betreuenden Menschen gefährdet würde, weil bei der adäquaten Hilfsmittelversorgung an der falschen Stelle gespart worden ist.

Weitergehende Erkenntnismöglichkeiten sind nicht gegeben. Allein eine praktische Erprobung von in Betracht kommenden Hörgeräten im Alltag des Betroffenen ermöglicht eine Beurteilung der konkreten Auswirkungen der unterschiedlichen technischen Konzepte und Ausgestaltungen der jeweiligen Geräte auf die individuellen Hördefizite des Probanden unter Einbeziehung auch der für den Hörerfolg in der konkreten (hier: Arbeits-)Situation maßgeblichen konkreten Störschalleinwirkungen (vgl. auch zum Fehlen anderweitiger hinreichend verlässlicher Erkenntnismittel als eine praktische Erprobung in Betracht kommender Hörgeräte im Hinblick darauf, dass sich die Gebrauchsvorteile kostenaufwändiger Geräte mit objektivierbaren Verfahren jedenfalls vielfach nicht adäquat messtechnisch erfassen lassen: BSG, U. v. 17. Dezember 2009 – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170, Rn. 41).

Soweit Anpassungsprotokolle von Hörgeräteakustikern (in Messkabinen durchgeführte) Messungen unter „Störschall“ ausweisen, handelt es sich schon im Ausgangspunkt nicht um Messungen im Rahmen einer Abbildung realer Alltagssituationen mit längerfristig schwierigen Hörverhältnissen, sondern um Messungen im Rahmen einer zu Testzwecken künstlich geschaffenen Anordnung, bei der zu Testzwecken wenige Worte eines Sprechers bzw. einer Sprecherin vor dem Hintergrund eines eine konstante Tonlage aufweisenden isolierten Störgeräusches wahrzunehmen sind. Konkrete und verlässliche Rückschlüsse auf die Hörqualität im Alltag in bei Mehrpersonengesprächen mit dauerhaften Belastungen aus dem Zusammenwirken von oft mehreren Störschallquellen lassen sich daraus nicht ziehen.

Da eine solche ernsthafte Erprobung bei jedem zu testenden Gerät mehrere Wochen erfordert, muss sich diese schon im Ausgangspunkt auf einige wenige Gerätetypen beschränken, zumal der Gesetzgeber entsprechend den berechtigten Bedürfnissen der Rehabilitanden ausdrücklich eine „unverzügliche“ Versorgung fordert. Die Erprobung muss sich zwangsläufig auf ein relativ kleines Segment des weit gefächerten Marktangebotes beschränken. Es stellt sich aber gleichwohl nach dem derzeitigen Erkenntnisstand als das Mittel der Wahl zur Aufklärung des Sachverhalts dar, weil es im Ergebnis zu einem deutlich verlässlicheren Beurteilung der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Versorgung im jeweiligen Einzelfall führt als wenn darauf verzichtet würde. Es ist ein Gebot der Folgerichtigkeit und entspricht dem wohlverstandenen Interesse letztlich aller Beteiligten, nach der Durchführung einer solchen sachgerecht durchgeführten Erprobung die maßgebliche Entscheidung auf der Grundlage ihrer Ergebnisse zu treffen.

Die von dem von der Klägerin konsultierten Hörgeräteakustiker getroffene Auswahl der in die Erprobung einbezogenen Hörgeräte unterschiedlicher Preisklassen lässt keine Bedenken erkennen, zumal sich auch die beteiligten Rehabilitationsträger diesbezüglich nicht zu weiterführenden inhaltlichen – und möglichst wissenschaftlich abgesicherten – Empfehlungen für die maßgebliche Auswahlentscheidung in der Lage gesehen haben (vgl. zur rechtlichen Verpflichtung der Krankenkassen, den Versicherten bei einem unübersichtlichen Leistungsangebot einen konkreten Weg zu den gesetzlich möglichen Leistungen aufzuzeigen: BSG, U. v. 17. Dezember 2009 – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170, Rn. 36).

Im Ergebnis sind damit ganz erhebliche Gebrauchsvorteile der zugesprochenen Geräte Signia Pure charge & go 3AX festzustellen. Aufgrund ihrer werden die Chancen für eine (bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze) möglichst dauerhafte Teilhabe der Klägerin am Erwerbsleben vorzugsweise unter Beibehaltung des Arbeitsplatzes nachdrücklich erhöht. Mithin werden die aufgrund der Behinderung zu konstatierenden erheblichen Gefährdungen dieser Teilhabe und der Fähigkeit zur weiteren Ausübung des bisherigen Arbeitsplatzes entscheidend reduziert. Damit stellt sich eine entsprechende Versorgung als erforderlich zur Erreichung der gesetzlichen Zielvorgaben und damit zugleich als wirtschaftlich dar. Der nach Aktenlage zu veranschlagende zusätzliche Kostenaufwand von etwa 4.000 € (die konkrete Beschaffung der benötigten Geräte obliegt im Rahmen der gebotenen Sachleistungsgewährung ohnehin der Beigeladenen) kann in Relation zu den materiellen und immateriellen Nachteilen eines Arbeitsplatzverlustes und/oder eines vorzeitigen Ausscheidens der Klägerin aus dem Erwerbsleben nur als ausgesprochen maßvoll eingeschätzt werden. Viele Rehabilitationsmaßnahmen weisen ein deutlich schlechteres Verhältnis zwischen Aufwand und den damit verbundenen Rehabilitationschancen auf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.

Rechtskraft
Aus
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