L 3 AL 35/23

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 AL 213/20
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 35/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. "Sachlich bescheiden" bedeutet nicht, dass einem Antrag stattgegeben werden muss, wohl aber dass in der Sache eine Entscheidung getroffen wird und sei es, dass der Antrag als unzulässig abgelehnt wird (Anschluss an. BSG, Urteil vom 11. November 2003 – B 2 U 36/02 RSozR 4-1500 § 88 Nr. 1 = juris Rdnr. 15).

2. Ein behördliches Schreiben, in dem lediglich auf einen früheren Bescheid verwiesen wird, ist keine Bescheidung eines Überprüfungsantrages.

3. Für eine Untätigkeitsklage ist es grundsätzlich unerheblich, ob der Kläger einen Anspruch in der Sache selbst hat oder ob der beantragte Bescheid materiell-rechtliche Auswirkungen für ihn hat. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, steht es dem Kläger grundsätzlich frei, eine Bescheidung zu verlangen.

4. Zur Frage, ob eine Ausnahme von einem Anspruch auf Bescheidung eines Antrages zuzulassen ist, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinen denkbaren Umständen bestehen kann.

I.     Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Dresden vom 24. Februar 2023 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Überprüfungsantrag des Klägers vom 25. Juni 2020 zu bescheiden.

II.    Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu tragen.

III.   Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Der Kläger wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid, mit dem seine Untätigkeitsklage abgewiesen wurde.

 

Die Beklagte hatte unter dem 18. April 2016 gegenüber dem Kläger zwei Bescheide erlassen. Mit dem einen hob sie die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 16. Februar 2016 auf. Mit dem zweiten machte sie eine Erstattungsforderung in Höhe von 1.115,10 EUR geltend. Dagegen betrieb der Kläger zunächst ein Klageverfahren unter dem Az.: S 9 AL 315/16 und nachfolgend eine Nichtzulassungsbeschwerde unter dem Az.: L 3 AL 93/19 NZB. Später erhob der Kläger erfolglos eine Wiederaufnahmeklage (Az.: S 5 AL 81/22 WA); das Berufungsverfahren hierzu ist beim erkennenden Senat unter den Az.: L 3 AL 51/22 anhängig.

 

Mit Mahnschreiben vom 19. Mai 2017 forderte die Beklagte den Kläger unter Fristsetzung zur Zahlung einer Forderung in Höhe von 1.121,10 EUR auf und setzte zugleich eine Mahngebühr in Höhe von 6,00 EUR fest. Auf den Widerspruch des damals anwaltlich vertretenen Klägers hob die Beklagte mit Bescheid vom 18. Juli 2017 die Entscheidung über die Festsetzung der Mahngebühr auf. Damit sei den Widerspruch in vollem Umfange entsprochen worden.

 

Die Beklagte erließ am 21. April 2020 ein neues Mahnschreiben, dass dem früheren vom 19. Mai 2017 entsprach.

 

Der nunmehr nicht mehr vertretene Kläger stellte am 9. Juni 2020 einen Überprüfungsantrag zum Mahnschreiben vom 19. Mai 2017 "wegen ihrer Rechtsverletzung hemmender Wirkung". Zugleich forderte er die Beklagte auf, "diese Mahnung und die Mahngebühr von 6,- € zurückzunehmen." Es sei auffällig, dass die Beklagte auch aktuellen dieses Recht wiederholend verletze.

 

Die Beklagte richtete an den Kläger mit Schreiben vom 16. April 2020 eine Zahlungsaufforderung. Nach dem Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichtes vom 26. Februar 2020 [gemeint ist der Beschluss zur Nichtzulassungsbeschwerde Az.: L 3 AL 93/19 NZB] habe er einen Betrag in Höhe von 1.115,10 EUR zu erstatten.

 

Am 25. Juni 2020 stellte der Kläger einen weiteren Überprüfungsantrag zu dem Mahnschreiben. Ergänzend trug er vor, dass die Mahnung auch inhaltlich unsachlich rechtswidrig sei, "wenn laufende Verfahren in der Wahrheitsfindung bis final aktiv sind." Er forderte die Beklagte auf, zukünftig derartige Rechtsverletzungen zu unterlassen.

