L 7 AS 297/23 NZB

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 AS 56/22
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 297/23 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Aus der Rechtsprechung des BSG lässt sich die Frage, ob eine Pflicht besteht, im Falle einer Umstellung der Rechtsgrundlage nochmals genau dieselbe Anhörung durchzuführen, wenn diese bereits zu allen in Betracht kommenden Aspekten erfolgt ist, ohne Weiteres beantworten, so dass keine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung veranlasst ist

 

I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. Juli 2023 wird zurückgewiesen.

II. Der Beschwerdeführer trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdegegners.

G r ü n d e :

I.

Streitig im Klageverfahren war die teilweise Aufhebung und Erstattung der Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1.4.2021 bis 1.9.2021 wegen einer Einkommensteuererstattung von 835,46 €.

Der 1989 geb. Kläger und Beschwerdegegner (Bg) war in einem Kaufhaus erwerbstätig. Aufgrund coronabedingter vorübergehender Schließung beantragte der Bg beim Beklagten und Beschwerdeführer (Bf) am 11.1.2021 SGB II-Leistungen in Höhe des Regelbedarfs, die monatweise bewilligt wurden (Bescheid vom 21.1.2021 für Januar; Bescheid vom 1.3.2021 für Februar; Bescheid vom 18.3.2021 für März; Bescheid vom 20.4.2021 für April 2021; Bescheid vom 20.5.2021 für Mai 2021; Bescheid vom 23.8.2021 auf Antrag vom 9.7.2021 für die Zeit vom 1.7.2021 bis 30.6.2022).

Im Zusammenhang mit der Weiterbewilligung ab Juli 2021 wurden am 9.7.2021 Kontoauszüge eingereicht. Danach ging am 31.3.2021 eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 835,46 € auf dem Konto des Bg ein.

Mit Schreiben vom 20.9.2021 hörte der Bf den Bg zur beabsichtigten Überzahlung und Erstattung von 109,24 € (835,46 € ./. 6= 139,24 € -30 € Versicherungspauschale) ab 1.4. bis 31.5. und vom 1.7. bis 30.9.2021 an. Durch die einmalige Einnahme entfiele der Leistungsanspruch im April, so dass die Zahlung auf einen Verteilzeitraum von sechs Monaten gleichmäßig zu verteilen sei. Die Entscheidung sei wegen Verletzung der Mitteilungspflicht aufzuheben (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X). Der Bg sei dieser Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Die Entscheidung sei außerdem wegen Erzielung von Einkommen nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X aufzuheben. Einkommen sei anzurechnen, das zur Minderung des Anspruchs des Bg geführt haben dürfte. Einkommen sei in dem Monat anzurechnen, in dem es zufließe (§ 11 Abs. 2 SGB II). Hierbei komme es auf persönliches Verschulden nicht an. Ferner wurde zur beabsichtigten Aufrechnung angehört.

Mit Bescheid vom 21.10.2021 wurden die Bewilligungen in Höhe von 546,20 € aufgehoben und Erstattung verlangt. Der Bf stützte die Entscheidung auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X und verfügte eine Aufrechnung über monatlich 133,80 € ab 1.12.2021.

Dagegen legte der Bevollmächtigte des Bg mit der Begründung, dass § 45 SGB X die zutreffende Rechtsgrundlage sei, Widerspruch ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.1.2022 wurde auf den Widerspruch der Bescheid vom 21.10.2021 dahingehend korrigiert, als die Rechtsgrundlage der Entscheidung als Rücknahme aus § 45 SGB X folgt. Zudem wird ergänzend in Ziffer I der Verfügung klargestellt, dass die Aufrechnungsankündigung unter der (inhärenten) Bedingung erklärt ist, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufrechnung zum konkreten Aufrechnungszeitpunkt erfüllt sind. In Ziffer II wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Soweit der Widerspruchsführer vortrage, die Entscheidung sei auf § 45 SGB X zu stützen, sei die Rechtsgrundlage umzustellen. Unterschiede in den materiellen Auswirkungen ergäben sich nicht. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme in die Vergangenheit lägen vor, da der Bg jedenfalls im Hinblick auf die Bescheide vom 20.4.2021 und 20.5.2021 grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht habe, indem er den Einkommenszufluss nicht angezeigt habe. Auf die Anzeigepflicht von einmaligem Einkommen werde im Merkblatt hingewiesen, als auch in der zuletzt am 21.1.2021 ausgefüllten Anlage EK und im Weiterbewilligungsantrag vom 9.7.2021. Daneben sei auch der Umstand erfüllt, dass der Bg die Unrichtigkeit aller der von der Rückabwicklung betroffenen Bescheide kannte oder grob fahrlässig nicht kannte. Denn einem normal verständigen Durchschnittsbürger dränge sich die Pflicht zur unverzüglichen Angabe auf, wenn hierauf in Merkblätter und Antragsunterlagen hingewiesen werde.

