Zur Behandlung einer Gynäkomastie beim Mann ist eine stationäre Mastektomie (operative Entfernung von Brustgewebe) nicht erforderlich, wenn stärkere Schmerzen nicht nachgewiesen sind und andere Behandlungsmethoden (Schmerztherapie, Gewichtsreduktion, Sport, gegebenenfalls unter ärztlicher Aufsicht) zur Verfügung stehen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 05.10.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Kostenübernahme für eine stationäre Mastektomie (operative Entfernung von Brustgewebe) zur Beseitigung einer Gynäkomastie (gutartige Vergrößerung der Brustdrüsen beim Mann).
Der 1980 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger beantragte bei dieser am 01.10.2018 unter Vorlage einer fachärztlichen Bescheinigung des J1 vom 19.09.2018 die Kostenübernahmeerklärung bezüglich einer operativen Mastektomie. Er leide seit einigen Jahren unter eine Gynäkomastie beidseits, die seit vier Jahren nunmehr auch symptomatisch im Sinne eines schmerzhaften häufigen Druckgefühls geworden sei. Seit Anfang 2016 sei es zudem zu einer Gewichtszunahme gekommen. Bei einer ersten Untersuchung im Mai 2017 habe sich eine beidseits deutlich druckdolente Gynäkomastie zweiten Grades feststellen lassen. Hormonell habe sich ein Testosterondefizit bei normalem Östrogenwert gezeigt. Eine einjährige Testosteronsubstitution habe einerseits zu keiner Befundverbesserung, andererseits jedoch zu einer Gewichtszunahme geführt. Im weiteren Verlauf habe sich eine leichte Prolaktinerhöhung bei röntgenologisch fehlendem Hinweis auf das Vorliegen eines Hypophysenadenoms gezeigt. Weiterhin liege eine chronische Hypothyreose vor, die laut Angaben des Klägers bisher immer noch nicht optimal medikamentös habe eingestellt werden können. Trotz einer bisherigen deutlichen Gewichtsreduktion bestehe neben dem kosmetischen Aspekt auch eine deutlich ausgeprägte Beschwerdesymptomatik im Sinne eines permanenten, schmerzhaften Druckgefühls, was den Patienten in erheblichem Maße in seiner Lebensqualität beeinträchtige.
Die Beklagte beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Erstellung eines Gutachtens. Darin kam dieser am 18.12.2018 (Bl. 73 ff. Verwaltungsakte) nach Aktenlage zu dem Ergebnis, dass die medizinischen Voraussetzungen für die beantragte Mammareduktion im Falle des Klägers nicht erfüllt seien. Diagnostisch bestehe eine Hypertrophie der Mamma sowie eine Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr (Adipositas Grad 1 nach WHO bei Patienten von 18 Jahren und älter), eine medikamentös kompensierte Hypothyreose und ein Testosteronmangel. Der 30-jährige Kläger leide unter einer rechtsbetonten beiderseitigen Gynäkomastie. Der Leidensdruck bestehe schon seit einigen Jahren, wobei eine Beschwerdezunahme in Form von Druck nirgends beschrieben werde. Eine Krankheit liege nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nur dann vor, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt werde oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirke. Zur Präzisierung des Begriffs der Entstellung sei anzumerken, dass die Beispiele in der bisherigen Rechtsprechung durchweg körperliche Auffälligkeiten beträfen, die sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi im Vorbeigehen im bekleideten Zustand bemerkbar machten. Diese Situation liege nach der vorliegenden Fotodokumentation des Klägers nicht vor. Auch eine Funktionsbeeinträchtigung sei nicht festzustellen. Eine therapiebedürftige Erkrankung der beiden Mammae, die ursächlich behandelt werden müsse, sei radiologisch und sonographisch ausgeschlossen worden. Bei der beantragten Korrektur handle es sich nicht um eine Ursachenbeseitigung, sondern um eine ästhetische Korrektur. Bezüglich der psychischen Beeinträchtigung des Versicherten empfehle sich bei entsprechendem Krankheitswert die Behandlung durch einen Psychiater. Eine Operationsindikation lasse sich aus dem Vorliegen einer psychischen Erkrankung nicht ableiten. Im Vordergrund der Therapie stehe die Normalisierung des Körpergewichts, da ursächlich von hormonellen Inbalancen bei Adipositas ausgegangen werden müsse.
Mit Bescheid vom 04.01.2019 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers unter Verweis auf das Gutachten des MDK ab. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 17.01.2019 Widerspruch ein und trug vor, er leide an Schmerzen und die Brüste hätten verschiedene Größen. Auch viele Behandlungen mit Medikamenten hätten bisher nicht geholfen. Mit seinem Gewicht habe dies nichts zu tun, da er dieses Leiden seit seinem 16. Lebensjahr habe, als er noch dünn gewesen sei.
