L 1 AS 1102/24

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 107 AS 2588/24
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 AS 1102/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2024 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

 

Der Kläger wendet sich gegen die Versagung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Der 1966 geborene Kläger beantragte am 10. August 2023 für die Zeit ab 1. September 2023 bei dem für ihn nach seinem Umzug zuständigen beklagten Jobcenter unter Vorlage seiner Aufenthaltserlaubnis Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende, nachdem er zuvor unter Berücksichtigung seiner bisherigen Bedarfsgemeinschaft (Partnerin und Sohn) entsprechende Leistungen von einem anderen Jobcenter bezogen hatte. Der Beklagte forderte ihn erstmals am Tag der Antragstellung zur Mitwirkung auf. Nachfolgende Erinnerungen datierten vom 4. September, 16. und 26. Oktober 2023. Nach zwischenzeitlicher Übersendung einzelner Unterlagen konkretisierte der Beklagte mit letzterer die Aufforderung zur Mitwirkung unter Fristsetzung dahingehend, dass insbesondere Nachweise in Bezug auf seinen auslaufenden Aufenthaltstitel, seinen aktuellen Wohnungsmietvertrag, die Kraftfahrzeuge des Klägers, seine Gewerbeanmeldung, das Betriebsvermögen und den Gesellschaftsvertrag betreffend die angegebene Kommanditgesellschaft, ferner Kontoauszüge in Bezug auf sämtliche Konten sowie Einkommensteuerbescheide, eine Vaterschaftsanerkennung und ein Nachweis in Bezug auf das Sorgerecht betreffend den Sohn vorzulegen seien. Nach Übersendung weiterer Unterlagen durch den Kläger erinnerte der Beklagte mit Schreiben vom 21. Dezember 2023 unter erneuter Aufforderung zur Mitwirkung mit Fristsetzung bis 7. Januar 2024 u.a. an die vollständige Gewerbeanmeldung, die Nachweise in Bezug auf seine Wohnung, seine Fahrzeuge nebst Haftpflichtversicherung und die Kommanditgesellschaft. Es seien lückenlose Auszüge von allen seinen Konten seit 1. Juli 2023 bis laufend einzureichen. Die von einem Konto vorgelegten Screenshots seien nicht zulässig, da sie nicht auf Vollständigkeit geprüft werden könnten. Der Beklagte wies mit der ausdrücklichen Bitte um Beachtung darauf hin, dass für den Fall, dass der Kläger bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht habe, die Geldleistungen ganz versagt werden könnten, bis er, der Kläger, die Mitwirkung nachgeholt habe. Auf die elektronische Verwaltungsakte wird wegen der vorgenannten Aufforderung zur Mitwirkung ergänzend Bezug genommen.

 

Der Kläger übersandte dem Beklagten am 28. Dezember 2023 die Anlage EKS, wonach er das Gewerbe „Montage und Umzug“ seit 28. August 2023 in der Rechtsform einer „KG“ ausübe, und teilte am 17. Januar 2024 unter Beifügung des Bescheides der Berufsgenossenschaft Holz und Metall vom 11. Januar 2024 per Email mit, er habe sein Kleingewerbe geschlossen; er habe jetzt kein Gewerbe mehr, so dass der Beklagte mit den bereits vorhandenen Unterlagen seinen Antrag endlich fertig bearbeiten könne.

 

Mit Bescheid vom 5. Februar 2024 versagte der Beklagte dem Kläger gegenüber Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab 1. September 2023 ganz. Trotz wiederholter Aufforderungen zur Mitwirkung habe der Kläger diverse, konkret bezeichnete Unterlagen bisher nicht eingereicht. Der Kläger sei insofern seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Nach einer Interessenabwägung seien die Leistungen in Ausübung des Ermessens ab dem 1. September 2023 ganz zu versagen. Der Kläger habe auch keine Gründe mitgeteilt, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu seinen Gunsten hätten berücksichtigt werden können. Die Einreichung der angeforderten Unterlagen betreffend seine Einkommens- und Vermögenssituation sei zur Prüfung seiner Bedürftigkeit sowohl erheblich als auch erforderlich. Eine Prüfung seiner Hilfebedürftigkeit sei ohne die Nachweise nicht möglich. Bei dieser Sachlage sei auch keine teilweise Leistungsgewährung möglich. Denn es lasse sich nicht feststellen, ob der Kläger überhaupt zum Kreis der Berechtigten gehöre. Mangels Einreichung der im einzelnen genannten Unterlagen, welches ihm nach dem Dafürhalten des Beklagten möglich wäre, könne der Anspruch nicht geprüft werden. Ob die Leistungen nachträglich ganz oder teilweise erbracht werden, werde geprüft, sobald er seine Mitwirkung vollständig nachgeholt habe.

