L 3 R 744/19

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 34 R 1490/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 744/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 10/22 R
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.07.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 22.05.2012 bis zum 16.03.2016.

 

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist seit dem 01.10.2007 als Referatsleiter Personal beim Verband der privaten Krankenversicherungen e.V., S., - Beigeladener zu 1) - tätig. Seit dem 22.05.2012 ist er Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer S. und Mitglied des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte in C. – Beigeladener zu 2) -.

 

Den Antrag des Klägers vom 25.06.2012 auf Befreiung von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung für seine bei dem Beigeladenen zu 1) ausgeübte Beschäftigung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.10.2012 und Widerspruchsbescheid vom 17.04.2013 ab, weil es sich bei dieser Tätigkeit nicht um eine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit handele. Der Kläger sei nicht rechtsgestaltend und rechtsentscheidend tätig. Der Umstand, dass die Zulassung des Klägers zur Anwaltschaft erst am 22.05.2012 erfolgt sei, spreche ebenfalls dafür, dass es sich nicht um eine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit handele, da diese auch ohne eine Anwaltszulassung ausgeübt werden könne.

 

 

 

Der Kläger erhob am 13.05.2013 Klage (S 25 R 706/13), mit der er weiterhin die Befreiung von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung begehrte. Dieses Verfahren ruhte im Hinblick auf das beim Bundessozialgericht anhängige Verfahren B 12 R 5/13 R und nachfolgend im Hinblick auf beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verfassungsbeschwerden. In diesem Verfahren wies der Kläger mit Schriftsatz vom 19.01.2015 auf eine geplante Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte hin und führte aus, dass diese Neuregelung aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit einer Rückwirkung versehen werde. Nachfolgend teilte der Kläger mit, dass er einen Antrag auf Zulassung zum Syndikusrechtsanwalt gestellt habe. Das Streitverfahren wurde im April 2019 unter dem Aktenzeichen S 25 R 621/19 WA wieder aufgenommen. Eine Entscheidung ist noch nicht ergangen.

 

Die Mitteilung an das Sozialgericht Köln, dass ein Antrag auf Zulassung zum Syndikusrechtsanwalt gestellt worden sei, datiert vom 02.05.2016 und ging am 03.05.2016 beim Sozialgericht Köln ein. Mit gerichtlicher Verfügung vom 04.05.2016 wurde dieser Schriftsatz an die Beklagte weitergeleitet und ging dort am 06.05.2016 ein.

 

Mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer S. vom 13.12.2016 und Zulassungsurkunde vom selben Tag wurde der Kläger auf seinen Antrag vom 17.03.2016 als Syndikusrechtsanwalt zur Rechtsanwaltschaft zugelassen.

 

Mit Schriftsatz vom 17.01.2017, bei der Beklagten eingegangen am 19.01.2017, beantragte der Kläger, auch über den „vorsorglich gestellten Rückwirkungsantrag“ gemäß § 231 Abs. 4b Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) zu entscheiden.

 

Der Beigeladene zu 2) bestätigte erneut eine Pflichtmitgliedschaft des Klägers ab dem 22.05.2012 und teilte ergänzend mit, dass für die zu befreiende Beschäftigung einkommensbezogene Pflichtbeiträge seit dem 22.05.2012 gezahlt worden seien.

 

Mit Bescheid vom 20.07.2017 befreite die Beklagte den Kläger ab dem 17.03.2016 für seine im Arbeitsvertrag vom 02.06.2009 bezeichnete Tätigkeit bei dem Beigeladenen zu 1).

 

Mit weiterem Bescheid vom 22.11.2017 lehnte die Beklagte die rückwirkende Befreiung des Klägers für seine bei dem Beigeladenen zu 1) ausgeübte Beschäftigung ab. Der Kläger habe den Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nicht innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist bis zum 01.04.2016 gestellt. Der Antrag auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge nach § 286f SGB VI werde abgelehnt. Die Beiträge seien zu Recht gezahlt, da keine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht bestehe.

