L 2 AS 646/19

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 26 AS 1115/17
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 646/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Ist ein Widerspruch nicht formgerecht, sondern nur per einfacher E-Mail erhoben worden und ist darüber durch einen Widerspruchsbescheid in der Sache entschieden worden, ist jedenfalls der Zweck eines Vorverfahrens bereits erreicht. Eine Aussetzung des Klageverfahrens ist dann, auch wenn die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, nicht mehr erforderlich.

2. Der Zugewinnausgleichsanspruch stellt Einkommen iSv § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II dar. Hieran ändert eine frühere notarielle Abwicklungsvereinbarung nichts, soweit sie nicht bereits zu einer Vermögensverschiebung geführt hat.

3. Von einem Zugewinnausgleichsanspruch kann ein Gewerkschaftsbeitrag nicht als eine mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgabe abgezogen werden.

 

Die Berufung wird zurückgewiesen.

 

Der Beklagte erstattet der Klägerin 40 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten für den ersten Rechtszug und 25 % für den zweiten Rechtszug.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Die Klägerin wendet sich noch gegen die Rückforderung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Zeitraum Oktober 2016 bis Januar 2017 in Höhe von noch 1.041,86 € unter Anrechnung weiterer Leistungen für Februar 2017.

 

Die am ... 1966 geborene Klägerin schloss mit ihrem damaligen Ehemann B1 am 3. August 1995 eine notarielle Vereinbarung anlässlich der Übertragung eines Grundstückes durch den Vater von Herrn B1 an diesen. In dieser Vereinbarung heißt es: „Für den Fall einer Scheidung vereinbaren die Eheleute, dass das zu erbauende Wohnhaus Herr B1 zum Alleineigentum erhält. Frau B2 wird mit der Hälfte des Wertes des Hauses ausgezahlt. Die Auszahlung erfolgt in jährlichen Raten in Höhe von mindestens 5.000 DM (…)“. Die Klägerin wurde in der Folgezeit nicht in das Grundbuch als (Mit-)Eigentümerin eingetragen, sondern nur ihr damaliger Ehemann. Als Vermögenswert verfügte die Klägerin über 1/3 von einem hälftigen Eigentumsanteil eines hochwassergefährdeten Grundstücks in Elster, in dem ihre Mutter wohnte.

 

Im Februar 2014 trennte sich die Klägerin von ihrem Ehemann, blieb aber in dem gemeinsamen Haus (mietfrei) wohnen. Sie stand im Leistungsbezug bei dem Beklagten. Bei der Antragstellung gab sie an, dass ihr keine Mietkosten entstünden. Auf ihren Weiterbewilligungsantrag für Leistungen ab Juli 2016 bewilligte der Beklagte ihr Leistungen allein für die Regelleistung in Höhe von monatlich 404 € für September bis Dezember 2016 und in Höhe von monatlich 409 € für Januar und Februar 2017 (Bescheid vom 25. Juli 2016 in der Fassung des Bescheides über die Regelsatzanpassung ab 1. Januar 2017).

 

Am 15. August 2016 schlossen die Eheleute B. im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens einen Vergleich: „Zur Abgeltung des Zugewinnausgleichsanspruchs verpflichtet sich der Ehemann, an die Ehefrau einen Betrag von 110.000 € zu leisten. Dieser Betrag wird in einer Einmalzahlung von 10.000 € bis zum Ablauf von einem Monat ab Rechtskraft der Scheidung und sodann in 166 monatlichen Raten von je 600 € sowie einer anschließenden Restrate von 400 € gezahlt. Die Raten sind fällig jeweils zum dritten eines jeden Monats. Sollte der Ehemann mit mehr als drei aufeinanderfolgenden Raten in Rückstand geraten, ist die bis dahin offene gesamte Restforderung in einer Zahlung fällig. Mit dieser Vereinbarung ist die Notarurkunde der Notarin R. vom 3. August 1995 (…) abgegolten und erledigt. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass die Rate von 10.000 € auf das Rechtsanwaltsanderkonto der Antragsgegnervertreterin erfüllungshalber gezahlt werden soll.“ Weiter war in dem Vergleich die Verpflichtung der Klägerin zum Auszug aus dem Haus des Ehemannes zum 31. Dezember 2016 geregelt.