 

Den zunächst fristwahrend erhobenen Widerspruch durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers begründete dieser damit, dass die Voraussetzungen für einen Versagungsbescheid nicht vorlägen. Dahinstehen könne, ob die abverlangten Nachweise entscheidungserheblich seien. Denn es fehle an einer tauglichen Rechtsfolgenbelehrung, mit der fälschlicherweise nur darüber belehrt worden sei, dass im Falle eines Verstoßes gegen Mitwirkungsobliegenheiten die Leistungen ganz gesagt werden könnten. Die Versagung sei vom Beklagten sodann rechtswidrig ohne zeitliche Begrenzung ausgesprochen worden. Die Entscheidung sei auch ermessensfehlerhaft, da nicht begründet worden sei, warum eine vollständige Vorenthaltung des Existenzminimums ermessensgerecht sein könne. Der Beklagte wies mit einem Schreiben vom 22. März 2024 erneut darauf hin, der Kläger habe ein Gewerbe betrieben und auch eine Rechnung von Oktober 2023 eingereicht, eine Gewerbeanmeldung oder -abmeldung sowie Nachweise zur Kommanditgesellschaft lägen indes ebenso wenig vor wie mehrfach geforderte Kontoauszüge. Nach Übersendung von Kontoauszügen und einer Gewerbeabmeldung vom 10. Januar 2024 durch den Prozessbevollmächtigten des Klägers wies der Beklagte unter Fristsetzung bis 10. Mai 2024 mit Schreiben vom 18. April 2024 darauf hin, dass den Kontoauszügen monatliche Bareinzahlungen in nicht unerheblicher Höhe zu entnehmen seien, welches näher zu erläutern sei. Auszüge der übrigen Konten fehlten; auch die im angegriffenen Bescheid sowie dem Aufforderungsschreiben vom 22. März 2024 aufgelisteten Nachweise seien bislang nicht insgesamt eingereicht worden.

 

Nachdem der Kläger selbst per Email vom 22. Mai 2024 eine Entscheidung angemahnt hatte, wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2024 zurück. Zur Begründung führte er aus, die Voraussetzungen für eine Versagung lägen vor, weil der Kläger zuvor im behördlichen Verfahren wie auch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens mehrfach zur Vorlage der noch fehlenden Unterlagen aufgefordert worden sei. Diese seien für die Anspruchsprüfung erforderlich. Die Rechtsfolgenbelehrung sei zutreffend gewesen. Der Kläger habe weder aufgeklärt, wem das Konto gehöre, von dem die Miete i.H.v. 660 € abgebucht wurde, noch in welchem Umfang er das Gewerbe oder auch eine Kommanditgesellschaft betrieben habe. Es sei auch keine Erklärung dazu erfolgt, ob die Autos in seinem Besitz oder Eigentum gestanden hätten. Die Ermessensentscheidung sei zutreffend, zumal keine Anhaltspunkte dafür beständen, dass die Interessen des Klägers an der Zahlung des Bürgergeldes die Interessen der Allgemeinheit überwögen. Dem Bescheid sei zu entnehmen, dass bei Nachholung der Mitwirkung die Prüfung der nachträglichen Leistungsgewährung erfolgen könne. Wegen der weiteren Einzelheiten des Bescheides vom 5. Februar 2024 und des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2024 wird auf die elektronisch vorliegende Leistungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

