L 17 U 386/24

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 18 U 850/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 17 U 386/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.08.2024 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Verletztenrente.

 

Der im Jahr 0000 geborene Kläger hatte bereits am 12.03.1996 im Rahmen seiner Tätigkeit als Verfahrensmechaniker bei der Firma A. GmbH + Co in V. einen von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfall erlitten, als er mit dem rechten Daumen in eine Kreismesserschere geriet. Der von der Beklagten seinerzeit beauftragte Arzt für Chirurgie, Hand-, Plastische- und Unfallchirurgie E. schätzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf unter 10 v.H. ein. Unter Verweis auf das Gutachten lehnte die Beklagte eine Rentenbewilligung ab.

 

Am 20.03.2001 erlitt der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit einen weiteren Unfall, als beim Transport eines schweren Bandstahlringes / Coils mit einem Krahn der Ring abrutschte und dem Kläger auf den Fuß fiel, wodurch er sich eine schwere Vorfußquetschung links mit Teilamputation der 3., 4. und 5. Zehe, schwere Quetschverletzungen der Großzehe und der 2. Zehe sowie weitere schwere Quetschverletzungen am Fußrücken und multiple Schürfwunden am Unterschenkel zuzog.

 

Der erneut von der Beklagten beauftragte E. stellte in seinem Gutachten vom 22.02.2002 Unfallfolgen in Form einer Teilamputation aller Zehen des linken Fußes, einer Bewegungseinschränkung der verbliebenen Gelenke der Zehen des linken Fußes, einer bräunlich pigmentierten Narbenbildung am linken Vorfußrücken mit belastbar eingeheiltem Hauttransplantat, einer Durchblutungsstörung mit livider Hautverfärbung der verbliebenen Anteile der Zehen des linken Fußes, röntgenologisch nachweisbare Veränderungen und die vom Kläger beklagten Beschwerden fest. Die MdE schätzte er ab Beginn der Arbeitsfähigkeit am 06.11.2001 für die Dauer eines halben Jahres mit 20 v.H., danach mit 10 v.H. ein.

 

 

Daraufhin gewährte die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Kläger für die Zeit vom 06.11.2001 bis zum 31.05.2002 Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE i.H.v. 20 v.H. in Form einer Gesamtvergütung. Sie erkannte als Folgen des Arbeitsunfalls an: „Links: Verlust der 1. Zehe über der Endgliedbasis, des Endgliedes der 2. Zehe, der 3. und 4. Zehe im Mittelglied sowie des Mittel- und Endgliedes der 5. Zehe, Bewegungseinschränkung der verbliebenen Gelenke der Zehen, Durchblutungsstörungen im Bereich der verbliebenen Anteile der Zehen, Narbenbildung am Vorfußrücken mit belastbar eingeheiltem Hauttransplantat, röntgenologisch nachweisbare Veränderungen im Bereich des Vorfußes“.

 

In einem im Rahmen des vom Kläger angestrengten Widerspruchsverfahrens eingeholten Gutachten kam der Arzt für Chirurgie und plastische und Handchirurgie M. zu dem Ergebnis, es liege eine MdE i.H.v. 10 v.H. nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraums vor.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch daraufhin zurück und lehnte mit weiterem Bescheid eine Rentenzahlung nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraums ab. Im anschließenden, nach erfolglosem Widerspruchsverfahren angestrengten Klageverfahren holte das Sozialgericht Dortmund ein Gutachten bei dem Unfall- und Handchirurgen Q. ein. Dieser schloss sich der Beurteilung der MdE durch M. an. Der Kläger nahm die Klage in der Folgezeit zurück.

 

Am 12.07.2018 ging bei der Beklagten ein „Verschlechterungsantrag“ des Klägers ein, zu dessen Begründung dieser auf sehr große Schmerzen im linken Fuß und extreme Schmerzen im gesamten Bein, im Knie und der Hüfte verwies. Aus diesem Grund könne er kaum mehr Überstunden leisten und erleide finanzielle Nachteile. Sein Leben habe sich seit dem Unfall sehr verschlechtert und sehr verteuert. Auch könne er keinen Sport mehr treiben. Daher habe er sich bei dem Durchgangsarzt und Unfallchirurg G. vorgestellt, der ihm zu dem Verschlechterungsantrag geraten habe. Er beantrage die Zuerkennung einer Unfallrente.

