L 31 AS 627/23 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 128 AS 2711/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 627/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Auch wenn  die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch sind,  kommt die Übernahme von Mietschulden als Darlehen dann in Betracht, wenn die Antragsteller die Differenz zwischen angemessener Miete und tatsächlicher Miete mit den Freibeträgen aus Erwerbstätigkeit decken können und eine Prognose ergibt, dass die Freibeträge in Zukunft auch tatsächlich zu diesem Zweck verwendet werden.

2. Allein ein durch den Umzug erforderlich werdender Schulwechsel der Kinder der Antragsteller vermag die Übernahme von Mietschulden nicht zu rechtfertigen.

3. Folgekosten für Obdachlosigkeit lassen die Übernahme von Mietschulden nicht als gerechtfertigt erscheinen, da die Rechtmäßigkeit eines Bescheides von der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Norm abhängt und nicht davon, ob der Bescheid sich für die Staatskasse als wirtschaftlich sinnvoll erweist. 

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juni 2023 aufgehoben.

 

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

 

Außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

 

 

 

                                                                Gründe

                                                                   

                                                                      I.

                                                                    

Die Antragsteller begehren die darlehensweise Übernahme ihrer Mietschulden nach § 22 Abs. 8  Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II).

 

Die 1973 und 1981 geborenen Antragsteller zu 1und 2 bewohnen mit ihren 2013 und 2016 geborenen Kindern eine knapp 90 m² große Wohnung unter der im Rubrum angegebenen Anschrift (Mietvertrag vom 1. Oktober 2018). Wegen Mietrückständen von damals 5422,99 Euro kündigte der Vermieter mit Schreiben vom 9. August 2022 fristlos und verlangte die Räumung. Er erwirkte ein rechtskräftiges Versäumnisurteil vom 2. März 2023, mit dem die Antragsteller zur Räumung verpflichtet wurden. Mittlerweile betragen die Mietschulden 8316,33 €. Die aktuelle Mietbelastung beträgt 800,36 € zuzüglich Nebenkosten von 224,84 € und Heizkosten von 346,24 €, mithin 1371,44 €. Eine Mieterhöhung um 50 € soll nach Angaben des Antragsgegners zum 1. September 2023 erfolgen. Mit Schreiben vom 28. April 2023 hat der Vermieter sich bereit erklärt, das Mietverhältnis fortzusetzen, falls die Schulden bis zum 1. Juni 2023 beglichen würden. Mit weiterem Schreiben vom 31. Juli 2023 hat der Vermieter die Frist bis zum 30. September 2023 verlängert

 

Mit Bescheiden vom 9. Juni 2022 (Bewilligungszeitraum vom 1. Mai 2022 bis 31. Oktober 2022), 4. Juli 2022 (Bewilligungszeitraum vom 1. August 2022 bis 31. Oktober 2022), 9. August 2022 (Bewilligungszeitraum vom 1. September bis 31. Oktober 2022), 20. April 2023 (Bewilligungszeitraum vom 1. Februar 2023 bis 31. Juli 2023) und 19. Juni 2023 (Bewilligungszeitraum vom 1. August 2023 bis 31. Januar 2024) bewilligte der Antragsgegner vorläufig Leistungen nach dem SGB II unter Anrechnung von Einkommen ganz überwiegend erzielt durch die Antragstellerin zu 2 und unter Berücksichtigung der tatsächlich anfallenden Kosten der Unterkunft (KdU). Der Freibetrag für die Antragstellerin zu 2 aus dem erzielten Einkommen betrug zunächst 330 € bzw. 317,58 €, für den Bewilligungsabschnitt vom 1. August 2023 bis 31. Januar 2024 beträgt der Freibetrag 378 €.

