S 11 AS 347/24 ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Landshut (FSB)
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 AS 347/24 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Eine Kapitalversicherung als Altersvorsorge im Sinne von § 12 Abs 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II

 I.   Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Bürgergeld für den Zeitraum 23.10.2024 bis 31.01.2025 ohne Anrechnung von Vermögen zu
        gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II.  Der Antragsgegner trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
III. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. gewährt. Ratenzahlungen sind nicht zu erbringen.


                                                                                                   I.

Der Antragsteller begehrt von dem Antragsgegner vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1971 geborene Antragsteller wohnt in A-Stadt. Die Kosten für Unterkunft und Heizung teilt er sich mit seinem Vater. Der Antragsteller bezog von dem Antragsgegner bis Juli 2024 Bürgergeld.
 
Seit 1999 hat der Antragsteller eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen, die mit Vollendung des 60. Lebensjahres, also am 01.11.2031, fällig wird. Die dann fällige Leistung beträgt voraussichtlich 29.386,05 EUR.

Bei vorzeitiger Vertragsbeendigung zum 31.10.2023 würde der Betrag sich auf insgesamt 18.276,17 EUR (= 17.687,12 EUR Deckungskapital und 589,05 EUR Überschussbeteiligung) belaufen.

Mit Schreiben an den Antragsgegner vom 26.06.2024 erklärte der Antragsteller, dass die Kapitallebensversicherung der Altersvorsorge diene.

In ihrer Auskunft vom 17.07.2024 führte die Versicherungsgesellschaft wie folgt aus:
"Viele Kunden, die den Rückkaufwert bei uns anfragen, denken darüber nach, ihre Versicherung aufzulösen. Falls auch Sie eine vorgezogene Kapitalauszahlung in Erwägung ziehen, bedenken Sie bitte in diesem Fall die Auswirkungen auf Ihre persönliche Vorsorgeplanung für das Alter.
Wann ist eine vorgezogene Kapitalauszahlung für Sie von Vorteil bzw. von Nachteil?
Eine vorgezogene Kapitalzahlung kann zum Beispiel bei einem besonderen Finanzbedarf oder der Ablösung einer vorhandenen Finanzierung für Sie durchaus sinnvoll sein. Bitte bedenken Sie bei Ihrer Entscheidung jedoch, dass Ihr Vertrag insbesondere im aktuellen Zinsumfeld auch eine attraktive Kapitalanlage für ihre Altersvorsorge darstellt.
Wägen Sie daher bitte sorgfältig ab, ob dieser Vertrag ein erforderlicher Bestandteil Ihrer privaten Altersvorsorgeplanung ist und ob Sie Ihr Sparziel auch bei einer vorzeitigen Auszahlung erreichen. Sofern Sie sich für eine Auszahlung oder einen anderen Auszahlungstermin entscheiden, enden mit dem von Ihnen gewünschten Termin auch eine mögliche Zusatzversicherung und/oder ein vereinbarter Hinterbliebenenschutz..."

Auf den Weiterbewilligungsantrag des Antragstellers vom 17.06.2024 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II mit Bescheid vom 05.08.2024 ab.
Die Karenzzeit für Vermögen sei abgelaufen. Es gelte ein Vermögensfreibetrag in Höhe von 15.000,00 EUR. Der Antragsteller verfüge über ein verwertbares Vermögen in Höhe von 19.384,05 Euro, das den Vermögensfreibetrag in Höhe von 15.000,00 Euro übersteige.
Er sei daher nicht hilfebedürftig und habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Hiergegen erhob der Antragsteller mit Schreiben vom 08.08.2024
Widerspruch. Die Kapitallebensversicherung diene der Altersvorsorge und sei im Jahre 1999 abgeschlossen worden. Damals sei ihm nicht gesagt worden, dass man für die Altersvorsorge extra etwas in die Police schreiben müsse. Auch sei er durch den Antragsgegner nie darauf hingewiesen worden, dass es so eine Altersvorsorgeklausel gebe. Auch sei es unwirtschaftlich, die Lebensversicherung zurückzukaufen.

