S 13 AS 783/21

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AS 783/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze

I. Die Gebühren erhöhen sich nach Nr. 1008 VV RVG, wenn der Rechtsanwalt der Kläger Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X ausdrücklich im Namen aller Kläger eingelegt und damit für eine Auftraggebermehrheit tätig geworden ist. Abgestellt wird nur auf die Zahl der Auftraggeber unabhängig davon, wer von ihnen gegenüber dem Anwalt auftritt. Dass einzelne Kläger minderjährig waren und von einem Elternteil vertreten wurden, steht der Anwendung der Nr. 1008 VV RVG nicht entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 21.12.2019 B 14 AS 83/08 R)

II. Auf eine konkrete Mehrbelastung des Anwalts kommt es nicht an, denn Nr. 1008 VV RVG ist keine Erfolgsgebühr, sondern honoriert pauschal, dass typischerweise eine Mehrbelastung anfällt. Da der Gesetzgeber von einer ausgleichenden Mischkalkulation ausgeht, darf das Gericht nicht die Gesetzgebungskompetenz durch Anfordern engerer Tatbestände, als die Norm verlangt, aushebeln.


I. Der Beklagte wird unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbescheids vom 18.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2021 verurteilt, die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 916,30 Euro zu erstatten.


II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.


III. Die Berufung wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist die Höhe des Kostenfestsetzungsbescheids des Beklagten vom 18.12.2020.

Der 1977 geborene Kläger zu 1), seine 1980 geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2), sowie die gemeinsamen Kinder, der 2002 geborene Kläger zu 3), die 2013 geborene Klägerin zu 4), die 2008 geborene Klägerin zu 5) und die 2019 geborene Klägerin zu 6), standen im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beim Beklagten.

Mit Bescheid vom 19.02.2020 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus den Klägern zu 1), zu 2), zu 4), zu 5) und zu 6), vorläufig SGB II - Leistungen für den Zeitraum von Dezember 2019 bis August 2020 in Höhe von 538,36 Euro für Dezember 2019, in Höhe von 569,35 Euro für Januar 2020, in Höhe von 689,34 Euro für Februar 2020, in Höhe von monatlich 839,36 Euro für März bis Juli 2020 und in Höhe von 293,60 Euro für August 2020. Der Kläger zu 3) wurde bis zur Klärung des Sachverhalts rund um die Kündigung seiner Beschäftigung bei der Firma H. von den Leistungen ausgeschlossen.

Mit Schreiben vom 18.05.2020 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Überprüfung des Bewilligungsbescheids vom 19.02.2020 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Gründe für den Leistungsausschluss des Klägers zu 3) seien nicht erkennbar. Mit Bescheid vom 28.05.2020 wurde der Überprüfungsantrag abgelehnt. Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger Widerspruch ein. Daraufhin wurde der Bescheid vom 28.05.2020 mit Überprüfungsbescheid vom 30.06.2020 aufgehoben und dem Widerspruch in vollem Umfang abgeholfen. Mit Änderungsbescheid vom 30.06.2020 gewährte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft der Kläger (einschließlich Kläger zu 3)) vorläufig SGB II - Leistungen für den Zeitraum von Dezember 2019 bis August 2020 in Höhe von 656,30 Euro für Dezember 2019, in Höhe von 740,30 Euro für Januar 2020, in Höhe von 860,32 Euro für Februar 2020, in Höhe von monatlich 1.010,29 Euro für März bis Juli 2020 und in Höhe von 338,10 Euro für August 2020.

Mit Schreiben vom 07.07.2020 übersandte der Prozessbevollmächtigte der Kläger folgende Kostenrechnung:
    300 Euro Geschäftsgebühr (Nr. 2302 Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - VV RVG)
+    450 Euro Erhöhungsgebühr (Nr. 1008 VV RVG)
+    20 Euro Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG)
+    146,30 Euro Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG)
    916,30 Euro

Mit Bescheid vom 18.12.2020 setzte der Beklagte die Kosten im Widerspruchsverfahren wie folgt fest:
    300 Euro Geschäftsgebühr (Nr. 2302 VV RVG)
+    20 Euro Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG)
+    60,80 Euro Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG)
    380,80 Euro

Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit als durchschnittlich zu bewerten sei. Das im sozialgerichtlichen Verfahren aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes und der Möglichkeit von Überprüfungsanträgen in der Regel zu vernachlässigende anwaltliche Haftungsrisiko habe eher gebührensenkende Auswirkungen. Damit ergebe sich eine angemessene Geschäftsgebühr von 300 Euro. Für den Ansatz einer Erhöhungsgebühr bestehe kein Raum. Der im Namen aller Bedarfsgemeinschaftsmitglieder erhobene Widerspruch sei nur für den Kläger zu 3) erfolgreich. Für die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergebe sich durch die "Hereinnahme" eines zusätzlichen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft durch Reduzierung ihres Leistungsanspruchs sogar eine Verschlechterung.

Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 18.01.2021 Widerspruch ein, da die Geltendmachung einer Erhöhungsgebühr (Nr. 1008 VV RVG) aufgrund der "Hereinnahme" des Klägers zu 3) in die Bedarfsgemeinschaft und den damit einhergehenden Auswirkungen auf sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gerechtfertigt sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.2021 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger zu 1) als Vorstand der Bedarfsgemeinschaft fungiere und in der Folge die SGB II - Leistungen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft überwiesen bekomme. Für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sei irrelevant, welcher Anteil auf sie entfalle, und ob Einkommen bedarfsmindernd berücksichtigt werde. Dies hätte nur Konsequenzen bei einer Rückforderung von überzahlten Leistungen (Individualprinzip).