 

Die Beklagte verwies mit Schreiben vom 8. Juli 2020 auf den Abhilfebescheid vom 18. Juli 2017, welcher an den Klägerbevollmächtigten übersandt worden sei. Dem Schreiben war ein Ausdruck des Abhilfebescheides beigefügt.

 

Der Kläger beantragte am 22. August 2021 den Erlass der Forderung aus dem Bescheid vom 18. April 2016.

 

Der Kläger hat am 7. Juli 2020 Untätigkeitsklage erhoben.

 

Die Beklagte hat erwidert, dass der Kläger mit seinem Überprüfungsantrag die Rücknahme von Mahngebühren begehre. Seitens der Beklagten seien jedoch keine Mahngebühren erlassen worden.

 

In der DE-Mail vom 20. Oktober 2021 hat der Kläger gefordert, die Mahnung mit Mahngebühr "wegen Betrug durch die hier beklagte Agentur für Arbeit und den Verfahren L 3 AL 75/21 B ER nach S 9 AL 118/20 ER, durch den Beklagten als gegenstandslos, zu erklären." Mit DE-Mail vom 25. April 2022 hat der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, "in Klagebezug ein Bescheid zu erstellen".

 

Auf den Hinweis des Sozialgerichtes, dass Zweifel am Rechtsschutzbedürfnis der Klage bestünden, hat der Kläger erklärt, dass für ihn nicht erkennbar sei, dass die "Mahnung" und die "Frist" durch die Beklagte aufgehoben oder annulliert worden sei. Mit dem Schreiben vom 18. Juli 2017 seien lediglich die Mahngebühren aufgehoben worden. Er beantrage, den Beklagten zu verurteilen, die "Mahnung" und die "Frist" "mittels Bescheid in Zustellung" aufzuheben.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2023 abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, weil die Beklagte nicht untätig gewesen sei. Denn sie habe mit Schreiben vom 8. Juli 2020 eine Entscheidung über den Überprüfungsantrag getroffen, indem sie auf ihre bestandskräftige Entscheidung im Abhilfebescheid vom 18. Juli 2017 verwiesen und diese Entscheidung nochmals als Anlage beigefügt habe. Mit dem Bescheiderlass sei das Klageziel bereits vor der Klageerhebung erreicht gewesen. Mit der Abhilfeentscheidung vom 18. Juli 2017 sei auch das gesetzte Zahlungsziel hinfällig geworden. Ein weitergehendes Überprüfungsbegehren und Rechtsschutzbedürfnis für eine Weiterverfolgung der Klage werde durch das Gericht nicht gesehen.

 

Der Kläger hat am 6. März 2023 Berufung eingelegt. In einem Überprüfungsantrag seien nach anzuwendender Rechtslage alle zu betrachtenden Rechtssachen überprüfend zu beurteilen. Das sei hier nicht geschehen. Außerdem fehle es an einem Bescheid.

 

Der Kläger beantragt sinngemäß,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Dresden vom 24. Februar 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Überprüfungsantrag des Klägers vom 25. Juni 2020 zu bescheiden

 

Die Beklagte beantragt unter Verweis auf die Ausführungen in der erstinstanzlichen Entscheidung,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte ist mit gerichtlichem Schreiben vom 4. April 2023 gebeten worden, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob zu dem Überprüfungsantrag des Klägers vom 25. Juni 2020 eine Entscheidung ergangen ist, und aufgrund welcher Umstände eine solche Entscheidung eventuell im Schreiben vom 8. Juli 2020 enthalten sein könnte. Unabhängig davon ist angeregt worden zu prüfen, ob zu dem Überprüfungsantrag vom 25. Juni 2020, soweit noch nicht geschehen, ein förmlicher Verwaltungsakt erlassen werden sollte.