 

Zum 1. Januar 2017 zog die Klägerin aus dem gemeinsamen Haus in eine 66 qm große Wohnung in die R-Str. in D. und zeigte dies dem Beklagten an (Eingang 2. Januar 2017). Die von ihr zu entrichtende Miete betrug insgesamt 440 € monatlich (310 € Grundmiete, 60 € Betriebskostenvorauszahlung und 70 € Heizkostenvorauszahlung). Sie gab in der nachträglich am 21. Januar 2017 vorgelegten Erklärung „Anlage Haushaltsgemeinschaft“ an, 600 € monatlich als „Vermögen/Zugewinnausgleich“ von Herrn B1 gemäß Beschluss des Amtsgerichts M. zu erhalten.

 

Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 27. Januar 2017 mit, dass er die bewilligten Leistungen vorläufig zum 1. Februar 2017 einstelle. Eine Rechtsmittelbelehrung enthielt das Schreiben nicht. Mit Schreiben vom 13. Februar 2017 erläuterte die Klägerin ihre Einwendungen gegen diese Entscheidung, die sie zuvor bereits als E-Mail vorgebracht hatte („Widerspruch“ per E-Mail vom 28. Januar 2017). So seien die 10.000 € auf ein Anderkonto ihrer Rechtsanwältin gezahlt worden, davon seien ihr am 23. Dezember 2016 1.011,93 € überwiesen worden. Diese habe sie zur Finanzierung des Umzuges (Umzugskosten 1.150,38 €) benötigt. Sie komme durch die vorläufige Einstellung der Zahlungen in finanzielle Not. Der Beklagte übersandte der Klägerin in der Folgezeit mehrere als „Zwischenmitteilungen im Widerspruchsverfahren“ übersandte Schreiben, mit denen er weitere Unterlagen von der Klägerin anforderte. Diese überreichte die Kontoauszüge ihres Girokontos vom 8. Juli 2016 bis zum 27. Januar 2017. Hieraus ergeben sich neben der erwähnten Überweisung von 1.011,93 € weitere aus der Tabelle ersichtliche Zahlungen und Rückzahlungen der Klägerin.

 

 

Zahlung durch Herrn Beyer

Rückzahlung durch Klägerin

Ergebnis für den Monat

Oktober 2016

4.10.16     + 600 €

7.10.16   - 600 €

       0 €

November 2016

4.11.16     + 600 €

23.11.16   + 600 €

9.11.16   - 600 €

 

+ 600 €

Dezember 2016

5.12.16     + 600 €

16.12.16  - 1.200 €

-  600 €

+1.011,93 € (Rückzahlung von RA)

Januar 2017

4.1.17       + 600 €

Zahlung akzeptiert

+ 600 €

Für Februar 2017

                 + 600 €

Zahlung akzeptiert

+ 600 €

 

Die Gelder von ihrem geschiedenen Ehemann (vor dem 1. Januar 2017) hätten ihr nicht zur Verfügung gestanden. Sie habe mit ihm mündlich vereinbart, dass er die erste Rate des Vermögensausgleichs erst ab 2017 an sie überweise, diese Überweisung sei am 4. Januar 2017 erfolgt. Außer den 600 € stünden ihr keine weiteren Leistungen zur Verfügung, sie sei auf die Leistungen des Beklagten angewiesen. Ihr geschiedener Ehemann habe bis Dezember 2016 die Kosten für die Unterkunft direkt übernommen und übernehme diese ab Januar 2017 indirekt, indem er die Kosten zunächst auf ihr Konto überweise.