Hiergegen erhob der Bevollmächtigte des Bg fristgerecht Klage zum Sozialgericht Landshut und begründete diese unter Bezugnahme auf BSG vom 26.7.2016, B 4 AS 47/15 R. Der Umstellung der Rechtsgrundlage im Widerspruchsbescheid sei keine erneute Anhörung vorausgegangen, die erforderlich gewesen wäre.

Der Bf war der Auffassung, dass das Gesetz keine zwei Anhörungen vorschreibe. Faktisch sei der Bg zusätzlich im Ordnungswidrigkeitenverfahren angehört worden. Dort habe der Bg wahrheitswidrig behauptet, kein Merkblatt erhalten zu haben, und habe im Übrigen die Tat bestritten. Es sei nicht zu erwarten gewesen, dass sich der Bg in einer 3. Anhörung anders geäußert hätte. Der Bg habe selbst vortragen lassen, dass die richtige Rechtsgrundlage § 45 SGB X sei. Es sei nicht nachvollziehbar, was eine weitere Anhörung noch hätte erbringen sollen, wenn dem Vortrag in Bezug auf die Rechtsgrundlage voll entsprochen werde. Damit liege an sich eine Abhilfe vor, weshalb das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Maßgeblich sei, dass sich der Bg zur Rechtsfolge habe erklären können. Denn nicht die Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen greife in die Rechte des Leistungsempfängers ein, sondern die Umsetzung der ermittelten Erkenntnisse in Form eines Bescheides. Es komme für das Ergebnis der Erstattungspflicht nicht darauf an, auf welche konkrete Rechtsgrundlage diese gestützt werden könne, wenn eine der in Betracht kommenden tatsächlich erfüllt sei.

Mit Urteil vom 5.7.2023 hob das Sozialgericht den Bescheid vom 21.10.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.1.2022 auf. Es fehle an einer ordnungsgemäßen Anhörung, da der Bf den Ausgangsbescheid auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, den Widerspruchsbescheid dagegen auf § 45 Abs. 1 und 2 Satz 3 SGB X gestützt habe. Die Anhörung vom 20.9.2021 habe sich auf den Vorwurf einer zumindest grob fahrlässigen Unterlassung einer Mitteilung wesentlicher Änderungen bezogen. Der Widerspruchsbescheid stützte sich hingegen auf den Umstand, dass der Bg jedenfalls in Bezug auf die Bescheide vom 20.4.2021 und 20.5.2021 vor Erlass der Bescheide grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht habe. Nicht mitgeteilte Änderungen während des Leistungsbezugs und unrichtige Angaben bei Antragstellung seien nicht identisch. Nicht maßgeblich sei eine Anhörung im Ordnungswidrigkeitenverfahren oder dass der Bevollmächtigte des Bg erkannt habe, dass die Entscheidung zutreffenderweise auf § 45 SGB X zu stützen sei. Der Anhörungsmangel sei im Widerspruchs- und Klageverfahren nicht geheilt worden. Die Berufung wurde im Urteil nicht zugelassen.