Am 17.05.2021 hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger Klage zum Sozialgericht München erhoben. Die Ablehnung der Erhöhungsgebührt (Nr. 1008 VV RVG) sei rechtswidrig.

Die Kläger beantragen sinngemäß,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 18.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2021 zu verurteilen, die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten in Höhe von insgesamt 916,30 Euro zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,
  die Klage abzuweisen.

Zur Begründung werde im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.

Die Beteiligten sind zum beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheids angehört worden. Sowohl der Prozessbevollmächtigte der Kläger, als auch der Beklagte haben ihr Einverständnis erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Das Gericht hat den Rechtsstreit gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungsrelevante Sachverhalt geklärt ist. Ausweislich der Empfangsbekenntnisse vom 21.07.2022 wurden die Beteiligten ordnungsgemäß angehört.

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Statthaft ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG auf Abänderung des Bescheids vom 18.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2021 und vollständige Übernahme der im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten entsprechend der Kostennote des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 07.07.2020 in Höhe von zusätzlich 535,50 Euro und damit insgesamt 916,30 Euro.

Darüber hinaus ist die Klage auch begründet, weil der Kostenfestsetzungsbescheid vom 18.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.04.2021 zum Teil rechtswidrig ist und die Kläger insoweit in ihren Rechten verletzt sind. Es besteht ein Anspruch auf eine Erhöhungsgebühr in Höhe von 450 Euro und damit auf vollständige Übernahme der vom Prozessbevollmächtigten der Kläger geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 916,30 Euro.

Gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 SGG setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Streitig ist vorliegend allein die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG.

Wird der Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig, entstehen die Gebühren nur einmal. Allerdings können sich die Gebühren nach Nr. 1008 VV RVG um 30 Prozent pro weiterem Auftraggeber und maximal das Doppelte erhöhen, wenn der Anwalt in derselben Angelegenheit mehrere Auftraggeber hat.

Dies ist vorliegend der Fall, denn der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X ausdrücklich im Namen aller Kläger eingelegt und ist damit für eine Auftraggebermehrheit tätig geworden. Eine solche liegt vor, wenn derselbe Rechtsanwalt für verschiedene natürliche Personen tätig wird. Abgestellt wird nur auf die Zahl der Auftraggeber unabhängig davon, wer von ihnen gegenüber dem Anwalt auftritt. Dass die Klägerinnen zu 4) bis zu 6) minderjährig waren und von ihrem Vater vertreten wurden, steht der Anwendung der Nr. 1008 VV RVG damit nicht entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 21.12.20019 - B 14 AS 83/08 R). Weiterhin handelte es sich auch um dieselbe Angelegenheit. Auf eine konkrete Mehrbelastung des Anwalts kommt es nicht an, denn Nr. 1008 VV RVG ist keine Erfolgsgebühr, sondern honoriert pauschal, dass typischerweise eine Mehrbelastung anfällt. Da der Gesetzgeber von einer ausgleichenden Mischkalkulation ausgeht, darf das Gericht nicht die Gesetzgebungskompetenz durch Anfordern engerer Tatbestände, als die Norm verlangt, aushebeln. So dürfen auch keine Fallgruppen gebildet werden, in denen typischerweise keine Mehrbelastung gegeben ist (vgl. Sefrin in: BeckOK RVG, Stand 01.12.2022, Nr. 1008 VV RVG, Rn. 12). Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat die Rechtssache der gesamten Bedarfsgemeinschaft und damit aller Kläger vertreten. Die Vorsitzende stimmt dem Beklagten zu, dass es für die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft irrelevant ist, welcher Leistungsanteil auf sie entfällt, und ob Einkommen bedarfsmindernd berücksichtigt wird. Jedoch profitiert die gesamte Bedarfsgemeinschaft von höheren SGB II - Leistungen, so dass keine andere gebührenrechtliche Bewertung gerechtfertigt ist.

Insofern erhöht sich die auch von Seiten des Beklagten als angemessen erachtete Geschäftsgebühr von 300 Euro bei fünf weiteren Klägern jeweils um 90 Euro (0,3 x 300 Euro) und insgesamt um 450 Euro (5 x 90 Euro). Hinzu kommt der Auslagentatbestand Nr. 7008 VV RVG in Höhe von 20 Euro und eine Umsatzsteuer in Höhe von 143,60 Euro (0,19 x 770 Euro). Ausgehend von den vom Beklagten bereits gewährten Aufwendungen in Höhe von 380,80 Euro ergibt sich ein weiterer Anspruch in Höhe von 535,50 Euro.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache. Der Grundsatz der einheitlichen Kostenentscheidung zwischen Widerspruchsverfahren und Klageverfahren wird durchbrochen, da die Kostenentscheidung des Widerspruchsverfahrens Gegenstand der eigentlichen Hauptsacheentscheidung des Klageverfahrens ist.

Gegen diesen Gerichtsbescheid steht den Beteiligten die Berufung nicht zu. Der Berufungsstreitwert gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist ausweislich der Differenz zwischen beantragten Kosten und seitens des Beklagten gewährten Kosten in Höhe von 535,50 Euro (916,30 Euro - 380,80 Euro) nicht erreicht, ferner betrifft die Klage keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr, § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Gründe für die Zulassung der Berufung lagen nicht vor, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch von obergerichtlicher Rechtsprechung abgewichen wurde, noch ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wurde, auf dem die Entscheidung beruhen kann, § 144 Abs. 2 SGG.

 

 

Rechtskraft
Aus
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