 

Jährlich wendete die Klägerin 2016 124,80 € und für 2017 126,80 € für die Kfz-Haftpflichtversicherung und monatlich 2,50 € für ihre Gewerkschaftsmitgliedschaft auf.

 

Der geschiedene Ehemann der Klägerin wandte sich an den Beklagten mit Schreiben vom 10. Februar 2017 und teilte mit, dass die Klägerin bis zum 30. Dezember 2016 mietfrei in seinem Haus gewohnt habe. Am 15. September 2016 habe er 10.000 € auf das Konto ihrer Rechtsanwältin gezahlt. Seit dem 5. Oktober 2016 überweise er ihr jeden Monat 600 €, wobei die gezahlten Raten von Oktober bis Dezember 2016 an ihn zurücküberwiesen worden seien.

 

Zum Beleg der Forderung ihrer Rechtsanwältin legte die Klägerin einen PKH-Aufhebungsbeschluss vom 18. Oktober 2016 vor, wonach sie aus dem Vermögen eine Zahlung in Höhe von 8.988,06 € habe leisten müssen.

 

Mit „Aufhebungs- und Erstattungsbescheid im Widerspruchsverfahren“ vom 8. März 2017 änderte der Beklagte die Leistungen der Klägerin für Oktober 2016 bis Februar 2017 ab. Er bewilligte der Klägerin für Oktober bis Dezember 2016 keine Leistungen sowie für Januar und Februar 2017 Leistungen in Höhe von 59,92 € monatlich. Es ergebe sich für Oktober bis Dezember 2016 eine Überzahlung in Höhe von monatlich 404 € für Januar 2017 eine solche in Höhe von 349,08 €, wohingegen für Februar 2017 noch 59,92 € zu zahlen seien. Hierbei setzte der Beklagte nicht die vollen tatsächlichen Kosten der Klägerin für Unterkunft und Heizung an. Für Oktober bis Dezember 2016 habe sie darüber hinaus die Beiträge zur Krankenversicherung zu erstatten in einer Höhe von 3 x 105,19 € = 315,57 €. Die dadurch an sie zu Unrecht gezahlten Leistungen in Höhe von 1.816,73 € würden von ihr zurückgefordert. Der Bescheid enthielt als Rechtsmittelbelehrung den Hinweis, dass der Bescheid Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens werde und ein weiterer Widerspruch nicht zulässig sei.

 

Am 10. März 2017 übersandte die Klägerin dem Beklagten eine einfache E-Mail mit dem Betreff: „Widerspruchsbescheid=Skandal des Jobcenters“. Es sei kaum noch in Worte zu fassen, was sich das Jobcenter mit einer Rückforderung ihr gegenüber in Höhe von über 2.000 € erlaube. Sie könne den Bescheid bis ins kleinste Detail widerlegen.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2017 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zugunsten der Klägerin werde der per E-Mail erhobene Widerspruch für zulässig erachtet. Er sei jedoch in der Sache nicht begründet, was näher ausgeführt wurde.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 5. April 2017 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Halle erhoben. Hierbei hat sie darauf hingewiesen, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft ab Januar 2017 berücksichtigt werden müssten. Es habe eine mündliche Vereinbarung mit ihrem geschiedenen Ehemann gegeben, dass die Ratenzahlung ab dem 1. Januar 2017 beginnen sollte, deshalb habe sie die früheren Zahlungen wieder zurücküberwiesen. Im Übrigen handele es sich nicht um Einkommen, weil es nur eine Umschichtung des Vermögens sei. Das Eigentum sei schon vorher vorhanden gewesen. Auch müsse der Abzug des Gewerkschaftsbeitrages berücksichtigt werden. Es dürfe auch die Einmalzahlung im Dezember 2016 nicht angerechnet werden, weil sie nach der Berechnung des Beklagten im Dezember 2016 nicht im Leistungsbezug gestanden habe.