Mit seiner vor dem Sozialgericht Berlin am 23. Mai 2024 erhobenen Klage hat der Kläger mit im wesentlichen selber Begründung sein Begehren weiterverfolgt. Nach Anhörung hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29. November 2024 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Anfechtungsklage sei zwar zulässig aber unbegründet. Der Versagungsbescheid sei, wie aus der zutreffenden Begründung des Widerspruchsbescheides folge, rechtmäßig. Die vom Kläger geforderte Mitwirkung sei zumutbar und für die Prüfung des Leistungsbegehrens erheblich. Der Beklagte habe den Kläger hinreichend über die Folgen einer mangelnden Mitwirkung informiert. Ermessensfehler lägen nicht vor. Eine Nachholung der geforderten Mitwirkung sei nicht erfolgt. Ab August 2024 sei der Beklagte angesichts einer erneuten Antragstellung ohnehin in eine neue Leistungsprüfung eingetreten.

 

Mit seiner Berufung vom 5. Dezember 2024 hält der Kläger daran fest, dass es an einer tauglichen Rechtsfolgenbelehrung als Voraussetzung für die Leistungsversagung fehle. Es sei bereits im Verfügungssatz des Bescheides auszusprechen, dass die Versagung nur bis zur Nachholung der Mitwirkung erfolge. Die Versagung ohne zeitliche Begrenzung sei dagegen rechtswidrig. Eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung setze ferner bei einer vollständigen Leistungsversagung, wie hier, eine besondere Begründung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes voraus. Insofern sei die sogenannte Sanktionsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen. Ausführungen dazu, warum bei ihm eine vollständige Vorenthaltung des Existenzminimums ermessensgerecht sein soll, fehlten. Er verfüge über keine weiteren Konten, habe zwischenzeitlich einen Führerschein für Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen absolviert und sich in Angelegenheiten des Jobcenters von der Frau seines Bruders helfen lassen.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. November 2024 sowie den Bescheid des Beklagten vom 5. Februar 2024 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2024 aufzuheben.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er nimmt Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides, die er für zutreffend erachtet. Seit August 2024 erhalte der Kläger aufgrund eines Neuantrags Bürgergeld. Auch insofern habe es zuvor diverse Nachfragen zu Bareinzahlungen und zum Aufenthaltstitel des Klägers gegeben.

 

Die Beteiligten haben im Erörterungstermin vom 2. April 2025 ihr Einverständnis mit einer schriftlichen Entscheidung der Berichterstatterin erklärt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den elektronisch vorliegenden Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) Berufung des Klägers, über die Vorsitzende und zugleich Berichterstatterin entsprechend den vorliegenden Einverständnissen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren hat entscheiden können (vgl. §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG), ist unbegründet.

 

Das Sozialgericht hat die zulässige Anfechtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 SGG; BSG, Urteil vom 17. Februar 2004 – B 1 KR 4/02 R – juris Rn. 12) zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Versagungsbescheid des Beklagten vom 5. Februar 2024 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2024 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 SGG).

 

Rechtsgrundlage für die Versagung ist § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) in der seit dem 21. Dezember 2007 (Gesetz vom 13. Dezember 2007 [BGBl. I S. 2904]) unverändert geltenden Fassung. Die Vorschrift ermächtigt den Sozialleistungsträger – soweit die Voraussetzungen einer beantragten Sozialleistung, wie hier, nicht nachgewiesen sind –, die Leistung ganz oder teilweise zu versagen, wenn der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert (Absatz 1). Die Versagung der Leistung bei einer Verletzung der Mitwirkungspflichten ist schon dann möglich, wenn die in § 66 Abs. 1 SGB I geregelten materiellen und die in § 66 Abs. 3 SGB I bestimmten formellen Voraussetzungen erfüllt sind. Dies ist der Fall.

 

Zunächst muss der Antragsteller danach die in den §§ 60 bis 62 SGB I im Einzelnen vorgesehene und von dem Leistungsträger geforderte Mitwirkung unterlassen haben, obwohl er hiervon nicht nach § 65 SGB I freigestellt ist. Ferner muss zwischen der Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62 SGB I und der erheblichen Erschwerung der Aufklärung des Sachverhalts ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflichten darf die beantragte Leistung nicht versagt werden, wenn und soweit gleichwohl die Leistungsvoraussetzungen bereits nachgewiesen sind. Formelle Voraussetzung für die Versagung der beantragten Leistung ist schließlich, dass der Antragsteller zuvor auf die Rechtsfolge der Verletzung der Mitwirkungspflicht schriftlich hingewiesen worden und seiner Mitwirkungspflicht innerhalb der ihm gesetzten angemessenen Frist nicht nachgekommen ist (vgl. zu Vorstehendem BSG, Urteil vom 17. Februar 2004 – B 1 KR 4/02 R – juris Rn. 14 f.). Die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier erfüllt. Ermessensfehler des Beklagten liegen nicht vor. 