 

Unter dem 16. September 2022 verfügte der Antragsgegner die vorläufige Einstellung der Leistungen ab dem 1. Oktober 2022. Der Antragsteller zu 1 habe eine Beschäftigung bei einem Discounter aufgenommen, sodass die Bedarfsgemeinschaft mit Einkommen der Antragsteller zu 1 und 2 den Lebensunterhalt mit eigenen Mitteln sichern könne. Eine Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis 31. Januar 2023 ist aus den Akten des Antragsgegners nicht ersichtlich.

 

Den ersten Antrag auf Mietschuldenübernahme lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 7. Februar 2023 ab. Unter dem 23. Februar 2023 teilte das Bezirksamt, Soziale Wohnungshilfe mit, es teile die Entscheidung des Antragsgegners die Mietschuldenübernahme abzulehnen. Zur Begründung wurde ausgeführt, Nachweise der zukünftigen Mietsicherung seien nicht eingereicht worden. Während des Antragzeitraums seien neue Mietschulden entstanden. Daher könne von einer zukünftigen Mietsicherung nicht ausgegangen werden, sodass der Antrag auf Mietschuldenübernahme abzulehnen sei. Auf den weiteren Antrag vom 21. April 2023 teilte der Antragsgegner mit Schreiben vom 28. April 2023 mit, dass keine Änderung der Verhältnisse ersichtlich sei, sodass über den wiederholten Antrag nicht erneut entschieden werde. Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit Schreiben vom 11. Mai 2023, mit dem sie Widerspruch erhoben und gleichzeitig einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB/10. Buch (SGB X) stellten. Der Antragsgegner verwarf den Widerspruch als unzulässig, da die Mitteilung vom 28. April 2023 kein Verwaltungsakt gewesen sei.

 

Unter dem 25. Mai 2023 haben die Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Berlin gestellt.

 

Mit Beschluss vom 19. Juni 2023 hat das Sozialgericht dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stattgegeben und den Antragsgegner verpflichtet, vorläufig die rückständige Miete i.H.v. 8316,33 € darlehensweise zu gewähren. Zur Begründung führte es aus, ob die Unterkunft- und insbesondere die Heizkosten abstrakt angemessen seien, könne ebenso dahinstehen wie die Frage, ob die Antragsteller aus den Erwerbstätigenfreibeträgen etwaige Differenzen zwischen tatsächlicher und abstrakt angemessener Miete begleichen könnten. Aus den konkreten Umständen des Einzelfalles ergebe sich, dass den von den Mietschulden ihrer Eltern mit betroffenen Kinder während des Schuljahres der Verlust des Wohnumfeldes drohe. Auch die gesundheitsbedingten Einschränkungen des Antragstellers zu 1 sprächen dafür, insgesamt einen Fall zu sehen, in dem ausnahmsweise auch bei einer überhöhten Miete die Schuldenübernahme gerechtfertigt und notwendig sei.

 

Gegen den ihm am 20. Juni 2023 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsgegner mit der Beschwerde vom 23. Juni 2023.

 