Mit Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 27.08.2024 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Bei der Kapitallebensversicherung handele es sich nicht um nach Bundesrecht ausdrücklich als Altersvorsorge gefördertes Vermögen. Auch liege noch kein für die Altersvorsorge bestimmter Versicherungsvertrag vor. Versicherungsverträge seien zur Altersvorsorge bestimmt, wenn sie zur Bestreitung des Lebensunterhalts nach Eintritt in den Ruhestand subjektiv bezweckt worden seien. Die Zweckbestimmung müsse sich durch eine entsprechende Vermögensdisposition nach außen objektiv feststellen lassen. Ein weiterer
Verwendungszweck neben der Altersvorsorge sei schädlich. Ein Zugriff auf das Vermögen müsse vor dem Ruhestand erheblich erschwert sein. Weitere Absicherungen, etwa Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgungen, seien keine Altersvorsorge und fielen damit nicht unter § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Hs. 1 SGB II. Als einziges objektiv feststellen lasse sich, dass als Versicherungsablauf der Kapitallebensversicherung das Erreichen des 60. Lebensjahres vereinbart worden sei. Hieraus lasse sich aber nicht ohne weiteres der Schluss ziehen, dass es sich um Alterssicherungsvermögen handele.

Gegen die subjektive Zweckbestimmung der Altersvorsorge spreche objektiv, dass kein Verwertungsausschluss nach § 165 Abs. 3 VVG vereinbart worden sei. Die Kapitallebensversicherung könne ohne Weiteres gekündigt werden, weshalb auch der Zugriff nicht erheblich erschwert sei. Eines Verwertungsausschlusses bedürfe ist zwar laut Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Hs. 1 SGB II wie bei § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. a.F. SGB II geregelt nicht mehr. Trotzdem habe der Antragsteller die Möglichkeit des Verwertungsausschlusses zur Manifestierung der Zweckbestimmung der Altersvorsorge nicht gewählt, weshalb die subjektive Zweckbestimmung hiermit auch objektiv nicht feststellbar sei.
Ein weiteres gewichtiges Indiz, das gegen die Zweckbestimmung der Altersvorsorge spreche, sei die Tatsache, dass auch Leistungen bei Tod des Antragstellers ausgezahlt würden. Damit liege noch ein weiterer Verwendungszweck vor, der schädlich sei.

Der Antragsteller erhob am 22.08.2024 die Klage gegen den Bescheid vom 08.05.2024 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 29.08.2024.

Mit Schreiben vom 23.10.2024 hat sich der Antragsteller, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes an das Sozialgericht Landshut gewandt.
Seit August 2024 erhalte der Antragsteller keine Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II mehr. Am 23.08.2024 habe ihm der Vater 600,00 EUR geliehen und dieses Geld
sei inzwischen aufgebraucht. Er verfüge damit über kein Geld mehr zur Bestreitung seines Lebensunterhalts, aber auch die laufenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge könne der Antragsteller nicht mehr bezahlen.
Der Antragsteller sei mangels Einkommen hilfebedürftig nach dem SGB II. Des Weiteren schließe auch das Bestehen der Kapitallebensversicherung nicht die Hilfebedürftigkeit aus.
Die Kapitallebensversicherung sei für die Altersvorsorge bestimmt. Dies habe der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner mehrfach bekundet. Dies sei auch glaubhaft, denn die Versicherung laufe erst mit Eintritt des 60. Lebensjahres aus. Weiterhin spreche auch die Anlageform - nämlich Kapitallebensversicherung - nach den eigenen damaligen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit für das Vorliegen einer Altersvorsorge.
Schließlich habe der Antragsteller die Kapitallebensversicherung in der Vergangenheit nie der Gefahr eines Verlustes durch Beleihung, o.ä. ausgesetzt, sondern seine Beiträge im
Gegenteil immer regelmäßig bezahlt, damit diese bis zum Eintritt des 60. Lebensjahres
noch besteht und durch die Versicherung nicht gekündigt werde.
Entgegen der Auffassung des Antragsgegners spreche gegen die Bestimmung zur Altersvorsorge nicht, dass zusätzlich eine Hinterbliebenenversicherung abgesichert sei.
Auch der fehlende Verwertungsausschluss greife nicht, da diese nach der neuen Gesetzeslage gerade nicht mehr Voraussetzung sei. Die Verwertung wäre überdies unwirtschaftlich und stelle eine besondere Härte dar.

