L 8 SF 425/24 AB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
8
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 21 BA 131/19
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 SF 425/24 AB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Das Gesuch der Klägerin zu 2), den Richter am Landessozialgericht Dr. I. wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird zurückgewiesen.

Gründe

Das Befangenheitsgesuch der Klägerin zu 2), zu dem sich der abgelehnte Richter geäußert hat, er halte sich nicht für befangen, hat keinen Erfolg.

Gem. § 60 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 42 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.

 

Über das Ablehnungsgesuch eines Beteiligten entscheidet das Gericht ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters (§ 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO). Entscheidungen über Ablehnungsgesuche können durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 124 Abs. 3 SGG). Die ehrenamtlichen Richter sind nicht zu beteiligen (§ 33 Abs. 1 S. 2 SGG i.V.m. § 12 Abs. 1 S. 2 SGG).

 

Allein die subjektive Überzeugung oder Besorgnis eines Antragstellers, der Richter sei befangen, berechtigt nicht zur Ablehnung. Ebenso unerheblich ist es, ob der Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist oder aber sich selbst für befangen hält. Entscheidend ist vielmehr ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (st. Rechtsprechung, vgl. z.B. BVerfG Beschluss v. 26.02.2014 – 1 BvR 471/10 – juris Rn. 24 m.w.N.; BSG Beschl. v. 01.06.2015 – B 10 ÜG 2/15 C – juris Rn. 10 m.w.N.; LSG NRW Beschl. v. 02.12.2019 – L 16 SF 390/19 AB – juris Rn.3 m.w.N.).

 

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

 

Zur Begründung des Ablehnungsgesuchs trägt die Klägerin zu 2) in ihrem Schreiben vom 19.11.2024 vor, dass Äußerungen des Richters am Landessozialgericht Dr. I. aus Sicht eines vernünftigen Berufungsbeklagten Anlass zur Annahme gäben, der Richter habe bereits eine innere Haltung eingenommen, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könne. So sei in einem Hinweis vom 28.08.2024 mitgeteilt worden: „Die Berufung der Beklagten wird Erfolg haben“.  Ein solcher Wortlaut schließe im Grunde bereits aus, dass der für die Berufungsentscheidung zuständige Senat noch zu einer anderen Rechtsauffassung kommen könne. Dies gelte auch vor dem Hintergrund ihr bekannter Formulierungen eines anderen Berichterstatters des Senats in einem anderen Verfahren. Die bei ihr ausgelösten Irritationen seien verstärkt worden, da der abgelehnte Richter auf ihr Festhalten an der Klage (Schreiben vom 06.11.2024, gesendet: 16.47 Uhr) bereits am Folgetag (07.11.2024, zugegangen: 9.35 Uhr) einen erneuten Hinweis erteilt habe, der die Einleitung enthalte:

 

„… bei intensiver Befassung mit der Rechtslage sollten die Kläger auf Grundlage des ausführlichen Hinweises vom 28.08.2024 erkennen, dass das erstinstanzliche Urteil unter Berücksichtigung der aktuellen BSG-Rechtsprechung (und der daran orientierten Senatsrechtsprechung) rechtlich nicht haltbar ist. Soweit die Klägerin zu 2) einer anderen festen Überzeugung ist, dürfte sich die Rücknahme der Statusfeststellungsanträge anbieten.“

 

Aufgrund der Kurzfristigkeit dieser Rückmeldung, so die Antragstellerin, könne nicht angenommen werden, dass die Ausführungen des Schreibens vom 07.11.2024 auf vorherigen Erörterungen des Senats basierten. Obwohl der abgelehnte Richter wiederum eine feststehende Auffassung dergestalt formuliert habe, dass das erstinstanzliche Urteil „rechtlich nicht haltbar“ sei, und damit eine Vorhersage zur Berufungsentscheidung treffe, werde sie, die Klägerin zu 2), im gleichen Hinweis zur Vorlage einer Vielzahl von Dokumenten aufgefordert. Ausführungen zum Ergebnis der Berufungsentscheidung bei noch nicht vollständig aufgeklärtem Sachverhalt begründeten die Besorgnis der Befangenheit. Nach den (dezidierten) Ausführungen des abgelehnten Richters zu den Erfolgsaussichten scheine es „völlig egal“ zu sein, welche Erkenntnisse aus einer Sachverhaltsvervollständigung folgten. Es bestehe also die dringende Besorgnis, dass weitere von ihr, der Klägerin zu 2), verfasste Schriftsätze selbst dann nicht berücksichtigt würden, wenn die Darlegungen eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten erforderlich machten.