Zur Begründung machte er geltend, die Wohnungskosten würden die Angemessenheitsgrenze übersteigen. Die Hilfegewährung zur Sicherung der Unterkunft verfolge immer das Ziel des längerfristigen Erhalts einer kostenmäßig angemessenen Unterkunft. Durch die darlehensweise Übernahme der Mietschulden könne die Unterkunft nicht langfristig mit der erforderlichen Sicherheit gesichert werden, da die Gefahr bestehe, dass neue Mietschulden entstünden. Aufgrund der Einkommenssituation sei die Prognose gerechtfertigt, dass die Antragsteller auch in Zukunft nicht in der Lage sein würden, ihr Verhalten so einzurichten, dass sie dauerhaft für regelmäßige Mietzahlungen sorgen könnten. Hier sei auch der Hinweis erlaubt, dass durch die Soziale Wohnungshilfe nur in äußerst seltenen Fällen eine Ablehnung der Mietschuldenübernahme empfohlen werde. Dies sei vorliegend jedoch erfolgt. Sofern der angefochtene Beschluss sich auf die Vermeidung eines Schulwechsels für mit betroffenen minderjährigen Kinder stütze, sei darauf hinzuweisen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des ablehnenden Bescheides der Sohn noch gar nicht zur Schule gegangen sei. Davon unabhängig müssten nicht wenige Kinder umziehen, weil die Eltern beispielsweise eine Tätigkeit an einem anderen Ort aufnehmen würden oder auch aus anderen Gründen. Auch einkommensschwache Familien, die keine SGB II-Leistungen bezögen, müssten aus Kostengründen umziehen, wenn die Miete nicht mehr leistbar sei. Hinzuweisen sei darauf, dass der Nettoverdienst der Antragstellerin zu 2 bei 1339,15 € liege, die Bruttowarmmiete betrage 1371,44 € und werde zum 1. September 2023 um weitere 50 € erhöht. Nach Ablauf der Karenzzeit würden die Antragsteller ohnehin aufgefordert, Unterkunftskosten zu senken. Ab voraussichtlich dem 1. Juli 2024 würden nur noch die angemessenen Unterkunftskosten anerkannt. Weiter sei zu berücksichtigen dass derzeit schon zugunsten des Antragsgegners offene Erstattungsforderungen in Höhe von 5600 € bestünden. Diese seien entstanden, weil der Antragsteller zu 1 im Oktober 2020 wieder zu seiner Familie zurückgekehrt sei und daher übernommene Kosten der anderen Wohnung zurückzufordern gewesen seien, außerdem hätten Einkommensanrechnungen im Zeitraum Juli 2020 bis Juni 2021 vorgenommen werden müssen. Die Antragsteller hätten bisher auch keine Versuche unternommen, eine angemessene Wohnung anzumieten, eine aktive Wohnungssuche sei nicht nachgewiesen.

 

Der Antragsgegner beantragt,

 

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juni 2023 aufzuheben und den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen.

 

Die Antragsteller beantragen,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Sie sind der Auffassung, dass das Sozialgericht zutreffend entschieden habe.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sachdarstellung und der Rechtsausführungen wird auf den Inhalt der Gerichts-und Verwaltungsakten verwiesen. Diese haben bei der Entscheidung des Senats vorgelegen.

 

 

 

                                                               II.

 

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.

 

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne der Eilbedürftigkeit der vorläufigen Regelung) besteht. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Wegen des vorläufigen Charakters einer einstweiligen Anordnung soll durch sie eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu  beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach-und Rechtslage geklärt ist. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vergleiche Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05).

 

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Bewilligung des Darlehens für die Mietschulden im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sich zwangsläufig als eine komplette Vorwegnahme der Hauptsache darstellt. Denn ergibt sich im Hauptsacheverfahren, dass den Antragstellern kein Anspruch auf das Darlehen zusteht, ist dieses aber im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gewährt und an den Vermieter ausgezahlt worden, steht der Antragsgegner genauso dar, als wenn ein Anspruch auf das Darlehen bestünde. In beiden Fällen wäre er darauf angewiesen, dass Darlehen in kleinen Raten über Jahre zurückzufordern. Eine vorläufige Gewährung, wie vom Sozialgericht tenoriert, scheidet aus, weil der Vermieter nicht verpflichtet werden kann, den Betrag zurückzuzahlen, wenn sich ergäbe, dass die Antragsteller keinen Anspruch gegen den Antragsgegner auf das Darlehen gehabt hätten. Wegen der mit einer für die Antragsteller günstigen Entscheidung verbundenen Vorwegnahme der Hauptsache kann eine für die Antragsteller positive Entscheidung nur erfolgen, wenn der Senat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu dem Schluss kommt, dass den Antragstellern das Darlehen auch in einem Hauptsacheverfahren zustünde.

 

Dass der Bescheid vom 7. Februar 2023  bestandskräftig geworden ist, hindert das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren nicht, denn am 11. Mai 2023 wurde ein Überprüfungsantrag gestellt, dessen Bescheidung noch offen ist. Auch die Ansprüche im Überprüfungsverfahren können im einstweiligen Rechtsschutz verfolgt werden.