Der Antragsteller beantragt,
1. der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen nach Maßgabe der
    gesetzlichen Bestimmungen des Sozialgesetzbuches II in der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe zu bewilligen.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Bevollmächtigten ab Antragstellung bewilligt.

Der Antragsgegner beantragt,
    die Anträge abzulehnen.
 
Der Antragsteller verweist zunächst auf seine bisherigen Ausführungen. Insoweit der Antragsteller vortrage, er habe mehrmals bekundet, dass die Kapitallebensversicherung zur Altersvorsorge diene, sei dem entgegenzuhalten, dass es hierauf nicht ankommen könne, weil auch zur Ermittlung der subjektiven Zweckbestimmung i.S.d. § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 HS 1 SGB II letztlich die objektiven Umstände maßgeblich seien.
Ein weiterer Verwendungszweck neben der Altersvorsorge sei schädlich. Ein Zugriff auf das Vermögen müsse vor dem Ruhestand erheblich erschwert sein. Weitere Absicherungen, etwa Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgungen, seien keine Altersvorsorge und fielen damit nicht unter § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 SGB II.
Der Antragsgegner wolle auch klarstellen, dass das Fehlen des Verwertungsausschlusses § nach § 165 Abs. 3 VVG nicht zur Voraussetzung gemacht werde, sondern lediglich als Indiz zur objektiven Zweckbestimmung herangezogen worden sei. Dies verbiete der Gesetzgeber nicht. Auch lägen die Voraussetzungen der besonderen Härte nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB II nicht vor. Demnach liege bereits deshalb keine besondere Härte vor, da nach dem Maßstab des SGB II keine außergewöhnlichen Umstände gegeben seien. Der Umstand, dass bei vorzeitigem Versicherungsende eine geringere Versicherungssumme ausbezahlt werde, als bei vollständigem Versicherungsablauf, sei ein in der Praxis übliches Phänomen, dass alle Leistungsbezieher betreffe.
Außerdem sei § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 Alt. 1 aF mit dem Bürgergeld-Gesetz entfallen, der Sachen und Rechte dann von der Verwertung ausnahm, wenn ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich sei. Auch der Antragsgrund sei nicht glaubhaft gemacht.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte des Antragsgegners und die Akte des Sozialgerichts verwiesen.


                                                                                                                               II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist teilweise begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist die vorläufige Gewährung von Bürgergeld.

Der Antragsteller strebt eine Erweiterung seiner Rechtsposition an; daher ist eine einstweilige Anordnung in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Einstweilige Anordnungen nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Eine solche Anordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (das materielle Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit im Sinne der Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsachverfahren nicht zumutbar ist) voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen glaubhaft sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilprozessordnung).

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr stehen beide in einer Wechselbeziehung zueinander, nach der die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 27 und 29, 29a m.w.N.): Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist. Dabei sind grundrechtliche Belange des Antragstellers umfassend in der Abwägung zu berücksichtigen. Insbesondere bei Ansprüchen, die darauf gerichtet sind, als Ausfluss der grundrechtlich geschützten Menschenwürde das soziokulturelle Existenzminimum zu sichern (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip) ist ein nur möglicherweise bestehender Anordnungsanspruch, vor allem wenn er eine für die soziokulturelle Teilhabe unverzichtbare Leistungshöhe erreicht und für einen nicht nur kurzfristigen Zeitraum zu gewähren ist, in der Regel vorläufig zu befriedigen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage im Eilverfahren nicht vollständig klären lässt (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss v. 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Denn im Rahmen der gebotenen Folgeabwägung hat dann regelmäßig das Interesse des Leistungsträgers ungerechtfertigte Leistungen zu vermeiden gegenüber der Sicherstellung des ausschließlich gegenwärtig für den Antragsteller verwirklichbaren soziokulturellen Existenzminimums zurückzutreten. Demnach darf eine Versagung existenznotwendiger Leistungen im einstweiligen Rechtsschutz nur dann erfolgen, wenn die Möglichkeit eines solchen Anspruchs nach abschließender Prüfung ausgeschlossen werden kann.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch (1.) und einen Anordnungsgrund (2.) glaubhaft gemacht.

1. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung vom 22.12.2023 erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die

1.      das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.      erwerbsfähig sind,
3.      hilfebedürftig sind und
4.     ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).

Der Antragstellererfüllt die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II. Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Kläger ist über 25 Jahre alt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) und erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II). Er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II).

Der Antragsteller ist auch hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 iVm § 9 Abs. 1 SGB II ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, u. a. aus dem zu berücksichtigenden Vermögen sichern kann, und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Soweit ersichtlich hat der Antragsteller jedenfalls seit Antragstellung bei Gericht kein Einkommen.
Unter Berücksichtigung eines mtl. Regelbedarfs zzgl. Kosten der Unterkunft (und Heizung) verbleibt für jeden Monat in der Berechnung ein Leistungsanspruch, der im Falle der Erfüllung der restlichen Voraussetzungen auszuzahlen wäre.

Der Antragsteller verfügte auch nicht über Vermögen, dessen Wert den Freibetrag nach
§ 12 Abs. 2 Satz 1 SGB II übersteigt.
Der Vermögensfreibetrag des Antragstellers gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 SGB II beläuft sich nach Ablauf der Karenzzeit auf 15.000 EUR. Ein seit Antragstellung vorhandenes Vermögen auf dem Konto des Antragstellers (oder Bargeld) ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

a. Gemäß § 12 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Die angesparte Lebensversicherung des Antragstellers ist grundsätzlich als verwertbares Vermögen zu betrachten.
Der Begriff des Vermögens ist verwertbar, wenn die Gegenstände, die es umfasst, verbraucht, übertragen oder belastet werden können (vgl. Bundessozialgerichts (BSG), Urteil vom 27. Januar 2009 - B 14 AS 42/07 R -, SozR 4-4200 § 12 Nr. 12). Der Begriff der Verwertbarkeit ist dabei als rein wirtschaftlicher Begriff zu definieren, welcher sich sowohl nach den tatsächlichen als auch nach den rechtlichen Verhältnissen beurteilt. Es liegen keine Anhaltspunkte für rechtliche Verwertungshindernisse vor.
In Kenntnis der Mitteilung der Versicherung kann davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller die Versicherung kurzfristig zurückkaufen könnte. Die Versicherung war daher grundsätzlich verwertbar.

b. Der Versicherung ist indes nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 SGB II als Altersvorsorge von der Vermögensberücksichtigung freigestellt.

Gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 SGB II sind für die Altersvorsorge bestimmte Versicherungsverträge von der Vermögensberücksichtigung ausgenommen. Diese Regelung kann als Novum im SGB II bezeichnet werden, da sie in dieser Form in anderen Rechtsquellen keine Entsprechung findet. Die Gesetzesbegründung verweist auf eine Praxis der Bundesagentur für Arbeit (BA) aus der Covid-19-Pandemie, nach der Leistungsberechtigte für die Altersvorsorge bestimmte Versicherungsverträge nicht als Vermögen einzusetzen hatten (BT-Drs. 20/3873, 78). Gemäß den Weisungen der BA zu den Sozialschutz-Paketen (Loseblattsammlung, dort unter 1.2 Abs. 6) waren "typische Altersvorsorgeprodukte wie Kapitallebens- oder -rentenversicherungen" nicht in die Prüfung einzubeziehen. Der Begriff "Versicherungsverträge" umfasst gemäß § 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) alle Verträge, bei denen gegen Entgelt für den Fall eines ungewissen Ereignisses bestimmte Leistungen übernommen werden. Dabei wird das übernommene Risiko auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt, wobei der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt. In diesem Kontext sind jedoch Vereinbarungen zu berücksichtigen, die in einem inneren Zusammenhang mit einem Rechtsgeschäft anderer Art stehen und von dort ihr eigentliches rechtliches Gepräge erhalten. Ebenso stellen einseitige Leistungsversprechen keinen Versicherungsvertrag dar. Im Gegensatz zu § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Hs. 1 stellt Nr. 3 Hs. 1 SGB II nicht darauf ab, dass die Vermögensgegenstände als für die Altersvorsorge bestimmt "bezeichnet" werden, sondern verlangt, dass die infrage kommenden Versicherungsverträge "für die Altersvorsorge bestimmt" sind. In Bezug auf die Tatbestandsebene ist festzuhalten, dass das Gesetz keine weiteren Einschränkungen vorsieht. Insofern ist allein die Zweckbestimmung maßgeblich. Ein Verwertungsausschluss gemäß § 168 Abs. 3 VVG kann demnach nicht gefordert werden. Ebenso findet sich im Gesetz keine Forderung, dass die Versicherungsverträge als Altersvorsorge nach Bundesrecht gefördert werden müssen. Für die Feststellung einer Zweckbestimmung gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 ist eine Berücksichtigung sämtlicher Umstände erforderlich. Eine Zweckbestimmung kann mit der Praxis der BA etwa bei Kapitallebens- oder Rentenversicherungen vorliegen. Der Versorgungszweck ist dabei von ausschlaggebender Bedeutung. Die Versicherung muss der Versorgung im Alter dienen, also der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben. Dieser Versorgungszweck kann sich aus der vereinbarten Laufzeit ergeben; er liegt vor, wenn der Leistungsbeginn auf ein Alter festgelegt wird, das typischerweise nicht schon das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben markiert. Weitere Absicherungen, etwa Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgungen, stellen keine Altersvorsorge dar und fallen somit nicht unter § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 SGB II. Eine Obergrenze ist gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Hs. 1 nicht vorgesehen (vgl. BT-Drs. 20/3873, 78: vollständig von der Vermögensberücksichtigung ausgenommen; Luik/Harich/Lange, 6. Aufl. 2024, SGB II § 12 Rn. 55-57 mwN).

Nach einer umfassenden Bewertung des vorliegenden Falls kann festgestellt werden, dass der Versicherungsvertrag des Antragstellers die Kriterien einer Altersvorsorge erfüllt. Diesbezüglich ist insbesondere die vereinbarte Auszahlung erst mit dem 60. Lebensjahr von Relevanz. Die Altersgrenze von 60 Jahren für das Kriterium des "Eintritts in den Ruhestand" allgemein akzeptiert (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2009 - B 14 AS 35/08 R -, BSGE 103, 146-153, SozR 4-4200 § 12 Nr 14, Rn. 25 mwN). Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Versicherung nicht der Altersvorsorge dienen sollte. Die Auszahlung im Falle des Todes des Antragstellers an Hinterbliebene entspricht dem üblichen Standard und ist in der Praxis weit verbreitet. Es handelt sich vorliegend nicht um eine Risikolebensversicherung, die gerade das Risiko des vorzeigten Ablebens für die Hinterbliebenen absichern soll.
Auch der Einwand eines fehlenden Verwertungsausschlusses überzeugt nicht. Ein Verwertungsausschluss wäre von vornherein mit einer Nichtverwertbarkeit des Vermögens gleichzusetzen. Die gesetzliche Freistellung typischer Versicherungen zur Absicherung der Altersvorsorge erfolgt unabhängig von einem Verwertungsausschluss. Das Fehlen eines Ausschlusses spricht darüber hinaus weder für noch gegen die Zweckbestimmung "Altersvorsorge".
Zusätzlich spricht auch noch die Laufzeit des Vertrages von 30 Jahren für die Zweckbestimmung "Altersvorsorge". Das Gericht hat im Ergebnis keinen Anlass daran zu zweifeln, dass die eigenen Angaben des Antragstellers zur Zweckbestimmung zutreffend sind.

Insofern kann die Frage, ob die Verwertung als unwirtschaftlich zu bewerten ist und ob dieser Aspekt nach wie vor als relevant zu betrachten ist, an dieser Stelle offengelassen werden.
Der Kläger hat daher Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II dem Grunde nach ab Antragstellung bei Gericht.