Im laufenden Widerspruchsverfahren wurde der Kläger sodann vom MDK persönlich untersucht. Im Gutachten vom 17.04.2019 (Bl. 111 Verwaltungsakte) wird insofern das Ergebnis des Erstgutachtens bestätigt. Bei der Gynäkomastie handle es sich um eine durch benigne Proliferation des Brustdrüsengewebes hervorgerufene Vergrößerung der männlichen Brust. Differenzialdiagnostisch sei zwischen Pseudogynäkomastie (Lipomastie), eine durch ausschließliche Vermehrung des Fettgewebes verursachte Brustvergrößerung, und der echten Gynäkomastie zu unterscheiden. Grundsätzlich gebe es zahlreiche Formen physiologischer und somit nicht krankhafter Gynäkomastien. Ursächlich könne dabei ein Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Sexualsteroiden sein. Bei zahlreichen Fällen der Gynäkomastie liege eine Brustdrüsenvergrößerung ohne fassbare Ursache vor. Im vorliegenden Fall lasse sich bei stammbetonter Adipositas Grad 2 (BMI von 36,67 kg/m²) eine bereits vorgewölbte Mamma mit diskretem Größenunterschied zu Gunsten der rechten Seite bestätigen. Eine Beeinträchtigung der Körperfunktion lasse sich aus dem vorliegenden Befund nicht ableiten. Ein organisches Korrelat zu den beklagten Beschwerden im Brustbereich lasse sich nicht erkennen. Auch ein entstellender Befund sei nicht erkennbar. Die mitgeteilte psychische Belastung mit Vermeidungsverhalten stelle nach geltender Rechtsprechung keine Indikation für einen operativen Eingriff an einem prinzipiell nicht krankheitswertigen Befund dar.
Der Kläger reichte sodann einen Befundbericht des Universitätsklinikums K1 vom 08.04.2019 zu den Akten (Bl. 124 Verwaltungsakte), wonach eine deutliche und ausgeprägte Gynäkomastie rechts mehr als links bestehe. Zwar bestehe auch eine begleitende Adipositas, allerdings sei hier das Ausmaß der Gynäkomastie nicht korrelierend mit dem Ausmaß der Adipositas im Bereich des Abdomens, weshalb auch hier eine Besserung der Situation nicht sinnvoll erscheine. Zudem habe der Kläger berichtet, dass die Situation bereits seit seinem 16. Lebensjahr bestehe, als noch keine Adipositas vorgelegen habe. Eine subcutane Mastektomie werde empfohlen, insbesondere, um einer weiteren Körperbildstörung vorzubeugen. In einem weiteren Bericht des Universitätsklinikums K1 vom 25.06.2019 (Bl. 142 Verwaltungsakte) wird berichtet, der Kläger habe sich am 24.05.2019 mit nun ausgeprägter Mastodynie (schmerzende Brüste) auf beiden Seiten vorgestellt, die mit oraler Schmerzmedikation nicht in den Griff zu bekommen sei. Die Operation sei ein medizinisch notwendiger Eingriff auf Grund der Schmerzsituation.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers sodann mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2019 als unbegründet zurück und verwies hierbei auf das Ergebnis des MDK, es liege schon keine Krankheit im Sinne des SGB V vor.
Hiergegen hat der Kläger am 25.10.2019 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben mit der Begründung, aufgrund der stark ausgeprägten Gynäkomastie an Schmerzen im Brustbereich zu leiden. Selbst bei Armbewegungen schmerze der Brustbereich. Andere Maßnahmen seien für ihn nicht mehr möglich und auch nicht umsetzbar, weshalb es sich um einen krankhaften Zustand handle, der operativ beseitigt werden könne. Hierfür spreche auch eindeutig der Bericht des Universitätsklinikums K1 vom 29.06.2019, wonach es sich nicht um einen ästhetischen Eingriff handle, sondern eine medizinische Notwendigkeit aufgrund der Schmerzsituation bestehe. Die Einnahme von Schmerzmitteln sei nicht ausreichend und erfolglos geblieben. Auch die Hormonbehandlung habe keinen Erfolg gebracht, sondern der Kläger habe lediglich an Gewicht zugenommen. Die Beklagte und der MDK könnten insofern nicht ausführen, dass die Gewichtszunahme schuld an der Gewebevergrößerung sei. Es handle sich um einen krankhaften Überwuchs, der nicht anderweitig zu behandeln sei.
Das SG hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der vom Kläger benannten behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der P1 hat mitgeteilt (Auskunft vom 04.09.2020, Bl. 42 SG-Akte), den Kläger am 02.12.2019 untersucht zu haben. Laborchemisch hätten bei diesem eine bekannte Prolaktinerhöhung (als mögliche Ursache für die Gynäkomastie, vgl. Arztbrief des P1 an S1 vom 05.12.2019, Bl. 43 SG-Akte) sowie ein erniedrigter Gesamttestosteronwert festgestellt werden können. Die Verringerung des Gesamttestosterons sei vermutlich durch die Adipositas (BMI 35) bedingt. Vor einer operativen Therapie sei eine fachendokrinologische Kontrolle erforderlich. Darüber hinaus sei eine Gewichtsreduktion bzw. körperliches Training sinnvoll. Die Mastektomie komme als ultima ratio nach den oben genannten Maßnahmen in Betracht. Weniger aufwändige und wirtschaftliche Therapiemaßnahmen stünden nicht zur Verfügung. Der Stellvertretende Leiter des Brustzentrums am Universitätsklinikum K1 - Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe - E1 hat mitgeteilt (Auskunft vom 28.09.2020, Bl. 48 SG-Akte), dass der Kläger am 18.02.2019 in der serologischen Sprechstunde des Universitätsklinikums vorstellig geworden sei. Die Gynäkomastie sei im Rahmen einer Stanzbiopsie am 18.02.2019 (rechts mehr als links) bestätigt worden. Am 25.06.2019 habe der Kläger im Rahmen einer erneuten Vorstellung eine Mastodynie (Schmerzen in der Brust) aufgrund der Gynäkomastie auf beiden Seiten beklagt. Entsprechend bestehe hier die Indikation zur subcutanen Mastektomie beidseits. Der Kläger leide unter dem Körperbild erheblich. Zwar bestehe auch eine begleitende Adipositas, diese sei allerdings vom Ausmaß der Gynäkomastie nicht korrelierend mit dem Ausmaß der Adipositas im Bereich des Abdomens. Als Gesundheitsstörung sei insofern sowohl die Schmerzkomponente als auch eine erhebliche psychosoziale Belastung aufgrund der Gynäkomastie-bedingten Körperbildstörung zu attestieren. Eine subcutane Mastektomie könne die Drüsenanteile retroareolär beidseits entfernen und entsprechend die Schmerzsituation lindern. Auch die optisch störende Gynäkomastie wäre damit behoben. Eine Gewichtsreduktion sei sicherlich möglich. Jedoch könne eine Gynäkomastie sicherlich keinesfalls allein durch körperliches Training und Gewichtsreduktion behoben werden. In seiner Auskunft vom 21.12.2020 (Bl. 59 SG-Akte) hat der J1 mitgeteilt, den Kläger im Zeitraum vom 16.05.2017 bis zum 23.05.2019 behandelt zu haben. Am 16.05.2017 habe sich eine deutliche Adipositas mit Schwangerschaftstreifen (überdehnte Haut in der Bauchregion) feststellen lassen. Es habe eine ausgeprägte Gynäkomastie beidseits mit deutlicher Druckdolenz bei normaler Mamillenausbildung bestanden. Einerseits führe der Befund einer Gynäkomastie zu einer enormen psychischen Belastung sowie der Angst, andere Menschen könnten den Kläger obenrum nackt sehen, (z.B. im Freibad/Badeanstalt) und sich über ihn lustig machen. Darüber hinaus verursache die Gynäkomastie seit 2014 auch Schmerzen. Eine medikamentöse Therapie sei ohne jeglichen Erfolg geblieben. Bei Gewichtsreduktion, körperlichem Training und Psychotherapie gebe es keinen garantierten Therapieerfolg. Die operative Therapie könne sowohl die psychische Belastung als auch die physischen Beschwerden beseitigen.
Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vor dem SG am 29.07.2021 (Protokoll Bl. 101 SG-Akte) hat der Kläger angegeben, dass seine Hauptbeschwerden in den mittlerweile sehr starken Schmerzen lägen, die ihm vieles unmöglich machten. So könne er beispielsweise nicht richtig mit seinem vierjährigen Sohn spielen. Auch seine frühere Tätigkeit als Maler sei ihm nicht mehr möglich. Durch die Testosteroneinnahme sei es auch zu einer Gewichtszunahme gekommen. Aktuell wiege er bei einer Körpergröße von 174 cm (in den Akten ist insoweit eine Körpergröße von 171 cm vermerkt) zwischen 104 und 105 kg. Im Jahr 2017 bis 2018 habe er durch eine Diät, in deren Rahmen er nur einmal täglich gegessen habe, abgenommen und nur noch 97 kg gewogen.
Hierzu hat die Beklagte vorgetragen, Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Brustschmerzen seien im Versicherungsverlauf des Klägers (Beschäftigung bis zum 31.05.2016) nicht aufgeführt. Auch sei die Schmerzsymptomatik laut Arzneimittelverzeichnis nicht medikamentös behandelt worden.
Mit Urteil vom 05.10.2022 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines chirurgischen Eingriffs zur operativen Beseitigung einer Gynäkomastie (Mastektomie) als Sachleistung. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht erfüllt. Ein Anspruch nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V auf Mastektomie liege ebenfalls nicht vor. Die Gynäkomastie bedinge keine Entstellung, eine Behandlung der psychischen Beschwerden habe durch Psychiatrie/Psychotherapie zu erfolgen. Allerdings könnte eine Erkrankung im Sinne des § 27 SGB V indes deswegen vorliegen, weil der Kläger nach den nachvollziehbaren Angaben seiner als sachverständige Zeugen befragten behandelnden Ärzte sowie den bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten Befundunterlagen und auch nach seinen Angaben im Erörterungstermin jedenfalls seit 2014 auch an Schmerzen im Bereich der Brust leide. Hierbei - und insbesondere im Rahmen der für eine Anspruchsbegründung weiter erforderlichen Voraussetzung der Notwendigkeit des gerade streitgegenständlichen operativen Eingriffs - sei jedoch im Weiteren zu beachten, dass sich der Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 3, § 2 Abs. 4, § 12 Abs. 1 SGB V grundsätzlich daran auszurichten habe, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend sei, um das angestrebte, in § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu sei unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse grundsätzlich nicht nur dem Grunde nach, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert sei. Selbst im Falle der Bejahung einer Erkrankung durch die vom Kläger und seinen Ärzten geschilderten Schmerzen an der Brust sei daher unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit der Versorgung mit der beantragten operativen Entfernung von Brustgewebe weiter zu fordern, dass dem Kläger nicht noch andere, weniger aufwändige und minimalinvasive Therapien zur Verfügung stehen, die einem operativen Eingriff insofern als ultima ratio vorzugehen hätten. Bei dieser Frage sei zu berücksichtigen, dass aus den Einschätzungen sämtlicher gehörter Fachärzte sowie aus den bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten Befundunterlagen ersichtlich werde, dass der Kläger jedenfalls zum Zeitpunkt seit der Beantragung der streitgegenständlichen Operation auch an einer