 

Mit Änderungsbescheid im Klageverfahren hat der Beklagte die Rückforderung auf 1.687,57 € reduziert, unter Berücksichtigung der noch nicht ausgezahlten Leistungen für Februar 2017 in Höhe von 249 € betrage die geltend gemachte Rückforderung 1.438,57 €. Hierbei hat er die einmalige Einnahme nicht mehr und die Kosten der Unterkunft in tatsächlicher Höhe berücksichtigt sowie die 600 € ungemindert monatlich gegengerechnet.

 

Mit Urteil vom 4. November 2019 hat das SG Halle der Klage teilweise stattgegeben. In Abänderung der Bescheide hat es den Beklagten verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich weiteren 40,57 € für Januar und Februar 2017 zu gewähren und die Bescheide aufgehoben, soweit von der Klägerin mehr als 1.357,43 € zurückgefordert wurden. Die Klage sei zulässig, es sei im Ergebnis unschädlich, dass kein ordnungsgemäßes Vorverfahren durchgeführt worden sei. Auch wenn der Widerspruch der Klägerin als E-Mail nicht der gesetzlich geforderten Form entspreche, erscheine hier das Vorverfahren entbehrlich. Der Beklagte habe die Leistungen für die Monate Oktober bis Dezember 2016 zu Recht aufgehoben, jedoch für die Monate Januar und Februar 2017 rechtswidrig zu geringe Leistungen angesetzt. Die bewilligten Leistungen hätten nach § 40 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) i. d. für den Streitzeitraum geltenden Fassung i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ohne Ermessen (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – SGB III) wegen Änderung der Verhältnisse durch Erzielung von Einkommen nach Antragstellung aufgehoben bzw. teilweise aufgehoben werden können. Die Klägerin sei im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige Leistungsberechtigte i. S. des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II gewesen. Für Oktober bis Dezember 2016 sei ihr Gesamtbedarf in Höhe von 849 € monatlich durch das erzielte Einkommen gedeckt gewesen. Bei der ab Oktober 2016 zufließenden Zahlung in Höhe von 600 € monatlich handele es sich um Einkommen. Die Klägerin habe erst mit der Vereinbarung vom 15. August 2016 wertmäßig etwas dazu erhalten. Der Anspruch auf Zugewinnausgleich entstehe erst mit der Scheidung. Die Klägerin sei nicht Miteigentümerin des Hauses gewesen. So sei sie nicht in das Grundbuch eingetragen gewesen und das Eigentum am Haus folge dem Eigentum am Grundstück. Erst die tatsächlichen Zahlungen aus dem Zugewinnausgleichsanspruch seien als Einkommen zu qualifizieren. Die Rückzahlungen der Klägerin seien unbeachtlich. Herr B1 sei seiner Verpflichtung aus dem Vergleich vom 15. August 2016 nachgekommen. Die Rückzahlung stelle eine unbeachtliche Verwendung der Einkünfte dar. Dieses Einkommen sei nach § 11b Abs. 1 SGB II zu bereinigen. Neben der Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von monatlich 10,40 € (bzw. ab Januar 2017 in Höhe von 10,57 €) sei die Versicherungspauschale in Höhe von 30 € zu berücksichtigen. Hingegen sei der Gewerkschaftsbeitrag nicht absetzbar. Nicht anzurechnen sei die im Dezember 2016 zugeflossene Zahlung in Höhe von 1.011,93 €. Da die Leistungen im Zuflussmonat vollständig aufgehoben seien, weil aus anderen Gründen kein Leistungsanspruch bestehe, sei das als einmaliges Einkommen zu behandelnde Einkommen nicht auf die Folgemonate zu verteilen. Für Januar und Februar 2017 ergebe sich unter Berücksichtigung des Einkommens noch ein Restanspruch in Höhe von 289,57 € monatlich und damit um 40,57 € höher als von dem Beklagten angenommen. Verwertbares Vermögen stehe dem Anspruch nicht entgegen. Die Beteiligung der Klägerin an einer Erbengemeinschaft über einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem hochwassergefährdeten Grundstück, das von ihrer Mutter bewohnt werde, sei nicht werthaltig und verwertbar. Die bereits erbrachten Leistungen seien insgesamt in Höhe von 1.331,43 € von der Klägerin zu erstatten. Sie habe auch die vom Beklagten getragenen Krankenversicherungsbeiträge für die Monate Oktober bis Dezember 2016 i. H. v. insgesamt 315,57 € zu erstatten. Von der Erstattungssumme von 1.647 € verbleibe eine Rückforderungssumme in Höhe von 1.357,43 €, weil der klägerische Anspruch für Februar 2017 in Höhe von 289,57 € gegenzurechnen sei. Einer höheren Forderung stehe die doloagit-Einrede entgegen, wonach derjenige treuwidrig handele, der etwas verlangt, was er augenblicklich wieder zurückgeben muss.