2. Auch ein Anordnungsgrund ist gegeben. Dem Antragsteller drohen bei Ablehnung des Eilrechtschutzes in der Zwischenzeit bis zur Hauptsacheentscheidung erhebliche Rechtsverletzungen. Es steht zu befürchten, dass der Antragsteller völlig mittellos ist und seinen Lebensunterhalt nicht mehr decken kann.

3. Der Antrag ist im Übrigen abzulehnen, da der Antrag nicht auf die Zeit ab Antragstellung bei Gericht begrenzt wurde. Eine gerichtliche Eilentscheidung für die Vergangenheit (für die Zeit vor dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz) ist zur Abwehr wesentlicher Nachteile nicht erforderlich. Aus dem Tatbestandsmerkmal der "Abwendung wesentlicher Nachteile" im Sinne des § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist zu schließen, dass der Nachteil noch nicht eingetreten sein muss, sondern erst in der Zukunft drohen muss. Dabei ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Eilantrags bei Gericht abzustellen. Für Leistungen für die Vergangenheit ist der Antragsteller daher grundsätzlich auf den Rechtsweg in der Hauptsache zu verweisen (vgl. etwa Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - L 8 SO 191/09 B ER -, mwN).
Eine rückwirkende Feststellung ist daher grundsätzlich ausgeschlossen (Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 7. Mai 2009 - L 9 AS 763/08 ER -, Rn. 22).
Es ist nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes, einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit, d.h. für die Zeit vor Anhängigkeit des Eilverfahrens, herbeizuführen. Dies ist Aufgabe des Hauptsacheverfahrens (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12. April 2010 - L 7 AS 144/10 B ER -, Rn. 22). Demnach waren Leistungen ab 23.10.2024 zuzusprechen. Die Dauer bezieht sich auf einen Zeitraum von sechs Monaten ab Antragstellung. Dem Antragsteller wird durch diesen Beschluss nicht verwehrt, für die Zeit ab Februar 2025 einen erneuten Antrag zu stellen.

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die im einstweiligen Rechtsschutz erlangten Leistungen nur vorläufig zugesprochen sind. Wenn im nachfolgenden Hauptsacheverfahren festgestellt wird, dass der Leistungsanspruch doch nicht besteht, dann sind die im einstweiligen Rechtsschutz erlangten Leistungen zu erstatten.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG
und folgt dem Ergebnis in der Sache.

Dem Antrag auf Prozesskostenhilfe ist zu entsprechen.
Dem Antragsteller ist Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Verfahrensbevoll-mächtigten ab Antragstellung zu bewilligen (§ 73a SGG i.V.m. §§ 114ff ZPO), da der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bot und nicht mutwillig erschien. Dem Antragsteller wird aufgegeben, jede Änderung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich und ohne weitere Aufforderung durch das Gericht mitzuteilen.

                        -------------------------

 

Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss ist gemäß §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht statthaft.
Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Landshut, Seligenthaler Straße 10, 84034 Landshut, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Sozialgericht Landshut in elektronischer Form einzulegen. Rechtsanwälte, Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse müssen die Beschwerde als elektronisches Dokument übermitteln (§ 65d Satz 1 SGG). Gleiches gilt für die nach dem Sozialgerichtsgesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGG zur Verfügung steht (§ 65d Satz 2 SGG).
Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Bayer. Landessozialgericht, Ludwigstraße 15, 80539 München, oder bei der Zweigstelle des Bayer. Landessozialgerichts, Rusterberg 2, 97421 Schweinfurt, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder beim Bayer. Landessozialgericht in elektronischer Form eingelegt wird.
Die elektronische Form wird durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments gewahrt, das für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet ist und
- von der verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert ist oder
- von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 65a Abs. 4 SGG eingereicht wird.
Weitere Voraussetzungen, insbesondere zu den zugelassenen Dateiformaten und zur qualifizierten elektronischen Signatur, ergeben sich aus der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) in der jeweils gültigen Fassung.

 

 

Rechtskraft
Aus
Saved