L 4 SO 87/23

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 SO 40/21
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 87/23
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 7/25 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze


Für den "Bezug" einer Leistung im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II muss eine Auszahlung in dem Monat erfolgen, für den Leistungen nach dem SGB XII begehrt werden. Die erstmalige Aufnahme der Rentenzahlung reicht nicht aus.


Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. September 2023 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander in beiden Rechtszügen keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Sozialhilfe in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII).

Die 1960 geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige und verfügt über eine Niederlassungserlaubnis. Der Klägerin wurde durch den Rentenfonds der Russischen Föderation ab dem 9. April 2016 eine Altersversicherungsrente bewilligt (Bescheinigung des Rentenfonds der Russischen Föderation vom 14. Oktober 2016) und bis zum 31. März 2020 auf ihr Konto bei der russischen C.-bank monatlich ausgezahlt. Die Klägerin bezog Einkommen aus einer Teilzeiterwerbstätigkeit bei der H., C-Stadt, in Höhe von 849,92 Euro brutto. Die Klägerin ist verheiratet, ihr nicht getrennt lebender Ehemann bezieht auf seinen Antrag am 5. August 2020 seit 1. September 2020 ergänzende Leistungen nach dem SGB XII. Die Aufwendungen für die gemeinsame Wohnung der Eheleute in A-Stadt belaufen sich auf 334,92 Euro Grundmiete, 124,50 Euro Nebenkosten und 49,00 Euro Heizkosten monatlich. Die Klägerin verfügt über eine Sterbegeldversicherung mit einer Versicherungsleistung in Höhe von 5.000 Euro.

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 19. November 2020 bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB XII. Sie habe wegen des Bezugs der russischen Altersrente keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Schreiben vom 23. November 2020 hörte die Beklagte die Klägerin zur Ablehnung des Antrags an. Die Klägerin beziehe nach Informationen der Beklagten aktuell keine laufende russische Rente, der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II liege erst mit dem Zufluss der Rentenzahlung vor. Mit Bescheid vom 23. Dezember 2020 lehnte die Beklagte die Leistungsgewährung mit der Begründung ab, die Klägerin sei nicht nach dem 4. Kapitel des SGB XII leistungsberechtigt, da sie die maßgebliche Altersgrenze nicht erreicht habe und sich keine Hinweise auf eine Erwerbsminderung ergäben. Auch ein Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII sei nicht gegeben. Es liege ein vorrangiger Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem SGB II vor, da davon auszugehen sei, dass die Klägerin erwerbsfähig sei. Ein Ausschluss gemäß § 7 Abs. 4 SGB II wegen des Bezugs der russischen Altersrente komme nicht in Betracht, da eine tatsächliche Zahlung dieser Rente nicht nachgewiesen worden sei. Der Ausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II liege erst mit dem tatsächlichen Zufluss einer Rentenzahlung vor.

Mit Schreiben vom 8. Januar 2021 beantragte die Klägerin bei dem Beigeladenen Leistungen nach dem SGB II. 

Unter dem 18. Januar 2021 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten ein und teilte mit, die Rente sei bereits im Jahr 2015 bewilligt und bis Ende 2019 ausgezahlt worden. Weil sie dem russischen Rentenfonds Anfang des Jahres 2020 die sogenannte „Lebensbescheinigung“ nicht vorgelegt habe, sei die Auszahlung der russischen Rente bis zur Vorlage dieser Bescheinigung vorläufig unterbrochen worden. Dies bedeute keine Ablehnung der russischen Rente bzw. deren endgültige Einstellung. Der Ausschluss von dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II erfolge bereits mit der ersten Auszahlung der russischen Rente. Die vorläufige Unterbrechung der russischen Rentenauszahlungen führe nicht zum Wiederaufleben des Anspruchs nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 15. März 2021 lehnte der Beigeladene die beantragten Leistungen nach dem SGB II gestützt auf § 7 Abs. 4 SGB II ab. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil sie Anspruch auf Rente aus Russland habe. Im März 2021 legte die Klägerin dem Russischen Rentenfonds die von diesem angeforderte „Lebensbescheinigung“ vor. Daraufhin zahlte der Russische Rentenfonds der Klägerin am 14. April 2021 rückwirkend ab dem 1. April 2020 die Rente auf das russische Konto der Klägerin. 