 

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs ist § 22 Abs. 8 SGB II. Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten  droht. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

 

Gerechtfertigt ist die Übernahme der Mietschulden als Darlehen unter anderem nur dann, wenn die Kosten der zu sichernden Unterkunft innerhalb der Angemessenheitsgrenze des §§ 22 Abs. 1 SGB II liegen. Die langfristige Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft ist im Regelfall nicht gerechtfertigt. Eine Ausnahme ist denkbar, wenn die Kosten den Rahmen des Angemessenen nur geringfügig übersteigen (etwa bei Aufstockern unter Verwendung des Freibetrages aus Einkommen) und der künftige Erhalt der Wohnung gesichert erscheint (vergleiche zum Ganzen Eicher /Luik/Harich, SGB II, Kommentar, 5 Auflage 2021,    § 22 Rn 328 m.w.N.).

 

Der Senat ist allerdings nicht der Auffassung, dass die Vermeidung eines Schulwechsels während eines Schuljahres schon ausreichend ist, um die Mietschulden für eine nicht angemessene Wohnung zu übernehmen. Eine Vielzahl von Kindern in der Bundesrepublik ist von einem Umzug der Eltern betroffen, der sich keineswegs zeitlich an dem Ablauf eines Schuljahres orientiert. So kommt ein Umzug dann in Betracht, wenn die Eltern den Arbeitsplatz wechseln, bei einer Versetzung bei bundesweit tätigen Unternehmen oder Behörden oder auch, wenn attraktiverer Wohnraum angemietet werden kann oder gar ein Eigenheim errichtet wird. Hierbei handelt es sich um völlig normale soziale Tatbestände, mit denen auch Kinder zurechtkommen können und müssen. Die von Teilen der Rechtsprechung anerkannte Ausnahme  ( vgl. LSG Berlin-Brandenburg , Beschluss vom  14 Januar 2008, L 26 AS 2307/ B ER zitiert nach juris) ist schon deshalb nicht überzeugend, weil nicht erklärt werden kann, warum die Wohnung auf Dauer gesichert werden muss, was wiederum Voraussetzung der Mietschuldenübernahme ist, während der Wechsel von Schülerinnen und Schülern auf andere Schulen zumindest nach Ablauf eines Halbjahres in jedem schulischen Alltag ein Normalfall ist. Denn auch nach der Auffassung, dass die Vermeidung eines Schulwechsels innerhalb eines Schuljahres nicht zumutbar ist, muss ein solcher wohl nach Ablauf eines Schuljahres zugemutet werden. Die Sicherung der Unterkunft für gegebenenfalls nur wenige Monate durch Übernahme hier hoher Mietschulden kann aber nicht als gerechtfertigt im Sinne des Gesetzes angesehen werden. Die Rechtfertigung der Mietschuldenübernahme in Form eines Darlehens rechtfertigt sich nur durch langfristige Sicherung der Unterkunft, um die es aber gerade nicht geht, wenn der Umzug nur bis zum Ablauf eines Schuljahres aufgeschoben werden soll. Bei einer kurzfristigen Sicherung durch Übernahme hoher Schulden bei faktisch fehlender Rückzahlungsmöglichkeit liegt letztlich nur eine Schuldentilgung durch öffentliche Mittel vor, die gerade nicht Sinn und Zweck von SGB II-Leistungen ist.