 

Nachdem die Beklagte ein Vorerkrankungsverzeichnis von der Krankenkasse des Klägers und Berichte seiner behandelnden Ärzte beigezogen hatte, holte sie ein Gutachten des B., Chefarzt der Abteilung für orthopädische Chirurgie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie an der L.-Klinik F. ein. Dieser schätzte in seinem Gutachten vom 22.01.2019 die unfallbedingte MdE unverändert mit 10 v.H. ein. Es sei im Vergleich zum Vorgutachten des M. aus dem Jahr 2002 keine wesentliche Änderung der Unfallfolgen festzustellen. Bezüglich des aktuellen therapeutischen Prozedere empfahl B. die bereits eingeleitete passgenaue Zurichtung des orthopädischen Arbeitsschuhwerkes. Zudem solle eine begleitende schmerztherapeutische Behandlung eingeleitet werden, durch die er eine Linderung des wahrscheinlich auf nervale Schmerzen im Zehenstumpfbereich zurückzuführenden Leidensdruckes für möglich halte.

 

Mit Bescheid vom 12.03.2019 lehnte die Beklagte daraufhin gestützt auf das Gutachten die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.03.2001 ab. Als Unfallfolgen stellte sie fest: „Links: Verlust der 1. Zehe sowie Teilverluste der Zehen 2 bis 5, verminderte Belastbarkeit des Fußes, gestörtes Gangbild, Sensibilitätsstörungen in den Stumpfbereichen.“

 

Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs wiederholte der Kläger sein Vorbringen aus dem Verschlechterungsantrag und legte eine ärztliche Stellungnahme des N. vor.

 

Nach einem von der Beklagten beigezogenen Bericht des behandelnden Schmerztherapeuten Z. handele es sich um ein monolokuläres Schmerzsyndrom hoher bis maximaler Schmerzintensität und normaler Erträglichkeitsschwelle ohne Schmerzanfälle, gemischten Schmerzcharakters mit hoher affektiver Schmerzkomponente. Es ergäben sich diskrete Hinweise für Angsterleben ohne Einschränkungen des Wohlbefindens. Die Lebensqualität werde im physischen Bereich als eingeschränkt erlebt. Es bestehe ein Chronifizierungsgrad 4 n. v. Korff. Als Chronifizierungsmechanismen ließen sich psychosoziale Faktoren (maladaptive Schmerzverarbeitung / dysfunktionale Durchhaltestrategien / Rückzugsverhalten) identifizieren.

 

Ausweislich einer ergänzenden Stellungnahme des B. hielt dieser eine schmerzmedizinische Begutachtung für notwendig. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch P., Chefarzt der neurologischen Abteilung der Klinik U.. Dieser kam in seinem schmerzmedizinischen und neurologischen Zusammenhangsgutachten vom 10.06.2020 zu dem Ergebnis, beim Kläger liege ein chronisches Schmerzsyndrom, überwiegend von nozizeptivem Charakter nach Vorfußquetschung und Teilamputation der Zehen vor. Hinweise für ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) lägen nicht vor. Ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom, welches über die MdE des üblichen, schon in der chirurgischen MdE mitberücksichtigten Schmerzes hinausgehe, liege nicht vor. Insofern liege die MdE auf schmerzmedizinischen Fachgebiet bei unter 10 v.H.

 

Das Gutachten übermittelte die Beklagte der seinerzeitigen Bevollmächtigten des Klägers. Letzterer machte in der Folgezeit Reisekosten und eine Verpflegungspauschale geltend und bat um Übersendung des Gutachtens des P.. Er wies zudem darauf hin, im Zusammenhang mit der Begutachtung durch P. sei seine Wirbelsäule statt seiner schmerzenden Hüfte geröntgt worden. Zudem monierte er die Bearbeitungsdauer der Beklagten auch im Zusammenhang mit der Versorgung von Schuheinlagen.

 

Die Beklagte erläuterte dem Kläger die Umstände im Zusammenhang mit der Einlagenversorgung und erstattete ihm weitere Reisekosten.

 

Der Kläger wies in der Folgezeit darauf hin, dass eine prozentuale Erfassung auch der Schmerzen in Hüfte und Fuß im Gutachten habe erfolgen müssen. So habe das orthopädische Gutachten zum verunfallten Fuß bereits eine MdE von 10 v.H. ausgewiesen, für seinen Daumen sei orthopädischerseits eine MdE von 5 v.H. notiert.