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2021, der Klägerin am 23. April 2021 zugestellt, wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II sei nicht gegeben, denn es komme entsprechend der Zuflusstheorie nur darauf an, ob die bedürftige Person die russische Rente erhalte oder nicht. Seit Antragstellung im November 2020 sei der Klägerin keinerlei Altersrente zugeflossen.

Nach einer Bescheinigung des Rentenfonds der Russischen Föderation vom 23. April 2021 wurde der Klägerin eine Altersversicherungsrente für den Zeitraum vom 9. April 2016 bis 1. Juli 2020 zuerkannt. Sie betrug für den Zeitraum vom 1. April 2020 bis 30. April 2021 wie folgt: 

Zeitraum   Höhe in Rubel
von bis  
01.04.2020 30.04.2020 9.356,59
01.05.2020 31.05.2020 9.356,59
01.06.2020 30.06.2020 9.356,59
01.07.2020 31.07.2020 9.356,59
01.08.2020 31.08.2020 9.356,59
01.09.2020 30.09.2020 9.356,59
01.10.2020 31.10.2020 9.356,59
01.11.2020 30.11.2020 9.356,59
01.12.2020 31.12.2020 9.356,59
01.01.2021 31.01.2021 9.946,09
01.02.2021 28.02.2021 9.946,09
01.03.2021 31.03.2021 9.946,09
01.04.2021 30.04.2020 9.946,09


Die Klägerin hat am 21. Mai 2021 Klage zum Sozialgericht Kassel mit dem Antrag erhoben, den Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Dritten Kapitel des SGB XII in gesetzlicher Höhe ab Antragstellung zu bewilligen. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2021 hat der Beigeladene den Widerspruch der Klägerin gegen seinen Bescheid vom 15. März 2021 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin am 2. Juli 2021 Klage zum Sozialgericht Kassel, Az. S 4 AS 273/21, erhoben; das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 13. Dezember 2021 das Ruhen dieses Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits gegen die Beklagte angeordnet. Die Beklagte hat der Klägerin mit Bescheid vom 24. Februar 2022 für die Zeit ab April 2021 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII bewilligt.

Die Klägerin hat einen Kontoauszug ihres bei einer russischen Bank geführten Kontos vorgelegt und vorgetragen, der Ausschluss vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 4 SGB II sei bereits mit der ersten Auszahlung der russischen Altersrente auf ihr Konto im Mai 2016 verwirklicht worden, auf eine dauerhafte Auszahlung der Rente ohne Unterbrechung komme es nicht an. Die Aussetzung der Auszahlung der russischen Altersrente wegen der Nichtvorlage der Lebensbescheinigung könne nicht zum Wechsel der Zuständigkeit des Sozialleistungsträgers führen. Ihre russische Rente sei der deutschen Altersrente gleichgestellt. Sie werde durch einen öffentlichen Träger, den Rentenfond der Russischen Föderation, gewährt. Die Inanspruchnahme der Altersrente aus der Russischen Föderation sei für sie ab Vollendung des 55. Lebensjahres möglich gewesen. Die russische Altersrente sei als Rente ausgerichtet; sie werde monatlich gezahlt und solle ihren Lebensunterhalt sichern. Mangels tatsächlichen Zuflusses der russischen Rente in Deutschland, dürfe die Rente auf ihre Ansprüche nach dem SGB XII zunächst nicht angerechnet werden, sie stelle kein bereites Mittel dar.

Im Hinblick auf den Zeitraum von November 2020 bis einschließlich März 2021 hat die Beklagte zur Begründung im Wesentlichen auf ihre Argumentation im Widerspruchsverfahren Bezug genommen. In diesem Zeitraum seien der Klägerin nicht durchgehend Rentenzahlungen zugeflossen, weshalb für diesen Klagezeitraum nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 SGB II vorlagen. Die Klägerin habe daher gemäß § 21 SGB XII keinen Sozialhilfeanspruch. Es komme auf zufließendes Renteneinkommen und nicht auf die bloße Bewilligung einer Rente im Ausland an.