 

Der Kläger legte am 18.12.2017 Widerspruch ein. Hinsichtlich der hier streitgegenständlichen Frage, ob der für die gleiche Tätigkeit gestellte Antrag auf Befreiung gemäß § 6 SGB VI auch für die rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI ausreichend sei, sei zur Zeit beim Bundessozialgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20.07.2017 – L 7 R 3495/17 anhängig (Az: B 5 RE 12/17 B). Es liege ein Fall des § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor. Der die rückwirkende Befreiung ablehnende Bescheid vom 22.11.2017 sei Gegenstand des vor dem Sozialgericht Köln anhängigen Klageverfahrens S 25 R 706/13 geworden. Dort habe er den Antrag gestellt, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit zu werden und zwar für die Tätigkeit, für die er nun als Syndikusrechtsanwalt zugelassen worden sei. Soweit überhaupt eine erneute Antragstellung erforderlich sei, könne es nicht darauf ankommen, wann der Antrag der Beklagten zugegangen sei, sondern alleine auf den Zeitpunkt des Zugangs beim Gericht.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.11.2018 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht sei nicht fristgerecht bis zum 01.04.2016 gestellt worden. Mit Schriftsatz vom 02.05.2016 an das Sozialgericht Köln sei die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI beantragt worden. Dieser Schriftsatz sei mit gerichtlichem Schreiben vom 04.05.2016 an die Beklagte weitergeleitet worden und dort am 06.05.2018 (Anm.: gemeint ist 2016) eingegangen. Ein Antrag auf rückwirkende Befreiung habe jedoch nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden können. Der Eingang des Antrags beim Sozialgericht wahre die Frist nicht. Sozialgerichte seien keine zur Entgegennahme von Anträgen bezeichnete Stelle im Sinne des § 16 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I). Gerichte seien Funktionsorgane der Rechtsprechung und somit streng von den Organen der Verwaltung zu trennen. Eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht komme daher nicht in Betracht.

 

 

 

Der Kläger hat am 17.12.2018 Klage erhoben. Er habe rechtzeitig den Antrag auf Befreiung gemäß § 6 SGB VI gestellt, sodass ein weiterer Antrag gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI nicht erforderlich sei. Der Ablehnungsbescheid sei zu Unrecht außerhalb des beim Sozialgericht Köln bereits anhängigen Rechtsstreits erteilt worden. Das Bundesverfassungsgericht sei in seinen Beschlüssen vom 19.07.2016 (1 BvR 2584/14) und 22.07.2016 (1 BvR 2534/14) erkennbar von einem einheitlichen Streitgegenstand ausgegangen. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass es für die rückwirkende Befreiung allein auf die Tatsache abgestellt habe, dass Mindest- und Pflichtbeiträge in das anwaltliche Versorgungswerk geleistet worden seien.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2018 zu verpflichten, ihn für die Zeit vom 22.05.2012 bis zum 16.03.2016 rückwirkend von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden verwiesen. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung sei erst am 06.05.2016 gestellt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Beschluss vom 22.03.2018 - B 5 RE 12/17 B) werde der Bescheid über die Befreiung als Syndikusrechtsanwalt nach dem ab dem 01.01.2016 geltenden Recht nicht nach § 96 SGG Gegenstand eines anhängigen Rechtsstreits über die Befreiung als „Syndikusanwalt“ nach dem bis zum 31.12.2015 geltenden Recht. Es handele sich um unterschiedliche Regelungsgegenstände. Der neue Bescheid ändere den Ursprungsbescheid weder ab noch ersetze er ihn.

 

Durch Urteil vom 24.07.2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

 

„Der Kläger hat keinen Anspruch auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 22.05.2012 bis zum 16.03.2016.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass der Bescheid vom 22.11.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2018 nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des bereits beim SG Köln anhängigen Verfahrens mit dem Aktenzeichen S 25 R 621/19 WA (zuvor S 25 R 706/13) geworden ist.

 

Gemäß § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abgeändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar hat der Kläger seinen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide nicht beschränkt. Zudem ist der hier streitgegenständliche Bescheid nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2013 (S 25 R 621/19 WA) ergangen. Der streitgegenständliche Bescheid ändert jedoch weder den Bescheid vom 19.10.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2013 ab, noch ersetzt er diesen. „Abändern“ oder „ersetzen“ im Sinne der Vorschrift setzt voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsakts mit dem des früheren identisch ist, was durch Vergleich der getroffenen Verfügungssätze festzustellen ist.