Dagegen legte der Bf Nichtzulassungsbeschwerde ein. Der Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung, weil sie eine erhebliche Unsicherheit dahingehend schaffe, wie der Bf seine tägliche Arbeit im Rahmen einer Massenverwaltung im Grundsicherungsbereich rechtssicher verrichten solle. Das Gericht postuliere hier faktisch in einem nicht nachvollziehbaren Umfang Anhörungen, die das aktuelle Vorgehen des Bf, welchem bislang keine wesentlichen Bedenken gegenübergestanden seien, erschwerten und gehe über das hinaus, was das BSG in diesem Zusammenhang festlege und vom Gesetz vorgeschrieben werde. Das Gericht gebe zu erkennen, dass es die gesetzgeberische Intention, materiell-rechtmäßiges Handeln möglichst gemäß § 34 SGB X in seiner Geltung zu erhalten, missachte, ohne hierfür eine tragfähige Begründung zu liefern. Außerdem bestehe Wiederholungsgefahr, wenn sorgfaltswidriges Handeln und die vollkommene Ignoranz von Argumenten und Einwänden des Bf unter dem Schutz der Unangreifbarkeit erfolgen könnten. Außerdem liege eine Divergenz vor, da die Rechtsgedanken der zitierten Entscheidungen B 4 AS 37/09 R und B 4 AS 47/15 R vom Gericht falsch bzw. gar nicht übertragen worden seien. Die BSG-Entscheidungen hätten hier nicht einschlägige Sachverhalte betroffen. Denn der Bf habe auch zu den inneren Tatsachen angehört. In der angehängten Berufungsbegründung legte der Bf weiter dar, dass das SG-Urteil verfahrensfehlerhaft sei, da die Argumentation des Bf vollkommen ignoriert worden sei. Das rechtliche Gehör sei verletzt, wenn das Gericht keines der Argumente des Bf ernsthaft geprüft und widerlegt habe. Hätte es dies gemacht, hätte es im Sinne des Bf entscheiden müssen. Außerdem handle es sich um eine Überraschungsentscheidung, da das Gericht zu keinem Zeitpunkt auf den Umstand hingewiesen habe, dass es von der BSG-Rechtsprechung abweichen und diese enger auslegen werde, als von diesem selbst.

Der Bf beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5.7.2023 zuzulassen.

Der Bevollmächtigte des Bg beantragt,
die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

Ein Zulassungsgrund liege nicht vor. Der Bf wende sich lediglich inhaltlich gegen die Entscheidung des Sozialgerichts. Ob die Entscheidung im Einzelfall richtig sei, verleihe ihr keine grundsätzliche Bedeutung. Der Bf habe auch nicht konkret dargelegt, welchen Rechtssatz es abstrakt abweichend von der BSG-Rechtsprechung aufgestellt habe. Ein Verfahrensmangel sei nicht dargelegt worden.

Das Gericht hat den Bf mit gerichtlichem Schreiben vom 18.9.2023 zur Stellungnahme aufgefordert, über welche bislang nicht geklärte Rechtsfrage entschieden werden soll. Die bisherigen Ausführungen richteten sich im Wesentlichen gegen die inhaltliche Richtigkeit der SG-Entscheidung. Demgemäß biete die Beschwerde derzeit keine Aussicht auf Erfolg.

Hierauf erwiderte der Bf, dass der Ausgangsschriftsatz ausführlich auf etliche Punkte eingehe. Es sei gleichzeitig für die Berufung dargelegt worden, was das Sozialgericht falsch gemacht habe. Fakt sei, dass das BSG eine Anhörung vorsehe. Das Sozialgericht habe in seiner Entscheidung unter Bezug auf die BSG-Rechtsprechung aber objektiv postuliert, dass es im Falle einer Umdeutung zwei (gleiche) sein müssten. Weshalb dies der Fall sei, könne weder der Vertreter des Bg noch das Ausgangsgericht begründen. Die Entscheidung sei nicht "bloß" falsch, sondern zeige eine irrende Rechtsauffassung, unnötige Förmelei, und eine wesentliche Abweichung von der ins Feld geführten BSG-Rechtsprechung auf. "Als EuGH-konforme Pseudo-Vorlagefrage" formuliert müsste sie an das BSG gerichtet in etwa lauten: "Hat Ihre Rechtsprechung zur Folge, dass die Pflicht besteht, im Falle einer Umstellung der Rechtsgrundlage nochmals genau dieselbe Anhörung durchzuführen, wenn diese bereits zu allen in Betracht kommenden Aspekten erfolgt ist?" Nur weil die Antwort diesseits eindeutig "Nein" lauten müsse, heiße das nicht, dass das SG Landshut dies nicht anders sehe und damit auch künftig von den Vorgaben des BSG abweiche. Deshalb bedürfe dieser Umstand der Klärung und Korrektur. Was genau nun so fehlerhaft sei, dass es die Zulassung nicht begründen könne, erkläre im Übrigen auch das Schreiben des Senats nicht.