 

Hierzu hat die Beklagte im Schriftsatz vom 25. April 2023 ausgeführt, dass sie mit der Abhilfeentscheidung vom 18. Juli 2017 die einzig und allein in der Mahnung vom 19. Mai 2017 als Verwaltungsakt zu qualifizierende Entscheidung über die Mahngebührenfestsetzung aufgehoben habe. Damit habe zum Zeitpunkt des Eingangs des Überprüfungsantrages vom 25. Juni 2020 in der Mahnung vom 19. Mai 2017 selbst kein Verwaltungsakt mehr vorgelegen, der nach § 44 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) hätte überprüft werden können. Dies habe sie auch mit dem Schreiben vom 8. Juli 2020 zum Ausdruck bringen wollen. Nach ihrer Auffassung habe es daher auch nicht des Erlasses eines förmlichen Verwaltungsaktes zum Überprüfungsantrag bedurft. Dem Kläger gehe es um die komplette Beseitigung des Mahnschreibens vom 19. Mai 2017. Hierbei handelt es sich jedoch um eine reine Zahlungsaufforderung, die als unselbständige Vorbereitungshandlung zu Vollstreckungshandlungen nicht anfechtbar sei. Sie, die Beklagte, gehe daher mit dem erstinstanzlichen Gericht davon aus, dass der vorliegenden Untätigkeitsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehle.

 

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers verhandeln und entscheiden, weil er hierauf in der Ladung hingewiesen worden ist (vgl. § 153 Abs. 1 i. V. m. § 110 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

 

II. Die zulässige Berufung ist begründet, weil das Sozialgericht zu Unrecht die Klage abgewiesen hat. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte einen Bescheid zu seinem Überprüfungsantrag vom 25. Juni 2020 erlässt.

 

Nach § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist, nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig.

 

1. Die Beklagte hat den Überprüfungsantrag des Klägers vom 25. Juni 2020 nicht beschieden.

 

"Sachlich bescheiden" bedeutet nicht, dass dem Antrag stattgegeben werden muss, wohl aber dass in der Sache eine Entscheidung getroffen wird und sei es, dass der Antrag als unzulässig abgelehnt wird (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003 – B 2 U 36/02 RSozR 4-1500 § 88 Nr. 1 = juris Rdnr. 15). Keine sachliche Bescheidung sind Zwischenmitteilungen oder die Weigerung, sich mit der Sache überhaupt zu befassen (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 1993 – 14b/4 REg 1/91BSGE 72, 118 [120] = SozR 3-7833 § 6 Nr. 2 = juris Rdnr. 17, m. w. N.; BSG, Urteil vom 11. November 2003, a. a. O.).

 

Eine Bescheidung des Überprüfungsantrages des Klägers vom 25. Juni 2020 liegt nicht im Schreiben der Beklagten vom 8. Juli 2020. Denn es handelt sich bei diesem Schreiben nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Das Schreiben der Beklagten vom 8. Juli 2020 ist kein Verwaltungsakt in diesem Sinne, und zwar weder in formeller noch in inhaltlicher Hinsicht. Das Schreiben ist weder als Bescheid noch in sonstiger Weise als Verwaltungsakt gekennzeichnet noch enthält es die nach § 66 Abs. 1 SGG erforderliche und in der Praxis übliche Rechtsbehelfsbelehrung. Auch inhaltlich ist nicht über den Überprüfungsantrag entschieden worden. Es ist lediglich auf einen früheren Bescheid mit einer Entscheidung über die Aufhebung einer in dem Mahnschreiben vom 19. Mai 2017 enthaltenen Festsetzung einer Mahngebühr verwiesen worden.

 

2. Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung in angemessener Frist liegt nicht vor.

 

Für eine Untätigkeitsklage ist es grundsätzlich unerheblich, ob der Kläger einen Anspruch in der Sache selbst hat oder ob der beantragte Bescheid materiell-rechtliche Auswirkungen für ihn hat. Selbst wenn dies nicht der Fall ist steht es dem Kläger grundsätzlich frei, eine Bescheidung zu verlangen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Oktober 2016 – L 10 R 319/16 – juris Rdnr. 10; Claus, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG [2. Aufl., 2022], § 88 SGG Rdnr. 21; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], § 88 SGG Rdnr. 4a).