 

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2020 zurück. Die Unfallfolgen bedingten nach den eingeholten Gutachten auch unter Berücksichtigung seines Vortrags keine MdE von 20 v.H.

 

Hiergegen hat der Kläger am 27.11.2020 Klage erhoben. Zur Begründung hat er seinen bisherigen Vortrag wiederholt und Kritik an der Vorgehensweise und nach seiner Auffassung schleppenden Bearbeitung der Beklagten sowie den Umständen der Begutachtung in U. geäußert. Die Beklagte habe die Gutachten nicht auf Plausibilität geprüft. Das Gutachten des P. sei rechtsunwirksam aufgrund der sehr vielen, dort nicht hingehörenden persönlichen Daten des Klägers und seiner Familie. Tatsächlich sei – wenn man alle Unfallfolgen berücksichtige – von einer MdE von über 20 v.H. auszugehen. Nach den vielen Empfehlungen, die P. in seinem Gutachten ausspreche, sei davon auszugehen, dass die MdE auf schmerzmedizinischem Gebiet durchaus 10 v.H. betragen könne und müsse. Unter Verweis auf Stellungnahmen des G. vom 06.01.2021 und des Z. vom 10.06.2020 sei von einer Gesamt-MdE von 35 v.H. seit dem 01.04.2001 auszugehen. Beziehe man den Unfall aus dem Jahr 1996 mit ein, werde eine MdE von 40 v.H. erreicht. Auch habe ein weiterer Ausgleich seiner Reisekosten zu erfolgen. Eine erneute Begutachtung durch die Beklagte lehne er ab.

 

Am 01.12.2022 hat ein Erörterungstermin stattgefunden, in dessen Verlauf der Kläger erklärt hat, er nehme die Streitgegenstände in Bezug auf die Folgen des Arbeitsunfalls vom 12.03.1996, die Reisekosten und die Feststellung der Frage, ob die Beklagte ihn weiter begutachten dürfe, zurück. Zudem hat sich der Kläger damit einverstanden erklärt, dass das Sozialgericht die Akten einem Sachverständigen zur Verfügung stellt.

 

Das Sozialgericht hat die bildgebenden Befunde der behandelnden Ärzte beigezogen. Sodann hat es ein Sachverständigengutachten von dem Unfallchirurgen und Orthopäden H., Oberarzt der chirurgischen Abteilung des D. eingeholt. Dieser kam in seinem nach Untersuchung des Klägers erstatteten Gutachten vom 09.10.2023 zu dem Ergebnis, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.03.2001 sei eine MdE von 10 v.H. anzunehmen. Ein CRPS sei nicht vollbeweislich gesichert.

 

Der Kläger hat sich kritisch zu dem Gutachten geäußert und vorgetragen, das Gutachten könnte weitestgehend von der Beklagten selbst angefertigt worden sein. Außerdem habe H. in seinem Gutachten falsche Angaben gemacht, etwa in dem er behauptet habe, es seien hinsichtlich des Fußes über Jahre hinweg keine Arztbesuche vorgenommen worden. Die Gutachten des B., P. und H. dürften für die Beurteilung seiner Unfallfolgen nicht mehr verwendet werden.

 

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

 

den Sachverständigen H. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2020 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.03.2001 ab dem 01.04.2001 eine Rente zu leisten.

 

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat ihre Entscheidung für zutreffend erachtet und auf die eingeholten Gutachten verwiesen, ausweislich derer Restsymptome eines CRPS eindeutig nicht nachweisbar gewesen seien. G. verkenne in seiner Stellungnahme, dass hier eine Teilamputation der Zehen und kein vollständiger Verlust vorliege. Eine MdE von unter 10 v.H. aufgrund eines Versicherungsfalles bleibe als medizinisch und wirtschaftlich nicht messbar unberücksichtigt.

 

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 15.08.2024 abgewiesen. In dem Urteil hat es zunächst den Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen H. als unbegründet zurückgewiesen und u. a. ausgeführt, dass sich unter Berücksichtigung des Akteninhalts keine Anhaltspunkte dafür ergäben, dass H. unwahre Angaben hinsichtlich der Vorbehandlungen des Fußes gemacht habe, zumal letztlich auch der Kläger vorgetragen habe, dass er von Ärzten ohne Behandlung weggeschickt worden sei. Auch aus inhaltlichen Ähnlichkeiten im Gutachten im Hinblick auf Ausführungen der Beklagten zur Frage der Folgen des Arbeitsunfalls ergäben sich keine Hinweise auf eine Beeinflussung des Sachverständigen. Die auf Gewährung einer Verletztenrente gerichtete Klage sei teilweise unzulässig, im Übrigen sei sie unbegründet. Dabei ist das Sozialgericht dem Gutachten des Sachverständigen H. gefolgt.