II.

Die gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 SGG fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes einer Klage, die - wie hier - eine Geldleistung betrifft, insgesamt 750 € nicht übersteigt. Dieser Gegenstandswert wird nicht erreicht. Die teilweise Aufhebung der Bewilligung und Erstattungsforderung beträgt nur 546,20 €. Die Berufung ist auch nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig, da keine laufenden oder wiederkehrenden Leistungen für mehr als ein Jahr streitig sind.

Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist ausschließlich die Frage, ob ein Zulassungsgrund vorliegt, der nach § 144 Abs. 2 SGG die Zulassung der Berufung rechtfertigt.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist gegeben, wenn die Streitsache - über den Einzelfall hinaus - eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei das Vorliegen eines Individualinteresses nicht ausreichend ist (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 13. Auflage 2020, § 144 Rn 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand von Rechtsprechung und Literatur nicht ohne weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten ist oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 160 Rn 8 ff). Die Voraussetzungen der abstrakten Klärungsbedürftigkeit und konkreten Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sind ebenso wie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung darzulegen.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist vorliegend zu verneinen. Es fehlt eine abstrakt klärungsbedürftige Rechtsfrage. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in die Rechte eines Betroffenen eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Vor Erlass des Widerspruchsbescheides ist der Beteiligte dann erneut anzuhören, wenn er ohne erneute Anhörung in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wäre. Dies ist der Fall, wenn die Verwaltung aufgrund des Vorbringens des Beteiligten oder anderer Umstände neu ermittelt und sie ihre Entscheidung aufgrund der Ermittlungsergebnisse auf neue rechtserhebliche Tatsachen stützen will, wenn die Widerspruchsbehörde ihrer Entscheidung also einen zumindest teilweise anderen Sachverhalt zugrunde legen will oder den Wesensgehalt des Verwaltungsakts z.B. durch eine Umdeutung nach § 43 SGB X abwandelt (vgl. Schütze, SGB X, Kommentar, 9. Auflage 2020, § 24 Rn 8). Auch das BSG hat sich dazu geäußert, zu welchen Tatsachen anzuhören und unter welchen Voraussetzungen eine erfolgte Anhörung zu wiederholen ist. Nach BSG vom 9.11.2010, B 4 AS 37/09 R, sind entscheidungserheblich alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, das heißt, auf die sich die Verwaltung auch gestützt hat. Unter welchen Voraussetzungen eine Anhörung zu wiederholen ist, hat das BSG bereits entschieden. Nach BSG vom 15.8.2002, B 7 AL 38/01 R, Rn 22, ist nach ordnungsgemäßer Anhörung eine erneute Anhörung nur dann geboten, wenn der Betroffene ansonsten an einer sachgerechten Rechtsverteidigung gehindert ist. Der Beteiligte soll nicht durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen er sich nicht äußern konnte. Dies ist nicht bereits dann der Fall, wenn die zu Grunde gelegten Tatsachen im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid nicht voll und ganz identisch sind. Aus dem dargestellten Sinnzusammenhang folgt vielmehr, dass eine nochmalige Anhörung nur unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich ist. Diese sind namentlich dann als gegeben zu erachten, wenn die Verwaltung auf Grund des Vorbringens des Beteiligten oder aus anderen Gründen neu ermittelt und sie sich infolge der durchgeführten Ermittlungen auf neue erhebliche Tatsachen stützen will. Nach BSG vom 26.7.2016, B 4 AS 47/15 R, Rn 13, ist für den Fall, dass sich eine Behörde erstmals im Widerspruchsbescheid auf die innere Tatsache, dass die betroffene Person die Rechtswidrigkeit des Bescheids zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt hat, bezieht, weil sie den Ausgangsbescheid noch auf § 48 SGB X gestützt hat, erneut Gelegenheit zu einer vorherigen Stellungnahme einzuräumen. Angesichts dieser Grundsätze in Rechtsprechung und Literatur ist die vom Bf gestellte Frage "Hat Ihre Rechtsprechung zur Folge, dass die Pflicht besteht, im Falle einer Umstellung der Rechtsgrundlage nochmals genau dieselbe Anhörung durchzuführen, wenn diese bereits zu allen in Betracht kommenden Aspekten erfolgt ist?" nicht klärungsbedürftig. Denn diese Rechtsfrage ist unter Berücksichtigung der in Rechtsprechung und Literatur aufgestellten Grundsätze ohne weiteres, so wie dies auch der Bf macht, mit Nein zu beantworten.

