Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.06.2022 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 22.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2021 verurteilt, die personenbezogenen Daten des Klägers zu löschen, soweit diese den Zeitraum bis zum 03.08.2013 betreffen, und dem Kläger hierüber eine Mitteilung zukommen zu lassen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Festsetzung des Streitwerts im Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.06.2022 wird aufgehoben.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Verurteilung des Beklagten zur Löschung seiner sämtlichen personenbezogenen Daten auf der Grundlage von Art. 17 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
Der Kläger bezog von 2005 bis 2009, für sieben Monate im Jahr 2013 und für einen Monat im Jahr 2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten.
Am 21.01.2021 wandte er sich aufgrund einer zuvor erteilten Auskunft (vgl. Urteil des Senats vom 03.08.2023 – L 7 AS 1044/22 –) an den Beklagten. Der Beklagte habe personenbezogene Daten in seinen Leistungsakten (Band I bis VI inklusive Hilfsakten betreffend Angelegenheiten nach dem SGB II) für den Zeitraum vom 01.04.2005 bis 31.10.2014 verarbeitet. Diese Leistungsakten enthielten insbesondere Leistungsanträge nebst Angaben und Belegen über die persönlichen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Verhältnisse (z.B. Kontoauszüge, Versicherungsurkunden, Mietvertrag, Einkommensnachweise, Arztatteste usw.), Leistungsbescheide, Schriftwechsel im Verwaltungsverfahren usw.; Daten im Fachverfahren VerBIS (Beratungsvermerke betreffend den Zeitraum 07.04.2016 bis 25.10.2019, Lebenslauf, Angaben zu beruflichen Stationen, Qualifikationen, Stärken usw. sowie im Fachverfahren SAP/ERP (Daten zum Vertragskontokorrent betreffend Forderungen im Zeitraum 01.04.2014 bis 31.05.2014, 01.04.2016 bis 30.04.2016). Der Kläger forderte vom Beklagten „die unverzügliche und vollständige Löschung der personenbezogenen Daten, gleich in welcher Form diese Daten gespeichert sind, und die Ausstellung einer schriftlichen Bestätigung darüber, ob, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang die personenbezogenen Daten gelöscht wurden.“ Soweit sich die Verarbeitung der personenbezogenen Daten auf seine Einwilligung – auch wenn eine solche ihm nicht bekannt sei – stütze, widerrufe er diese. Eine Rechtsgrundlage für die weitere Verarbeitung der personenbezogenen Daten, zu der auch die Speicherung gehöre, sei nicht ersichtlich. Die Daten seien nicht mehr notwendig und gemäß Art. 17 Abs. 1 DSGVO zu löschen. Teilweise seien sie auch unrechtmäßig verarbeitet worden, beispielsweise zur Akte genommene Mietverträge, Versicherungsverträge, KFZ-Zulassungsbescheinigung, medizinische Unterlagen; insoweit habe von Anfang an keine Rechtsgrundlage für die Speicherung bestanden.
Mit Bescheid vom 22.01.2021 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Es bestehe kein Anspruch auf Löschung der Sozialdaten aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO i.V.m. § 84 SGB X, weil keiner der Löschgründe aus Art. 17 DSGVO vorliege. Die Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung ergebe sich aus Art. 6 DSGVO i.V.m. § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X. Der Löschung stehe entgegen, dass weiterhin Klageverfahren vor dem Sozialgericht anhängig seien.
Der Kläger legte am 19.02.2021 Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.01.2021 ein. Eine Rechtsgrundlage für die weitere Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten sei nicht ersichtlich. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.04.2021 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Anspruch auf Löschung der Sozialdaten aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO bestehe nicht. Die personenbezogenen Daten seien weiterhin notwendig. Ein Löschgrund aus Art. 17 DSGVO liege nicht vor. Die Verarbeitung erfolge zum Zweck der Erfüllung seiner Aufgaben. Die Notwendigkeit folge aus den verbindlichen Speicher- und Aufbewahrungsvorschriften der Bundesagentur für Arbeit. Für Daten zur Inanspruchnahme von Beratungs- und Vermittlungsleistungen bestehe eine Speicherfrist von fünf Jahren nach Beendigung des Falls. Die Frist von fünf Jahren diene der Rechnungslegung nach den Grundsätzen der Bundeshaushaltsordnung. Für Daten zur Inanspruchnahme von Geld- und Sachleistungen nach dem SGB II bestehe eine Speicherfrist von zehn Jahren nach Beendigung des Falls. Ein Fall sei beendet, wenn die Hilfebedürftigkeit weggefallen sei oder aus anderen Gründen kein Anspruch mehr auf Leistungen bestehe, es sei denn, es würden besondere Förderleistungen gewährt oder Rechtsstreitigkeiten seien noch nicht abgeschlossen. Die Frist von zehn Jahren beruhe auf der gesetzlichen Möglichkeit der Rückforderung von Leistungen, wenn in diesem Zeitraum bekannt werde, dass Leistungen zu Unrecht gewährt worden seien. Die Aufbewahrungsdauer resultiere mithin aus § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X und beginne mit dem Ablauf des Haushaltsjahres, in dem der Leistungsfall abgeschlossen worden sei. Gleiches gelte für die Aufbewahrung der elektronischen Unterlagen (z.B. in der E-Akte SGB II, im Fachverfahren Allegro sowie im Fachverfahren ERP). Die Sozialdaten des Klägers hinsichtlich der Inanspruchnahme von Beratungs- und Vermittlungsleistungen, also die Daten aus den Fachverfahren VerBis (Beratungsvermerke, Lebenslauf, Angaben zur beruflichen Qualifikation usw.) seien bereits systembedingt gelöscht worden. Die Löschung der Sozialdaten zur Inanspruchnahme von Geld- und Sachleistungen nach dem SGB II stünden die verbindlichen Aufbewahrungsfristen entgegen. Da der Kläger vom 01.07.2013 bis zum 31.12.2013 und vom 01.04.2016 bis 30.04.2016 Leistungen nach dem SGB II bezogen habe, sei die Speicher- und Aufbewahrungsfrist noch nicht abgelaufen. Ein Löschgrund gemäß Art. 17 Abs. 1 DSGVO liege nicht vor. Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung sei Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO i.V.m. § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X. Es seien noch Klageverfahren vor dem Sozialgericht Düsseldorf anhängig.
