L 2 SF 6/23 B (R)

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
1. Instanz
SG Hannover (NSB)
Aktenzeichen
S 60 R 96/22
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 2 SF 6/23 B (R)
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Auch bei einem dritten unentschuldigten Ausbleiben eines ordnungsgemäß geladenen Zeugen sind Ordnungsmittel festzusetzen.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Festsetzung von Ordnungsgeld und ersatzweise Ordnungshaft aufgrund der wiederholten Nichtwahrnehmung eines vom Sozialgericht anberaumten Zeugenvernehmungstermins.

 

Im Hauptsacheverfahren begehrt die Klägerin eine Erwerbsminderungsrente.

 

Der Beschwerdeführer ist Arzt und hat die Klägerin hausärztlich betreut. Inwieweit der Beschwerdeführer den Arztberuf aktuell noch ausübt, erschließt sich nach Maßgabe des Beschwerdevorbringens nicht mit hinreichender Deutlichkeit. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer weist einerseits darauf hin, dass er „zwischenzeitlich“ erkrankt sei und seine Praxis habe schließen müsse, andererseits verweist er auch auf eine „weiterhin eröffnete Praxis“.

 

Zur Aufklärung der medizinischen Voraussetzungen für die von der Klägerin begehrte Rente hat das Sozialgericht von dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 18. Juli 2022 einen Befundbericht angefordert. Hieran ist der Beschwerdeführer mit nachfolgendem Schreiben vom 23. August 2022 erinnert worden. Eine weitere nachdrückliche Erinnerung erfolgte mit Schreiben vom 14. September 2022.

 

Nachdem der Beschwerdeführer weiterhin nicht reagiert hatte, hat das Sozialgericht ihn zur Zeugenvernehmung am 15. November 2022 geladen. Diesen Termin hat er nicht wahrgenommen. Daraufhin hat das Sozialgericht gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld in Höhe von 300 € und ersatzweise einen Tag Ordnungshaft verhängt.

 

Nachfolgend ist der Beschwerdeführer zu einer erneuten Zeugenvernehmung am 24. April 2023 geladen worden. Auch diesen Termin nahm er nicht wahr. Daraufhin hat das Sozialgericht gegen ihn mit Beschluss vom 26. April 2023 erneut ein Ordnungsgeld, und zwar diesmal in Höhe von 750 €, und ersatzweise nunmehr fünf Tage Ordnungshaft festgesetzt.

 

Gleichzeitig hat es den Beschwerdeführer zu einer erneuten Zeugenvernehmung am 5. Juni 2023 geladen. Der Ordnungsgeldbeschluss vom 26. April 2023 und die Ladung zur Zeugenvernehmung am 5. Juni 2023 sind dem Beschwerdeführer zusammen am 28. April 2023 unter seiner aktuellen Wohnanschrift H. in I. mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden (vgl. die Zustellungsurkunde Bl. 5, 5 R in der den Ordnungsgeldbeschluss vom 26. April 2023 betreffenden Akte).

 

Auch den Vernehmungstermin am 5. Juni 2023 hat der Beschwerdeführer nicht wahrgenommen. Daraufhin hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 8. Juni 2023 ein Ordnungsgeld in Höhe von nunmehr 900 € und ersatzweise fünf Tage Ordnungshaft verhängt und dem Zeugen wiederum die durch sein Ausbleiben entstandenen Kosten auferlegt.

 

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde des anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers vom 14. Juni 2023.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

 

II.

 

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Der zur Überprüfung gestellte Ordnungsgeldbeschluss vom 8. Juni 2023 lässt keinen Fehler zulasten des Beschwerdeführers erkennen.

 

Nach § 380 ZPO i.V.m. § 118 Abs. 1 SGG werden einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, ohne dass es eines Antrages bedarf, die durch das Ausbleiben verursachten Kosten auferlegt. Zugleich wird gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festgesetzt.

 

a) Der Zeuge war zum erneuten Vernehmungstermin am 5. Juni 2023 ordnungsgemäß unter seiner Wohnanschrift geladen worden. Den anfänglichen Vortrag einer Unkenntnis von diesem Vernehmungstermin hat der Zeuge nicht aufrechterhalten, nachdem der Senat seinem Bevollmächtigten eine Kopie der Postzustellungsurkunde vom 28. April 2023 übermittelt hat.