Mit Urteil vom 11. September 2023 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2021 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII in gesetzlicher Höhe ab Antragstellung zu gewähren. Dem geltend gemachten Sozialhilfeanspruch stehe § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen. Am Bestehen des Leistungsausschlusses gemäß § 7 Abs. 4 SGB II ändere die zwischenzeitliche Unterbrechung der Auszahlung der Rentenleistung nichts. Der „Bezug“ einer Altersrente im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II sei stets dann anzunehmen, wenn die Zahlung der Altersrente vom zuständigen Träger einmal bewilligt und aufgenommen worden sei. Ab dem erstmaligen Bezug einer Altersrente sei fortan von einem Leistungsausschluss im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II auszugehen. Hätte der Gesetzgeber auf den ununterbrochenen „Zufluss“ der Rente abstellen wollen, hätte er eine solche Formulierung gewählt. Dies folge bereits aus einem Vergleich mit der Regelung in § 11 SGB II, wo der Gesetzgeber für die Frage der Einkommensanrechnung auf den (monatlichen) Zufluss abstelle, mithin darauf, ob dem Leistungsberechtigten die (zugeflossene) Einnahme als bereites Mittel tatsächlich zur Verfügung gestanden hat. Jedenfalls unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 SGB II könne es für den „Bezug“ einer Altersrente auf deren ununterbrochenen Zufluss nicht ankommen. Denn die Regelung in § 7 Abs. 4 SGB II solle klarstellen, dass Personen, die endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden seien und Rente wegen Alters bezögen, nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden sollen. Ansonsten habe es der Rentenbezieher selbst in der Hand, durch Einschaltung einer empfangsberechtigten Person seine Zugehörigkeit zum Regime des SGB II oder aber des SGB XII selbst zu bestimmen. 

