Die Mitgliedschaft in der KVdR kann allein durch den Bezug einer Witwerrente begründet sein. § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V lässt im Falle eines abgeleiteten Rentenanspruchs ausdrücklich Versicherungszeiten des Ehepartners ausreichen. Die 9/10 Belegung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V muss nicht beim Betroffenen vorliegen. Es genügt, wenn der verstorbene Ehegatte diese erfüllt. Für die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3a SGB V kommt es auch darauf an, ob der Versicherte im 5-Jahres-Zeitraum vor dem Antrag auf Hinterbliebenenrente mindestens die Hälfte dieses Zeitraums versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder wegen § 5 Abs. 5 SGB V (Ausübung einer hauptberuflich selbständigen Tätigkeit) nicht versicherungspflichtig gewesen oder mit einer Person verheiratet gewesen ist, die diese Voraussetzungen erfüllt.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.12.2024 wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Mitgliedschaft des Klägers in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).
Der 1940 geborene Kläger war bis 2016 selbständig tätig und bereits seit 1965 privat krankenversichert. Er bezieht eine Altersrente der Deutschen Rentenversicherung sowie eine Rentenzahlung der A1. Seine Ehefrau, die ebenfalls eine Altersrente bezog, erfüllte die Voraussetzungen für eine KVdR und war zuletzt bei den Beklagten kranken- und pflegeversichert. Sie verstarb am 11.12.2023.
Am 14.12.2023 stellte der Kläger bei der Deutschen Rentenversicherung Bund einen Antrag auf Rente wegen Todes (Witwerrente) gem. § 33 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Im Rahmen der gem. § 201 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durchgeführten Klärung des Versicherungsstatus teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 08.04.2024 mit, eine Aufnahme in die KVdR sei nicht möglich.
Hiergegen erhob der Kläger am 07.05.2024 Widerspruch. Er sei selbständig gewesen und habe sich nicht über seine Ehefrau versichert. Aufgrund häufiger Krankheitszeiten seiner Ehefrau habe er nicht die nötigen Rücklagen erarbeiten können. Er habe seine Firma bis ins Jahr 2016 betrieben und gleichzeitig seine Ehefrau gepflegt.
Diesen Widerspruch wies die Beklagte Ziff. 1 mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2024 - auch im Namen der Beklagten Ziff. 2 - als unbegründet zurück unter Verweis auf § 6 Abs. 3a SGB V, wonach Versicherungsfreiheit eintrete, wenn in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Versicherungspflicht kein gesetzlicher Krankenversicherungsschutz (Pflichtversicherung, freiwillige Versicherung, Familienversicherung) bestanden habe, und zwar auch, wenn die betroffene Person bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Bei Personen, die wegen Erreichens der für einen Rentenbezug vorgesehenen Altersgrenzen oder einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung oder dauerhafter Aufgabe der selbständigen Tätigkeit bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden seien, sei die weitere Voraussetzungen des § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V (mindestens die Hälfte des 5-Jahres-Zeitraums versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder hauptberuflich selbständig erwerbstätig) dann erfüllt, wenn die Person diese Voraussetzung zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus dem Erwerbsleben erfüllt habe. Dann führe die Erfüllung eines Versicherungspflichttatbestandes wie der Antrag auf Hinterbliebenenrente bei Erfüllung der Voraussetzungen für die KVdR in der Person des Verstorbenen nicht zur Versicherungspflicht. Der Kläger sei bei seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben 2016 älter als 55 Jahre und mehr als die Hälfte des 5-Jahres-Zeitraums versicherungsfrei gewesen, so dass er die Krankenversicherungspflicht für Rentner nicht aus der Erfüllung der Vorversicherungszeit seiner Ehefrau übernehmen könne. Wegen der Vorbehaltsklausel in § 20 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) wirke sich die Versicherungsfreiheit nach § 6 Abs. 3a SGB V auch auf die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung aus. Der Kläger sei daher auch nicht versicherungspflichtig in der gesetzlichen Pflegeversicherung.