Am 03.05.2021 hat der Kläger beim Sozialgericht Düsseldorf Klage erhoben.
Er begehre die generelle Löschung sämtlicher über ihn gespeicherter Daten, nicht lediglich solche betreffend den Zeitraum von Juli bis Dezember 2013 und April 2016, sondern auch die betreffend den Zeitraum von 2005 bis 2009. Für den Ablauf der Aufbewahrungsfristen müsse maßgeblich sein, ob ein Weiterbewilligungsantrag oder ein Neuantrag gestellt werde.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 22.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2021 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Löschung der Sozialdaten, die bei dem Beklagten über ihn gespeichert sind, durchzuführen und ihm über die Löschung eine Mitteilung in schriftlicher Form zukommen zu lassen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Am 31.12.2019 seien noch Klageverfahren zwischen den Beteiligten anhängig gewesen. Einem Löschanspruch stehe entgegen, dass die Daten noch für das Klageverfahren benötigt würden.
Das Sozialgericht Düsseldorf hat die Klage mit Urteil vom 08.06.2022 abgewiesen und den Streitwert auf 5.000 € festgesetzt. Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Der Kläger haben keinen Anspruch auf Löschung der Daten gemäß § 84 SGB X i.V.m. Artikel 17 DSGVO. Gemäß § 84 Abs. 1 SGB X bestehe, wenn eine Löschung von Sozialdaten im Fall nicht automatisierter Datenverarbeitung wegen der besonderen Art der Speicherung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich und das Interesse der betroffenen Person an der Löschung als gering anzusehen sei, ein Recht der betroffenen Person auf und die Pflicht des Verantwortlichen zur Löschung von Sozialdaten gemäß Art. 17 Abs. 1 DSGVO nicht. Ob ein Fall vorliege, in dem die Speicherung nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich sei, könne dahinstehen, weil die Sozialdaten des Klägers noch i.S.d. Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO benötigt würden. Denn es gebe noch sozialgerichtliche Verfahren, in denen der Beklagte die Sozialdaten aus der Zeit der Leistungsgewährung zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen benötige. Darüber hinaus gebe es gesetzliche Aufbewahrungsvorschriften, die einer Löschung entgegenstünden. Die Speicherfrist für Sozialdaten, die im Zusammenhang mit der Gewährung von Geld- und Sachleistungen stünden, betrage gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X zehn Jahre. Diese Frist beginne mit Ablauf des Haushaltsjahres, in dem der Leistungsfall abgeschlossen worden sei. Auf der Grundlage dieser Vorschrift könne der Beklagte Rückforderungsansprüche geltend machen. Dies sei eine gesetzliche Aufgabe im Sinne von § 67c SGB X. Der Beklagte sei im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung einerseits damit beauftragt, die Leistungsansprüche des Klägers nach dem SGB II zu prüfen und zu erfüllen und andererseits zu prüfen, ob die Leistungsgewährung rechtmäßig erfolgt sei.
Der Kläger hat am 21.07.2022 Berufung gegen das ihm am 05.07.2022 zugestellte Urteil vom 08.06.2022 eingelegt.
Sein Anspruch auf Löschung sämtlicher Daten resultiere aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass die Daten noch zur Verteidigung oder Geltendmachung von Rechtsansprüchen benötigt würden. Die 10-Jahresfrist stelle eine Höchstgrenze dar. Sie beginne mit der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Der Verwaltungsakt beende das Verwaltungsverfahren, das allein aufgrund des jeweiligen Antrags auf Leistungen eingeleitet werde. In zeitlicher Hinsicht betreffe das Verwaltungsverfahren einen Bewilligungszeitraum. Danach sei ein neuer Antrag erforderlich. Für die jeweiligen Bewilligungsabschnitte bedeutsame Sozialdaten unterschieden sich erheblich voneinander. Von Belang seien nur solche Sozialdaten, die für die Feststellung der Hilfebedürftigkeit im jeweiligen Bewilligungszeitraum erforderlich seien. Die Sozialdaten spielten deshalb für nachfolgende Bewilligungszeiträume regelmäßig keine Rolle mehr. Jeder Bewilligungszeitraum bewirke deshalb für den datenschutzrechtlichen Löschanspruch eine Zäsur. Deshalb sei für den Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung am 08.06.2022 die 10-Jahrefrist für alle Verwaltungsakte abgelaufen, die vor dem 08.06.2012 bekannt gegeben worden seien. Dies betreffe alle Verwaltungsakte im Zeitraum von 01.04.2005 bis 28.02.2010. Im Anschluss seien Leistungen erst ab Juli 2013 wieder bewilligt worden. Für diesen Zeitraum sei keine Aktenkenntnis aus früheren Bewilligungszeiträumen mehr erforderlich. Der Löschungsanspruch erstrecke sich deshalb jedenfalls auf sämtliche Sozialdaten von 