 

Soweit teilweise angenommen wird, dass sich die Rechtfertigung der Übernahme auch aus der angeblich übergeordneten Perspektive der Folgekosten für die Obdachlosigkeit ergibt, kann der Senat dem nicht folgen. Diese Argumentation erfolgt nicht aus einer „übergeordneten Perspektive“, sie liegt schlicht neben der Sache und stellt sich daher als willkürlicher Eingriff in das vom Gesetzgeber vorgesehene Regelungsprogramm dar. Die Frage, ob eine behördliche Entscheidung rechtmäßig ist oder nicht, hängt davon ab, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm gegeben sind und nicht davon, ob der Bescheid sich  für die Staatskasse als wirtschaftlich sinnvoll erweist. Vielmehr ist eine Vielzahl von in der Sozialgerichtsbarkeit eingeklagten Ansprüchen so gering, dass eine Wirtschaftlichkeit eines Streites durch Verwaltungs-und Widerspruchsverfahren und gegebenenfalls durch drei Instanzen keinesfalls bejaht werden kann, sondern unter dem alleinigen Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit die vernünftigste Entscheidung die sofortige Gewährung schon im Verwaltungsverfahren wäre. Solche Überlegungen verbieten sich in einem Rechtsstaat aber und stellen sich als willkürlicher Eingriff in ein Normprogramm dar.

 

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts können auch die gesundheitlichen Probleme des Antragstellers zu 1 (Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B vom 27. Juli 2023) nicht zur Bewilligung einer tatbestandlich nicht zustehenden Sozialleistung führen. Gesundheitliche Probleme sind mit der notwendigen medizinischen Heilbehandlung zu lösen, nicht mit der Bewilligung erstrebter Sozialleistungen. Gegebenenfalls können gesundheitliche Probleme, insbesondere psychiatrische Erkrankungen, zu einem Vollstreckungsschutz bei der Räumung führen ( vgl. z.B. Bundesgerichtshof –BGH- , Beschluss vom 13. Dezember 2022, Az. VIII ZR 96/22 und vom 1. Juni 2023 Az. I ZB 108/22). Darüber ist hier nicht zu befinden.

 

Dies vorangestellt, ist zunächst zu klären, ob die Wohnung der Antragsteller innerhalb der Angemessenheitsgrenzen, die der Antragsgegner nach einem schlüssigen Konzept aufzustellen hat, liegt. Zur Prüfung dieser Voraussetzungen ist insbesondere die Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 3. September 2020, (B 14 AS 37/19 R) zu berücksichtigen. Danach hat das Gericht zunächst überprüfen, ob das vom Antragsgegner der Gewährung der Kosten der Unterkunft zugrunde gelegte Konzept schlüssig ist. Bestehen insoweit Bedenken und sieht das Gericht keine Möglichkeit unter den Vorgaben der Rechtsprechung abstrakte Angemessenheitswerte, die eine gewisse Verfügbarkeitsprüfung enthalten sollen, selbst festzulegen, bleibt der Rückgriff auf die Beträge nach § 12 WoGG (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 3. September 2020 B 14 AS 37/19 R, Rn. 24). Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist entgegen der Auffassung der Antragsteller gerade nicht zu entnehmen, dass Folge einer fehlgeschlagenen Angemessenheitsprüfung die Übernahme der tatsächlichen Kosten auf Dauer ist. Dies würde auch zu einem nicht erklärbaren Widerspruch führen. Geringverdiener mit einem Einkommen, dass SGB II-Leistungen ausschließt, müssten sich für einen Wohngeldanspruch auf die Angemessenheitswerte der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz verweisen lassen, SGB II-Bezieher müssten dagegen keine Angemessenheitswerte gegen sich gelten lassen. Eine derartige Gesetzesauslegung kann nicht richtig sein. Deshalb ist hilfsweise auf die Angemessenheitswerte des Wohngeldgesetzes abzustellen.