Ob dagegen das Sozialgericht in Anwendung oben genannter Grundsätze die zutreffenden Schlussfolgerungen gezogen hat, ist keine klärungsbedürftige Rechtsfrage, sondern eine Tatsachenfrage. Soweit also der Bf umfangreich darlegt, aus welchen Gründen seiner Meinung nach die Entscheidung des Sozialgerichts falsch ist, betrifft dies die materielle Unrichtigkeit der Entscheidung, die keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache zu begründen vermag.

Unabhängig davon ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Anhörung erneut vorzunehmen ist, vorliegend auch nicht klärungsfähig. Es kommt letztlich nicht darauf an, ob der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid bereits formell rechtswidrig ist. Denn er war aufgrund materieller Rechtswidrigkeit aufzuheben, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 SGB X entgegen der Rechtsauffassung des Bf nicht erfüllt sind. Im Übrigen erfordert eine Abweichung vom Regelbewilligungszeitraum bei einer endgültigen Bewilligung, wie hier bei der vorgenommenen monatsweisen endgültigen Bewilligung, eine Ermessensausübung, die sich in den Bewilligungsbescheiden des Bf für die Zeit ab 1.1.2021 nicht findet (vgl. § 41 Abs. 3 SGB II).

Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Der Bg hat keine unrichtigen Angaben gemacht. Eine Unrichtigkeit von Angaben kann sich auch bei passivem Verschweigen von Umständen ergeben. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine Mitteilungspflicht nach § 60 SGB I zu den verschwiegenen Umständen bestanden hat. Dies betrifft nach § 60 Satz 1 Nr. 2 SGB I die Korrektur von ursprünglich zutreffenden Angaben und nach § 60 Satz 1 Nr. 1 SGB I auch die Nichtmitteilung von Umständen, die für die fragliche Leistung rechtlich erheblich waren und deren Erheblichkeit dem Betroffenen bekannt war oder sein musste (vgl. Schütze, a.a.O., § 45 Rn 56). Der Einkommenszufluss am 31.3.2021 führt ohne weiteres zu einer Mitteilungspflicht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I wegen Änderung der Verhältnisse im laufenden Bewilligungszeitraum (hier: März) in Bezug auf den Bescheid vom 18.3.2021, zumal wenn der Zufluss fast doppelt so hoch ist wie die bewilligte SGB II-Leistung. In Bezug auf den Bescheid vom 20.4.2021 und 20.5.2021 hat der Bg jedoch aktiv keine unrichtigen Angaben gemacht. Nach Ablauf des Bewilligungszeitraums zum 31.3.2021 bzw. 30.4.2021 hat der Bg keinen neuen Antrag für die Zeit ab 1.4.2021 bzw. 1.5.2021 gestellt. Insofern gab es keine (neuen) Angaben, die unrichtig geworden sind und bis zum Erlass der Bewilligungsbescheide hätten korrigiert werden müssen. Der Einkommenszufluss am 31.3.2021 war zwar wegen § 11 Abs. 3 SGB II auch für Folgezeiträume leistungsrelevant, jedoch gibt es nach Aktenlage keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Leistungserheblichkeit für die Zeit ab 1.4.2021 dem Bg bekannt war. Einem Laien muss sich die Anwendung von § 11 Abs. 3 SGB II auch nicht aufdrängen. Der Bf selbst war nicht in der Lage, trotz positiver Kenntnis des Einkommenszuflusses seit Juli 2021 § 11 Abs. 3 SGB II ordnungsgemäß im Bescheid vom 23.8.2021 umzusetzen. In Bezug auf den Bescheid vom 23.8.2021 fehlt es nicht nur an unrichtigen bzw. unrichtig gewordenen Angaben gegenüber dem Antrag vom 9.7.2021, sondern auch an der erforderlichen Kausalität, wenn der Bf in Kenntnis des Einkommenszuflusses § 11 Abs. 3 SGB II im Bescheid nicht berücksichtigt.