2005 bis Februar 2010. Es erschließe sich auch nicht, warum für die Klageverfahren alle jemals erhobenen Sozialdaten erforderlich sein sollten. Darüber hinaus erstrecke sich der Löschanspruch unabhängig von Speicherfristen auf sämtliche Sozialdaten, deren Speicherung unrechtmäßig erfolgt sei. Dies betreffe sämtliche Angaben des Klägers, sofern der Beklagte nicht die Schwärzung der nichtleistungserheblichen Angaben zuvor angeboten habe. Erfasst seien auch solche Daten, die nicht zur Akte hätten genommen werden dürfen, z.B. Ablichtungen von Ausweisdokumenten wie Personal-, Schwerbehinderten-, und Sozialversicherungsausweis, Ablichtung von Bank-, Krankenversicherungskarten und Gutachten, Stellungnahmen und Erwerbsminderungsrentenbescheiden, Versicherungsurkunden zur KFZ- oder Riesterversicherungen, Heiz- und Betriebskostenabrechnungen und Mietverträge, wenn nicht die Schwärzung des Vermieternamens angeboten worden sei. Unter Verweis auf das Urteil des BSG vom 14.05.2020 – B 14 AS 7/19 R – sei der Beklagte gehalten gewesen, die Schwärzung sämtlicher nicht leistungserheblicher Angaben anzubieten, um sich auf Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO berufen zu können. Dies sei nicht geschehen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.06.2022 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 22.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2021 zu verurteilen, die über ihn gespeicherten Sozialdaten zu löschen und ihm über die Löschung eine Mitteilung in schriftlicher Form zukommen zu lassen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Bundessozialgericht habe die von ihm angenommene Zulässigkeit der Speicherdauer grundsätzlich bestätigt. Das prozessuale Verhalten des Klägers sei in höchstem Maße widersprüchlich, denn dieser nehme regelmäßig Bezug auf lange zurückliegende Sachverhalte. Derzeit seien zwar keine Klagen mehr anhängig. Der Kläger habe jedoch in letzter Zeit noch mehrere Klagen betrieben. In dem Verfahren S 3 AS 2567/14 (Klage vom 14.07.2014 gegen den Bescheid vom 27.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2014 auf Gewährung höherer Leistungen nach § 22 SGB II sowie eines Mehrbedarfs ab 01.04.2014) habe der Kläger mit Schriftsatz vom 09.10.2022 die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung eines am 05.03.2015 geschlossenen Vergleiches beantragt. Am 19.12.2019 habe der Kläger eine Untätigkeitsklage S 16 AS 4797/19 (Klage vom 19.12.2019 auf Bescheidung eines Widerspruchs vom 02.06.2014 gegen den Bescheid des Beklagten vom 28.05.2014, mit welchem Leistungen nach dem SGB II von Januar bis März 2014 abgelehnt wurden) erhoben. Zuletzt habe der Kläger die Verfahren S 16 AS 617/22 (Klage vom 18.07.2019 wegen eines Auskunftsanspruchs, welche Daten der Beklagte an externe Dritte weitergegeben habe), S 16 AS 2890/21 (Untätigkeitsklage, über den Antrag vom 19.06.2020 zur Verzinsung der mit Bescheid vom 19.06.2020 bewilligten Leistungen zu entscheiden, mit dem in Ausführung des Anerkenntnisses vom 05.03.2015 Leistungen für eine Erstausstattung i.H.v. 1060,15 € gewährt wurde), S 16 AS 2347/21 (Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO, hiesiges Aktenzeichen L 7 AS 1044/22), S 16 AS 1263/22 (das hiesige Verfahren) und S 16 AS 806/22 (Unterlassensklage gegen den Beklagten hinsichtlich der Geltendmachung von Forderungen aus 01.12.2009 bis 31.01.2010 unter Bezugnahme auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 28.04.2011) betrieben. Für die Verfahren sei der vorhandene Datenbestand erforderlich. Die fortwährende Führung von Rechtsstreitigkeiten verlängere die Speicherfrist. Eine Löschung der Daten des Klägers komme deshalb nicht in Betracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig ( I.) und teilweise begründet ( II.).
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 08.06.2022 ist zulässig.
1. Sie ist gemäß § 143 SGG statthaft, denn der Kläger begehrt keine Geld-, Sach- oder Dienstleistungen und unterliegt nicht der Beschränkung des § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG. Der Kläger hat die Berufung fristgerecht am 21.07.2022 und damit innerhalb eines Monat nach Zustellung des Urteils am 05.07.2022 eingelegt, § 151 Abs. 1 SGG. Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG), gerichtet auf die Änderung der der Löschung der Daten vorgelagerten Verwaltungsentscheidung durch den Bescheid vom 22.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.04.2021 und auf die Löschung der Daten durch schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln (vgl. BSG, Urteil vom 14.05.2020 – B 14 AS 7/19 R – juris, Rn. 9).