 

Gegen das ihm am 22.08.2024 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 11.09.2024. Zur Begründung wiederholt er sein erstinstanzliches Vorbringen und die von ihm erhobenen Vorwürfe. Nach wie vor leide er an starken, sehr belastenden Schmerzen, einer schlechten Trittsicherheit, einem katastrophalen Abrollverhalten des Fußes. Im Sommerurlaub sei er aufgrund seines schlechten, unsicheren Ganges schwer gestürzt und habe sich das rechte Schultergelenk mehrfach gebrochen. In der Folgezeit habe er an der Schulter operiert werden müssen. Die massiven Hüftschmerzen halte er für eine Folge des Arbeitsunfalls aus dem Jahr 2001. Die eingeholten Gutachten seien realitätsfern. Das Gutachten von H. sei in großen Teilen von der Beklagten selbst geschrieben worden. Der Gutachter habe zudem gegen die DSGVO verstoßen, indem er sich bei seiner Krankenkasse erkundigt habe. Eine weitere Begutachtung sei ihm nicht zumutbar.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.08.2024 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2020 zu verurteilen, ihm wegen der Folgendes Arbeitsunfalls vom 20.03.2001 ab dem 01.04.2001 eine Verletztenrente zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

                        die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verteidigt die Entscheidung des Sozialgerichts. Eine rentenberechtigende MdE habe sich im Rahmen der im Verwaltungs- und im Klageverfahren durchgeführten Begutachtungen nicht nachweisen lassen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie der Gerichtsakten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige, insbesondere statthafte Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die auf die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.03.2001 gerichtete Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 12.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2020 ist nicht rechtswidrig und beschwert den Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.03.2001.

 

Der Senat folgt nach eigener Prüfung im Ergebnis wie auch hinsichtlich der überzeugenden Begründung den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts und verweist zunächst auf diese (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Kläger wiederholt im Berufungsverfahren im Wesentlichen sein erstinstanzliches Vorbringen und trägt nichts Neues vor.

 

Nach § 56 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Die MdE richtet sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens.

 

Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Klage für die Zeit vor dem 01.06.2002 mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist und etwaige Leistungsansprüche vor dem 01.01.2014 verjährt sind.

 

Auch für Zeit ab dem 01.01.2014 lässt sich ein Rentenanspruch des Klägers nicht begründen. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist infolge des von der Beklagten grundsätzlich anerkannten Arbeitsunfalles vom 20.03.2001 nicht über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert und es liegen auch keine Anhaltspunkte für einen Stützrententatbestand vor.

 

Der Senat folgt den überzeugenden Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen H.. Das Gutachten ist verwertbar, da der Antrag des Klägers auf Ablehnung des Sachverständigen nach den zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Urteil vom 15.08.2024 unbegründet ist. Der Senat vermag weder aus dem vom Sozialgericht zutreffend gewürdigten Vorbringen des Klägers noch sonstige Anhaltspunkte zu erkennen, die gegenüber H. eine Besorgnis der Befangenheit begründen könnten. Insbesondere kann eine Besorgnis der Befangenheit auch nicht deswegen angenommen werden, weil der Sachverständige die in den Akten befindlichen Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen der Beklagten zur Kenntnis genommen und inhaltlich bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt hat. Vielmehr ist ein Sachverständiger zu einer Auseinandersetzung mit Vorgutachten und Vorbefunden verpflichtet (LSG NRW, Beschluss vom 28.09.2020 - L 17 U 164/07 -, juris Rn. 33) und eine Zuleitung der vollständigen Akten einschließlich sämtlicher Vorbefunde und Vorgutachten an den Sachverständigen grundsätzlich geboten (BSG, Beschluss vom 28.09.2020 - B 13 R 45/19 B -, juris Rn. 8). Ein Beteiligter kann deswegen etwa auch nicht mit dem Vorbringen, ein Sachverständiger schreibe vom anderen ab, verlangen, dass dem Sachverständigen die Vorgutachten nicht zur Verfügung gestellt werden (BSG, Beschluss vom 28.09.2020 - B 13 R 45/19 B -, juris Rn. 8; BSG, Beschluss vom 21.04.2020 - B 13 R 85/19 B -, juris Rn. 9; BSG, Urteil vom 12.12.1969 - 8 RV 653/66 -, juris Rn. 29). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu § 406 Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO), welcher über § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG im Sozialgerichtsverfahren entsprechende Anwendung findet, ist das Berufungsgericht auch befugt, in der Sache zu entscheiden und inzidenter auch über die Berechtigung des Ablehnungsgesuchs zu befinden, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs über ein gegen den gerichtlichen Sachverständigen gerichtetes Ablehnungsgesuch entgegen § 406 Abs. 4 ZPO erst in den Gründen seines Endurteils und nicht vorab durch gesonderten Beschluss entschieden hat, sodass das Urteil erster Instanz nicht allein wegen des Verstoßes gegen § 406 Abs. 4 ZPO aufzuheben und die Sache an das Gericht erster Instanz zurückzuverweisen wäre (vgl. BSG, Beschluss vom 22.09.2022 - B 9 SB 8/22 B -, juris Rn. 20 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 14.05.2019 - VI ZR 393/18 -, juris).