Hiergegen hat der Kläger am 13.08.2024 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) eingereicht und vorgetragen, die zur Versicherungsfreiheit führende Vorschrift des § 6 Abs. 3a SGB V sei entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht erfüllt. Die Rechtsauffassung der Beklagten fuße auf dem Gemeinsamen Rundschreiben des GKV-Spitzenverbands und der Deutschen Rentenversicherung Bund „Krankenversicherung und Pflegeversicherung der Rentner zum 01. Januar 2020“ Punkt A II 2. Danach seien die Fristen des § 6 Abs. 3a Satz 1 und des Satz 2 SGB V unterschiedlich zu berechnen, wenn die Aufnahme in die KVdR begehrende Person bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Diese Rechtsauffassung widerspreche dem Gesetzeswortlaut und auch dem Willen des Gesetzgebers. Für die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3a SGB V komme es somit darauf an, ob der Kläger im 5-Jahres-Zeitraum vor dem Antrag auf Hinterbliebenenrente mindestens die Hälfte dieses Zeitraums versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder wegen § 5 Abs. 5 SGB V (Ausübung einer hauptberuflich selbständigen Tätigkeit) nicht versicherungspflichtig gewesen sei oder mit einer Person verheiratet gewesen sei, die diese Voraussetzungen erfülle. Dies sei aufgrund der Pflichtversicherung seiner verstorbenen Ehefrau nicht der Fall. Selbst wenn man der Rechtsauffassung der Beklagten folge, ergebe sich aus der Verwaltungsakte nicht, dass der Kläger vor dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nach § 5 Abs. 5 SGB V nicht versicherungspflichtig gewesen sei. Anhaltspunkte für Versicherungsfreiheit oder Befreiung von der Versicherungspflicht bestünden nicht. Das Unternehmen habe der Kläger 2016 aufgegeben. Versicherungsfreiheit sei damit nicht eingetreten und es seien die Voraussetzungen für die KVdR und die Pflichtversicherung in der Pflegeversicherung erfüllt.
Mit Urteil vom 12.12.2024 hat das SG der Klage stattgegeben. Der Kläger sei aufgrund § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V bei den Beklagten pflichtversichertes Mitglied in der Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner. Nach dieser Norm seien versicherungspflichtig Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt hätten, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 versichert waren. Der Kläger erfülle in eigener Person die Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht als Rentenbezieher bzw. - antragsteller nicht, jedoch als Bezieher einer Witwerrente aus der Versicherung seiner am 11.12.2023 verstorbenen Ehefrau. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V gölten bei Personen, die ihren Rentenanspruch aus der Versicherung einer anderen Person ableiteten, die Voraussetzungen des Abs. 1 Nr. 11 oder 12 als erfüllt, wenn die andere Person - hier die Ehefrau - diese Voraussetzungen erfüllt habe. Dass der Kläger die Voraussetzungen des Versicherungspflichttatbestandes des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V erfülle, sei auch zwischen den Beteiligten nicht streitig. Nach § 189 Abs. 2 SGB V sei maßgeblich für den Beginn der Mitgliedschaft der Tag der Rentenantragstellung. Der Kläger sei entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht nach § 6 Abs. 3a SGB V versicherungsfrei. Nach dieser Regelung seien Personen, die nach Vollendung des 55. Lebensjahres versicherungspflichtig würden, versicherungsfrei, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert gewesen seien. Weitere Voraussetzung sei, dass diese Personen mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Abs. 5 nicht versicherungspflichtig gewesen seien. Der Kläger sei in den letzten fünf Jahren vor Beantragung der Hinterbliebenenrente nicht gesetzlich versichert gewesen, so dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3a Satz 1 SGB V vorlägen. Hinsichtlich dieses Zeitraums sei auf die unmittelbar vor dem Eintritt der Versicherungspflicht endenden fünf Jahre abzustellen. Der 5-Jahres-Zeitraum erfasse somit die Zeit vom 14.12.2018 bis 13.12.2023. Dieser Zeitraum ergebe sich daraus, dass die KVdR von dem Kläger in Verbindung mit dem Antrag auf Gewährung der Hinterbliebenenrente nach dem Tod seiner Ehefrau beantragt worden sei. Es sei auf das Datum des Antrags auf Gewährung der Hinterbliebenenrente am 14.12.2023 abzustellen. Der Kläger sei in dem genannten Zeitraum weder pflichtversichert noch über seine Ehefrau familienversichert gewesen, sondern privat