 

1. Die formellen Voraussetzungen für die Versagung der vom Kläger für die Zeit ab 1. September 2023 beantragten Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw. des Bürgergeldes nach dem SGB II liegen vor.

 

Der Beklagte hat den Kläger vor der Versagung ordnungsgemäß auf die Rechtsfolge der Verletzung der Mitwirkungspflicht schriftlich hingewiesen. Der schriftliche Hinweis nach § 66 Abs. 3 SGB I muss Ausführungen darüber enthalten, aufgrund welcher Umstände im Einzelfall ein Mitwirkungsversäumnis des Antragstellers vorliegt, sowie unmissverständlich und konkret die Entscheidung bezeichnen, die im Einzelfall beabsichtigt ist, wenn die betroffene Person dem Mitwirkungsverlangen innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkommt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2018 – B 9 SB 1/17 R – juris Rn. 27 f.). Diesen Anforderungen genügen sämtliche Aufforderungsschreiben des Beklagten seit dem 4. September 2023, maßgeblich dasjenige vom  21. Dezember 2023. Das Schreiben enthält den ausdrücklichen und verständlichen Hinweis, dass die Geldleistungen ganz versagt werden können, wenn der Kläger bis zum jeweils genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht einreicht. Diese Passage wurde darüber hinaus mit der Bemerkung: „Bitte beachten Sie:“ in Fettdruck besonders hervorgehoben. Der Hinweis ist hinreichend bestimmt genug und lässt hinsichtlich der drohenden Rechtsfolge keine Zweifel für den Fall, dass der Kläger die vollständige Mitwirkung im Verwaltungsverfahren weiterhin unterlässt. Aus dem Gesamtkontext des Aufforderungsschreibens ergibt sich unmissverständlich, dass der Antrag des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vollständig („ganz“) versagt werden kann, er mithin, wie es weiter heißt, damit rechnen muss, dass er keine Leistungen erhält, wenn er seiner Obliegenheit nicht nachkommt. Die fehlenden Unterlagen und Nachweise bzw. Erklärungen wurden darüber hinaus übersichtlich mit sogenannten Spiegelstrichen aufgeführt.

 

Soweit der Kläger geltend macht, die Rechtsfolgenbelehrung sei nicht vollständig, weil mit den bzw. dem letzten Aufforderungsschreiben nicht darauf hingewiesen worden sei, dass die Leistung auch teilweise versagt werden kann, folgt hieraus keine , eine Rechtswidrigkeit begründende Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit. Vielmehr verlangt die Rechtsfolgenbelehrung im Hinblick auf die § 66 Abs. 3 SGB I zukommende Warn- und Appellfunktion allein, (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2018 – B 9 SB 1/17 R – juris Rn. 28; Voelzke in jurisPK-SGB I, 4. Auflage 2024, § 66 Rn. 47 ff. m.w.N.), dass einem Antragsteller im Hinblick auf eine konkret geforderte Mitwirkungshandlung die Möglichkeit eröffnet wird, die Konsequenz seiner bisherigen Weigerung in Anbetracht der drohenden Folgen zu überdenken. Dies war hier der Fall. Denn dieser Anforderung wird eine Rechtsfolgenbelehrung gerecht, wenn, wie hier, allein die vollständige Versagung im Raum steht und hierüber konkret belehrt worden ist. Inwiefern gerade der geforderte zusätzliche Hinweis darauf, dass nach der auch die Entziehung betreffenden generellen Vorschrift des § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I grundsätzlich eine Leistung auch nur teilweise versagt bzw. entzogen werden kann, für die kraft Gesetzes notwendige Warnung des Klägers erheblich hätte sein können, und ihn zu weiterer Mitwirkung hätte veranlassen können, ist weder ersichtlich noch konnte er Entsprechendes im durchgeführten Erörterungstermin plausibel darlegen.