 

Nach dem Gutachten des H. liegen beim Kläger als Folge des Arbeitsunfalls vom 20.03.2001 im linken Fuß vor: der Teilverlust der Zehen D1-D5, die Bewegungseinschränkung in allen Zehengrundgelenken, die ausreichende und durchweg reizlose Weichteildeckung aller Amputationsstümpfe, im Kuppenbereich D2 sowie D3 hornartig umgeformt, die flächenhafte, tragfeste und reizlose Narbenbildung streckseitig auf Höhe des körperfernen Mittelfußes/des Vorfußes, die Störung/der Verlust verschiedener Qualitäten der differenzierten Geh- und Steharten, die stärkere Druck- und Berührungsempfindlichkeit der Amputationsstümpfe, die flächenhafte Beeinträchtigung der Oberflächenwahrnehmung auf dem körperfernen Fußrücken sowie die Notwendigkeit zum Gebrauch medizinisch zugerichteten Arbeitsschuhwerkes.

 

Der Senat folgt H. in dessen Einschätzung, dass für diesen Zustand eine höhere MdE als 10 v.H. nicht angesetzt werden kann. Nicht nur H., sondern bereits M., der den Kläger im August 2002 und damit vergleichsweise zeitnah zum Schadensereignis untersucht hat, weisen nachvollziehbar darauf hin, dass der Kläger insbesondere durch den weitgehenden Erhalt der Großzehe wesentlich bessergestellt ist, als ein Versicherter, der alle Zehen in Höhe der Grundgelenke verloren hat und für dessen Zustand eine MdE von 20 anzusetzen wäre (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, S. 729, 730; Konsenspapier der MdE-Expertengruppe nach Überprüfung der MdE-Erfahrungswerte bei Gliedmaßenverlusten („MdE-Eckwerte“) vom Oktober 2019, S. 45). Als die geringste wesentliche Funktionsstörung durch Gliedmaßenverlust an einem Bein wird dort der Verlust einer Großzehe und zumindest zweier weiterer Zehen angesehen, für den eine MdE von 10 v.H. angenommen (vgl. Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, S. 729, 730). Für den Verlust der Großzehe gegebenenfalls mit Verlust von einer weiteren Zehe wird hingegen nur eine MdE von unter 10 v.H. veranschlagt. Mangels Großzehenverlusts sowie vollständigen Verlusts sonstiger Zehen erscheint im Falle des Klägers nach diesen aktuellen wissenschaftlichen Erfahrungssätzen eine MdE mit 10 v. H. bereits als eher günstige Bewertung.

 

Es liegen auch keine weiteren auf den Unfall zurückzuführenden Gesundheitsstörungen vor, die die Annahme einer höheren MdE rechtfertigen könnten.

