Die Drei-Monats-Frist des § 2 Abs 1 S 1 JVEG für die Geltendmachung der Entschädigung (hier u.a. Fahrtkosten und Übernachtungskosten) beginnt mit der Zustellung des Beschlusses, dass die Kosten des Gutachtens nach § 109 SGG auf die Staatskasse übernommen werden.
Die Entschädigung der Antragstellerin für die Wahrnehmung des Termins zur Untersuchung bei K1 am 12.06.2024 wird auf 260,84 € festgesetzt.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Im dem beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg anhängig gewesenen Verfahren L 10 R 1578/23 ging es um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
K1 erstellte im Auftrag des LSG Baden-Württemberg auf Antrag der Antragstellerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das psychiatrische Gutachten vom 23.09.2024 nach ambulanter Untersuchung der Antragstellerin am 12.06.2024 von 8:55 bis 16:30 Uhr. Nach Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache wurden mit Beschluss vom 02.01.2025 (L 10 R 1578/23) die Kosten für das Gutachten bei K1 eingeholte Sachverständigengutachten sowie die hiermit verbundenen Auslagen auf die Staatskasse übernommen.
Mit Schreiben vom 29.01.2025, eingegangen am 03.02.2025, hat die Antragstellerin unter Vorlage von Hotelrechnungen Kosten für die Wahrnehmung des Termins beim Gutachter i.H.v. insgesamt 260,84 € geltend gemacht (Fahrtkosten mit dem Pkw 490 km à 0,35 €, Übernachtungskosten 74,34 €, Frühstück 15 €).
Mit Schreiben vom 03.02.2025 hat die Kostenbeamtin der Antragstellerin mitgeteilt, dass der Entschädigungsanspruch erloschen sei. Gemäß § 2 Abs. 1 Justizvergütungs- und entschädigungsgesetz (JVEG) erlösche der Anspruch, wenn der Beteiligte nicht binnen drei Monaten nach Zuziehung den Antrag auf Entschädigung bei dem zuständigen Gericht einreiche. Der Untersuchungstermin sei am 12.06.2024 gewesen, der Antrag auf Kostenerstattung am 03.02.2025 eingegangen, sodass die Dreimonatsfrist versäumt sei. Das Gericht könne auf Antrag Wiedereinsetzung gewähren, wenn innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses der Anspruch beziffert und die Tatsachen glaubhaft gemacht würden, die die Wiedereinsetzung begründeten.
Am 17.02.2025 hat die Antragstellerin richterliche Kostenfestsetzung beantragt. Die Dreimonatsfrist des § 2 Abs. 1 JVEG beginne erst mit der Zustellung des Beschlusses, dass die Kosten nach § 109 SGG auf die Staatskasse übernommen würden (unter Hinweis auf Rechtsprechung). Dies sei hier erst mit Beschluss vom 02.01.2025 erfolgt, sodass der Antrag fristgerecht gestellt worden und ihm zu entsprechen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Senatsakten und die beigezogenen Akten L 10 R 1578/23 Bezug genommen.
II.
Über den Antrag auf richterliche Festsetzung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG entscheidet der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Kostensachen zuständige 10. Senat gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG durch die Einzelrichterin. Gründe für eine Übertragung des Verfahrens auf den Senat liegen nicht vor.
Nach § 191 erster Halbsatz SGG werden einem Beteiligten, der - wie hier die Antragstellerin - zu dem durch Kostenfreiheit privilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört und deren persönliches Erscheinen angeordnet war, auf Antrag u.a. bare Auslagen wie einem Zeugen vergütet. Dem steht gleich, wenn ein medizinischer Sachverständiger auf Anordnung des Gerichts tätig wird und einen Beteiligten zur Untersuchung einlädt (Lange in jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 191 Rn. 15). Zeugen erhalten eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz, JVEG). Damit finden die Regelungen des JVEG Anwendung.