 

Mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 22.11.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2018 hat die Beklagte den Antrag vom 06.05.2016 auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Absatz 4b SGB VI für die in der Zeit vom 01.10.2007 bis 19.3.2016 ausgeübte Beschäftigung als Mitarbeiter bei dem Verband der privaten Krankenversicherung aus formalen Gründen abgelehnt. Diese Entscheidung ist auf der Grundlage der zum 1.1.2016 geschaffenen Regelungen in § 231 Abs. 4b SGB VI ergangen.

 

In dem nunmehr unter dem Aktenzeichen S 25 R 621/19 WA geführten Klageverfahren hat die Beklagte mit Bescheid vom 19.10.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.04.2013 den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht für seine abhängige Beschäftigung als Referatsleiter Personal bei dem Verband der privaten Krankenversicherung e.V. abgelehnt, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Bei der ausgeübten abhängigen Beschäftigung handele es sich nicht um eine berufsspezifische (anwaltliche) Tätigkeit. Diese Entscheidung ist auf der Grundlage von § 6 Abs.1 S. 1 Nr. 1 SGB VI in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung und einer Tätigkeit des Klägers als Syndikusanwalt ergangen. Zwar lässt sich beiden Bescheiden entnehmen, dass sie die Ablehnung der Befreiung des Klägers von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht regeln. Allerdings ist der Bescheid vom 19.10.2012 dahingehend zu verstehen, dass er die Ablehnung der Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wegen Nichtausübung einer anwaltlichen berufsspezifischen Tätigkeit regelt. Auch der Befreiungsantrag war auf diese Tätigkeit bezogen. Der hier streitgegenständliche Bescheid vom 22.11.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.11.2018 regelt hingegen die Ablehnung der rückwirkenden Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI für die Tätigkeit als Mitarbeiter des Verbandes der privaten Krankenversicherung für die Zeit vom 01.10.2007 bis zum 16.03.2016, wobei sich diese Ablehnung im Unterschied zu dem älteren Bescheid auf den neu erworbenen Status des Klägers als Syndikusrechtsanwalt bezieht. Eine Identität der Regelungsgegenstände bei den Bescheiden liegt damit schon aufgrund der unterschiedlichen Statusbezogenheit nicht vor (BSG, Beschluss vom 22.03.2018 - B 5 RE 12/17; LSG Bayern, Urteil vom 13.02.2019 - L 13 R 525/17; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.03.2019 - L 2 R 4687/17 -). Entsprechend der fehlenden Identität des Regelungsgehalts fehlt es auch an der Voraussetzung der Änderung oder Ersetzung des Ursprungsbescheides durch den späteren VA. Der Bescheid vom 19.10.2012 ist durch den Bescheid vom 22.11.2017 weder ganz noch teilweise aufgehoben worden. Vielmehr ist der Bescheid vom 22.11.2017 neben den Bescheid vom 19.10.2012 getreten und entfaltet die oben aufgezeigte eigene Regelungswirkung.

 

Der klägerseitig geäußerten Rechtsansicht, eine wie auch immer geartete weitere Antragstellung sei nicht erforderlich gewesen, kann mithin nicht gefolgt werden. Für eine Befreiung gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI bedarf es (neben dem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI) eines zusätzlichen Antrags (BT-Drs. 18/5201, S. 46; Gürtner in: KassKomm. § 231 SGB VI, Stand Juni 2019, Rn.16,19; Fichte in: Hauck/Noftz, SGB, 06/17, § 231 SGB VI, Rn. 41).

 

Gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI wirkt die Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1; die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 1. April 2014 (Sätze 1- 3). Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 1. April 2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden (Satz 4). Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden (Satz 6).

 

Eine rückwirkende Befreiung für die Zeit vom 22.05.2012 bis zum 19.3.2016 kommt demzufolge nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 231 Absatz 4b SGB VI erfüllt sind. Vorliegend scheitert eine rückwirkende Befreiung des Klägers in seiner Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt bereits deshalb, weil er den Antrag auf rückwirkende Befreiung nicht innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 231 Abs. 4b S. 6 SGB VI gestellt hat.