Gegen das ihr am 14. September 2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28. September 2023 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Der Senat hat die Akte des Verfahrens vor dem Sozialgerichts Kassel, Az. S 4 AS 273/21, beigezogen. Mit Beschluss vom 18. März 2024, geändert mit Beschluss vom 17. April 2024, hat der Senat das Jobcenter Stadt Kassel als SGB II-Leistungsträger beigeladen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Grundurteil sei unzulässig, der Antrag der Klägerin zu unbestimmt. Darüber hinaus beruhe das Urteil auf einem erheblichen Verfahrensfehler und verstoße gegen § 7 Abs. 2 Satz 1 2. Var. SGB II. Das vor dem Sozialgericht Kassel, Az. S 4 AS 273/21, anhängige Verfahren sei materiell-rechtlich vorrangig und daher vorgreiflich, das Sozialgericht habe es rechtswidrig unterlassen, den hiesigen Rechtsstreit auszusetzen. Der Wortlaut „Rente wegen Alters … bezieht“ spreche gegen die Annahme, die bloße Bewilligung und die erstmalige Rentenauszahlung würden für den Systemausschluss bzw. die damit einhergehende Rechtskreiszuordnung ausreichen. „Bezieht“ bedeute eben nicht „einmal mal bewilligt worden“. In tatsächlicher Hinsicht führten die Überlegungen zur Rentenerstbewilligung und -auszahlung gerade bei der Klägerin nicht weiter, weil es bei ihr keine bloßen Auszahlungshindernisse gegeben habe, sondern mangels Vorlage der „Lebensbescheinigung“ eine Aufhebung der Leistungsberechtigung selbst. Die Klägerin habe nach russischem Recht nicht nur tatsächlich kein Geld erhalten, sondern sie habe in der streitbefangenen Zeit ungeachtet der genauen russischen Rechtsterminologien keinen Rentenanspruch gehabt. Auch systematische, historische und teleologische Überlegungen sprächen gegen eine die Annahme, eine Rentenauszahlungsunterbrechung sei für den SGB-II-Ausschluss irrelevant: In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1749, S. 31) heiße es: „Die Änderung … stellt außerdem klar, dass Personen, die endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und (!) Rente wegen Alters beziehen, nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden.“ Es sei davon auszugehen, dass für die Zeit ab 1. Juli 2020 keine Altersversicherungsrente mehr bestand und später eine bescheidmäßige Nachbewilligung der Rente erfolgte. Die Rentenzahlung der Klägerin wegen der Vorlage der Lebensbescheinigung sei nicht bloß wiederaufgenommen und nicht sie automatisch aufgrund der Vorlage der Lebensbescheinigung wieder aufgenommen worden. Der Beklagte bestreitet, dass es keine Mitteilung über die Einstellung der Rentenzahlung durch den russischen Rententräger gegeben habe bzw. dass es eine solche auch grundsätzlich nicht gebe und dass Rentenbezieher, die im Ausland lebten, vom Rentenfonds nicht zur Vorlage der Lebensbescheinigung aufgefordert würden, und dass die Rente nach Vorlage der Lebensbescheinigung automatisch und grundsätzlich auch rückwirkend ausgezahlt werde.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. September 2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Klägerin führt aus, es sei den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils eindeutig zu entnehmen, dass der Streitgegenstand auf die Bewilligung von Leistungen für den Zeitraum vom 1. November 2020 bis zum 31. März 2021 begrenzt sei. Sie habe einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII gegen die Beklagte. Nach der Begründung des Gesetzgebers zu § 7 Abs. 4 SGB II werde angenommen, Bezieher von Altersrente seien endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und müssten daher nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden (Hinweis auf BT-Drucks. 15/1749, S. 31). Der Gesetzgeber habe die Leistungssysteme des SGB II und des SGB XII klar voneinander abgrenzen wollen. Solcher Ausschluss erfolge - entgegen der Auffassung der Beklagten - bereits mit der Erstbewilligung und der Erstauszahlung der russischen Altersrente auf das russische Konto; sie selbst beziehe seit dem 9. April 2016 die russische Rente. Die Rentenbezieher, die im Ausland leben, würden vom russischen Rentenfonds nicht zur Vorlage der Lebensbescheinigung aufgefordert. Sie müssten sie von sich aus einmal jährlich vorlegen. Die russische Rente sei ihr ab dem 9. April 2016 auf Lebenszeit bewilligt. Eine einmal bewilligte Altersrente könne nach russischem Recht grundsätzlich nicht wieder aberkannt werden. Die Regelungen über die Fälle, in denen die Zahlung der russischen Rente wegen fehlender Unterlagen vorübergehend unterbrochen oder vorläufig eingestellt werde, sowie über die Wiederaufnahme der Rentenzahlung nach Vorlage der entsprechenden Unterlagen seien in den §§ 24 und 25 des Gesetzes der Russischen Föderation über die Versichertenrente vom 28. Dezember 2013 Nr. 400 festgelegt. Die vorübergehende Unterbrechung oder Einstellung der Rentenzahlung in den Fällen führten nicht zur Aberkennung der einmal gewährten Altersrente. Dies werde dadurch bestätigt, dass die Rentenzahlung ab dem Zeitpunkt der Unterbrechung nach Vorlage der fehlenden Unterlagen, wie z. B. einer Lebensbescheinigung oder einer ärztlichen Bescheinigung (im Falle einer Invaliditätsrente), nachgezahlt werde. Die vorübergehende Unterbrechung oder Einstellung der Rentenzahlung nach §§ 24, 25 des russischen Gesetzes sei lediglich eine Maßnahme der Behörde bei fehlender Mitwirkung des Rentenberechtigten. Da die bewilligte Rente in solchen Fällen nicht als solche aberkannt werde, könnten die Rentner für den Zeitraum, in dem die Auszahlung der Rente gemäß §§ 24, 25 des russischen Gesetzes vorübergehend nicht erfolge, nicht auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II verwiesen werden.