Adipositaserkrankung leide. So habe der P1 diesbezüglich ausdrücklich mitgeteilt (Auskunft vorn 04.09.2020), den Kläger am 02.12.2019 untersucht zu haben. Laborchemisch habe bei diesem eine bekannte Prolaktinerhöhung sowie ein erniedrigter Gesamttestosteronwert festgestellt werden können. Die Verringerung des Gesamttestosterons sei vermutlich durch die Adipositas (BMI 35) bedingt. Darüber hinaus sei eine Gewichtsreduktion bzw. körperliches Training sinnvoll. Die Mastektomie komme insofern als ultima ratio nach den oben genannten Maßnahmen in Betracht. Weniger aufwändige und wirtschaftliche Therapiemaßnahmen stünden nicht zur Verfügung. Der Stellvertretende Leiter des Brustzentrums am Universitätsklinikum K1 - Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe - E1 habe mitgeteilt (Auskunft vom 28.09.2020), dass beim Kläger auch eine begleitende Adipositas bestehe, auch wenn diese vom Ausmaß der Gynäkomastie nicht korrelierend mit dem Ausmaß der Adipositas im Bereich des Abdomens sei. Auch der J1 habe mitgeteilt (Auskunft vom 21.1.2020), dass sich beim Klägers eine deutliche Adipositas mit Schwangerschaftstreifen (überdehnte Haut in der Bauchregion) habe feststellen lassen. Bei Gewichtsreduktion, körperlichem Training und Psychotherapie gebe es keinen garantierten Therapieerfolg. Hiervon ausgehend habe sich das Gericht nicht davon überzeugen können, dass der Kläger zum Entscheidungszeitpunkt bereits sämtliche zur Verfügung stehenden konservativen Maßnahmen durchlaufen habe, sodass sich die nunmehr beantragte Mastektomie zur Behebung der vom Kläger dargestellten Beschwerdesymptomatik als ultima ratio bzw. notwendig im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V darstellen würde. Zwar habe der Kläger angegeben, in der Vergangenheit bereits eine Diät und eine Reduzierung seines Körpergewichts (durch nur einmaliges Essen pro Tag) erreicht und sein Gewicht insoweit auf 97 kg reduziert zu haben. Ein solches Vorgehen stelle jedoch weder in seinem Ansatz des nur einmaligen Essens noch in seiner Wirkung eine für das Gericht ausreichende konsequente Bemühung um die Reduzierung und Normalisierung des Körpergewichts dar. Insoweit beträgt der BMI bei der vom Kläger genannten Körpergröße von 174 cm immer noch 32,0 (33,2 bei Zugrundelegung der in den Akten genannten Körpergröße von 171 cm). Zum anderen dürfte die Reduzierung der Nahrungsaufnahme auf einmalig pro Tag keinen nachhaltigen Ansatz zur langfristigen Gewichtsreduktion darstellen, zumal insofern keine Angaben dazu vorhanden seien, inwiefern der Kläger - neben der Reduzierung der Mahlzeiten an sich - auch auf eine ausgewogene Ernährung unter Zugrundelegung eines entsprechenden Ernährungsplanes geachtet habe. Vor diesem Hintergrund sei das Gericht nicht davon überzeugt, dass dem Kläger zur Erreichung eines Normalgewichts nicht noch weitere Behandlungsoptionen, ggfs. auch unter Zuhilfenahme einer Ernährungsberatung und der Intensivierung seiner Trainingsaktivitäten, zur Verfügung stünden. Dass sich die Reduzierung des Körpergewichts insofern auch positiv auf die vom Kläger beklagte Gynäkomastie und Druckdolenz auswirken könnte, ergebe sich für das Gericht gerade aus den Angaben der gehörten Fachärzte. Ein entsprechender Zusammenhang werde insofern, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, von allen behandelnden Ärzten des Klägers beschrieben. So gebe E1 an, dass dem Kläger eine Gewichtsreduktion durchaus möglich sei, auch wenn eine Gynäkomastie (Drüsenvermehrung) keinesfalls „allein“ durch körperliches Training und Gewichtsreduktion behoben werden könne. Der J1 teile insofern mit, dass es bei Gewichtsreduktion, körperlichem Training und Psychotherapie keinen garantierten Therapieerfolg gebe. Die Möglichkeit einer Besserung werde also auch insoweit keineswegs ausgeschlossen. Darüber hinaus sei auch schon einer im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgelegten Befundmitteilung des J1 vom 08.11.2018 zu entnehmen, dass eine am 16.05.2017 durchgeführte Sonographie der Brust neben den deutlich vergrößerten Drüsenkörpern auch vermehrte hyperdense Fettgewebsstrukturen darstellbar gemacht habe. Auch dieser Befund bestätige insoweit den von den Ärzten des MDK angenommenen Zusammenhang zwischen der beim Kläger bestehenden Adipositas und der - die Beschwerden des Klägers auslösenden - Gynäkomastie. Insbesondere von Bedeutung sei für das Gericht in dieser Hinsicht auch die Auskunft des P1, wonach die beim Kläger laborchemisch festgestellte Verringerung des Gesamttestosteronwerts ihrerseits vermutlich durch die Adipositas (BMI 35) bedingt sei. Gerade dieser Zusammenhang zwischen der beim Kläger bestehenden Adipositas und dem verringerten Testosteronwert spreche zur Überzeugung des Gerichts dafür, dass die dem Kläger mögliche Reduzierung seines Körpergewichts auch zu einer Verringerung der Gynäkomastie führen könnte und somit einer operativen Versorgung als weniger invasives Mittel vorauszugehen habe. Dies werde auch von P1 ausdrücklich bestätigt, der dargelegt habe, dass eine operative Therapie zunächst eine fachendokrinologische Kontrolle erforderlich mache. Darüber hinaus seien eine Gewichtsreduktion bzw. körperliches Training sinnvoll. Die Mastektomie komme insofern als ultima ratio nach den oben genannten Maßnahmen in Betracht.