 

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigen am 18. November 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch diese am 6. Dezember 2019 Berufung eingelegt. Sie macht auch im Berufungsverfahren geltend, dass es sich bei dem Betrag von 110.000 € aus dem gerichtlichen Vergleich um Vermögen handele, welches bereits vor dem Leistungsbezug nach dem SGB II vorhanden gewesen sei. Es handele sich bei diesem Betrag um den hälftigen Wert des von der Klägerin und ihrem geschiedenen Ehemann errichteten Wohnhauses, welches vor dem Leistungsbezug bereits vorhanden gewesen sei. Aus der notariellen Vereinbarung von 1995 gehe hervor, dass die Eheleute vor Errichtung des Hauses übereinstimmend davon ausgegangen seien, dass es sich bei dem zu errichtenden Haus um gemeinsames Eigentum der Ehepartner handele. Sonst wäre diese Vereinbarung entbehrlich gewesen. Mit der Vereinbarung sei eine abweichende Regelung von dem üblichen Verfahrensgang bei dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft getroffen worden. Dadurch handele es sich hier um eine atypische Fallgestaltung. Auch wenn die zivilrechtlichen Ausführungen des SG zutreffend seien, könne dies nicht dazu führen, dass die Vereinbarung als unbeachtlich behandelt werde. Bei dem am 15. August 2016 vereinbarten Vergleich handele es sich damit gerade nicht um den typischen Zugewinnausgleich nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), sondern schlicht um die Umsetzung der im Jahr 1995 getroffenen Vereinbarung zur Teilung des – nach der Vorstellung der Ehepartner – gemeinsamen Eigentums an dem Wohnhaus bzw. dessen Wert. Der Wille der Ehepartner sei entscheidend, nicht die fehlende Eintragung der Klägerin im Grundbuch. Die jeweils verfügbaren Vermögensanteile lägen unterhalb der Vermögensfreigrenze.

 

Äußerst hilfsweise für den Fall der Anrechnung der Zahlung als Einkommen werde geltend gemacht, dass der monatliche Gewerkschaftsbeitrag in Höhe von 2,50 € als Absetzbetrag vom Einkommen zu berücksichtigen sei. Es sei nicht zutreffend, dass es sich hierbei nicht um eine mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgabe i. S. des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II handele. Die gesetzliche Vorschrift erfasse alle Einkommensarten, nicht nur Erwerbseinkommen. So werde der Gewerkschaftsbeitrag in der Rechtsprechung auch bei Krankengeld oder Arbeitslosengeld als Einkommen in Ansatz gebracht. Es sei auch zu berücksichtigen, dass der gewerkschaftliche Rechtsschutz auch Streitigkeiten wegen der Gewährung von Arbeitslosengeld II umfasse. Dies zeige die Verbundenheit mit dem Einkommen. Es reiche aus, dass die Ausgabe einen „Nutzen“ für die Einkommenserzielung aufweise.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 4. November 2019 sowie den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 8. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2017 und der Änderungsbescheid vom 27. November 2017 aufzuheben bzw. teilweise abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 25. Juli 2016 zu verurteilen, ihr für den Zeitraum 10/16 bis 2/17 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ohne Anrechnung von Zahlungen aus der vor dem Amtsgericht M. getroffenen Vereinbarung vom 15. August 2016 (2 F 440/14 S) zu gewähren, hilfsweise bei der Anrechnung dieser Zahlungen ihren monatlichen Gewerkschaftsbeitrag einkommensmindernd zu berücksichtigen.