versichert. Weitere Voraussetzung sei gem. § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V, dass diese Personen mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Abs. 5 nicht versicherungspflichtig gewesen seien. Diese Voraussetzungen lägen bei dem Kläger nicht vor. Entgegen der Auffassung der Beklagten beziehe sich die „Hälfte dieser Zeit“, in der der Versicherungspflichtige versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Abs. 5 SGB V nicht versicherungspflichtig gewesen sein müsse, auf den in Satz 1 enthaltenen 5-Jahres-Zeitraum, der mit Eintritt in die Versicherungspflicht ende. Ein anderer Zeitraum oder gar die Bildung von zwei 5-Jahres-Zeiträumen, zum einen vor dem Eintritt der Versicherungspflicht und zum anderen vor dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben sei gesetzlich nicht vorgesehen. Diese Ansicht stehe nicht dem Willen des Gesetzgebers entgegen. Die Vorschrift diene nach der Gesetzesbegründung einer klareren Abgrenzung zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung und solle die Solidargemeinschaft der Versicherten schützen: Versicherungsfreie Personen, die sich frühzeitig für eine Absicherung in der PKV entschieden hätten, sollten diesem System auch im Alter angehören. Ohne die Regelung des § 6 Abs. 3a SGB V könnten ältere Personen Pflichtmitglieder in der GKV werden, obwohl sie bislang zu keinem Zeitpunkt einen Beitrag zu den Solidarlasten geleistet hätten. Es möge sein, dass die Begründung einer Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V für zuvor nicht gesetzlich versicherte Bestandsrentner vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen sei. Ein möglicher entgegenstehender Wille habe jedoch nicht Ausdruck im Wortlaut des Gesetzes gefunden. Auch spreche der Wille des historischen Gesetzgebers für ein einheitliches Verständnis der in § 6 Abs. 3a Satz 1 und Satz 2 SGB V bezeichneten Zeiträume. Es sollte durch das Kriterium der überwiegenden Versicherungsfreiheit in den letzten fünf Jahren vor Beginn der Versicherungspflicht sichergestellt werden, dass die Versicherungspflicht von Rentnern und Rentenantragstellern, welche die Voraussetzungen der Vorversicherungszeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V erfüllten, grundsätzlich unberührt bleibt. Dies treffe auch auf den Kläger zu, da bei ihm die Voraussetzungen der Vorversicherungszeit erfüllt seien, wobei es in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung sei, dass er die Voraussetzungen der Vorversicherungszeit allein unter Ableitung seines Anspruchs auf Hinterbliebenenrente seiner verstorbenen Ehefrau gem. § 5 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 SGB V erfülle. Aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 5 Abs. 2 SGB V ergebe sich zweifelsfrei die Wertung des Gesetzgebers, auch bei der durch Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente abgeleiteten Mitgliedschaft von einem ausreichenden Bezug zur Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten auszugehen. Demgegenüber bezwecke die Bestimmung des § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V nicht, die über § 5 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 SGB V begründete Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung auch dann wieder aufzuheben, soweit nicht die dort ausdrücklich genannten Voraussetzungen erfüllt seien. Für eine Auslegung der Bestimmung des § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V über den eindeutigen Wortlaut hinaus ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien keine Veranlassung. Der Gesetzesbegründung sei gerade nicht zu entnehmen, dass die Ableitung des Rentenanspruchs von einer die Voraussetzungen der KVdR erfüllenden Person keine hinreichende Beziehung zur GKV mehr darstellen solle. Inwieweit die Vermeidung eines Wechsels von Hinterbliebenenrentenempfängern und -antragstellern nach Erreichen des 55. Lebensjahres - über die ausdrücklich in § 6 Abs. 3a Satz 1 und 2 SGB V genannten Fälle hinaus - in die GVK geboten und gerechtfertigt sei, sei keine Frage der Auslegung und Rechtsanwendung, sondern eine Entscheidung, die der parlamentarische Gesetzgeber zu treffen habe. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) seien versicherungspflichtig in der sozialen Pflegeversicherung die versicherungspflichtigen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung, weshalb der Kläger auch pflichtversichert in der gesetzlichen Pflegeversicherung sei.