Gegen das seinem Bevollmächtigten am 11.10.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.11.2022 Berufung beim SG zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht mit der Begründung, sowohl den Schmerzen als auch dem krankhaft veränderten Gewebe komme Krankheitswert zu. Alle denkbaren konservativen Behandlungsmethoden inklusive starkem Abnehmen hätten nicht zum Erfolg geführt. Die Adipositas könne nicht ursächlich sein hierfür, denn sonst hätten adipöse Menschen nie Anspruch auf Haut- oder Lipom-Behandlung. Es ergebe sich aus den ärztlichen Stellungnahmen nicht, dass der krankhafte Zustand verbessert würde, wenn der Kläger an Gewicht verliere. Im Übrigen komme auch dem verringerten Testosteronwert Krankheitswert zu, ebenso einer hierdurch ausgelösten Adipositas oder Fettverteilungsstörung. Eine endokrinologische Überprüfung bringe keine weiteren Erkenntnisse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 05.10.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine stationäre Mastektomie der beidseits bestehenden Gynäkomastie als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat sich den Ausführungen im angefochtenen Urteil angeschlossen.
Die Berichterstatterin hat den Kläger zunächst im Rahmen eines Erörterungstermins am 04.05.2023 zu seinen körperlichen Beschwerden befragt. Der Kläger hat angegeben, das Hauptproblem seien die Schmerzen in Form von Berührungsschmerz bei auch nur leichter Berührung der Brust, Druckschmerz und Bewegungsschmerz. Diese Schmerzen habe er, seit er ungefähr 20 Jahre alt sei, aber sie seien immer stärker geworden und mittlerweile unerträglich. Er nehme regelmäßig Schmerzmittel (Paracetamol und Ibuprofen 800), letzteres habe seine Frau verordnet bekommen.
Im Anschluss ist die G1 von Amts wegen mit der Erstellung eines Gutachtens betraut worden, die nach ambulanter Untersuchung des Klägers in ihrem Gutachten vom 06.02.2024 zu den Schmerzen des Klägers ausgeführt hat, diese seien durch die Drüsenschwellung bedingt und insbesondere als Druck- und Berührungsschmerz gekennzeichnet. Dieser Schmerz sei eine gesundheitliche Einschränkung, die zu Schonhaltungen und Vermeidung von körperlicher Belastung führe. Durch eine operative Resektion des Drüsenparenchyms könnten die Schmerzen und körperlichen Einschränkungen dauerhaft beendet werden. Eine weitere medikamentöse Behandlung erscheine nicht zielführend, da nach so vielen Jahren typischerweise ein nicht-proliferierender fibrosierter Prozess vorliege. Dem Kläger sei in der Vergangenheit Tamoxifen im off-label-use angeboten worden, doch habe er dies aus gutem Recht wegen möglicher Nebenwirkungen abgelehnt. Eine Gewichtsreduktion würde den Fettanteil der Brust verringern, nicht aber die Diagnose und auch nicht die Symptomatik. Sport und andere Bewegungstherapien würden erst nach Symptomlinderung in das Leben des Klägers zu integrieren sein.
Die Beklagte hat kritisiert, die Gutachterin habe sich nicht ausreichend mit den Schmerzen auseinandergesetzt und hierzu keinen eigenen Befund erhoben, sondern lediglich die Schilderungen des Klägers übernommen. Konkrete beeinträchtigte Körperfunktionen seien nicht angegeben und eine Nutzen-Risiko-Abwägung der begehrten Operation nicht in ausreichendem Maße getroffen worden. Mit diesen Vorwürfen konfrontiert hat die Gutachterin G1 erwidert, die Untersuchung habe die Eigenanamnese, Inspektion, Palpation und Sonografie beider Mammae und der regionären Lymphabflusswege umfasst. Druck- und Berührungsschmerzen seien während der Untersuchung auslösbar gewesen, aber eben nicht quantifizierbar und schon gar nicht im Verlauf messbar. Bezüglich der Nutzen-Risiko-Abwägung verweise sie auf den Perimed-Bogen (Aufklärungsbogen zur Operation Gynäkomastie). Ihre persönliche Einschätzung zur OP habe sie bereits formuliert und es könne nicht sein, dass es Sinn des Gutachtens sei, den Inhalt eines anerkannten Dokuments als zusätzliche Fleißarbeit erneut zu formulieren.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die gemäß den §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 04.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2019, mit dem die Beklagte die stationäre Behandlung des Klägers zur operativen Beseitigung der beidseits bestehenden Gynäkomastie abgelehnt hat. Hiergegen hat der Kläger statthaft eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) erhoben.
Die Berufung ist aber nicht begründet, da dem Kläger der begehrte Anspruch nicht zusteht.
Rechtsgrundlage für die Gewährung der begehrten Operation der Gynäkomastie mittels Mastektomie als Sachleistung ist § 27 SGB V. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, um ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach Satz 2 Nr. 5 dieser Vorschrift umfasst die Krankenbehandlung u.a. auch die Krankenhausbehandlung. Nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 5 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (vgl. etwa BSG 16.12.2008, B 1 KR 11/08 R, juris).
Unter Krankheit ist nach der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand zu verstehen, der einer ärztlichen Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSG 30.09.1999, B 8 KN 9/98 KR; BSG 10.02.1993, B 1 RK 14/92, jeweils in juris). Nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit kommt Krankheitswert zu. Eine Krankheit liegt nur vor, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris).