 

Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 11. November 2003 entschieden, dass unter anderem eine fehlende Zuständigkeit keinen zureichenden Grund im Sinne von § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG darstellt. Denn selbst wenn ein von einem Antragsteller angegangener Leistungsträger meine, für eine bestimmte Leistung nicht zuständig zu sein, müsse es dem Antragsteller möglich sein, dies gerichtlich überprüfen zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2003, a. a. O., Rdnr. 16).

 

Im vorliegenden Fall ist zwar der Hinweis der Beklagten zutreffend, dass das Mahnschreiben vom 19. Mai 2017 keine Regelung im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X enthält und infolge der Aufhebung der im Mahnschreiben vom 19. Mai 2017 festgesetzten Mahngebühr im Abhilfebescheid vom 18. Juli 2017 kein einem Überprüfungsverfahren zugänglicher Verwaltungsakt mehr vorliegt. Denn nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist eine der Voraussetzungen für ein Überprüfungsverfahren, dass sich im Einzelfall ergibt, dass "bei Erlass eines Verwaltungsaktes" das Recht richtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Gleichwohl muss es dem Kläger auf der Grundlage des Urteils des Bundessozialgerichtes vom 11. November 2003 möglich sein, dies gerichtlich prüfen zu lassen. Ein fehlender Verwaltungsakt, auf den sich ein Überprüfungsantrag bezieht, ist jedoch noch kein ausreichender Grund, den Antrag nicht zu bescheiden.

 

Dem folgt grundsätzlich auch das Landessozialgericht Hamburg im Urteil vom 20. April 2005. Es hat ausgeführt, dass die Verwaltung grundsätzlich auch einen unzulässigen Widerspruch zu bescheiden hat, zum Beispiel Widersprüche, die verfristet sind oder für die kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Es hat unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundessozialgerichts es vom 11. November 2003 erwogen, dass dies auch für Widersprüche gelten dürfte, die sich gegen einen Verwaltungsakt richten, mit denen die Behörde die beantragte Leistung mangels eigener Zuständigkeit abgelehnt hat. Im Widerspruchsbescheid sei dann auszuführen, dass der Widerspruch mangels Vorliegen der Zulässigkeits- oder Zuständigkeitsvoraussetzungen keinen Erfolg haben konnte (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 20. April 2005 – L 1 KR 90/03 – juris Rdnr. 22). Es hat dann jedoch ausgeführt, dass anderes gelte, wenn überhaupt kein Verwaltungsakt vorliege, gegen den durch die Einreichung eines Widerspruches ein Vorverfahren, das mit der Erhebung des Widerspruchs beginne, eingeleitet worden sei. Denn der Rechtsbehelf des Widerspruchs sei begrifflich daran geknüpft, dass er sich gegen einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X richte. Wenn es an einem Verwaltungsakt fehle, sei die angegangene Behörde weder verpflichtet noch sei es ihr – aus allein rechtsdogmatischer Sicht – möglich, einen Widerspruchsbescheid zu erteilen (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 20. April 2005, a. a. O., Rdnr. 23). Zwar sei es der Behörde nicht verwehrt, in Fällen, in denen ein Verwaltungsakt nicht erlassen worden oder dies zweifelhaft sei, dem „Widersprechenden" aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Verwaltungsökonomie einen förmlichen Widerspruchsbescheid zu erteilen. Eine Verpflichtung der Behörde zum Erlass eines solchen Widerspruchsbescheids bestehe aber nicht (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 20. April 2005, a. a. O., Rdnr. 24).

 

Der Rechtsauffassung des Landessozialgerichtes Hamburg ist aber nicht zu folgen. Denn auch eine Anfechtungsklage setzt nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG einen Verwaltungsakt voraus. Wenn eine Anfechtungsklage erhoben wird, der kein Verwaltungsakt vorausgegangen ist, und die auch nicht in eine andere Klageart umgedeutet oder als eine andere Klage ausgelegt werden kann, ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Das Gericht darf nicht wegen der fehlenden Sachurteilsvoraussetzung "Verwaltungsakt" den Erlass einer Gerichtsentscheidung ablehnen.