Gegen dieses Urteil haben die Beklagten am 15.01.2025 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingereicht mit der Begründung, der Kläger leite seinen Rentenanspruch aus der Versicherung seiner Ehefrau M1 ab, die die Voraussetzungen der KVdR erfüllt habe. Allerdings trete hier nach § 6 Abs. 3a Sätze 1 bis 3 SGB Versicherungsfreiheit ein. Die Regelung des § 6 Abs. 3a SGB V gelte nicht nur, solange die betroffene Person im Erwerbsleben stehe, sondern komme auch dann zur Anwendung, wenn die Person bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Bei Personen, die wegen Erreichens der für einen Rentenbezug vorgesehenen Altersgrenzen oder einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung oder dauerhafter Aufgabe der selbständigen Tätigkeit bereits aus dem Erwerbsleben ausgeschieden seien, sei die weitere Voraussetzung des § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V (mindestens die Hälfte des 5-Jahres-Zeitraums versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder hauptberuflich selbständig erwerbstätig) dann erfüllt, wenn die Person diese Voraussetzung zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus dem Erwerbsleben erfüllt habe. Dann führe die Erfüllung eines Versicherungspflichttatbestandes wie der Antrag auf Hinterbliebenenrente bei Erfüllung der Voraussetzungen für die KVdR in der Person des Verstorbenen nicht zur Versicherungspflicht. Dies sei im Rundschreiben des GKV-Spitzenverbands vom 24.10.2019, Punkt A II 2 geregelt.
Die buchstabengetreue Anwendung der Norm verkehre den vom Gesetz verfolgten Zweck in sein Gegenteil, da gerade ältere Personengruppen nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nicht mehr erfasst wären - obwohl dies nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers gewünscht sei. Mit der Neuregelung des § 6 Abs.3a SGB V sollte eine erschwerte Rückkehr in das System der GKV für ältere Personen aufgrund der langjährigen Loslösung vom GKV- System erreicht werden. Die Neuregelung des § 6 Abs.3a SGB V diene nach der Gesetzesbegründung einer klareren Abgrenzung zwischen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung und dem Schutz der Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten. Mit der Regelung des § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V solle erreicht werden, dass von denen, die eine Vorversicherungszeit nach Satz 1 nicht aufzuweisen hätten, nur diejenigen von der Versicherungspflicht ausgeschlossen seien, die nach den genannten Vorschriften (§ 5 Abs. 5, § 6 - § 8 SGB V) ausdrücklich und nachhaltig (mindestens die Hälfte des 5-Jahres-Zeitraums) von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgenommen und damit praktisch der privaten Krankenversicherung (PKV) zugewiesen gewesen seien. Dagegen solle von § 6 Absatz 3a Satz 1 SGB V nicht betroffen sein, wer in die GKV nicht einbezogen, von ihr aber auch nicht ausgeschlossen gewesen sei. Der Gesetzgeber habe sich bewusst für die Erfüllung dieser negativen Voraussetzungen entschlossen. Zugleich werde allerdings klar, dass sich sämtliche in der Gesetzesbegründung genannte Gruppen (Entwicklungshelfer, Ausländer, Langzeitarbeitslose mit Bezug von Sozialhilfe) nicht explizit für die private Krankenversicherung entschieden hätten und daher nicht abschließend dem System der PKV zugeordnet werden könnten. Ihnen solle die Möglichkeit der Rückkehr in die GKV gewährt werden. Etwas anderes gelte jedoch in dem vorliegenden Fall, da sich der Bezieher der Hinterbliebenenrente bereits vor Jahrzehnten für die private Krankenversicherung entschieden habe und daher nach dem Zweck des Gesetzes der PKV zugeordnet werden müsse. Der Gesetzgeber habe die Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V bei der Schaffung des Gesetzes nicht bedacht. Für diese Annahme spreche, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung explizit auf die Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V Bezug nehme und feststelle, dass die Versicherungspflicht unberührt bleibe. Im nächsten Satz werde darauf hingewiesen, dass derjenige, der in den letzten fünf Jahren nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung als Mitglied oder Familienangehöriger versichert gewesen sei, auch regelmäßig nicht die Vorversicherungszeit in der Krankenversicherung der Rentner erfüllen könne. Offenbar habe der Gesetzgeber hierbei den Gedanken gehabt, dass ältere Versicherte (über 55 Lebensjahre) bereits so lange in der privaten Krankenversicherung versichert seien, dass sie nicht mehr die geforderte Vorversicherungszeit des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V erfüllen könnten und diesen deshalb eine Rückkehr in das GKV-System verwehrt sei. Eben bei diesem Satz sei der Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Schaffung des Gesetzes einem Irrtum unterlegen. Denn derjenige, der in den letzten fünf Jahren nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung als Mitglied oder Familienangehöriger versichert gewesen sei, könne durchaus über § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V die Vorversicherungszeit der Krankenversicherung der Rentner erfüllen und das unabhängig davon, wie lange er bereits dem System der PKV angehöre.
Über 55-jährige Rentenbezieher einer Hinterbliebenenrente sollten nach dem Zweck der Neuregelung des Gesetzes keine Möglichkeit zur Rückkehr in das GKV-System haben. Dass mit der Neuregelung des § 6 Abs. 3a SGB V die Gleichwertigkeit der Ehegattenzeit von Rentenbeziehern einer Hinterbliebenenrente im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V habe aufgehoben werden sollen, ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Denn der Grundsatz, dass Versicherte, welche sich frühzeitig für eine Absicherung in der privaten Krankenversicherung entschieden haben, diesem System auch im Alter angehören sollten, solle nach der Gesetzesbegründung „mit der Neuregelung gestärkt“ werden (BT-Drs. 14/1245, 59). Zwar bestehe entsprechend dem Gedanken des § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V über den Ehegatten ein Restbezug zum System der GKV, doch dürfe nicht verkannt werden, dass sich der PKV-Versicherte in seiner Person - ungeachtet des Restbezugs über den Ehegatten - mit zunehmendem Alter vom System der GKV loslöse. Da nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben die Voraussetzungen des § 6 Abs.3a Satz 2 SGB V nicht mehr erfüllt werden könnten, wären auch diese (älteren) Personen privilegiert, obwohl gerade ältere Personen aufgrund der langjährigen Loslösung vom GKV-System der erneute Zugang zur GKV habe verschlossen werden sollen. Der Gesetzgeber habe bei Schaffung des Gesetzes schlichtweg nicht bedacht, dass die aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Personengruppen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V nicht mehr erfüllen könnten. Dieser Widerspruch zum Zweck des Gesetzes sei dadurch zu lösen, dass die weitere Voraussetzung des § 6 Abs. 3 Art Satz 2 SGB V (mindestens die Hälfte des 5-Jahres-Zeitraums versicherungsfrei, von der Versicherung befreit oder hauptberuflich selbständig erwerbstätig) nur dann erfüllt sei, wenn die über 55-jährigen diese Voraussetzung zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus dem Erwerbsleben erfüllt hätten.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 19.12.2024 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen und sich ihnen angeschlossen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 153 Abs. 1, § 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, da das SG im angegriffenen Urteil zu Recht die angegriffenen Bescheide aufgehoben und festgestellt hat, dass der Kläger seit dem 14.12.2023 Mitglied in der KVdR ist.