Vorliegend leidet der Kläger unter einer Gynäkomastie, d.h. einer gutartigen Vergrößerung der Brustdrüsen. Ein Tumor wurde ausgeschlossen, Malignität liegt nicht vor (vgl. Bericht des Instituts für Pathologie, Universitätsklinikum K1, vom 18.02.2019, Bl. 66 SG-Akte). Allerdings schmerzen die Brüste des Klägers, so dass der Senat von einer Krankheit ausgeht.
Allerdings ist diese nicht operativ zu behandeln.
Nicht zum Tragen kommt an dieser Stelle die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Eingriff in ein gesundes/funktionell intaktes Organ (a.A. LSG Hessen 25.07.2024, L 1 KR 193/22, juris Rn. 24). Hiernach bedarf, sofern durch eine Operation in ein funktionell intaktes Organ eingegriffen und dieses regelwidrig verändert, die mittelbare Behandlung einer speziellen Rechtfertigung, wobei die Art und Schwere der Erkrankung, die Dringlichkeit der Intervention, die Risiken und der zu erwartende Nutzen der Therapie sowie etwaige Folgekosten für die Krankenversicherung gegeneinander abzuwägen sind (BSG 22.06.2022, B 1 KR 19/21 R, juris Rn. 20 m.w.N.). Dabei ist die Operation eines im Grunde gesunden Organs nur dann erforderlich und damit von der Krankenkasse zu übernehmen, wenn die voraussichtlichen Ergebnisse dieses Eingriffs den voraussichtlichen Ergebnissen anderer Behandlungsoptionen eindeutig überlegen sind. Hierfür ist nicht zu verlangen, dass sämtliche andere Therapieoptionen zuvor tatsächlich ausgeschöpft sind. Allerdings muss unter Berücksichtigung des gesicherten Standes der medizinischen Erkenntnisse und unter Abwägung von Nutzen und Risiken ausgehend von den Behandlungszielen im konkreten Behandlungsfall von einem chirurgischen Eingriff ein deutlich größerer Nutzen für den gesundheitlichen Zustand des Patienten insgesamt zu erwarten sein (BSG 22.06.2022 a.a.O. Rn. 22 zur bariatrischen Operation). Diese Überlegungen des BSG greifen hier nicht, da es nicht um eine mittelbare Behandlung geht (etwa um die Verkleinerung der Brüste zur Behandlung von Rückenschmerzen oder eine Magenband-OP zur Behandlung von Übergewicht), sondern um eine unmittelbare Behandlung insofern, als die Brüste schmerzen und deshalb die Brüste operiert werden sollen. Allerdings muss auch in Fällen einer solchen unmittelbaren Behandlung die stationäre Behandlung erforderlich sein (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V), d.h. das Behandlungsziel (hier Reduktion der Schmerzen) darf nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden können.
Von dieser Erforderlichkeit konnte sich der Senat vorliegend nicht überzeugen. Zum einen sind bereits keine stärkeren Schmerzen nachgewiesen worden, zum anderen kommen zur Schmerzbehandlung weitere Behandlungsoptionen in Betracht.
Zwar hat der Kläger vorgetragen, die Gynäkomastie sei mit starken Schmerzen verbunden, die ihn in seinen Körperfunktionen insofern beeinträchtigen, als er - um Bewegungsschmerzen (etwa beim Springen) oder Berührungsschmerz (beim Kontakt mit Gegenständen/Menschen) zu vermeiden -, in seiner Beweglichkeit eingeschränkt sei. So hat der Kläger im Rahmen des Erörterungstermins am 04.05.2023 einen Schmerz bereits bei leichter Berührung sowie einen Bewegungsschmerz und z.T. sogar Schmerzen bei bloßer Anspannung der Brust beschrieben. Hiermit korrespondierend hat auch die G1 in ihrem Gutachten vom 06.02.2024 im Rahmen der Palpation eine Überempfindlichkeit beider Brüste und Mamillen erwähnt und - bedingt durch die Drüsenschwellung - einen Druck- und Berührungsschmerz angenommen, der zu Schonhaltungen und zur Vermeidung körperlicher Belastung führe.
Von einer solchen Schmerzintensität konnte sich der Senat indes nicht überzeugen. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass der Kläger unter Schmerzen leidet, da er diese bereits am 16.05.2017 gegenüber seinem behandelnden J1 erwähnt hat (vgl. Karteikarte Bl. 70 SG-Akte: „Früher war die Brust nur groß; seit 3 Jahren hat er auch Schmerzen“). Am 19.06.2017 klagte er gegenüber J1 im Laufe der Testosteronersatzbehandlung über vermehrte Schmerzen (vgl. Karteikarte vom 29.06.2017, Bl. 71 SG-Akte), die später wieder etwas nachließen, aber wechselnd stark ausgeprägt immer noch vorhanden waren (Karteikarte vom 20.07.2017, Bl. 72 SG-Akte). Auch haben der Leiter des Brustzentrums der Uniklinik K1 M1 sowie der E1 in ihrem Bericht vom 28.09.2020 (Bl. 48 SG-Akte) angegeben, der Kläger habe bei der Vorstellung im Juni 2019 über Mastodynie geklagt, d.h. über ein Spannungsgefühl bzw. Schmerzen in der Brust. Schmerzhafte Schwellungen werden auch im Bericht der Radiologie des Medizinischen Versorgungszentrums der J2 Krankenhaus GmbH in S2 (Bl. 163 SG-Akte) erwähnt, worin am 01.06.2017 von einer progredienten schmerzhaften Schwellung und Verhärtung die Rede ist.
