S 46 SO 266/23 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 46 SO 266/23 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung kann eine Behörde wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache vom Gericht grundsätzlich nicht zum Erlass eines Verwaltungsaktes verpflichtet werden. Der Bewilligungszeitraum für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung kann bei einer entsprechenden sachlichen Begründung auch weniger als sechs Monate betragen.


I. Der Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnungen wird abgewiesen.


II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.


G r ü n d e :
I.

Die Antragstellerin begehrt im Eilverfahren die Verlängerung des Bewilligungszeitraums von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auf 12 Monate, zumindest auf sechs Monate.

Die 1965 geborene Antragstellerin bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 991,76 Euro monatlich. Nach einer bereits im Jahr 2015 erfolgten Kündigung ihrer Mietwohnung in O-Stadt, die von mehreren Zivilgerichten bestätigt wurde, kam es am 04. und 05.04.2022 zur Zwangsräumung der Wohnung. Von der Stadt O-Stadt wurde die Antragstellerin zur Vermeidung von Obdachlosigkeit anschließend in eine Unterkunft (N. in G-Stadt) eingewiesen. Die Unterbringung wurde verlängert.

Mit Bescheid vom 22.03.2023 bewilligte der Antragsgegner Grundsicherung für April, Mai und Juni 2023 in Höhe von monatlich 261,12 Euro, im Mai 285,01 Euro.

Mit Bescheid vom 28.06.2023 wies die Stadt O-Stadt die Antragstellerin für die Zeit von 01.07.2023 bis 30.09.2023 in eine Obdachlosenunterkunft in F-Stadt ein.

Mit Bescheid vom 03.07.2023 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Monate Juli, August und September 2023 Grundsicherung von monatlich 249,81 Euro bzw. für September 225,92 Euro. Dabei berücksichtigte er die Rente als Einkommen und monatlich 740,59 Euro an Unterkunftskosten. Der kurze Bewilligungszeitraum beruhe auf der Zeitdauer der ordnungsrechtlichen Unterbringung und darauf, dass die Hilfebedürftigkeit maßgeblich auf den Kosten der Unterkunft beruhe. Das Eintreten von Änderungen sei wahrscheinlich.

Mit Schreiben vom 28.04.2023 und 25.07.2023 forderte der Antragsgegner jeweils für die nächste Bewilligung Kontoauszüge für drei Monate im Original, eine Finanzübersicht oder einen Finanzstatus aller Banken, aktuelle Einkommensnachweise (Rentenbescheide) und die komplette Betriebs- und Heizkostenabrechnung an.

Am 08.08.2023 stellte die Antragstellerin diesen Eilantrag und beantragte zugleich Prozesskostenhilfe. Der Bewilligungszeitraum sei entsprechend § 44 Abs. 3 SGB XII auf 12 Monate, hilfsweise auf sechs Monate zu verlängern. Sie habe gegen den Bescheid vom 03.07.2023 mit Schreiben vom 23.07.2023 Widerspruch eingelegt. Durch die kurze Bewilligung und die Anforderung von Kontoauszügen für drei Monate vor der Weiterbewilligung, verschaffe sich der Antragsgegner zu Unrecht (§ 44 Abs. 3 SGB XII, Datenschutzrecht, Schikaneverbot, Schutz der Privatsphäre) Einblick in die vollständigen Kontoauszüge. Außerdem verlange der Antragsgegner vor jeder Weiterbewilligung eine Finanzübersicht bzw. einen Finanzstatusbericht sämtlicher Banken.

Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, der Antragsteller Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für 12 Monate, zumindest aber für sechs Monate zu bewilligen.

II.

Die Antragstellerin begehrt eine Verlängerung des Bewilligungszeitraums für Grundsicherung über den 30.09.2023 hinaus. Der Eilantrag ist abzulehnen, weil weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund ersichtlich sind.

Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).