 

b) Eine Entschuldigung des Zeugen ist in keiner Weise nachvollziehbar dargetan worden. Bezüglich einer eventuellen Erkrankung fehlt schon jeder nähere Vortrag zu ihrer Ausprägung, ihrem Verlauf und ihren Auswirkungen; noch weniger ist in diesem Zusammenhang die Glaubhaftmachung eines Sachverhalts zu erkennen.

 

c) Nach den gesetzlichen Vorgaben ist nicht zu beanstanden, dass das Sozialgericht zum dritten Mal Ordnungsmittel gegen den ausgebliebenen Zeugen ergriffen hat.

 

Im Falle wiederholten Ausbleibens wird das Ordnungsmittel gemäß § 380 Abs. 2 ZPO noch einmal festgesetzt; auch kann die zwangsweise Vorführung des Zeugen angeordnet werden. Diese gesetzliche Vorgabe wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich hinsichtlich der Frage interpretiert, ob im Falle einer dritten unentschuldigten Säumnis eines Vernehmungstermins erneut Ordnungsmittel festzusetzen sind (vgl. zum Meinungsstand etwa Damrau/Weinland in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 380 Rn. 10 mwN).

 

Nach Auffassung des Senates gebietet § 380 Abs. 2 ZPO die erneute Festsetzung von Ordnungsmitteln auch bei einem dritten Ausbleiben des Zeugen. Der gesetzliche Tatbestand knüpft daran an, dass es sich um einen „Fall wiederholten Ausbleibens“ handelt. Schon dem Wortlaut nach wird damit nur ein zweites, sondern auch ein nachfolgendes weiteres Ausbleiben und damit insbesondere auch das dritte Ausbleiben erfasst. Wenn das Gesetz anknüpfend an diese tatbestandlichen Voraussetzungen als Rechtsfolge vorsieht, dass das Ordnungsmittel „noch einmal“ festzusetzen ist und dass auch die zwangsweise Vorführung des Zeugen angeordnet werden kann, dann bringt es schon dem Wortlaut nach damit zum Ausdruck, dass in jedem Fall des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen, also bei jedem wiederholten Ausbleiben, „noch einmal“ das Ordnungsmittel (also Ordnungsgeld und ersatzweise Ordnungshaft) anzuordnen ist (vgl. in diesem Sinne etwa Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Juni 1998 – L 13 AL 1310/97 B –, juris; KG Berlin, B.v. 27. April 1960 – 668/60 –, NJW 1960, 1726 insbesondere auch in eingehender Auseinandersetzung mit der Gesetzgebungsgeschichte; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Auflage 2022, § 380 ZPO, Rn. 8).

 

Für diese den Gesetzeswortlaut umsetzende Auslegung spricht auch das gesetzgeberische Anliegen, die Pflicht zur Erstattung von Zeugenaussagen im Gerichtsalltag effektiv durchzusetzen. So ist nach § 390 Abs. 2 ZPO im Falle wiederholter Zeugnisverweigerung (auf Antrag) zur Erzwingung des Zeugnisses die Haft anzuordnen. Eine solche Haft kann sich über mehrere Monate, und zwar gemäß § 802j Abs. 2 ZPO bis zu einer Dauer von sechs Monaten, erstrecken (jedoch nicht über den Zeitpunkt der Beendigung des Prozesses in dem Rechtszug hinaus).

 

Gerade auch angesichts der vom Gesetzgeber mit der durchaus strengen Regelung des § 390 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck gebrachten Dringlichkeit einer effektiven Durchsetzung der Zeugnispflicht widerspräche eine Auslegung des § 380 Abs. 2 ZPO, bei der ein erneutes Ausbleiben nach vorausgegangenem zweimaligen bereits sanktionierten Ausbleiben nicht mit Ordnungsmitteln geahndet werden könnte, den gesetzgeberischen Zielvorstellungen. Davon ist umso mehr auszugehen, als die daneben in Betracht kommende zwangsweise Vorführung des Zeugen durch den Gerichtsvollzieher in der Praxis vielfach erheblichen Umsetzungsschwierigkeiten begegnet.

 

Von der Möglichkeit einer dritten oder noch häufigeren Verhängung von Ordnungsmitteln ist natürlich nur unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Gebrauch zu machen. Der vorliegende Fall bietet jedoch keinen Anlass zu der Besorgnis, dass sich daraus ergebende Grenzen mit dem zur Überprüfung gestellten Beschluss überschritten worden sein könnten.