2. Für Ansprüche auf Löschung von Daten nach der DSGVO im Rahmen eines der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Rechtsverhältnisses ist der Sozialrechtsweg gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG i.V.m. § 81b Abs. 1 Satz 1 SGB X eröffnet (BSG, Beschluss vom 06.03.2023 – B 1 SF 1/22 R – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 14.05.2020 – B 14 AS 7/19 R –). Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, die durch Gesetz diesem Rechtsweg zugewiesen sind. Bei dem vom Kläger gemäß Art.17 DSGVO geltend gemachten Anspruch auf Löschung seiner Daten handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S.d. § 51 Abs. 1 SGG. Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn der vorgetragene Lebenssachverhalt nach Normen des öffentlichen Rechts zu beurteilen ist. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist die Natur des im Sachvortrag dargestellten Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Entscheidend ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm abgeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des öffentlichen Rechts geprägt ist. Es kommt darauf an, ob die Umstände der Datenverarbeitung bei dem Beklagten öffentlich-rechtlich geprägt sind (vgl. BSG, Beschluss vom 06.03.2023 – B 1 SF 1/22 R – juris, Rn. 11 m.w.N). Die hier in Streit stehende Datenverarbeitung betrifft Regelungen des SGB II. Der Beklagte hat während des Leistungsbezugs des Klägers über diesen unter anderem Daten erhoben und speichert sie weiterhin. Die Erhebung und Speicherung dieser Daten, die für die Durchführung der Grundsicherung, vor allem die Gewährung von Leistungen an die betroffene Person, erforderlich sind, ist in § 51b Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 SGB II i.V.m. der Verordnung zur Erhebung der Daten nach § 51b des SGB II vom 12.08.2010 (BGBl. I S. 1150) geregelt. Bei diesen Normen handelt es sich um Rechtsnormen des öffentlichen Rechts, zu denen alle Rechtssätze gehören, nach denen ausschließlich Träger hoheitlicher Gewalt als Zuordnungssubjekte berechtigt oder verpflichtet werden. Nach § 81b Abs. 1 SGB X ist für Klagen der betroffenen Personen gegen einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DSGVO oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person bei der Verarbeitung von Sozialdaten im Zusammenhang mit einer Angelegenheit nach § 51 Abs. 1 und 2 SGG der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet. Der Kläger ist eine natürliche, jedenfalls anhand seines Namens identifizierte (Art. 4 Nr. 1 DSGVO) und damit betroffene Person im Sinne dieser Vorschrift. Der Beklagte ist als Behörde und Leistungsträger der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach § 67 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 12 Satz 1 i.V.m. § 19a SGB I Verantwortlicher (Art. 4 Nr. 7 DSGVO) im Sinne dieser Vorschrift. Gegenstand der Klage ist ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DSGVO oder der darin enthaltenen Rechte. Das hier von dem Kläger geltend gemachte „Recht auf Vergessenwerden“ durch Löschung seiner Daten nach Art. 17 DSGVO ist ein Recht der betroffenen Person aus der DSGVO. Sozialdaten sind nach § 67 Abs. 2 Satz 1 SGB X personenbezogene Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DSGVO, die von einer in § 35 SGB I genannten Stelle im Hinblick auf die Aufgaben nach diesem Gesetzbuch verarbeitet werden. Zu den Sozialleistungsträgern, die personenbezogene Daten zur sozialrechtlichen Aufgabenerfüllung verarbeiten, gehören Leistungsträger i.S.d. § 12 SGB I und mithin der Beklagte als Leistungsträger der Grundsicherung für Arbeitssuchende gemäß § 19a SGB I. Gesetzliche Aufgabe ist jede Aufgabe, die sich aus dem Sozialgesetzbuch (SGB I bis XII) ergibt (Westphal in: BeckOK Sozialrecht, 69. Ed. <Stand 01.06.2023>, § 67 SGB X, Rn. 9; Leopold in: BeckOK, SGB X, <Stand: 15.05.2023>, Rn. 108). Zu diesen Aufgaben gehören gemäß § 1 Abs. 3 SGB II Leistungen zur Beratung, Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Ausbildung oder Arbeit sowie die Sicherung des Lebensunterhalts. Die von dem Beklagten beim Kläger erhobenen Daten fallen hierunter. Die Verarbeitung der Sozialdaten des Klägers erfolgte im Anwendungsbereich des SGB II und damit in einer Angelegenheit der Grundsicherung für Arbeitssuchende gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG. Es bestehen keine auf- oder abdrängenden Sonderzuweisungen (vgl. BSG, Beschluss vom 60.03.2023 – B 1 SF 1/22 R – juris, Rn. 19 ff.).
II. Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht in vollem Umfang abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 22.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2021 ist teilweise rechtswidrig und beschwert den Kläger i.S.v. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Dieser hat teilweise Anspruch auf Löschung seiner Daten beim Beklagten gemäß Art. 17 DSGVO.
1. Die DSGVO entfaltet als Verordnung in allen Mitgliedsstaaten unmittelbare Geltung (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Der räumliche Anwendungsbereich der DSGVO ist gemäß Art. 3 Abs. 1 DSGVO eröffnet, weil der Beklagte seinen Sitz in Deutschland hat. Der Beklagte hat personenbezogene Daten des Klägers jedenfalls gespeichert i.S.d. Art. 2 Abs. 1 DSGVO. Ob die DSGVO im Bereich der Sozialpolitik (vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. b AEUV zur geteilten Zuständigkeit) unmittelbar auf die Datenverarbeitung im Bereich des SGB II anwendbar ist (vgl. Art. 2 Abs. 2 a DSGVO) ist zweifelhaft, weil Voraussetzungen und Umfang besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen nicht unionsrechtlich determiniert sind (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/14 – Dano – juris, Rn. 89); dies kann jedoch offenbleiben, weil die DSGVO jedenfalls gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB I entsprechend Anwendung findet (BSG, Urteil vom 14.05.2020 – B 14 AS 7/19 R – juris, Rn. 18).
2. Gemäß Art. 17 Abs. 1 DSGVO hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen zu verlangen, dass sie betreffende personenbezogene Daten unverzüglich gelöscht werden, und der Verantwortliche ist verpflichtet, personenbezogene Daten unverzüglich zu löschen, sofern (unter anderem) nach lit. a die personenbezogenen Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind oder nach lit. d die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden. Dies gilt nach Abs. 3 nicht, soweit die Verarbeitung erforderlich ist nach (unter anderem) lit. b zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, die die Verarbeitung nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, erfordert, oder zur Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde oder nach lit. e zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen.