Allerdings gibt es - obwohl der Kläger nach seinen Angaben gegenüber J1 mindestens seit 2014 unter Schmerzen leidet und er diese im Erörterungstermin am 04.05.2023 sogar als „unerträglichen Schmerzen“ seit seinem 29. oder 30. Lebensjahr (d.h. seit 2009 bzw. 2010) beschrieben hat - ausweislich der Auflistung der Arbeitsunfähigkeitsfälle (vgl. Bl. 115 SG-Akte) bis zum 31.05.2016 (Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung; danach wurde keine Erwerbstätigkeit mehr ausgeübt) keine Arbeitsunfähigkeitszeiten, die auf die Brustschmerzen zurückzuführen wären. Damit wäre aber zu rechnen gewesen, wenn die Schmerzen ein solches Ausmaß erreicht und - wie der Kläger vorgetragen hat - sogar der Ausübung seiner Beschäftigung als Maler entgegengestanden hätten. Auch entsprechende stationäre Krankenhausaufenthalte wegen der Schmerzproblematik sind nicht erfolgt (Auflistung der Krankenhausfälle Bl. 115 SG-Akte, Stand 16.02.2022, vgl. Bl. 111 SG-Akte). Vor allem aber wurden die Schmerzen bisher zu keinem Zeitpunkt auf Kosten der Beklagten medikamentös behandelt, wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 16.02.2022 unter Verweis auf das Arzneimittelverzeichnis ausgeführt hat (Bl. 112, Bl. 113 ff. SG-Akte). Hieran hat sich in der Folgezeit nichts geändert, wie die Beklagtenvertreterin im Rahmen des Erörterungstermins am 04.05.2023 ausgeführt hat. Der Kläger hat diesbezüglich vorgetragen, regelmäßig Schmerzmittel einzunehmen in Form von Paracetamol und Ibuprofen 800. Bei Paracetamol handelt es sich laut Herstellerinformation (vgl. https://www.ratiopharm.de/produkte/details/paracetamol-ratiopharm-500-mg-tabletten-pzn-1126111.html) um ein rezeptfreies Mittel lediglich gegen leichte bis mäßig starke Schmerzen, so dass sich durch die Einnahme dieses Mittels jedenfalls stärkere („unerträgliche“) Schmerzen - unter denen der Kläger aber nach eigenem Vortrag leidet - nicht behandeln lassen. Ibuprofen 800, bei dem es sich um ein verschreibungspflichtiges Medikament handelt, hat der Kläger nach seinen Angaben über seine Frau erhalten, die „viele von diesen Tabletten hat“. Da die Versorgung mit diesem Medikament nicht auf Kosten der Beklagten erfolgte, lässt sich die Häufigkeit der Einnahme in keiner Weise nachvollziehen. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger - wären die Schmerzen so unerträglich, wie er im Erörterungstermin behauptet hat - sich Schmerzmittel hätte verordnen lassen bzw. eine Behandlung bei einem Schmerztherapeuten aufgenommen hätte.
Das Gutachten der G1 hilft hier nicht weiter. Sie hat den Schmerz als Druck- und Berührungsschmerz gekennzeichnet, aber - worauf auch die Beklagte zutreffend hingewiesen hat - außer der Palpation offensichtlich keine weiteren Untersuchungen des Schmerzes vorgenommen, sondern sich hier auf die Aussagen des Klägers verlassen. Eine erneute Nachfrage hat hier ebenfalls keine weiteren Erkenntnisse erbracht. Insofern ergibt sich zwar aus den vorliegenden Arztberichten, dass der Kläger unter Schmerzen leidet, nicht jedoch ein seit Jahren bestehender „unerträglicher“ Schmerz, der zu körperlichen Einschränkungen führte.
Es ist somit festzustellen, dass der Kläger zwar unter wiederkehrenden Schmerzen leidet, das von ihm geschilderte Ausmaß unerträglicher/starker Schmerzen aber nicht nachgewiesen ist. Als mildere Behandlungsoption vor Durchführung einer Operation ist daher vor allem die Einnahme von Schmerzmitteln bzw. die Behandlung durch einen Schmerztherapeuten zu nennen, kombiniert mit einer Gewichtsreduktion und sportlicher Betätigung, deren Erfolg nach der umfangreichen Beweisaufnahme keinesfalls ausgeschlossen ist. Zwar hat die Gutachterin G1 ohne weitere Begründung einen Zusammenhang zwischen Gewicht und Symptomatik verneint, doch lässt sich dies den Berichten der behandelnden Ärzte nicht entnehmen. Vielmehr hat der behandelnde P1 in seinem Bericht vom 04.09.2020 einen Zusammenhang zwischen dem Gesamttestosteron sowie der Adipositas angenommen, vor einer operativen Therapie eine Gewichtsreduktion bzw. körperliches Training für sinnvoll erachtet und die Mastektomie als ultima ratio bezeichnet. Ähnlich hat E1 die Sachlage beurteilt, indem er schreibt, die Gynäkomastie könne „sicherlich keinesfalls allein“ durch körperliches Training und Gewichtsreduktion behoben werden. Dies impliziert aber einen möglichen Teilerfolg eben dieser Maßnahmen. Auch im Bericht des behandelnden J1 vom 21.12.2020 wird ausgeführt, bei Gewichtsreduktion und körperlichem Training gebe es keinen „garantierten“ Therapieerfolg - womit J1 ebenfalls eine mögliche Linderung durch Gewichtsreduktion und körperliches Training zum Ausdruck bringt. Dass eine sportliche Betätigung nicht möglich sein soll, wie die Gutachterin G1 behauptet, überzeugt den Senat nicht, da es zum einen brustschonende Sportmöglichkeiten gibt (Schwimmen, Krafttraining o.ä.) und der Kläger zum anderen - wie dies auch Frauen tun müssen - seine Brust durch entsprechende Kleidung abstützen kann.