Gegenstand des Verfahrens ist hier der Bescheid vom 08.04.2024 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 29.07.2024, worin die Aufnahme in die KVdR abgelehnt wurde. Zulässige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG; vgl. BSG 12.01.2011, B 12 KR 11/09 R, juris Rn. 10). Das erforderliche Feststellungsinteresse besteht bereits aufgrund des Bestreitens des Versicherungsverhältnisses.
Das SG hat in dem angefochtenen Urteil vom 19.12.2024 die rechtlichen Voraussetzungen für die Aufnahme in die KVdR zutreffend dargestellt und ausführlich und fundiert begründet, aus welchen Gründen hier insbesondere § 6 Abs. 3a SGB V einer Versicherungspflicht nicht entgegensteht. Der Senat sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beklagten sei Folgendes ergänzt:
Es trifft zu, dass die Regelung in § 6 Abs. 3a SGB V nach der Intention des Gesetzgebers einer klareren Abgrenzung zwischen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung und dem Schutz der Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 14/1245, 59) folgt sie dem Grundsatz, dass versicherungsfreie Personen, die sich frühzeitig für eine Absicherung in der privaten Krankenversicherung entschieden haben, diesem System auch im Alter angehören sollen. Dieser Grundsatz, der bereits in den für eine Pflichtmitgliedschaft als Rentner (§ 5 Abs. 1 Nr. 11) oder für einen freiwilligen Beitritt (§ 9 Abs. 1 Nr. 1) gesetzlich geforderten Vorversicherungszeiten zum Ausdruck kommt, wird mit der Neuregelung gestärkt.
Ebenso zutreffend hat die Beklagte vorgebracht, dass dieses Ziel hier nicht erreicht wird, wenn der Kläger, der sich seit über 50 Jahren privat krankenversichert hatte, nun über die Witwerrente doch noch den Weg in die gesetzliche Rentenversicherung findet, weil seine Ehefrau die Voraussetzungen für eine KVdR erfüllte (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V).
Jedoch ist die gesetzliche Regelung eindeutig. Hiernach ist für eine Versicherungsfreiheit nicht nur erforderlich, dass die betroffene Person in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert war (§ 6 Abs. 3a Satz 1 SGB V), sondern nach Satz 2 dieser Vorschrift zudem, dass sie mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei, von der Versicherungspflicht befreit oder nach § 5 Abs. 5 nicht versicherungspflichtig waren. Die Worte „die Hälfte dieser Zeit“ beziehen sich dabei eindeutig auf Satz 1 der Vorschrift, nämlich die „letzten fünf Jahre vor Eintritt der Versicherungspflicht“, hier also den Zeitraum vom 14.12.2018 bis 13.12.2023 (vgl. hierzu ausführlich LSG Berlin-Brandenburg 19.04.2024, L 1 KR 441/21, juris Rn. 37). In dieser Zeit erfüllte der Kläger die weiteren in § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V für den Eintritt von Versicherungsfreiheit als erforderlich genannten Voraussetzungen nicht. Dabei reicht für Abs. 3a Satz 2 SGB V nicht aus, dass der Kläger hier gem. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V wegen der nicht erfüllten 9/10-Regelung trotz (eigenen) Altersrentenbezugs schlichtweg keinen Zugang zur KVdR hatte. Vielmehr verweist die Vorschrift durch die Worte „Versicherungsfreiheit“ und „von der Versicherungspflicht befreit“ auf die §§ 6 - 8 SGB V, die wiederum nur einschlägig sind, wenn die betroffenen Personen grundsätzlich in der GKV hätten versichert sein können (so auch LSG Berlin-Brandenburg 19.04.2024, L 1 KR 441/21, juris Rn. 49). Es muss somit bei einer an sich gegebenen Versicherungspflicht