Diese Voraussetzungen liegen teilweise vor. Der Kläger hat grundsätzlich Anspruch auf Löschung seiner beim Beklagten gespeicherten personenbezogenen Daten ( a.), weil diese jedenfalls für die Zwecke, für die sie erhoben wurde, nicht mehr notwendig sind ( b.). Dem Anspruch auf Löschung aller Daten steht jedoch entgegen, dass die Daten teilweise noch erforderlich i.S.d. Art. 17 Abs. 3 DSGVO sind ( c.). Der Beklagte hat dem Kläger über die Löschung eine schriftliche Mitteilung zukommen zu lassen (d.)
a. Der Kläger ist eine betroffene Person, der Beklagte ist ein Verantwortlicher i.S.d. Art. 17 DSGVO (siehe oben). Bei den von dem Kläger benannten Daten handelt es sich um Daten, die ihn selbst betreffen. Das Löschungsrecht nach Art 17 Abs. 1 DSGVO erstreckt sich seinem sachlichen Anwendungsbereich nach auf Informationen zu identifizierten natürlichen Person als personenbezogene Daten i.S.v. Art. 4 Nr. 1 DSGVO in den Leistungsakten von Sozialleistungsträgern (vgl. BSG, Urteil vom 14.05.2020 – B 14 AS 7/19 R – juris, Rn. 15 f.).
b. Es kann dahinstehen, ob – wie vom Kläger geltend gemacht – die personenbezogenen Daten teilweise unrechtmäßig verarbeitet wurden, weil der Beklagte nicht die Schwärzung nicht leistungserheblicher Daten angeboten hat ( lit. d), denn sie sind jedenfalls für die Zwecke, für die sie erhoben oder auf sonstige Weise verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig ( lit. a). Gemäß § 51b Abs. 1 Satz 1 SGB II erheben die zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende laufend die für die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende erforderlichen Daten. Der Kläger bezog von 2005 bis 2009, für sieben Monate im Jahr 2013 und für einen Monat in 2016 Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten. Er steht seit nunmehr über acht Jahren nicht mehr im Leistungsbezug. Die von dem Beklagten erhobenen Daten wurden damals zu dem Zweck erhoben, den Leistungsanspruch des Klägers zu prüfen. Dass diese Daten nunmehr zu diesem Zweck weiterhin erforderlich wären, hat der Beklagte weder vorgetragen noch ist dies ersichtlich. § 51b Abs. 3 SGB II ist keine Rechtsgrundlage für die Speicherung von Sozialdaten durch den Beklagten, weil davon nur Daten erfasst werden, die an die Bundesagentur für Arbeit übermittelt wurden.
c. Art. 17 Abs. 3 DSGVO sieht von dem grundsätzlichen Anspruch auf Löschung eine Ausnahme vor. Danach besteht der Anspruch auf Löschung der Daten nicht, soweit die Verarbeitung aus den nachfolgend dort aufgezählten Gründen erforderlich ist. Liegen die Voraussetzungen vor, ist eine weitere Verarbeitung – hier Speicherung – der Daten rechtmäßig (Worms in: BeckOK Datenschutzrecht, 44. Ed. <Stand 01.11.2021>, Art. 17 DSGVO, Rn. 78). Dabei kann grundsätzlich auch im Fall einer von Anfang an unrechtmäßigen Verarbeitung personenbezogener Daten resultierender Löschungsanspruch nach Abs. 1 lit. d über Abs. 3 ausgeschlossen werden (Worms in: BeckOK Datenschutzrecht, 44. Ed. <Stand 01.11.2021>, Art. 17 DSGVO, Rn. 80).
Die Speicherung der personenbezogenen Daten des Klägers ist zwecks Durchführung von Rücknahmeverfahren teilweise zulässig ( aa.). Eine darüber hinausgehende Speicherung der personenbezogenen Daten des Klägers zur Führung von Rechtsstreitigkeiten ist nicht zulässig ( bb.).
aa. Dem Anspruch auf Löschung aller Daten steht entgegen, dass der Beklagte nachträglich die Leistungsbewilligung überprüfen und gegebenenfalls bei unrechtmäßigem Leistungsbezug Bewilligungsbescheide zurücknehmen kann.
Ein Anspruch auf Löschung besteht nach Art. 17 Abs. 3 lit. b nicht, soweit die Verarbeitung erforderlich ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, die die Verarbeitung nach dem Recht der Union oder der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt, erfordert, oder zur Wahrung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde. Auch Art. 6 Abs. 1 lit. c DSGVO legt fest, dass die Verarbeitung rechtmäßig ist, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, der der Verantwortliche unterliegt, erforderlich ist. Die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c wird nach Art. 6 Abs. 3 DSGVO festgelegt durch Unionsrecht oder das Recht der Mitgliedstaaten, dem der Verantwortliche unterliegt.
Dies ist hier der Fall. Die personenbezogenen Daten des Klägers sind zur Erfüllung einer dem Beklagten im SGB X zugewiesenen rechtlichen Verpflichtung ( i.) teilweise weiterhin erforderlich ( ii.) und dürfen insoweit gespeichert werden ( iii.)
i. Der Beklagte unterliegt den Vorschriften des Sozialrechts nach dem SGB X. Nach § 67b Abs. 1 Satz 1 SGB X ist die anschließende Speicherung, Veränderung, Nutzung, Übermittlung, Einschränkung der Verarbeitung und Löschung von Sozialdaten durch die in § 35 SGB I genannten Stellen nur erlaubt, soweit datenschutzrechtliche Vorschriften des SGB X oder eine andere Vorschrift des SGB dies erlauben oder anordnen.
(1) Der Beklagte ist eine solche Stelle i.S.d. § 35 Abs. 1 SGB I, denn er ist Leistungsträger der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach § 67 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 SGB X i.V.m. § 12 Satz 1 i.V.m. § 19a SGB I.