 

Insbesondere legt H. insoweit ausführlich, nachvollziehbar sowie unter Auswertung der einschlägigen Gutachtenliteratur und in Übereinstimmung mit P. dar, dass und warum beim Kläger ein CRPS oder eine sonstige Gesundheitsstörung auf schmerzmedizinischem Gebiet, die wesentlich ursächlich auf den Unfall zurückgeführt werden könnte, nicht vollbeweislich gesichert ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der erforderliche zeitliche Zusammenhang nicht feststellbar. CRPS-Symptome treten in der Regel innerhalb von 2 Wochen nach dem Trauma auf. Ein späterer Beginn ist nur dann nachvollziehbar, wenn entsprechende Brückensymptome vorhanden sind oder später therapeutische Maßnahmen erfolgt sind, die das CRPS verursacht haben (vgl. zum Ganzen Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, S. 272). Ausweislich der Präambel (Ziffer 3.1) der im Zeitpunkt des klägerischen Verschlimmerungsantrags im Jahr 2018 vollständig überarbeiteten S-1-Leitlinie „Diagnostik und Therapie komplexer regionaler Schmerzsyndrome (CRPS)“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (derzeit in erneuter Überarbeitung) ist zu fordern, dass die Diagnose CRPS in zeitlichem Zusammenhang mit dem Trauma erfolgt, wobei ein sinnvoller Zeitraum bis zur Erfüllung der Diagnosekriterien dabei mit ca. 2– 3 Monate angegeben wird. Diagnosen nur auf Grund einer Schmerzpersistenz zum Teil Jahre nach dem Trauma seien nicht selten Verlegenheitsdiagnosen. Auch ausweislich der „Leitlinie für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen (Leitlinie Schmerzbegutachtung)“ (5. Version 2023, S. 33) erfordert der gutachtliche Nachweis eines (abgelaufenen) CRPS einen anhand der Aktenlage nachvollziehbaren zeitlichen Zusammenhang. Der Kläger hat sich vorliegend erst im Jahr 2018 wegen der von ihm beklagten Schmerzen an die Beklagte gewendet und dabei vorgetragen, diese seien etwa ab dem Jahr 2007 aufgetreten. Der Arbeitsunfall ereignete sich indes bereits im Jahr 2001 und damit Jahre vor dem Auftreten der Schmerzen. Auch die von der Beklagten eingeholte Auskunft der Krankenkasse über die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers weist bis zum Jahr 2017 keinerlei fuß- bzw. schmerzassoziierte Arbeitsunfähigkeitszeiten auf. Eine Brückensymptomatik, die die erhebliche zeitliche Latenz erklären könnte, lässt sich nicht feststellen.

 

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte des Klägers. So setzt sich Z. in seiner Stellungnahme vom 10.06.2020 zu dem Gutachten des P. an keiner Stelle mit dem für die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und dem Auftreten der beklagten Schmerzen erforderlichen hinreichenden zeitlichen Zusammenhang auseinander. Auch differenziert Z. nicht zwischen Unfallfolgen und unfallunabhängigen Umständen. So handelt es sich bei der beim Kläger vorliegenden Index-Minus-Variante des Metatarsalknochens I um eine in der Allgemeinbevölkerung sehr häufig anzutreffende Formvariante in der Längenausrichtung der Mittelfußknochen, die keineswegs bereits die Annahme einer Fehlbelastung des Fußes begründet und nicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall steht.

 

Soweit N. in seiner Stellungnahme vom 06.01.2021 von einer MdE von 20 v.H. ausgeht, kann dies nicht nachvollzogen werden und findet in der von ihm insoweit zitierten Literatur auch keine Stütze. Denn für eine MdE von 20 wird dort vielmehr von einem Komplettverlust der Zehen ausgegangen, der beim Kläger gerade nicht vorliegt und mit dem der Zustand des Klägers, wie bereits dargelegt, auch nicht vergleichbar ist.

 

Bei dem vom Kläger beklagten Hüftschmerz lässt sich, wie H. darlegt, eine Unfallursächlichkeit ebenso wenig feststellen, wie hinsichtlich der beklagten Knieschmerzen. Im Bereich der Hüfte liegt beim Kläger ein eigenständiges unfallfremdes Krankheitsbild in Form eines femoroazetabulären Impingements vor, dass die geltend gemachten Beschwerden verursacht. Hinsichtlich der geltend gemachten Beschwerden im Kniegelenk hat der Sachverständige einen Normbefund erhoben und auch sonst keine Anzeichen auf eine krankheitswertige Veränderung festgestellt.

 

Eine höhere MdE als 10 v.H. lässt sich danach beim Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.03.2001 nicht feststellen.

 

Zur Überzeugung des Senates liegen auch keine Anhaltspunkte vor, die weitere Ermittlungen erforderlich machen. Unabhängig davon hat der Kläger weitere Begutachtungen auch explizit abgelehnt.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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