Entgegen der Auffassung der Kostenbeamtin ist der Anspruch vorliegend noch nicht erloschen. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG erlischt der Anspruch, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle geltend gemacht wird, die den Berechtigten herangezogen hat. Die Frist beginnt im Fall des vom Gericht veranlassten Untersuchungstermins zur Begutachtung entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 JVEG mit der Beendigung dieses Termins, wenn es sich um ein von Amts wegen nach § 106 SGG eingeholtes Gutachten handelt (LSG Baden-Württemberg 31.07.2012, L 12 KO 1608/12, m.w.N.). Dies gilt jedoch nicht bei einer Begutachtung nach § 109 SGG, da der zu Begutachtende nach dieser Vorschrift die Kosten der Begutachtung grundsätzlich selbst zu tragen hat. Ein Entschädigungsanspruch gemäß § 191 1. HS SGG kommt in diesen Fällen nur und erst dann in Betracht, wenn und soweit das Gericht gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG beschließt, dass die Kosten der Begutachtung auf die Staatskasse zu übernehmen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 06.06.2024, L 10 KO 1198/24, n.v.; LSG Nordrhein-Westfalen 09.09.2021, a.a.O.; Thüringer LSG 26.08.2011, L 6 SF 84/11, in juris Rn. 18; Krauß in BeckOGK-SGG, § 191 Rn. 20; Groß in Berchtold, SGG, 6. Aufl., § 191 Rn. 9; Lange, a.a.O., § 191 Rn. 21). Eine solche Entscheidung ist hier mit Beschluss vom 02.01.2025 erfolgt. Die Geltendmachung der Entschädigung am 03.02.2025 ist damit rechtzeitig erfolgt. Da eine isolierte gerichtliche Feststellung der Wahrung der Frist des § 2 Abs. 1 JVEG nach § 4 JVEG nicht möglich ist und auch eine entsprechende Anwendung von § 2 Abs. 2 JVEG insoweit nicht in Betracht kommt (vgl. Bayerisches LSG 30.10.2013, L 15 SF 231/13 E), erfolgt insgesamt die richterliche Kostenfestsetzung.
Rechtsgrundlage des Entschädigungsbegehrens der Antragstellerin ist § 19 Abs. 1 Satz 1 JVEG. Danach erhalten Zeugen - somit über § 191 erster Halbsatz SGG auch die Antragstellerin als Klägerin, weil ihr persönliches Erscheinen (zum Untersuchungstermin) angeordnet war - u.a. nach § 5 JVEG Fahrtkostenersatz und nach § 6 JVEG Entschädigung für Aufwand.
Die Fahrtkosten sind bei Nutzung eines eigenen oder unentgeltlich überlassenen Kraftfahrzeugs nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG in Höhe von 0,35 € für jeden gefahrenen Kilometer zu ersetzen. Dabei ist der Ermittlung des Fahrtkostenersatzes die objektiv erforderliche Strecke zugrunde zu legen. Danach kann nicht nur die kürzeste, sondern auch die schnellste, obgleich längere Strecke als objektiv erforderlich angesehen werden, sofern die kürzeste Strecke nicht mit einem nur so geringen zeitlichen Mehraufwand verbunden ist, dass ein wirtschaftlich denkender Reisender, der die Kosten selbst tragen müsste, wegen der Mehrkosten nicht die schnellste, sondern die kürzeste Strecke wählen würde (vgl. Bayerisches LSG 11.11.2016, L 15 RF 26/16). Danach kann hier die längere Strecke über die A6 entschädigt werden. Die geltend gemachte Strecke für die Hin- und Rückfahrt von 490 km entspricht ungefähr der Entfernung, die sich bei Nutzung von Routenplanern ergibt. Die Fahrtkostenentschädigung beläuft sich damit wie beantragt auf 171,50 € (490 x 0,35 €).