 

 

 

Der Beklagte beantragt,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Er ist der Auffassung, das Urteil des SG Halle sei nicht zu beanstanden. Die vom geschiedenen Ehemann gezahlten monatlichen Raten in Höhe von 600 € seien als Einkommen zu qualifizieren. Der Güterstand der Zugewinngemeinschaft werde dadurch gekennzeichnet, dass die Ehegatten am jeweiligen Vermögen des anderen dinglich nicht beteiligt sind und dass, wenn der Güterstand anders als durch Tod endet, ein Ausgleich stattfindet, indem dem Ehegatten mit geringerem Zugewinn eine Geldforderung auf die Hälfte des Betrags eingeräumt werde, mit dem der Zugewinn des anderen den eigenen Anspruch übersteigt. Die Zahlungen seien ausdrücklich zur Abgeltung des Zugewinnausgleichs erbracht worden. Der Ausgleichsanspruch sei ein schuldrechtlicher Anspruch, der keine Umschichtung des Vermögens darstelle.

 

Im Erörterungstermin vom 6. Juli 2022 hat der Beklagte ein Teilanerkenntnis dahingehend abgegeben, dass er die Erstattung der Beiträge zur Krankenversicherung nicht mehr geltend macht und die Erstattungsforderung gegen die Klägerin auf 1.041,86 € reduziert. Dieses Teilanerkenntnis hat die Klägerin angenommen.

 

Der Berichterstatter hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss in Betracht komme, und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

 

Der Senat hat die Prozessakten des SG und die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.

 

 

 

II.

 

Der Senat weist die nach dem angenommenen Anerkenntnis noch fortbestehende Berufung durch Beschluss zurück, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beteiligten sind dazu angehört worden.

 

Die Berufung ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft, weil der Beschwerdewert 750 € übersteigt. Die Klägerin wendet sich gegen die Erstattung von Leistungen in Höhe von 1.041,86 € und begehrt höhere Leistungen für Februar 2017. Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG).

 

Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage, soweit sie nicht im Wege des Teilanerkenntnisses vom 6. Juli 2022 erfolgreich war, zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

 

1.a) Die Klägerin verfolgt ihr Begehren statthaft mit der Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG). Denn sie wendet sich nicht nur gegen die Aufhebung und Rückforderung der ihr bewilligten Leistungen für Oktober bis Dezember 2016 und teilweise für Januar bis Februar 2017, sondern sie begehrt auch höhere Leistungen als ihr von dem Beklagten für Januar und Februar 2017 bewilligt wurden.

 

b) Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass kein formgerechter Widerspruch der Klägerin erhoben wurde; die Prozessvoraussetzung eines durchgeführten Vorverfahrens gem. § 78 SGG ist gleichwohl erfüllt. So hat die Klägerin gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 8. März 2017 nur per einfacher E-Mail Widerspruch eingelegt. Nach § 84 SGG in der bis zum 31. Dezember 2017 gültigen Fassung (a. F.) musste der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen hat, eingelegt werden. Dieser Anforderung genügt die elektronische Post nicht. Selbst nach § 84 SGG in der aktuellen Fassung wahrt eine einfache E-Mail nicht die Form, sondern es hätte einer qualifizierten elektronischen Signatur (§ 36a Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – SGB I) bedurft. Entgegen der Rechtsmittelbelehrung des Beklagten war der betreffende Bescheid gem. § 86 SGG auch nicht Gegenstand eines bereits laufenden Widerspruchsverfahrens geworden. Der betreffende Bescheid hat keinen früheren Verwaltungsakt abgeändert. Denn bei der von der Klägerin mit einem „Widerspruch“ angegriffenen Mitteilung über die vorläufige Einstellung der Leistungen vom 27. Januar 2017 handelte es sich nicht um einen Verwaltungsakt. Nach der gesetzlichen Bestimmung in § 331 Abs. 1 SGB III, die in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II auch für das SGB II anwendbar ist, kann die Verwaltung die Zahlung einer laufenden Leistung bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen ohne Erteilung eines Bescheides einstellen. Die betreffende Mitteilung weist auch nicht die Form eines Verwaltungsaktes auf. Der formunwirksame Widerspruch ist gleichwohl nicht schädlich.