Die Beigeladene weist darauf hin, dass mit § 7 Abs. 4 Satz 1 Hs. 3 Regelung 1 SGB II die rechtliche Fiktion des endgültigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben bezweckt sein dürfte, alles andere führe zu ggf. fortwährenden wechselnden Zuständigkeiten zwischen den Leistungsträgern je nach Zufluss der Rentenleistungen. Dies lasse sich nicht mit Sinn und Zweck der Regelung vereinbaren. Auch aus dem Kontext der fachlichen Weisungen der Agentur für Arbeit ergebe sich, dass der Bezug der Altersrente für den Beginn des Leistungsausschlusses maßgeblich sein solle; die vorliegende Konstellation werde ersichtlich nicht behandelt. Dass der Gesetzgeber mit § 7 Abs. 4 SGB II einen Leistungsausschluss nur für die Dauer eines ununterbrochenen Zuflusses der Rente bezwecken wollte, sehe er – der Beigeladene - nicht. Der Gesetzgeber spreche insbesondere in § 7 Abs. 4 SGB II vom Renten-„Bezug“. Soweit es ihm tatbestandlich um Zuflüsse gehe, benenne er dies auch so, vgl. etwa § 11 SGB II. Dagegen spreche auch, dass § 7 Abs. 4 SGB II Tatbestände erfasse, die die Erwerbsunfähigkeit fingieren. Es ergebe sich aus den vorgelegten Bescheinigungen zweifelsfrei die unbefristete Gewährung der Rente ab April 2016. Für eine Neufestsetzung der Rente in 2021 rückwirkend ab April 2020 spreche nichts. 

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. 

Gegenstand der Berufung ist – nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 24. Februar 2022 für die Zeit ab April 2021 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII bewilligt hat – der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 5. August 2020 bis 30. März 2021. Soweit die Klägerin erstinstanzlich noch Leistungen ab Antragstellung mit Schreiben vom 19. November 2020 begehrt hat und erst im Berufungsverfahren in Bezug auf den für den Leistungsbereich des 3. Kapitel des SGB XII maßgeblichen Kenntnisgrundsatz nach § 18 SGB XII und darauf abstellt, die Beklagte habe bereits mit der Vorlage der Unterlagen im Rahmen des SGB XII-Leistungsantrag des Ehemanns der Klägerin am 5. August 2020 Kenntnis von der Bedürftigkeit der Klägerin erlangt, stellt sich das nunmehrige Begehren auf Leistungen ab dem 5. August 2020 als Klageerweiterung in der Hauptsache nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) dar.

Die gegen die Beklagte gerichtete Klage ist als kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) zulässig. Die fehlende Bezifferung der begehrten Leistungen steht der Zulässigkeit der Klage auch nicht deshalb entgegen, weil Leistungen lediglich noch für einen vollständig in der Vergangenheit liegenden Zeitraum begehrt werden, denn nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG kann auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden, wenn auf eine Leistung in Geld ein Rechtsanspruch besteht. Ein Grundurteil ist auch bei einer Klage auf eine Geldleistung nur für die Vergangenheit möglich (Keller in: Meyer-Ladewig/ Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 130 Rn. 2a). Maßgeblich ist, dass zumindest mit Wahrscheinlichkeit feststehen muss, dass der Höhe nach ein Geldbetrag zu zahlen ist (a.a.O. Rn. 2b), wenn der Begründung der Klage gefolgt wird (vgl. BSG, Vorlagebeschluss vom 26. September 2024 – B 8 AY 1/22 R –, juris Rn. 17 zur Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit). Dies ist hier der Fall, denn die Klägerin behauptet ihre Hilfebedürftigkeit.

Die Klage gegen den Beklagten ist aber nicht begründet. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 23. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum vom 5. August 2020 bis 31. März 2021.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch sind §§ 19 Abs. 1, 27 Abs. 1 Zwölftes Sozialgesetzbuch (SGB XII) – Sozialhilfe. Danach ist Hilfe zum Lebensunterhalt Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. 

Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum zwar hilfebedürftig in diesem Sinne, denn sie verfügt weder über ausreichendes Einkommen i. S. v. § 82 SGB XII noch über einzusetzendes Vermögen i. S. v. § 90 SGB XII um ihren notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten. Das ist zwischen den Beteiligten auch dem Grunde nach nicht streitig. Sie ist jedoch gem. § 21 SGB XII von den Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII im streitgegenständlichen Zeitraum ausgeschlossen. Danach erhalten Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. 