nach § 5 SGB V Versicherungsfreiheit (§§ 6, 7 SGB V) oder eine Befreiung (§ 8 SGB V) erfolgt sein oder aber wegen hauptberuflicher Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit (§ 5 Abs. 5 SGB V) keine Versicherungspflicht bestanden haben (NK-MedR/Wichner, 4. Aufl. 2024, SGB V § 6, beck-online; Knickrehm/Roßbach/Waltermann/Berchtold, 8. Aufl. 2023, SGB V § 6 Rn. 19, beck-online). Da der Kläger wie dargelegt gem. § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V von vornherein keinen Zugang zur KVdR hatte, sind die Vorschriften zur Versicherungsfreiheit nicht einschlägig, auch ist keine Befreiung nach § 8 SGB V erfolgt. Seine selbständige Tätigkeit hatte der Kläger bereits 2016 aufgegeben. Auch § 6 Abs. 3a Satz 3 SGB V, wonach der Voraussetzung nach Satz 2 die Ehe oder die Lebenspartnerschaft mit einer in Satz 2 genannten Personen gleichstehen, ist nicht erfüllt, da die Ehefrau des Klägers gesetzlich krankenversichert war.
Den Wortlaut des § 6 Abs. 3a Satz 2 SGB V nun wie die Beklagte so auszulegen, als umfasse er gleichsam zwei Fünf-Jahres-Zeiträume, nämlich den vor Eintritt der Versicherungspflicht sowie den vor dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben (vgl. Gemeinsames Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vom 24.10.2019, dort unter A II), findet im Gesetz keinerlei Stütze (so auch Saarländisches SG 16.02.2022, S 1 KR 568/20, juris Rn. 35; LSG für das Saarland 21.05.2021, L 2 KR 4/21 B ER, juris Rn. 14; LSG Berlin-Brandenburg 19.04.2024, L 1 KR 441/21, juris Rn. 36 ff.). Der eindeutige Wortlaut der Norm bildet hier die Auslegungsgrenze. Zwar ist der Wille des Gesetzgebers für die Normauslegung von maßgeblicher Bedeutung; ihm kommt zumindest eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (BSG 03.11.202, B 11 AL 2/21 R, juris Rn. 18 - 20 mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Allerdings ist der dokumentierte Wille des Gesetzgebers nur dann verbindlich, wenn er im Normwortlaut einen Anknüpfungspunkt gefunden hat (BSG a.a.O. m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Gesetzgeber zwar - wie ausgeführt - zum Schutz der Solidargemeinschaft die Abgrenzung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung stärken wollte, andererseits aber in § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB V im Falle eines abgeleiteten Rentenanspruchs ausdrücklich Versicherungszeiten des Ehepartners ausreichen lässt, somit also auf die 9/10 Belegung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der Person des Betroffenen bewusst verzichtet, sofern der Ehepartner diese erfüllt. Durch diese Regelung hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass in solchen Fällen offenbar ein ausreichender Bezug zur Solidargemeinschaft besteht und die betroffene Person gleichsam über den Ehepartner doch der „Sphäre“ der gesetzlichen Krankenversicherung zugehört (Hessisches LSG 24.10.2019, L 8 KR 206/18, juris Rn. 26; ausführlich auch LSG Berlin-Brandenburg 19.04.2024, L 1 KR 441/21, juris Rn. 48 ff.). Insofern mag es zwar zutreffen, dass der Gesetzgeber die hier vorliegende Konstellation übersehen hat, wie die Beklagten meinen, jedoch zwingend ist dieser Schluss nicht.
Andere Versicherungsfreiheitstatbestände sind nicht ersichtlich, so dass der Kläger in die KVdR aufzunehmen und die gegen das Urteil gerichtete Berufung zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der Senat die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).