 

Der mit Schriftsatz vom 03.05.2016 nach Auffassung der Beklagten gestellte Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ging erst am 06.05.2016 und somit verfristet bei der Beklagten, dem zuständigen Versicherungsträger, ein. Der Stichtag des 01.04.2016 ist bindend (Dankelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 231 SGB VI, Rn. 63.3; LSG NRW, Urteil vom 24.10.2016 - L 3 R 49/14, Rn. 27 zitiert nach juris). Soweit der Bevollmächtigte im Termin zur mündlichen Verhandlung den Schriftsatz der Beklagten vom 25.01.2017 anspricht, worin diese auf einen formlos gestellten Antrag des Klägers vom 23.01.2015 Bezug nimmt, ist festzuhalten, dass ein Antrag am 23.01.2015 nicht gestellt wurde. In dem Klageverfahren S 25 R 621/19 WA befindet sich ein Schriftsatz vom 19.01.2015 (Eingang bei dem Sozialgericht am 23.01.2015), worin das weitere Ruhen des Verfahrens im Hinblick auf die eingelegten Verfassungsbeschwerden angeregt wird. Darin weist der Bevollmächtigte auf eine geplante gesetzliche Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte hin. Darin sei ausdrücklich vorgesehen, dass die Zulassung zum Syndikusanwalt zu einer Befreiung in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs. 1. S. 1 Nr. 1 SGB VI führen werde und dass diese Neuregelung aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit einer Rückwirkung versehen werde. Daher erscheine das Ruhen des Verfahrens sinnvoll. Ein Antrag auf rückwirkende Befreiung ist in diesem Schriftsatz nicht zu sehen. Er begründet lediglich, weshalb ein weiteres Ruhen für sinnvoll erachtet wird. Erst durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte ist der § 231 Abs. 4b SGB VI zum 01.01.2016 in Kraft getreten. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung konnte nicht vor dem 01.01.2016 gestellt werden. Eine Antragstellung auf rückwirkende Befreiung war nur in den ersten drei Monaten des Jahres 2016 möglich. § 231 Abs. 4b SGB VI setzt für den Antrag auf (zusätzliche) Rückwirkung der Befreiung eine Frist von drei Kalendermonaten nach Inktrafttreten dieser Bestimmung (BT-Drs. 18/5201 S. 47). Der Kläger hat selbst im Termin zur mündlichen Verhandlung angegeben, keinen weiteren Antrag bei der Beklagten im relevanten Zeitraum gestellt zu haben.

 

Durch den Eingang des Antrags beim Sozialgericht Köln am 03.05.2016 ist die gesetzliche Ausschlussfrist ebenfalls nicht gewahrt worden. Darauf, ob das Gericht „unzuständige Stelle“ im Sinne des § 16 SGB I sein kann, an welche fristwahrend Anträge gestellt werden können, kommt es mithin nicht an. Weitere Eingaben zur rückwirkenden Befreiung erfolgten erst nach dem 03.05.2016.“

 

Gegen das ihm am 09.08.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.09.2019 Berufung eingelegt, mit der er weiterhin die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung begehrt.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.07.2019 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2018 zu verurteilen, den Kläger für seine Tätigkeit bei dem Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. für die Zeit vom 22.05.2012 bis zum 16.03.2016 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

 

Der Vertreter des Beigeladenen zu 1) stellt keinen Antrag.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Akte S 25 R 621/19 WA, SG Köln und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten (Az: 48 N01 T 001) Bezug genommen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

 

Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 SGG in Abwesenheit des Beigeladenen zu 2) verhandeln und entscheiden, weil dieser in der Terminsmitteilung, die ihm am 29.12.2021 zugestellt worden ist, auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war.

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

 

Der Kläger ist durch die angefochtene Entscheidung nicht beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 22.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2018 ist nicht rechtswidrig. Der Kläger ist für die Zeit vom 22.05.2012 bis zum 16.03.2016 nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

 

Der hier streitgegenständliche Bescheid vom 22.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.11.2018 ist nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens S 25 R 621/19 WA (früher: S 25 R 706/13), Sozialgericht Köln, geworden, da der dort streitgegenständliche Bescheid vom 19.10.2012 zu einer Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusanwalt nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ergangen ist. Dies ist ein anderer Regelungsgegenstand als die vorliegend streitgegenständliche Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 231 Abs. 4b SGB VI (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 28.06.2018 – B 5 RE 2/17 R; Beschluss vom 22.03.2018 – B 5 RE 12/17 B -). Der Kläger hat keinen Anspruch auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht gem. § 231 Abs. 4b SGB VI für die Zeit 22.05.2012 bis zum 16.03.2016, denn er hat den hierfür erforderlichen Antrag nicht bis zum 01.04.2016 gestellt.

 

Nach § 231 Abs. 4b SGB VI wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden (Satz 6).