Die Klägerin war als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt gem. § 7 Abs. 1 SGB II (Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – i. d. Neufassung des Gesetzes vom 13. Mai 2011, BGBl. I, 850). Personen sind dem Grunde nach leistungsberechtigt (und damit gem. § 21 SGB XII und § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II von Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII ausgeschlossen), die keinem Ausschluss nach Maßgabe der Vorschriften nach § 7 Abs. 1 Sätze 2 ff. SGB II oder § 7 Abs. 4, 5 und 6 SGB XII unterliegen und die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II erfüllen (Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 21 SGB XII [Stand: 22. Juli 2024], Rn. 63).

Die 1960 Klägerin erfüllte zunächst die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II. Sie war im streitgegenständlichen Zeitraum 59 bzw. 60 Jahre alt und hatte daher das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II von 66 Jahren und vier Monaten nicht erreicht. Sie hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin war auch erwerbsfähig i. S. von § 8 SGB II, insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Weiterhin war die Klägerin als Ausländerin auch nicht nach § 7 Abs. 1 Sätze 2ff SGB II von der Leistungsberechtigung ausgenommen, denn sie war Inhaberin einer Niederlassungserlaubnis gem. § 9 i. V. m. § 28 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz, die sie auch zur Erwerbstätigkeit berechtigte (Bergmann/ Dienelt/Dienelt, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 9 Rn. 6, beck-online). 

Die Klägerin war entgegen der Auffassung des Beigeladenen auch nicht nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Danach erhält Leistungen nach dem SGB II u. a. nicht, wer Rente wegen Alters oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dies war bei der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht der Fall.

Bei der streitgegenständlichen Altersversicherungsrente des Russischen Rentenfonds handelt es sich um eine Ansprüche nach dem SGB II ausschließende Leistung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II, da sie die gleichen typischen Merkmale aufweist wie eine deutsche Altersrente. Das ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – B 7/14 AS 11/21 R –, BSGE 135, 181 ff, juris). Entscheidende Kriterien für die Vergleichbarkeit einer ausländischen Rente mit einer deutschen Altersrente sind dabei die Leistungsgewährung durch einen öffentlichen Träger, das Anknüpfen der Leistung an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze und der Lohnersatz nach einer im Allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption (vgl. BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – B 7/14 AS 11/21 R –, BSGE 135, 181 ff, juris Rn. 13, s. auch BSG, Urteile vom 16. Mai 2012 - B 4 AS 105/11 R -, SozR 4-4200 § 7 Nr.30, juris Rn. 24 m. w. N. und vom 7. Dezember 2017 - B 14 AS 7/17 R SozR 4-4200 § 7 Nr. 55, juris Rn. 15 jeweils m. w. N.). Diese Kriterien werden von der streitgegenständlichen russischen Altersrente der Klägerin erfüllt: Die Rente wird von dem Rentenfonds der Russischen Föderation als öffentlich-rechtlichem Träger gewährt. Zudem knüpft sie an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze an. 

Voraussetzung für den Bezug einer russischen Altersarbeitsrente waren bestimmte Beschäftigungs- und Wartezeiten sowie das Erreichen des Renteneintrittsalters, das im Regelfall für Männer bei Vollendung des 60. Lebensjahres und für Frauen des 55. Lebensjahres lag. Hiervon bestanden zahlreiche Ausnahmen, die einen früheren Renteneintritt ermöglichten. Bei der Klägerin erfolgte der Rentenbezug nach russischem Recht regulär mit dem Renteneintrittsalter für Frauen ab Vollendung des 55. Lebensjahres. Des Weiteren erfüllt die russische Rente der Klägerin die Funktion des Lohnersatzes nach einer im Allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption. Die zur Konzeption der Renten des Russischen Rentenfonds getroffenen Feststellungen des LSG Sachsen-Anhalt im Urteil vom 26. November 2020 – L 4 AS 174/18 ZVW –, macht sich dabei der Senat zu Eigen. Das LSG Sachsen-Anhalt hat insoweit ausgeführt (a. a. O., juris Rn. 53ff): 