Die geltend gemachten Übernachtungskosten sind ebenfalls in der geltend gemachten Höhe von 74,34 € erstattungsfähig. Ist eine auswärtige Übernachtung erforderlich, wird ein Übernachtungsgeld nach den Bestimmungen des Bundesreisekostengesetzes (BRKG) gewährt (§ 6 Abs. 2 JVEG). Eine auswärtige Übernachtung ist erforderlich, wenn der Antragstellerin die Hin- und Rückreise am gleichen Tag objektiv nicht möglich oder zumutbar ist. Zu berücksichtigen ist dabei der haushaltsrechtliche Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, der im Bereich des gesamten Kostenrechts, also auch der Entschädigung von Zeugen, Sachverständigen, Dritten, ehrenamtlichen Richtern und Beteiligten gilt, und das daraus resultierende Gebot der Kostendämpfung und Kostenminimierung (vgl. LSG Thüringen 15.10.2020, L 1 JVEG 590/20). Die Bestimmung des Zumutbaren orientiert sich an den Vollzugsvorschriften zum Bundesreisekostengesetz (vgl. Schneider in Schneider, JVEG, 4. Aufl., § 6 Rn. 19 m.w.N.). Nach Ziffer 3.2.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesreisekostengesetz (BRKGVwV des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 01.06.2005 i.d.F. vom 01.12.2022, GMBl. 2019 Nr. 9 S. 154) sollen Dienstreisen grundsätzlich nicht vor 6 Uhr anzutreten und nicht nach 24 Uhr zu beenden sein. Ein früherer Beginn oder ein späteres Ende aus dienstlichen Gründen (z.B. zweckmäßige Verkehrsmittel, dienstlich bereitgestellte Mitfahr- oder Mitfluggelegenheit) bleiben unberührt.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war der Antragstellerin die Anreise am Untersuchungstag von W1 nach B1 angesichts des Beginns gegen 9:00 Uhr unter Berücksichtigung eines ausreichenden zeitlichen Puffers für die Fahrt im Berufsverkehr nicht zumutbar. Nach § 6 Abs. 2 JVEG i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 BRKG erhalten Dienstreisende für eine Übernachtung pauschal 20 €. Höhere Übernachtungskosten werden gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 BRKG erstattet, soweit sie notwendig sind. Nach Ziffer 7.1.3 Satz 1 BRKGVwV sind Übernachtungskosten als notwendig anzusehen, wenn ein Betrag von 70 € nicht überschritten wird. Übersteigen die Übernachtungskosten diesen Betrag, ist deren Notwendigkeit im Einzelfall zu begründen (a.a.O. Satz 2). Nach einer Recherche über übliche Buchungsportale liegt der geltend gemachte Übernachtungspreis im unteren Bereich der Kosten für eine Hotelübernachtung in B1 und kann daher im vorliegenden Einzelfall erstattet werden.
Die geltend gemachten Frühstückskosten von 15 € sind aus dem Tagegeld zu finanzieren. Gemäß § 6 Abs. 1 JVEG gilt für die Entschädigung für Aufwand: Wer innerhalb der Gemeinde, in der der Termin stattfindet, weder wohnt noch berufstätig ist, erhält für die Zeit, während der er aus Anlass der Wahrnehmung des Termins von seiner Wohnung und seinem Tätigkeitsmittelpunkt abwesend sein muss, ein Tagegeld, dessen Höhe sich nach der Verpflegungspauschale zur Abgeltung tatsächlich entstandener, beruflich veranlasster Mehraufwendungen im Inland nach dem Einkommensteuergesetz (EStG) bemisst. Wegen der Höhe verweist Abs. 1 mithin auf § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 4a EStG. Die danach geltende Verpflegungspauschale (§ 9 Abs. 4a Satz 3 EStG) beträgt (1.) 28 € für jeden Kalendertag, an dem der Arbeitnehmer 24 Stunden von seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist, (2.) jeweils 14 € für den An- und Abreisetag, wenn der Arbeitnehmer an diesem, einem anschließenden oder vorhergehenden Tag außerhalb seiner Wohnung übernachtet, (3.) 14 € für den Kalendertag, an dem der Arbeitnehmer ohne Übernachtung außerhalb seiner Wohnung mehr als 8 Stunden von seiner Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist; beginnt die auswärtige berufliche Tätigkeit an einem Kalendertag und endet am nachfolgenden Kalendertag ohne Übernachtung, werden 14 € für den Kalendertag gewährt, an dem der Arbeitnehmer den überwiegenden Teil der insgesamt mehr als 8 Stunden von seiner Wohnung und der ersten Tätigkeitsstätte abwesend ist.
Für den An- und Abreisetag einer mehrtägigen Tätigkeit mit auswärtiger Übernachtung werden demnach jeweils 14 € berechnet, unabhängig davon, wie lange die Abwesenheit dauert (vgl. Oertel in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl., § 9 Rn. 90; Weber in Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl., JVEG § 6 Rn. 7), folglich bei zwei Reisetagen 28 €. Aus dieser Pauschale sind die tatsächlichen Aufwendungen zu bestreiten, auf deren konkrete Höhe kommt es nicht an. Da die Antragstellerin jedoch konkret 15 € gefordert hat, ist der festzusetzende Betrag insoweit gedeckelt (ne ultra petita).
Die insgesamt zu erstattenden Kosten sind damit antragsgemäß i.H.v. 260,84 € festzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).