Der Antragsgegner übernimmt im fraglichen Zeitraum eine Bruttokaltmiete monatlich für einen Vierpersonenhaushalt von 713,70. Dazu sind die angemessenen Heizkosten zu addieren, wobei der erkennende Senat in der derzeit schwierigen Situation am Energiemarkt davon ausgeht, dass der tatsächliche Betrag von 346,24 € auch angemessen ist. Damit ergibt sich nach dem Konzept des Antragsgegners eine angemessene Bruttowarmmiete von 1059,94 €. Die Differenz zur tatsächlich anfallenden Miete von 1371,44 € beträgt danach 311,50 €, die sich zum 1. September 2023 noch um die wohl angekündigte Mieterhöhung von 50 € erhöht. Dies bedeutet, dass die Angemessenheitsgrenze um rund ein Drittel überschritten wird. Dies kann nicht als geringfügig angesehen werden.

 

Eine Prüfung dieses Konzepts des Antragsgegners, die nach der eben zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wohl auch noch eine tatsächliche Verfügbarkeitsprognose in welcher Art auch immer enthalten muss, ist dem Senat im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht möglich. Es steht auch nach der bisher ergangenen Rechtsprechung zu Fragen der KdU im Recht der Grundsicherung seit 2005 nach Auffassung des Senats aber außerordentlich infrage, ob ein schlüssiges Konzept hier vorliegt. Das BSG hat, soweit ersichtlich, bisher kaum ein Konzept nicht beanstandet.

 

Der Senat ist allerdings auch der Auffassung, dass eigene Angemessenheitskriterien, noch dazu mit einer Verfügbarkeitsprüfung wie sie sich das Bundessozialgericht in der oben zitierten Entscheidung wohl vorstellt, durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht entwickelt werden können. Deshalb berechnet der Senat auch in Hauptsacheverfahren die angemessenen Kosten der Unterkunft nach dem vom Bundessozialgericht in der oben genannten Entscheidung, dort in Rn. 24, vorgeschlagenen Rückgriff auf die Tabellenwerte des §§ 12 WoGG. So ist auch hier zu verfahren.

 

Berlin ist zur Wohngeldberechnung in die Mietstufe 4 eingeordnet. Bei einem Vier-Personen Haushalt führt dies zu einem Betrag von 825 € bruttokalt, zu dem die Heizkosten von 346,24 € zu addieren sind. Dies ergibt eine angemessene Bruttowarmmiete von 1171,24 €. Der in der älteren Rechtsprechung genannte Zuschlag von 10 % zu den Wohngeldsätzen entfällt, da das Wohngeld zuletzt auch für das Jahr 2023 dynamisiert wurde und insofern ein Sicherheitszuschlag nicht mehr notwendig ist. Die Differenz zwischen der angemessenen warmen Miete und der tatsächlichen Warmmiete beträgt vorliegend dann 200,20 €. Damit ist für den vorliegenden Fall von einer Angemessenheitsgrenze von 1171,24 € auszugehen, die sich für den Senat auch in einem Hauptsacheverfahren zugunsten der Antragsteller ergäbe, falls sich nicht  das vom Antragsgegner zugrunde  gelegte Konzept, welches deutlich geringere angemessene Mieten ausweist, als schlüssig erweisen sollte.

 

Dies zugrunde gelegt überschreitet die tatsächliche Miete die angemessene Miete um ein Sechstel der angemessenen Miete, also knapp 17 %. Eine solche Überschreitung kann nicht mehr als geringfügig angesehen werden.

 

Allerdings sind dem Senat aus einer langjährigen Befassung mit Fragen der Grundsicherung durchaus viele Fälle bekannt, in denen Bedarfsgemeinschaften die Differenz zwischen tatsächlicher und angemessener Miete durch Zahlungen aus den Freibeträgen aus Einkommen auf Dauer decken konnten. In solchen Fällen kann letztlich nicht bestritten werden, dass die Wohnung unter Einsatz eigener Mittel der Bedarfsgemeinschaft erhaltenswert ist.

 

Dies zugrunde gelegt hängt die Entscheidung, ob die Wohnung letztlich erhaltenswert ist, von der Prognose ab, ob der Senat davon überzeugt ist, dass die Antragsteller den von der Antragstellerin zu 2 erarbeiteten Freibetrag i.H.v. 378 € nach Ende der Karenzzeit, in der die gesamte Miete noch übernommen wird, also ab voraussichtlich 1. Juli 2024 auch für die Deckung der dann offenen, von dem Antragsgegner nicht mehr übernommenen Miete einsetzen werden.