„In der Sowjetunion war die Rentenversicherung nach dem Staatsrentengesetz von 1956 in den Staatshaushalt eingebettet und unterlag einer zentralen Verwaltung. Voraussetzung für den Anspruch auf Altersrente waren bestimmte Beschäftigungs- und Wartezeiten sowie das Erreichen des Renteneintrittalters, das im Regelfall für Männer bei Vollendung des 60. Lebensjahres und für Frauen des 55. Lebensjahres lag. Hiervon gab es jedoch zahlreiche Ausnahmen. Die sowjetische Staatsmacht wollte wegen der wenig differenzierten Lohnstruktur mit der Möglichkeit eines (um fünf bis zehn Jahre) früheren Renteneintritts Arbeitsanreize für diese Bevölkerungsgruppen schaffen. Der frühere Renteneintritt war zwar besonderen Berufsgruppen vorbehalten, galt aber wegen der weit gespannten Regelungen tatsächlich für fast ein Drittel aller Rentenbezieher.

Sonderregelungen für einen früheren Rentenbeginn gab es für Beschäftigte mit hohen Anforderungen an die Leistungskraft oder für Beschäftigungen unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen wie die Arbeit unter Tage, bei der Berufsfeuerwehr mit Zuständigkeit für Notfälle und Naturkatastrophen, die einen Renteneintritt mit 50 Jahren von Männern und mit 45 Jahren von Frauen ermöglichten. Zur Arbeit unter besonders schwierigen Umständen gehörten auch (alle) Beschäftigungen in Regionen nördlich des Polarkreises, die einen um bis zu zehn Jahre früheren Renteneintritt ermöglichten. Ein Renteneintrittsalter von 55 Jahren bei Männern und 50 Jahren bei Frauen war vorgesehen nach einer Beschäftigung in der Textilindustrie, im Eisenbahnwesen und im Bergbau, bei geologischen und geophysikalischen Erkundungen und Expeditionen, in der holzverarbeitenden Industrie, im Hafendienst mit Ladetätigkeiten, bei der Wartung von Passagierflugzeugen sowie im Strafvollzugsdienst. Zudem durften Frauen, die mehr als fünf Kinder geboren hatten, mit 50 Lebensjahren in Rente gehen.

Die Rentenbeiträge hatte den Charakter von Steuern und wurde von den Unternehmen für die gesamte Belegschaft entrichtet. Es gab in der Sowjetunion keine individuellen Rentenbeitragskonten. Die Rentenhöhe wurde grundsätzlich nach einem bestimmten Prozentsatz des Durchschnittsverdienstes des Erwerbstätigen im letzten Jahr berechnet. Einfluss hatten aber auch die Art der früher ausgeübten Tätigkeit und die Höhe der Entlohnung. 1990 wurde eine sowjetische Rentenreform durchgeführt, die in das Rentengesetz der Russischen Föderation vom 20. November 1990 übernommen wurde. Auf der Grundlage der Regelungen des sowjetischen Rentengesetzes wurden mehrere der früher parallelen Rentensysteme (für Arbeitnehmer, Kolchosmitgliedern und z.T. die Dienstaltersrenten) zusammengeführt und eine sog. Sozialrente für die Versorgung derjenigen Bürger, die keinen Anspruch auf Arbeitsrente hatten, eingeführt. Die Voraussetzungen für den Renteneintritt und insbesondere das Eintrittsalter änderten sich nicht. Es wurde aber die Rentenberechnung durch Veränderung der Berechnungsgrundlagen modifiziert. Feste Prozentsätze des Durchschnittsverdienstes wurden als Renten, Mindest- und Höchstrenten sowie eine regelmäßige Rentenanpassung neu geregelt. In den Folgejahren gab es weitere Änderungen – wie die individuelle Erfassung von Beitragszahlungen und Versicherungszeiten (1996) sowie die Umgestaltung der Finanzierung in ein dreistufiges Rentensystem: Die erste Stufe sollte eine staatliche Grundrente oder einen Basisbetrag (als Mindestsicherung) darstellen. Die zweite Stufe bildete die sog. Versichertenrente, die diejenigen Rentenanteile umfasste, die sich aus dem Umfang der geleisteten Rentenversicherungszeiten und -beiträge ergaben. Als dritte Stufe war eine Akkumulationsrente bzw. ein Ansparanteil vorgesehen in Form einer zusätzlichen Rentenversicherung durch den Arbeitgeber (Unternehmen) oder individuelle Ansparleistungen des Erwerbstätigen bei dem staatlichen oder privaten Rentenfonds.