 

d) Droht das Bundesgesetz Ordnungsgeld oder Zwangsgeld an, ohne dessen Mindest- oder Höchstmaß zu bestimmen, so beträgt gemäß Art. 6 EGStGB das Mindestmaß fünf, das Höchstmaß tausend Euro. Droht das Landesgesetz Ordnungsgeld an, so gilt Satz 1 entsprechend. Droht das Gesetz Ordnungshaft an, ohne das Mindest- oder Höchstmaß zu bestimmen, so beträgt das Mindestmaß einen Tag, das Höchstmaß sechs Wochen. Die Ordnungshaft wird in diesem Fall nach Tagen bemessen.

 

Nach Maßgabe dieser Vorgaben ist die Höhe des Ordnungsgeldes von 900 € nicht zu beanstanden. Es liegt auf der Hand, dass das Gericht Zeugen, die wiederholt unentschuldigt säumig geworden sind, mit einem höheren Ordnungsgeld belegen als im ersten Fall, um sie nachdrücklicher zur Erfüllung ihrer Zeugenpflicht anzuhalten (BFH, Beschluss vom 8. April 1993 – X B 207 und 208/92 –, Rn. 19, juris). Im vorliegenden Fall haben die zuvor in Höhe von 300 und 750 € festgesetzten Ordnungsgelder den Beschwerdeführer augenscheinlich nicht hinreichend beeindruckt.

 

Hinsichtlich der Festsetzung der Ersatzordnungshaft mit fünf Tagen hat sich das Sozialgericht ohnehin auch bei der dritten Ahndung im unteren Bereich des gesetzlich vorgesehenen Sanktionsrahmens gehalten.

 

Auch das Vorbringen des anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers gibt keinen Anlass für eine abweichende Bemessung der Ordnungsmittel. Es wird nicht einmal ansatzweise inhaltlich nachvollziehbar erläutert, weshalb mit der dargelegten Beharrlichkeit die Ladungen zur richterlichen Zeugenvernehmung missachtet wurden. Dies ist umso weniger verständlich, als dem Beschwerdeführer als Arzt klar vor Augen stehen muss, dass er mit seinem Verhalten auch seiner auf seine Rechtschaffenheit vertrauenden Patientin schadet. Die inhaltliche Prüfung des klägerischen Rentenbegehrens wird jedenfalls erschwert und verzögert, wenn der behandelnde Hausarzt die Auskunft über die von ihm gewonnenen Erkenntnisse und die von ihm ergriffenen Behandlungsmaßnahmen verweigert.

 

Insbesondere werden auch von Seiten des Antragstellers keine gesundheitlichen Gründe dafür substantiiert aufgezeigt, die ihn an der Erfüllung der Zeugenpflicht auch bei pflichtgemäßem Bemühen im Zeitpunkt der anberaumten Vernehmung gehindert haben könnten.

 

Soweit der Beschwerdeführer – wiederum unsubstantiiert – auf „finanzielle Belastungen“ verweist, aufgrund derer eine künftige Einleitung eines Insolvenzverfahrens „absehbar“ sein soll, entbindet ihn dies schon im Ausgangspunkt nicht von der gewissenhaften Erfüllung der Zeugenpflichten. Die gesetzlichen Vorgaben über die ersatzweise zu verhängende Ordnungshaft bringen ohnehin zum Ausdruck, dass die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nicht die Feststellung einer finanziellen Leistungsfähigkeit des säumigen Zeugen zur Voraussetzung hat. Solche sind im Regelfall dem Gericht bei Ausbleiben eines substantiierten und belegten Vortrages von Seiten des Zeugen zu seinen persönlichen finanziellen Verhältnissen auch gar nicht möglich.

 

Im Übrigen lässt das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht einmal erkennen, dass ihn der zur Überprüfung gestellte dritte Ordnungsmittelbeschluss nunmehr zur Rechtstreue und zur Bereitschaft der Wahrnehmung seiner Zeugenpflichten motivieren würde. Sollte er jedenfalls angesichts des dritten Ordnungsmittelbeschlusses die entsprechende Einsicht gewonnen haben, könnte der Beschwerdeführer ihr am einfachsten dadurch Rechnungen tragen, dass er nunmehr zeitnah die Fragen des Sozialgerichts in der Befundberichtberichtsanforderung beantwortet. Aufentsprechende Nachfrage hat aber der anwaltliche Bevollmächtigte des Beschwerdeführers lediglich mitgeteilt, dass mit seinem Mandanten „keine Rücksprache gehalten“ werden konnte.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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