 

Dem Antragsgegner ist zuzugeben, dass nach dem bisherigen Verhalten der Antragsteller eine positive Prognose zumindest schwierig ist. Die Antragsteller haben sich seit der Kündigung durch den Vermieter in keiner Weise bemüht, etwas zum Erhalt der Wohnung beizutragen. Angesichts der von der Antragstellerin zu 2 erwirtschafteten Freibeträge hätte es nahegelegen zu versuchen, mit dem Vermieter eine Abrede zur Tilgung der Mietschulden aus dem Freibetrag zu treffen und gleichzeitig bereits mit der Tilgung der Mietschulden zu beginnen. Weiter haben die Antragsteller keine Versuche unternommen, in Berlin  angemessenen Wohnraum anzumieten, um auf Dauer eine Unterkunft zu sichern. Dies wäre aber schon deshalb sinnvoll gewesen, weil der Antragsgegner nach seinem Konzept wohnungslosen oder von Wohnungslosigkeit bedrohten Familien, insbesondere mit Kindern Zuschläge auf die Richtwerte für die Bruttokaltmieten gewährt, wenn trotz intensiver Suchbemühungen kein Wohnraum zu finden war. Ein solches mitwirkendes Verhalten haben die Antragsteller nicht gezeigt. Darüber hinaus ist auch die Soziale Wohnungshilfe des Bezirksamtes zu dem Schluss gekommen, dass die Übernahme der Mietschulden mangels irgendeiner Mitwirkung der Antragsteller im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt ist (Schreiben vom 23. Februar 2023). Darüber hinaus bestehen weitere Erstattungsforderungen für Zeiträume in 2020 und 2021, in denen Einkommen erzielt wurde, das zum Wegfall der Sozialleistungen geführt hat. Offenbar haben die Antragsteller aber auch hier Einkommen und Sozialleistungen komplett verbraucht, so dass eine Rückführung an den Antragsgegner bisher nicht möglich war. Auch dies spricht nicht für künftiges Wohlverhalten.

 

Für eine positive Prognose spricht die Bescheinigung der CRESO Creative Sozialarbeit gGmbH. Allerdings bleibt hier unklar, auf welche Umstände die positive Prognose gestützt wird. Die Einschätzung des Antragstellers zu 1 als zuverlässig und bemüht, die Probleme zu lösen, ist mit Fakten nicht untermauert.

 

Insgesamt ist zwar festzustellen, dass die Antragstellerin zu 2, soweit aus den Akten erkennbar, durchgehend arbeitet, allerdings hat auch sie bisher die Freibeträge nicht zum Erhalt der Wohnung (Versuch einer Regelung mit dem Vermieter unter Zahlungen auf die Schulden aus Freibeträgen) genutzt. Das Verhalten der Antragsteller im Zusammenhang mit der Entstehung der Mietschulden ist nicht  verständlich, weil die nun eingetretene Situation durchaus hätte vermieden werden können. Deshalb ist auch die zukünftige Prognose zum Wohlverhalten gegen die Antragsteller ausgefallen.

 

Deshalb geht der Senat davon aus, dass es den Antragstellern auch nach der drohenden Senkung der bisher tatsächlich übernommenen Mietkosten auf das angemessene Maß ab voraussichtlich Juli 2024 nicht gelingen wird, die nach den Maßstäben des SGB II auch nach Auffassung des Senats unangemessen teure Wohnung durch Einsatz eigener Mittel aus Freibeträgen zu finanzieren.

 

Damit entfällt die langfristige Sicherung der Wohnung als Teil der Rechtfertigung für die Übernahme der Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II.

 

Der Beschwerde war im Ergebnis stattzugeben, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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