Entgegen der Auffassung des Bf ist § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X nicht gegeben. Vertrauensschutz scheidet danach aus, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Es ist nicht festzustellen, dass der Bg grob fahrlässige Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 20.4.2021, 20.5.2021 und 23.8.2021 hatte. Wie bereits ausgeführt, ist für einen Laien nicht offensichtlich, dass ein Einkommenszufluss im abgelaufenen Bewilligungszeitraum auch noch leistungsrechtliche Relevanz für Folgezeiträume hat. Dies gilt umso mehr als der Bf auch nicht in der Lage war, den Einkommenszufluss im Bescheid vom 23.8.2021 gemäß § 11 Abs. 3 SGB II trotz positiver Kenntnis der leistungsrelevanten Umstände korrekt umzusetzen.

Eine Divergenz i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nicht vor. Eine solche ist nur gegeben, wenn einerseits ein abstrakter Rechtssatz der anzufechtenden Entscheidung und andererseits ein der Entscheidung eines der in Nummer 2 genannten Gerichte zu entnehmender abstrakter Rechtssatz nicht übereinstimmen (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 144 Rn 30, § 160 Rn 13). Dabei liegt eine Abweichung nicht schon dann vor, wenn das Urteil des Gerichts nicht den Kriterien entspricht, die die in Nummer 2 genannten Gerichte aufgestellt haben, sondern erst dann, wenn das Gericht diesen Kriterien widerspricht, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt. Nicht die materiell-rechtliche Unrichtigkeit im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet einen Zulassungsgrund wegen Abweichung (vgl. BSG vom 15.11.2012, B 13 R 481/12 B).

Das Sozialgericht Landshut hat in seiner Entscheidung keinen abstrakten Rechtssatz entwickelt, der von den Rechtsgrundsätzen des BSG insbesondere in seinen Entscheidungen vom 15.8.2002, B 7 AL 38/01 R, vom 9.11.2010, B 4 AS 37/09 R und vom 26.7.2016, B 4 AS 47/15 R abweichen würde. Der Bf hat einen solchen abstrakten, von der BSG- Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz des Sozialgerichts im Übrigen auch nicht sinngemäß aufgezeigt. Seine Ausführungen richten sich im Wesentlichen nur gegen die materielle Unrichtigkeit der Entscheidung.

Auch ein Verfahrensmangel nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG i.S. einer Gehörsverletzung liegt nicht vor. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs umfasst den Anspruch auf Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten durch das Gericht. D.h. das Gericht muss den schriftlichen und mündlichen Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und mit in seine Erwägungen einbeziehen (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 62 Rn 7). Dies hat das Sozialgericht getan. Es hat in den Entscheidungsgründen begründet, weshalb es nicht von einer ordnungsgemäßen Anhörung ausgeht. Dabei ist es auf das Argument des Bf zur Anhörung im Ordnungswidrigkeitenverfahren ebenso eingegangen wie auf den Einwand, dass der Prozessbevollmächtigte im Widerspruchsverfahren selbst auf die zutreffende Rechtsgrundlage des § 45 SGB hingewiesen hat. In Erwägung ziehen heißt allerdings entgegen der Rechtsauffassung des Bf nicht, dass dem Vortrag eines Beteiligten gefolgt und dessen Rechtsauffassung geteilt werden muss. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist auch nicht i.S. einer Überraschungsentscheidung anzunehmen. Insbesondere besteht keine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage, noch ist es verpflichtet, seine Rechtsauffassung zur Rechtssache und zu den Erfolgsaussichten der Klage zu erkennen zu geben (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 62 Rn 8 und 8a). Die Frage der möglichen Rechtswidrigkeit aufgrund einer fehlenden ordnungsgemäßen Anhörung war im Übrigen das Hauptargument des Bevollmächtigten des Bg in der Klagebegründung. Der Bf hatte Gelegenheit zur Klageerwiderung. Insofern ist es gerade nicht überraschend, wenn die Aufhebung des angegriffenen Bescheides im Urteil auf die formelle Rechtswidrigkeit wegen fehlender ordnungsgemäßer Anhörung gestützt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und dem Umstand, dass die Beschwerde erfolglos blieb.

 Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

 

Rechtskraft
Aus
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