Zunächst ist festzustellen, dass ein Eilverfahren den Zweck hat, eine vorläufige Zwischenlösung für eine Notlage zu finden. Eine einstweilige Anordnung darf grundsätzlich nicht die Hauptsache (endgültige Entscheidung) vorwegnehmen (Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 31). Ausnahmen davon sind möglich, wenn andernfalls eine gravierende Notlage droht und anderer Rechtsschutz nicht möglich wäre. Weil eine gravierende Notlage nicht droht, ist es ausgeschlossen, den Antragsgegner im Eilverfahren zu verpflichten, einen Verwaltungsakt mit einer Bewilligung für 12 oder sechs Monate zu erlassen, denn dies wäre eine Vorwegnahme der Hauptsache. Der Bewilligungsbescheid würde einen Leistungsanspruch begründen, den der Antragsgegner nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen (§§ 45, 48, 50 SGB X) rückabwickeln könnte.

Das Begehren der Antragstellerin ist daher einschränkend auszulegen, dass das Ziel nicht ein Bewilligungsbescheid für 12 oder sechs Monate ist, sondern eine gerichtliche, aber entsprechend dem Charakter des Eilverfahrens nur vorläufige, Verpflichtung der Behörde zur entsprechend längerfristigen Leistungsgewährung durch einstweilige Anordnung. Für das so verstandene Ziel des Eilverfahrens fehlt es an einem Anordnungsanspruch und an einem Anordnungsgrund.

Nach § 44 Abs. 3 Satz 1 SGB XII wird Grundsicherung in der Regel für 12 Monate bewilligt. Das bedeutet, dass im Ausnahmefall ein kürzerer Bewilligungszeitraum möglich ist. Dies wird durch § 44 Abs. 3 Satz 2 SGB XII bestätigt, der bei einer vorläufigen Bewilligung als "soll-Regelung" einen Bewilligungszeitraum von höchstens sechs Monaten vorgibt. Das bedeutet nichts anderes, als dass bei einer sachlichen Begründung ein Bewilligungszeitraum von weniger als sechs Monaten möglich ist. Der Antragsgegner hat diese sachlichen Gründe ausgeführt: Die Unterbringung erfolgte befristet und die Hilfebedürftigkeit ist angesichts der Rentenhöhe allein von den Unterkunftskosten abhängig. Damit ist der Bewilligungszeitraum vom Gericht nicht zu beanstanden.

Es besteht auch keine aktuelle Notlage in Hinblick auf das künftige Bewilligungsverfahren. Dass die Antragstellerin im September wieder Kontoauszüge für drei Monate übermitteln muss (z.B. durch Übermittlung im Original zum Kopieren gegen Rückgabe der Originale) ist durch die Rechtsprechung abgedeckt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 10/08 R und Urteil vom 19.03.2020, B 14 AS 7/19 R). Dass sich bei einer rechtmäßigen Beschränkung des Bewilligungszeitraum auf drei Monate durchgängige Kontoauszüge ergeben, ist nicht zu beanstanden.

Auch aus den weiteren, wegen den vorhergehenden Anforderungsschreiben absehbaren, Anforderungen für die nächste Bewilligung ergibt sich keine erhebliche Beeinträchtigung der Belange der Antragstellerin und damit keine Notwendigkeit einer gerichtlichen Anordnung im Wege eines vorbeugenden Rechtsschutzes (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rn29c).

Trotzdem ein paar Hinweise an den Antragsgegner:
* Die Amtsermittlung bezieht sich gemäß § 20 Abs. 2 SGB X auf die für den Einzelfall bedeutsamen Umstände. Mitwirkungspflichten bestehen (nur) für leistungserhebliche Tatsachen und Verhältnisse, § 60 Abs. 1 SGB I.
* Ob vierteljährlich eine Finanzübersicht oder ein Bankenstatus erforderlich ist, etwa, weil ein außergewöhnlicher Geldzufluss denkbar ist, vermag das Gericht im Eilverfahren nicht zu beurteilen.
* Sich den Rentenbescheid vierteljährlich vorlegen zu lassen, ist nicht erforderlich, wenn es nur eine gesetzliche Rente gibt, die sich einmal im Jahr zum 1. Juli ändert.
* Vierteljährlich die komplette Betriebs- und Heizkostenabrechnung anzufordern ist bei einem normalen Mietverhältnis ohne Umzug sinnfrei, weil das nur einmal jährlich passiert. Dass eine Obdachlosenunterkunft überhaupt eine derartige Abrechnung erstellt, wäre ungewöhnlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

III.

Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil für dieses Eilverfahren von vornherein keine Erfolgsaussicht bestand, § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO).

 

Rechtskraft
Aus
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