 

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte durch den Erlass des Widerspruchsbescheides in der Sache, mit dem er diese Form der Widerspruchseinlegung der Klägerin für zulässig erachtete, den Formfehler geheilt hat (so B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 84 Rn. 7; dagegen Jüttner in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 84 Rn. 16). Jedenfalls - wie bereits das SG zu Recht ausgeführt hat - ist in dieser Fallkonstellation das Widerspruchsverfahren entbehrlich. So ist unter besonderen Umständen die Durchführung eines Vorverfahrens ausnahmsweise als entbehrlich anzusehen, wenn dem Zweck des Vorverfahrens bereits Rechnung getragen ist oder der Zweck nicht mehr verwirklicht werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 2009 – B 4 AS 37/08 R – juris). So eine Fallkonstellation liegt vor. Der Beklagte hat in seinem Widerspruchsbescheid vom 23. März 2017 umfassend die Rechtmäßigkeit des gebundenen Verwaltungsaktes, des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 8. März 2017, in der Sache überprüft. Eine Aussetzung des Verfahrens durch das SG wäre daher nicht sachgerecht gewesen. Der Zweck des Vorverfahrens war bereits erreicht.

 

c) Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie frist- und formgerecht erhoben worden. Die Klägerin hat gegen den Bescheid vom 8. März 2017 bereits innerhalb der Monatsfrist am 5. April 2017 Klage vor dem SG erhoben, so dass es auf die falsche Rechtsmittelbelehrung und deren Auswirkungen auf die Klagefrist nicht ankommt.

 

2. Die Berufung ist nicht begründet. Der Bescheid vom 8. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2017 und der Änderungsbescheid vom 27. November 2017 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 6. Juli 2022 sind rechtmäßig. Die Klägerin ist verpflichtet, Leistungen in Höhe von 1.041,86 € an den Beklagte zu erstatten.

 

Nach § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB II i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X und § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X) oder eine Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Satz 2 Nr. 1 der Vorschrift).

 

Zutreffend hat das SG begründet, dass die Zahlung von 600 € monatlich durch den geschiedenen Ehemann der Klägerin im Rahmen des Zugewinnausgleichs Einkommen der Klägerin i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II darstellt, welches ihren Leistungsanspruch in den Monaten Oktober bis Dezember 2016 ausgeschlossen und in den Monaten Januar und Februar 2017 gemindert hat. Der Zugewinnausgleich stellt einen schuldrechtlichen Anspruch dar, der erst mit der Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft (§ 1378 Abs. 3 BGB), hier mit der Scheidung entsteht. Gem. § 153 Abs. 2 SGG sieht der Senat insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist auf die umfangreichen Ausführungen des SG.