(2) Nach § 67c Abs. 1 Satz 1 SGB X ist die Speicherung von Sozialdaten durch die in § 35 SGB I genannte Stelle zulässig, wenn sie zur Erfüllung der in der Zuständigkeit des Verantwortlichen liegenden gesetzlichen Aufgaben nach diesem Gesetzbuch erforderlich ist und für die Zwecke erfolgt, für die die Daten erhoben worden sind.
(a) Gesetzliche Aufgabe ist jede Aufgabe, die sich aus dem Sozialgesetzbuch (SGB I bis XII) ergibt (Westphal in: BeckOK Sozialrecht, 69. Ed. <Stand 01.06.2023>, § 67 SGB X, Rn. 9; Leopold in: BeckOK, SGB X, <Stand: 15.05.2023>, Rn. 108). Eine der gesetzlichen Aufgaben des Beklagten ist die Überprüfung der vergangenen Leistungsbewilligung auf ihre Rechtmäßigkeit hin. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGBX ermöglicht dem Beklagten eine nachträgliche Überprüfung und ggf. Rücknahme der ursprünglichen Bewilligung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach Bekanntgabe des entsprechenden Bewilligungsbescheides bei unrechtmäßigem Leistungsbezug (vgl. BSG, Urteil vom 14.05.2020 – B 14 AS 7/19 R – juris, Rn. 29).
Ausgehend davon mag der Einwand des Klägers, es handele sich bei § 45 SGB X nicht um eine gesetzliche Aufbewahrungsvorschrift, zutreffend sein; darauf kommt es hier nicht an, weil die Ausnahme von der Löschpflicht nicht aufgrund einer gesetzlichen Aufbewahrungsvorschrift, sondern aufgrund einer Befugnisnorm besteht. Auch der Einwand des Klägers, jeder Weiterbewilligungsantrag bilde eine „datenschutzrechtliche Zäsur“ und setze die Fristen jeweils neu in Gang, vermag aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 45 SGB X, der explizit auf die Bekanntgabe des entsprechenden Bewilligungsbescheides abstellt, nicht zu überzeugen, obwohl ein Weiterbewilligungsantrag und die Bekanntgabe einer Leistungsbewilligung in der Regel ohnehin kurz aufeinander folgen.
(b) Erforderlich ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten, soweit Aufgaben der verantwortlichen Stelle ohne deren Kenntnis nicht rechtmäßig zu erfüllen waren bzw. sind. Eine Datenspeicherung (nur) auf Vorrat, also ohne bestimmten und bestimmbaren Zweck, ist nicht erforderlich. Soweit Daten auch mit dem Zweck gespeichert werden, in Rückforderungslagen nach § 45 SGB X die notwendigen Feststellungen zur Höhe der tatsächlich zu beanspruchenden Leistungen treffen zu können, liegt darin keine unzulässige Verarbeitung auf Vorrat, also einem unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zweck. Rückforderungen bei einem unrechtmäßigen Leistungsbezug durchsetzen zu können, dient einem bedeutsamen Gemeinwohlbelang (BSG, Urteil vom 14.05.2020 – B 14 AS 7/19 R – juris, Rn. 33, 36). Der Beklagte kann jedoch keine Rückforderungsverfahren durchführen, ohne Kenntnis von den ursprünglich für die Leistungsbewilligung erforderlichen persönlichen Daten wie die tatsächlichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II (inklusive von z.B. Heiz- und Nebenkostenabrechnungen sowie Mietverträgen) sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse nach § 11 ff. SGB II des Klägers (inklusive z.B. der von dem Kläger angesprochenen KFZ- und Riesterversicherungsverträgen für etwaige Freibeträge). Die Speicherung der Sozialdaten des Klägers ist damit auch nach dem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug grundsätzlich weiterhin erforderlich. Wären hingegen Daten erhoben worden, die für die ursprüngliche Leistungsbewilligung schon gar nicht erforderlich gewesen sind, wären sie hiervon nicht erfasst und eine gesonderte Löschung könnte gegebenenfalls konkret beantragt werden.
(c) Eine Speicherung der personenbezogenen Daten des Klägers seitens des Beklagten ist jedoch nur insoweit zulässig, soweit sie für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgabe erforderlich sein kann. Da Rückforderungsverfahren zu abgeschlossenen Leistungsbewilligungen nach § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X höchstens bis zum Ablauf von zehn Jahren nach Bekanntgabe des entsprechenden Bewilligungsbescheides durchgeführt werden können, besteht für Daten, die im Zusammenhang mit weiter zurückliegenden Leistungszeiträumen erhoben wurden, keine Erforderlichkeit mehr.
ii. Die Erforderlichkeit zur Speicherung der personenbezogenen Daten des Klägers zur Erfüllung einer dem Beklagten zugewiesenen rechtlichen Verpflichtung – die einem Anspruch auf Löschung nach Art. 17 Abs. 3 lit. b DSGVO insofern entgegensteht – beschränkt sich auf solche Daten, die im Zusammenhang mit Bescheiden gespeichert wurden, die von der Rücknahmemöglichkeit des § 45 SGBX überhaupt erfasst werden können.