 

Die im letzten Aufforderungsschreiben des Beklagten vom 21. Dezember 2023 bis zum 7. Januar 2024 gesetzte Frist war auch angemessen. Nichts Abweichendes gilt für die weiteren, ihn auf die Notwendigkeit weiterer Mitwirkung hinweisenden Schreiben im Widerspruchsverfahren, ebenfalls jeweils mit angemessenen Fristsetzungen.

 

2. Die materiellen Voraussetzungen für die Versagung des beantragten Bürgergeldes (vormals Grundsicherung für Arbeitsuchende) für die nach erneuter Antragstellung und Bescheidung noch gegenständliche Zeit vom 1. September 2023 bis 31. Juli 2024 sind erfüllt.

 

Der Kläger ist seiner Mitwirkungsobliegenheit aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I nicht bzw. nicht vollständig nachgekommen. Danach hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Für die beantragten SGB II-Leistungen ist zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit die konkrete Einkommens- und Vermögenssituation im Sinne von §§ 11, 12 SGB II erheblich, weil die Hilfebedürftigkeit gemäß §§ 7 Abs. 1 Nr. 2, 9 SGB II eine der Tatbestandsvoraussetzungen für die Bewilligung von Bürgergeld ist. Um die Bedürftigkeit des Klägers seit September 2023 feststellen zu können, war es zumindest erforderlich, dass der (im Widerspruchsverfahren eingegangene) Nachweis der Beendigung seines zwischenzeitlich ausweislich einer eingereichten Rechnung von Oktober 2023 betriebenen Gewerbes, des (bisher nicht nachgewiesenen) Betriebsvermögens der errichteten Kommanditgesellschaft, vollständige aktuelle Kontoauszüge der genutzten Konten, Erklärungen zu Überweisungen an ihn durch Dritte sowie seiner Versicherungszahlungen bezüglich eigener Kraftfahrzeuge erbracht wird. Diese Nachweise hat der Kläger bis Anfang Januar 2024, aber auch noch im Widerspruchsverfahren jedenfalls nicht vollständig, insbesondere betreffend den Umfang seines Gewerbes und die Nachweise bezüglich Zahlungen auf und von seinen Konten überreicht. Seine fehlende Mitwirkung hat die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, da seitens des Beklagten nicht ohne seine Mithilfe feststellbar war, ob er wegen Bedürftigkeit nach dem SGB II anspruchsberechtigt war oder nicht.

 

3. Die zeitlich unbegrenzt erfolgte Versagung ist nicht zu beanstanden. Sie hatte nicht unter einer in zeitlicher Hinsicht („bis zur Nachholung der Mitwirkung“) auflösenden Bedingung bzw. „Begrenzung“ zu erfolgen. Denn die Versagung entfaltet ihre Wirkung – entsprechend einer Leistungsablehnung (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007 – B 14/11b AS 59/06 R – juris Rn. 13) – grundsätzlich ab Antragstellung unbegrenzt in die Zukunft. Sie hat sich hier erst mit der Bewilligung von SGB II-Leistungen ab dem 1. August 2024 auf sonstige Art und Weise erledigt. Dahinstehen kann, ob für Fälle der Entziehung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I Abweichendes anzunehmen ist. Denn eine solche liegt hier nicht vor. Nichts anderes folgt aus der vom Kläger in diesem Zusammenhang zitierten Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Juni 2010 – L 14 R 975/09 – (juris Rn. 32). Denn jenem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem die beklagte Rentenversicherung einen Rentenablehnungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung erteilt, nicht dagegen eine Versagung ausgesprochen hatte. Letztere sei indes, wie von dem Gericht zurecht ausgeführt worden ist, bereits kraft Gesetzes für die Zeit bis zur Nachholung der Mitwirkung vorläufiger Natur und insofern hinsichtlich des Ausmaßes der Bestandskraft anders zu werten. Im Übrigen folgt bereits aus § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I, dass die Versagung bis zur Nachholung der Mitwirkung wirkt; einer entsprechenden, den Gesetzestext lediglich wiederholende Reglung im Bescheid bedarf es nicht.