Die Operation, die neben allgemeinen Operationsrisiken (Entzündungen, Thrombose, Lungenembolie) ausweislich des Gutachtens der G1 mit dem Risiko von Deformitäten, Liponekrosen, Epitheliolysen, unschöner Narbenbildung und Asymmetrie verbunden ist, hält der Senat daher im Ergebnis jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht für erforderlich. Dies gilt umso mehr, als bei einem weiteren Zuwarten und einem Behandlungsversuch mit Schmerztherapie bzw. Gewichtsreduktion (ggf. unter ärztlicher Aufsicht) sowie Sport mit keiner wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu rechnen ist (anders als im Fall des BSG 22.06.2022 a.a.O.).
Die Notwendigkeit der begehrten Mastektomie lässt sich auch nicht mit einer Entstellung begründen. Um eine behandlungsbedürftige Entstellung annehmen zu können, genügt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht jede körperliche Abnormität. Vielmehr muss es sich objektiv um eine erhebliche Auffälligkeit handeln, die naheliegende Reaktionen der Mitmenschen wie Neugier oder Betroffenheit hervorruft und damit zugleich erwarten lässt, dass der Betroffene ständig viele Blicke auf sich zieht, zum Objekt besonderer Beachtung wird und sich deshalb aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückzuziehen und zu vereinsamen droht, sodass die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefährdet ist (BSG 10.03.2022, B 1 KR 3/21 R, juris Rn. 16 ff. m.w.N.). Ausgehend vom objektiven Krankheitsbegriff kommt es für die Bewertung der Entstellung nicht auf eine subjektive oder persönliche Einschätzung der Betroffenen an. Die Feststellung, dass im Einzelfall Versicherte wegen einer körperlichen Abnormität entstellt sind, ist anhand eines objektiven Maßstabes zu beurteilen und in erster Linie Tatfrage. Dabei wird grundsätzlich darauf abgestellt, dass die körperliche Auffälligkeit in einer solchen Ausprägung vorhanden sein muss, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi „im Vorbeigehen“ bemerkbar macht (BSG 10.03.2022 a.a.O. Rn. 17 unter Verweis auf BSG 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R, juris). Eine Entstellung kann in eng begrenzten Ausnahmefällen auch an üblicherweise von Kleidung bedeckten Körperstellen möglich sein. Da die gesellschaftliche Teilhabe ganz überwiegend im bekleideten Zustand erfolgt, ist die Erheblichkeitsschwelle jedoch bei Auffälligkeiten im Gesichtsbereich deutlich eher überschritten, als an sonstigen, regelmäßig durch Kleidungsstücke verdeckten Bereichen des Körpers. In diesen Bereichen müssen die Auffälligkeiten deshalb besonders schwerwiegend sein. Erforderlich ist, dass selbst die Offenbarung im privaten Bereich die Teilhabe, etwa im Rahmen der Sexualität, nahezu ausschließen würde. Hierbei ist nicht das subjektive Empfinden der Betroffenen maßgeblich, sondern allein die objektiv zu erwartende Reaktion. Die Auffälligkeit muss evident abstoßend wirken (BSG 10.03.2022 a.a.O. Rn. 18).
Diese Erheblichkeitsschwelle wird vorliegend bei weitem nicht erreicht, und zwar weder im bekleideten noch im unbekleideten Zustand. Gerade bei adipösen Männern sind vergrößerte Brüste - ob nun wegen Gynäkomastie oder aufgrund Fettgewebes - weit verbreitet, so dass bei flüchtiger Begegnung des Klägers niemand im Alltag hiervon Notiz nehmen wird. Hiervon hat sich der Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 24.09.2024 mittels Augenscheins überzeugen können. Auch in unbekleidetem Zustand sind die Brüste nicht abstoßend, wie der Senat den in der Akte befindlichen Fotos entnimmt. Der Kläger behauptet auch selbst nicht, dass die Brüste zu Problemen der Sexualität führen (vgl. Gutachten der Frau G1, Bl. 115 Senatsakte: Vita sexualis unauffällig).
Nachvollziehbarerweise leidet der Kläger psychisch unter seinen vergrößerten Brüsten. Dieser Aspekt wird sowohl von den Ärzten der Uniklinik K1 im Bericht vom 28.09.2020 (Bl. 48 SG-Akte) als auch von J1 (Bericht vom 21.12.2020, Bl. 59 SG-Akte) neben den Schmerzen als Hauptgrund für die begehrte Operation genannt. Allerdings können nach ständiger Rechtsprechung psychische Leiden einen Anspruch auf eine Operation grundsätzlich nicht begründen (BSG 28.02.2008, B 1 KR 19/07 R, juris; BSG 08.03.2016, B 1 KR 35/15 R, juris), sondern sind mit Mitteln der Psychiatrie zu behandeln - selbst, wenn ein operativer Eingriff kostengünstiger wäre (BSG 19.10.2004, B 1 KR 3/03 R, juris).
Im Ergebnis besteht daher kein Anspruch auf die begehrte Operation als Sachleistung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.