iii. Die Anfechtungsklage gegen die Ablehnung der Löschung mit Bescheide vom 22.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2021 ist hinsichtlich dieses Zeitraums unbegründet und die Leistungsklage auf Löschung dieser Daten durch schlich-hoheitliches Handeln des Beklagten ebenfalls unbegründet.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BSG, Urteil vom 14.05.2020 – B 14 AS 7/19 R – juris, Rn. 17), hier der 03.08.2023. Hypothetischer Zeitpunkt der Bekanntgabe von möglicherweise zurückzunehmenden Bewilligungsentscheidungen für fristgerechte Rücknahmeentscheidung am 03.08.2023 ist der 04.08.2013 (vgl. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Alle Bescheide, die vor dem 04.08.2013 bekanntgegeben wurden und die damit im Zusammenhang verarbeiteten, personenbezogenen Daten können nicht unter Verweis auf Art. 17 Abs. 3 lit. b DSGVO von dem Anspruch auf Löschung ausgenommen werden. Der Beklagte hat nicht vorgetragen, und es ist auch nicht ersichtlich, dass es Daten zu weiter zurückliegenden Zeiträumen gibt, die Gegenwartsbezug haben. Zwar kann ein im Jahr 2005 eingereichter Mietvertrag auch für eine Leistungsgewährung im Jahr 2016 relevant sein. Da der Beklagte die Erforderlichkeit einzelner konkreter Daten nicht geltend gemacht hat, wird er im Zweifel gehalten sein, diese Daten erneut beim Kläger anzufordern, sollte er sie für seine gesetzlichen Aufgaben benötigen. Diese theoretische Möglichkeit rechtfertigt jedenfalls nicht ein „unendliches Gedächtnis“ (siehe dazu auch unten).
bb. Dem Anspruch auf Löschung aller im Zusammenhang mit vor dem 04.08.2013 bekanntgegebenen Leistungsbescheiden erhobenen personenbezogenen Daten steht nicht entgegen, dass der Beklagte die Daten zur Führung von Klageverfahren benötigt.
Ein Anspruch auf Löschung besteht nach Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO nicht, soweit die Verarbeitung erforderlich ist zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen.
Für personenbezogene Daten, die im Zusammenhang mit nach dem 04.08.2013 bekanntgegebenen Leistungsbescheiden stehen, kann dies dahinstehen. Denn diese Daten unterliegen ohnehin nicht der Löschpflicht (siehe oben). Für die weiteren personenbezogenen Daten des Klägers ist eine Speicherung zur Führung von Klageverfahren ( i.) nicht erforderlich ( ii.).
( i.) Sinn des Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO ist es, zu verhindern, dass die betroffene Person die Löschung ihrer Daten betreibt, um dem Dritten die Rechtsverfolgung zu erschweren oder unmöglich zu machen. Insbesondere während laufender Verfahren oder vor dem Hintergrund absehbarer Verfahren gegen die betroffene Person selbst ist ein Löschungsanspruch gegen den Verantwortlichen, der diese Ansprüche geltend machen will, ausgeschlossen (vgl. Worms in: BeckOK Datenschutzrecht, 44. Ed. <Stand 01.11.2021>, Art. 17 DSGVO, Rn. 87). Maßgeblich für die Beurteilung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BSG, Urteil vom 14.05.2020 – B 14 AS 7/19 R – juris, Rn. 17). Dass der Beklagte Rechtsansprüche gegen den Kläger für weiter als zehn Jahre zurückliegende Zeiträume geltend machen möchte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Insofern hat der Beklagte auch lediglich vorgetragen, der Löschung stehe entgegen, dass der Kläger immer wieder Klage auch für weiter zurückliegende Zeiträume erhebe. Auf explizite Nachfrage des Senats hat der Beklagte jedoch angegeben, dass derzeit keine Klagen mehr anhängig seien.
( ii.) Die Erforderlichkeit einer Speicherung der personenbezogenen Daten des Klägers ergibt sich auch nicht daraus, dass – wie der Beklagte vorgetragen hat – der Kläger in letzter Zeit mehrere Klagen erhoben habe und zu erwarten sei, dass er dies weiterhin beabsichtige.
Insoweit sei dem Beklagten zugestanden, dass die Speicherung von personenbezogenen Daten auch dann rechtmäßig sein kann, wenn dies zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen (vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO). Zu diesen berechtigten Interessen des Beklagten mag auch die Speicherung von Daten zur Führung „absehbarer Klageverfahren“ zählen. Die bloß abstrakte Möglichkeit einer rechtlichen Auseinandersetzung genügt jedoch nicht. Bei Unsicherheit über künftige Rechtsstreitigkeiten ist eine abwägende Prognose unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit des Rechtsstreits und des Gewichts der betroffenen Rechtsansprüche und der Belange der betroffenen Person durchzuführen (Kamann/Braun in: Ehmann/Selmayr, DSGVO, 2. Aufl., 2018, Art. 17, Rn. 64).
(1) Die Wahrscheinlichkeit der Geltendmachung von Rechtsansprüchen seitens des Klägers für weit zurückliegende Zeiträume ist gering. Die vom Beklagten angegebenen Verfahren (siehe Aufstellungen oben) betreffen Leistungszeiträume weit überwiegend ab 2014 und mithin einen Zeitraum, für den ohnehin keine Löschpflicht besteht. Soweit der Kläger im Jahr 2022 die vollstreckbare Ausfertigung eines Vergleichs aus dem Jahr 2011 beim Beklagten beantragt hat, rechtfertigt dies keine Speicherung der Daten beim Beklagten. Vollstreckbare Ausfertigungen aus Titeln, Entscheidungen und Vergleichen unterliegen gemäß § 3 Abs. 1 Justizaktenaufbewahrungsverordnung i.d.F. vom 08.11.2021 einer 30-jährigen Aufbewahrungsfrist und sind gemäß § 724 Abs. 2 ZPO auf Antrag bei dem Gericht, bei dem der Titel erwirkt wurde, zu erteilen.