 

4. Die Ermessensentscheidung des Beklagten ist schließlich nicht zu beanstanden. Gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG ist der Kläger beschwert, wenn u.a. der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).

 

Nach diesem Maßstab hat der Beklagte das ihm nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Er hat erkannt, dass ihm Ermessen eröffnet ist, und ermessensfehlerfrei ausgeführt, dass die im Einzelnen in den Aufforderungsschreiben aufgeführten Unterlagen zur Anspruchsprüfung erforderlich seien bzw. gewesen seien mit der Folge, dass mangels Mitwirkung nicht feststellbar sei, ob der Kläger überhaupt zum Kreis der Berechtigten gehöre. Aus diesem Grund sei auch keine teilweise Leistungsgewährung möglich gewesen. Im Widerspruchsbescheid hat der Beklagte ebenfalls ermessensgerecht ergänzt, es seien nur zumutbare Nachweis- und Mitwirkungshandlungen gefordert, Hinderungsgründe dagegen vom Kläger nicht mitgeteilt worden, so dass Anhaltspunkte, die ein Überwiegen der Interessen des Klägers an der Bürgergeldzahlung gegenüber den Interessen der Allgemeinheit rechtfertigten, nicht vorlägen.

 

Das Ermessen des Beklagten war auch nicht angesichts der vollständigen Versagung des Regelbedarfs auf einen atypischen, indes vorliegend nicht konkret begründeten Fall begrenzt. Denn mangels Möglichkeit, die Bedürftigkeit des Klägers von Amts wegen überhaupt festzustellen, kommt es auf das Vorliegen eines „atypischen Falls“ bei der Versagung nicht an. Offenbleiben kann insofern ebenfalls die Fallkonstellation einer Entziehung von (laufenden) Leistungen (vgl. zu einer „Totalentziehung existenzsichernder Leistungen“ das vom Kläger zitierte Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 9. Mai 2023 – S 12 AS 2046/22 – juris Rn. 37). Dahinstehen kann auch, dass in der Gesetzesbegründung selbst der Begriff „Sanktion“ im Falle der ausbleibenden Mitwirkung verwendet wird (BT-Drs 7/868 S. 34). Insofern muss die im Schrifttum erörterte Frage, ob § 66 SGB I in rechtlicher Hinsicht „Sanktionscharakter“ hat (vgl. zurecht ablehnend Voelzke in jurisPK-SGB I, 4. Auflage 2024, § 66 Rn. 29 m.w.N. sowie Sichert in Hauck/Noftz SGB I, 34. EL November 2011, § 66 Rn. 4 m.w.N.), nicht abschließend entschieden werden. Denn jedenfalls zieht ein Vorgehen nach §§ 60 ff. SGB I von vornherein andere Rechtsfolgen nach sich als eine Entscheidung der Behörde über Sanktionen nach §§ 31 ff. SGB II. Letztere sind ohne jedes Ermessen aufgrund der Tragweite des Eingriffs kraft Gesetzes normiert und zwingend auszusprechen, während eine Nachholung von Versäumnissen, die zur Heilung des Pflichtenverstoßes führen könnte, im Rahmen der Sanktionsvorschriften (anders als in § 67 SGB I) nicht vorsehen sind (vgl. Anmerkung Spellbrink zu LSG München, Urteil vom 6. Mai 2021 – L 16 AS 652/20 – juris unter D.). Gerade diese Möglichkeit der Ermessensentscheidung über eine, und zwar sogar gegebenenfalls rückwirkende Nachholung zuvor versagter Leistungen sieht § 67 SGB I zum Schutz der zur Mitwirkung verpflichteten Person und gemessen am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausreichend vor. Solange indes, wie hier, ein Leistungsanspruch mangels Mitwirkung nicht geprüft und festgestellt werden kann, fehlt es, wie ausgeführt, an jeglicher Vergleichbarkeit der Versagung mit dem der sogenannten Sanktionsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 (1 BvL 7/16) zugrundeliegenden Sachverhalt. Eine „Unterdeckung“, wie vom Kläger geltend gemacht, ist vorliegend gerade nicht objektivierbar. 

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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