 

Das Erfordernis einer Antragstellung für eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht ergibt sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes.

 

Nach § 231 Abs. 4b Satz 1 SGB VI wirkt eine Befreiung auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird.

 

In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/5201, S. 46) wird ausgeführt, dass Abs. 4b für bestimmte Syndikusrechtsanwälte die Möglichkeit eröffnet „auf zusätzlichen Antrag (neben dem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1) eine über § 6 Absatz 4 SGB VI hinausgehende Rückwirkung der Befreiung herbeizuführen“. Hervorgehoben wird somit das Erfordernis eines zusätzlichen Antrages, um eine Rückwirkung der Befreiung zu erreichen.

 

Der Kläger hat jedoch bis zum 01.04.2016 keinen Antrag auf rückwirkende Befreiung gestellt.

 

Erstmals mit seinem an die Beklagte gerichteten Schriftsatz vom 17.01.2017, somit nach Ablauf des 01.04.2016, beantragte der Kläger die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht. Er begehrte eine Entscheidung über seinen „vorsorglich gestellten Rückwirkungsantrag gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI“. Einen vorsorglichen Rückwirkungsantrag hat der Kläger jedoch nie gestellt.

 

Der zeitlich insoweit allein in Betracht kommende Schriftsatz vom 19.01.2015 an das Sozialgericht in dem Verfahren S 25 R 621/19 WA (zuvor S 25 R 706/13) enthält einen solchen Antrag nicht. Hierin hat der Kläger lediglich darauf hingewiesen, dass eine Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte geplant sei, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine Rückwirkung enthalten werde. Diese Mitteilung ist keine vorsorgliche Antragstellung auf eine rückwirkende Befreiung. Zum damaligen Zeitpunkt war noch nicht bekannt, wie eventuelle Regelungen zur Rückwirkung ausgestaltet sein würden. Der Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/5201) datiert erst vom 16.06.2015.

 

Der nächste Schriftsatz des Klägers datiert vom 02.05.2016 und ging am 03.05.2016 beim Sozialgericht ein. Der Senat kann offen lassen, ob die in diesem Schriftsatz enthaltene Mitteilung, ein Antrag auf Zulassung zum Syndikusrechtsanwalt sei gestellt worden, einen Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung darstellt und ob dieser Antrag auch bei einem Gericht gestellt werden kann, denn dieser Antrag ist nicht bis zum 01.04.2016 gestellt worden. Der Schriftsatz wurde nach Ablauf des 01.04.2016 erstellt und an das Sozialgericht gesandt.

Ein Antrag war auch nicht entbehrlich, weil noch ein Verfahren bezüglich der Befreiung von der Versicherungspflicht nach altem Recht anhängig war und der Befreiungsantrag nach altem Recht auch als Antrag nach § 231 Abs. 4b SGB VI zu werten ist.

 

Weder dem Gesetz noch der Gesetzesbegründung (BT-Drs. a.a.O.) sind Anhaltspunkte zu entnehmen, dass eine erneute Antragstellung in bestimmten Fällen nicht erforderlich ist.

 

Ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach altem Recht, d. h. als Syndikusanwalt, kann nicht einen Antrag auf rückwirkende Befreiung als Syndikusrechtsanwalt ersetzen. Es handelt sich um unterschiedliche Rechtsfiguren und es ist nicht ersichtlich, dass der Antrag des Klägers vom 25.06.2012 auch eine erst zum 01.01.2016 geschaffene Rechtgrundlage umfasst. Dabei hat der Senat in seine Überlegungen einbezogen, dass für die rückwirkende Befreiung als Syndikusrechtsanwalt zumindest für Zeiten vor dem 01.04.2014 zusätzliche Tatbestandsvoraussetzungen (Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge) erfüllt sein müssen.

 

Nichts anderes ergibt sich aus den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 19.07.2016 (Az.: 1 BvR 2584/14) und vom 22.07.2016 (Az.: 1 BvR 2534/14). In diesen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Verfahren nach § 231 Abs. 4b SGB VI um ein gesondertes Verfahren handelt, dessen Durchführung dem Beschwerdeführer auch zuzumuten sei, obgleich er nach dem Wortlaut der Norm unter den Ausschlusstatbestand des § 231 Abs. 4b Satz 5 SGB VI falle (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 17.03.2021 – L 13 R 364/20 –).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.

Rechtskraft
Aus
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