Soweit der Kläger in dem Verfahren S 16 AS 806/22 eine Unterlassungsklage (nach Zahlungsaufforderung der Bundesagentur für Arbeit vom 10.04.2022) gegen den Beklagten hinsichtlich der Geltendmachung von Forderungen aus 2009 unter Bezugnahme auf Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 28.04.2011 erhoben hat, steht auch dies einer Speicherung der Daten vorliegend nicht entgegen, denn die vorzunehmende Interessenabwägung zwischen der Wahrscheinlichkeit der Geltendmachung von Rechtsansprüchen und der mit der anhaltenden Speicherung verbundene Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person (vgl. hierzu Worms in: BeckOK Datenschutzrecht, 44. Ed. <Stand 01.11.2021>, Art. 17 DSGVO, Rn. 87) führt nicht dazu, dass der Beklagte sämtliche Daten „auf Vorrat“ aufbewahren dürfte.
(2) Weiter ist das Recht des Klägers auf Löschung seiner personenbezogenen Daten (Recht auf Vergessenwerden) durch die Unionsgrundrechte geschützt und überwiegt die berechtigten Interessen des Beklagten.
Bei der Anwendung unionsrechtlich vollständig vereinheitlichter Regelungen sind grundsätzlich nicht die deutschen Grundrechte, sondern wegen ihres Anwendungsvorrangs allein die Unionsgrundrechte maßgeblich (vgl. EuGH, Urteil vom 26.02.2013 – C-617/10 – Akerberg, Rn. 19 f.). Ob eine Regelung unionsrechtlich vollständig determiniert ist, richtet sich nach einer Auslegung des jeweils anzuwendenden unionsrechtlichen Fachrechts. Die Frage der Gestaltungsoffenheit ist dabei jeweils in Bezug auf die konkret auf den Fall anzuwendenden Vorschriften in ihrem Kontext zu beurteilen und dahingehend zu untersuchen, ob sie auf die Ermöglichung von Vielfalt und die Geltendmachung verschiedener Wertungen angelegt ist oder ob sie nur dazu dienen soll, besonderen Sachgegebenheiten hinreichend flexibel Rechnung zu tragen, dabei aber von dem Ziel der gleichförmigen Rechtsanwendung getragen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.11.2019 – 1 BvR 276/17 –, Rn. 43 ff., 78 ff.). Das Datenschutzrecht ist unionsweit abschließend in der DSGVO als unmittelbar anwendbares Unionsrecht vereinheitlicht, und auch die konkrete Norm des Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO belässt den Mitgliedstaaten keinen Gestaltungsspielraum. Maßstab der konkretisierenden Anwendung von Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO ist daher die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
Nach Art. 8 Abs. 1 Grundrechtecharta hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Dieses Grundrecht steht in engem Zusammenhang mit dem in Art. 7 Grundrechtecharta verankerten Recht auf Achtung des Privatlebens (vgl. EuGH, Urteil vom 09.11.2010 – C-92, 93/09 –, Rn 47). Auch nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Davon umfasst ist auch der Schutz vor der Verarbeitung personenbezogener Daten. Das damit grundrechtlich geschützte Verhalten beinhaltet vor allem die Herrschaft über die eigenen Daten, und damit die Möglichkeit, Dritte von der Erhebung oder Verwendung dieser Daten auszuschließen, Informationen über die Erhebung dieser Daten zu erhalten und auf die Löschung unrichtiger bzw. nicht mehr benötigter Daten hinzuwirken (Kingreen in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, Art. 8 GrCh, Rn. 10). Daraus ergibt sich, dass jede Verarbeitung personenbezogener Daten durch Dritte grundsätzlich ein Eingriff in dieses Recht ist (EuGH, Urteil vom 17.10.2013 – C 291/12 –, Rn. 24 f.). Art. 7, 8 GrCh schützen die selbstbestimmte Persönlichkeitsentfaltung gegenüber der Datenverarbeitung von Dritten im Sinne informationeller Selbstbestimmung. Danach müssen die Interessen des Beklagten an einem „unendlichen Gedächtnis“ hinter den Grundrechten des Klägers zurücktreten. Diese beschränken sich vorliegend darauf, auf möglicherweise noch in der Zukunft vom Kläger zu erhebende Klagen sachgerecht reagieren zu können. Angesichts des Vorbringens des Beklagten geht es hierbei jedoch nicht darum, dass der Beklagte etwas von dem Kläger begehrt, sondern gerade umgekehrt. Sollte der Kläger in Zukunft Verfahren zu länger zurückliegenden Zeiträumen erheben, und diese werden ohne die Leistungsakten des Beklagten nicht mehr nachvollziehbar sein, wird sich dies gegebenenfalls auch zu Lasten des Klägers auswirken können. Hierauf hat der Senat den Kläger im Verhandlungstermin explizit hingewiesen. Schwerwiegende, berechtigte Interessen des Beklagten werden hierdurch nicht berührt.
d. Nachdem der Beklagte die Löschung veranlasst hat, wird er dem Kläger hierüber zeitnah eine Mitteilung zukommen zu lassen haben, Art. 19 Abs. 1 DSGVO.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei i.S.d. § 183 SGG. § 197a Abs. 1 GKG ist nicht anwendbar. Der Kläger war in der Vergangenheit Empfänger von Leistungen nach dem SGB II. Er klagt auch in seiner Eigenschaft als Leistungsempfänger, weil er eine Löschung seiner beim Beklagten verarbeiteten, personenbezogenen Daten, die aus der Zeit seines Leistungsbezugs stammen, begehrt. Für Klagen nach §§ 81a, 81b SGB X ist von der Privilegierung auszugehen, wegen des dort vorausgesetzten Zusammenhangs der Verarbeitung von Sozialdaten mit einer Angelegenheit nach § 51 Abs. 1 und 2 SGG (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 183 Rn. 10). Für Löschansprüche nach der DSGVO kann deshalb nichts Anderes gelten. In Anbetracht der Gerichtskostenfreiheit fehlte es auch an einer Grundlage für den Streitwertbeschluss des Sozialgerichts.
IV. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.