 

Das Vorbringen der antragstellenden Klägerin zu 2) ist nicht geeignet, an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters zu zweifeln. Derartige Zweifel sind insbesondere dann begründet, wenn die Umstände Anlass zur Sorge geben, dass ein Richter oder eine Richterin aus persönlichen oder anderen Gründen auf eine bestimmte Rechtsauffassung schon so festgelegt ist, dass er oder sie sich gedanklich nicht mehr lösen kann oder will und entsprechend für Gegenargumente nicht mehr offen ist (vgl. BVerfG Beschl. v. 20.07.2021 – 2 BvE 4/20 – juris Rn. 19).

 

Eine solche Voreingenommenheit und unsachliche Einstellung ergeben sich zunächst nicht aus den (von der Antragstellerin angeführten) Schreiben des Berichterstatters zu den Erfolgsaussichten der Berufung. Derartige Hinweise dienen der rechtlichen Klärung und liegen im Interesse einer sachgerechten Verfahrensgestaltung. Solche im Rahmen einer zulässigen richterlichen Aufklärungstätigkeit getroffenen Maßnahmen sind üblich und nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. BVerfG Beschl. v. 19.08.2011 – 2 BvE 3/11 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dies gilt erst recht und in ganz besonderem Maße dann, wenn der Richter – wie hier – seinem in sachlicher Form gehaltenen Hinweis auf die Erfolgsaussichten eine umfängliche Begründung beifügt. Ein solches Vorgehen zeigt – entgegen der Auffassung der antragstellenden Klägerin zu 2) – gerade keine (unsachliche) Voreingenommenheit, sondern gibt den Beteiligten vielmehr im Gegenteil die für sie besonders vorteilhafte Gelegenheit, sich frühzeitig vor einem Senatstermin eingehend damit auseinanderzusetzen, ob eine Fortführung des Verfahrens vor dem Hintergrund der aufgezeigten einzelnen Aspekte sinnvoll ist bzw. inwieweit und an welcher konkreten Stelle eigener Vortrag ergänzt werden sollte, um den Senat in seiner Gesamtheit von der Richtigkeit des geltend gemachten Begehrens zu überzeugen.

 

Auch die zu den Erfolgsaussichten konkret verwendete Wortwahl vermag keine relevante Aussagekraft hinsichtlich einer etwaigen Voreingenommenheit zu entfalten. Vielmehr lässt die Nutzung der Formulierung („wird keine Aussicht auf Erfolg haben“, „ist rechtlich nicht haltbar“) gegenüber dem von der Antragstellerin zitierten Hinweis in einer anderen Sache („spricht Einiges dafür, dass…“) allein Rückschlüsse auf eine stärkere Intensität der (derzeitigen) rechtlichen Überzeugung des Berichterstatters bzw. auf persönliche Präferenzen in der Klarheit der Ausdrucksweise zu.

 

Soweit die Klägerin zu 2) ausdrücklich Datum und Absendezeitpunkt ihres Schreibens (06.11.2024, 16.47 Uhr) sowie Datum und Eingangszeitpunkt des hierauf verfassten weiteren Schreibens des Berichterstatters (07.11.2024, 9.35 Uhr) benennt, wird sie sicherlich nicht rügen wollen, dass sich der abgelehnte Richter noch nach 16.47 Uhr bzw. schon vor 9.35 Uhr des Folgetags mit ihrem Verfahren (erkennbar intensiv) beschäftigt hat. Dass die Meinung des Gesamtsenats in diesem Zeitfenster eingeholt worden sei, hat der Berichterstatter in seinem Schreiben vom 07.11.2024 nicht behauptet.

 

Eine Voreingenommenheit vermag schließlich auch nicht daraus zu resultieren, dass der abgelehnte Berichterstatter zeitlich nach seinem (klaren) Hinweis zur Erfolgsaussicht weitere Unterlagen angefordert hat. Diese dienten – wie im richterlichen Schreiben ausdrücklich mitgeteilt wird – (allein) der „Sachverhaltsvervollständigung“, weshalb neue ergebnisbedeutsame Erkenntnisse hieraus nicht unmittelbar zu erwarten waren bzw. zu erwarten sind. Auch die Klägerin zu 2) selbst scheint den angeforderten Dokumenten keine wesentliche (für sie günstige) Relevanz beizumessen, da sie diese anderenfalls im Verfahren sicherlich schon zuvor aus eigener Initiative eingereicht hätte. Dass der Berichterstatter noch bei Gericht eingehende – gegen seine bisherige Auffassung sprechende – Unterlagen nicht auch zu Gunsten der Klägerin zu 2) berücksichtigen würde, findet vor dem Hintergrund der erkennbar besonders intensiv-umfänglichen Würdigung des bekannten Akteninhalts keine valide Stütze. Vielmehr würde ein objektiver Beobachter davon ausgehen, dass neue (beachtenswerte) Umstände ebenso sorgfältig in die Gesamtbetrachtung eingestellt werden, wie dies ausweislich der Hinweise des abgelehnten Berichterstatters bisher der Fall war.

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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