 

3. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass eine Ausnahme von der Verpflichtung einer Behörde, zu einem Antrag einen Bescheid erlassen zu müssen, bestehe, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem baren Gesichtspunkt bestehen kann. Dies wird damit begründet, dass in einem solchen Fall das Rechtsschutzbedürfnis als eine allgemeine Sachurteilsvoraussetzung, die bei jeder Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gegeben sein muss, so auch bei einer Untätigkeitsklage (vgl. Wolff-Dellen, in: Fichte/Jüttner, SGG [3. Aufl. 2020], § 88 SGG Rdnr. 3), fehle (vgl. z. B. Wolff-Dellen, a. a. O.). Zum Teil wird – noch enger gefasst – eine Ausnahme in Fällen rechtsmissbräuchlicher Rechtsverfolgung bejaht, wenn ein materiell-rechtlicher Anspruch offensichtlich unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausscheidet und die Erhebung der Untätigkeitsklage sich lediglich als Ausnutzung einer formalen Rechtsposition ohne eigenen Nutzen und zum Schaden für den anderen Beteiligten darstellt (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. Oktober 2016 – L 10 R 319/16 – juris Rdnr. 10; Claus, a. a. O., m. w. N.; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG [13. Aufl., 2020], § 88 Rdnr. 4a m. w. N.). Einige der Vertreter der zuletzt genannten Auffassung schränken noch weiter ein, dass die Abweisung einer Untätigkeitsklage als unzulässig wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick darauf, dass die Behörde grundsätzlich verpflichtet sei, Anträge oder Widersprüche zu bescheiden, die absolute Ausnahme darstellen sollte (vgl. Claus, a. a. O.; Schmidt, a. a. O.).

 

Das Bundessozialgericht hat im Urteil vom 11. November 2003 ausdrücklich offengelassen, ob eine solche Ausnahme zuzulassen ist, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinen denkbaren Umständen bestehen kann (vgl. BSG, a. a. O., Rdnr. 16). Im Beschluss vom 28. Oktober 2015 hat das Bundessozialgericht diese Frage ebenfalls offengelassen, jedoch angemerkt, dass dies nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht käme (vgl. BSG, Beschluss vom 28. Oktober 2015 – B 6 KA 20/15 B – juris Rdnr. 6).

 

Eine missbräuchliche Rechtsverfolgung ist im vorliegenden Fall nicht festzustellen. Der Kläger, der sich in der Sache gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld sowie die damit verbundene Erstattungsforderung und die nachfolgenden Vollstreckungsmaßnahmen wendet, kann seine Rechtsschutzziele zwar nicht im Wege des von ihm angestrengten Überprüfungsverfahren erreichen. Die fehlende Erfolgsaussicht seiner Rechtsverfolgung macht diese aber noch nicht rechtsmissbräuchlich.

 

4. Dem Erfolg der Untätigkeitsklage steht auch nicht entgegen, dass der Kläger vor Erhebung seiner Untätigkeitsklage nicht die Sperrfrist von sechs Monaten (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG) abgewartet hat. Denn ausnahmsweise ist die Untätigkeitsklage bereits vor Ablauf dieser Frist zulässig, wenn die Behörde eine Sachentscheidung eindeutig und unmissverständlich abgelehnt hat. Denn in diesem Fall fehlt – so das Bundessozialgericht im Urteil vom 10. März 1993 – für das Abwarten der Frist jeder sachliche Grund. Zweck der Wartefrist ist es, der Behörde eine angemessene Zeit für die Entscheidung einzuräumen. Dieser Zweck scheidet aus, wenn die Behörde es – wie hier – ausdrücklich ablehnt, eine Entscheidung in der Sache zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 1993 – 14b/4 REg 1/91BSGE 72, 118 ff. = SozR 3-7833 § 6 Nr. 2 = juris Rdnr. 17)

 

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

 

IV. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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