 

Ergänzend ist auf die Einwendungen der Klägerin im Berufungsverfahren auszuführen, dass an der Qualifizierung der Zahlung als Einkommen und nicht als Auszahlung von bereits vorhandenem Vermögen ihr Hinweis auf die notarielle Vereinbarung von 1995 und den Willen der Eheleute nichts ändert. Einkommen i. S. des § 11 Abs. 1 SGB II ist nach der modifizierten Zuflusstheorie grundsätzlich alles das, was jemand nach der Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was der Leistungsberechtigte vor der Antragstellung bereits hatte (ständige Rechtsprechung, statt anderer: BSG, Urteil vom 25. Oktober 2017 – B 14 AS 35/16 R – juris Rn. 22). Auch durch die Vereinbarung vom 3. August 1995 hatte die Klägerin noch keinen grundsicherungsrelevanten Vermögenswert erlangt. Die betreffende Vereinbarung ging davon aus, dass die Klägerin Eigentum an dem Wohnhaus erlangen würde, und für diesen Fall sollte eine spezielle Abwicklungsregelung im Fall der Scheidung geschaffen werden. Insofern handelte es sich um eine spezielle Scheidungsfolgenvereinbarung. Auch durch diese Vereinbarung sollte – wie beim Zugewinnausgleich – ein Ausgleichsanspruch erst im Fall der Scheidung entstehen. In Bezug auf den Vermögenswert selbst scheint die Vereinbarung fälschlich davon ausgegangen zu sein, dass ein Gebäudeeigentum unabhängig von dem Grundstückseigentum (wie im Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik) erworben werden kann. Zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks gehören aber auch die mit dem Grund und Boden verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude (§ 94 BGB) und solche Bestandteile können nicht Gegenstand besonderer Rechte sein (§ 93 BGB). Tatsächlich ist allein entscheidend, ob die Klägerin im Grundbuch als (Mit-)Eigentümerin des Grundstücks eingetragen ist, was hier unterblieben ist und wohl auch unterbleiben sollte, weil das Grundstück auch nach der betreffenden Vereinbarung (allein) dem geschiedenen Ehemann der Klägerin übertragen werden sollte. Weitere Gesichtspunkte, etwa dass die Klägerin die Kredite für das Haus finanziert hat, spielen erst bei dem Ausgleichsanspruch im Rahmen der Scheidung ggf. eine Rolle.

 

Ebenfalls zutreffend hat das SG das Einkommen nur um den monatlichen Kfz-Haftpflichtversicherungsbeitrag und die Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-V bereinigt. Der Gewerkschaftsbeitrag hingegen kann nicht berücksichtigt werden. Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II sind von Einkommen, die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzuziehen. Noch zutreffend verweist die Klägerin darauf, dass nach der Vorschrift eine solche Absetzung nicht nur vom Erwerbseinkommen, sondern auch von sonstigen Einkommen vorgenommen werden kann (vgl. auch BSG, Urteil vom 27. September 2011 – B 4 AS 180/10 R – juris). Gefordert ist jedoch eine Verbundenheit der Aufwendungen mit der Erzielung des Einkommens, eine solche liegt bereits dann vor, wenn die Zielrichtung der Aufwendung mit der Einkunftsart in einer Beziehung steht (vgl. BSG, Urteil vom 27. September 2011 – B 4 AS 180/10 R – juris Rn. 29). Eine solche Verbindung besteht zwischen einem Zugewinnausgleichsanspruch und einem Gewerkschaftsbeitrag nicht. Der Anspruch resultiert aus der Beendigung des Güterstandes der Zugewinngemeinschaft mit der Scheidung, ein Bezug zu der Erwerbstätigkeit besteht nicht. Insofern greift der Hinweis auf die Berücksichtigung des Gewerkschaftsbeitrages auch während des Bezugs einer Entgeltersatzleistung oder anderen Leistungen mit Bezug zur Erwerbstätigkeit (Krankengeld, Arbeitslosengeld oder Rentenleistungen) nicht. Der Bezugspunkt ist, anders als von der Klägerin dargestellt, das Einkommen selbst, also der Zugewinnausgleichsanspruch und nicht die Sozialleistung, bei der das Einkommen angerechnet wird.

 

3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG. Hierbei waren das erstinstanzliche teilweise Obsiegen sowie das zweitinstanzliche Teilanerkenntnis zu berücksichtigen.

 

4. Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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