Weitere wesentliche Veränderungen des Rentensystems seit dem Jahr 2002 – wie u.a. eine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters – gelten nur für Personen, die nach 1966 geboren worden sind. Für ältere Beschäftigte sind die Bezugsbedingungen gleichgeblieben: Voraussetzung für den Bezug einer Arbeitsaltersrente war stets eine Beschäftigung (mit Entrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen durch den Arbeitgeber) von mindestens fünf Jahren, das Absolvieren der Wartezeit und das Erreichen des jeweiligen Rentenalters.

Die Altersarbeitsrente dient auch weiterhin als Lohnersatz der Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts im Alter. Dem steht nicht entgegen, dass die russischen Rentenzahlbeträge nach deutschen Maßstäben vergleichsweise niedrig waren und immer noch sind.“

Ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Bescheinigung des Russischen Rentenfonds vom 17. Januar 2025 wird die streitgegenständliche Rente als Altersrente – laut Übersetzung der Bescheinigung in russischer Sprache „Altersversicherungsrente“ – festgelegt und fußt auf Beiträgen sowie gesetzlichen Zulagen. Aus den vorliegenden Bescheinigungen ergeben sich regelmäßige Erhöhungen des Rentenzahlbetrags. Es handelt sich nach alledem um eine Regelaltersrente für Erwerbstätige, die nach ihrer Konzeption den Lebensunterhalt im Alter sicherstellen soll.

Allerdings hat die Klägerin die russische Altersrente im streitgegenständlichen Zeitraum nicht i. S. v. § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II bezogen.

Das Tatbestandsmerkmal „beziehen“ ist nicht bereits erfüllt, wenn die betroffene Person bloß einen Rechtsanspruch auf eine Altersrente oder ein Antrag auf Rentengewährung gestellt hat (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 7 [Stand: 18. März 2025], Rn. 310 m. w. N.; Valgolio in: Hauck/Noftz SGB II, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 7 SGB 2, Rn. 234). Maßgeblich ist nach herrschender Meinung der tatsächliche Bezug einer Altersrente (so LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. April 2012 – L 19 AS 544/12 B ER –, Rn. 15, juris; Bayerisches LSG, Urteil vom 16. Juli 2019 – L 11 AS 317/19 –, Rn. 12, juris; BeckOK MigR/Böttiger, 20. Ed. 1. Januar 2025, SGB II § 7 Rn. 79, beck-online; GK-SRB/Fasselt, 3. Aufl. 2023, SGB_II § 7, beck-online; BeckOGK/Baldschun, 1. August 2024, SGB II § 7 Rn. 111, beck-online), wovon auch das Bundessozialgericht ausgeht (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017 – B 14 AS 7/17 R –, SozR 4-4200 § 7 Nr. 55, juris Rn. 19). Teilweise wird ausdrücklich der „tatsächliche Erhalt“ (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 7 [Stand: 18. März 2025], Rn. 310 m. w. N.) bzw. der Zufluss (Sächsisches LSG, Urteil vom 22. April 2021 – L 7 AS 274/18 –, Rn. 29, juris; Sächsisches LSG, Beschluss vom 22. Februar 2016 – L 3 AS 990/15 B ER –, Rn. 23, juris Münder/ Geiger/Lenze, SGB II, SGB_II § 7 Rn. 145 und Fn. 321, beck-online) gefordert, wobei die Auszahlung an einen empfangsberechtigten Dritten als unschädlich gilt (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Februar 2016 – L 9 AS 2914/15 B, BeckRS 2016, 67053 Rn. 5, beck-online). 

Auch der Senat geht angesichts des Wortlauts von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II davon aus, dass ein tatsächlicher Bezug der Altersrentenleistung im Sinne einer Auszahlung vorliegen muss. Lediglich das Bestehen eines Anspruchs reicht selbst dann nicht aus, wenn der Anspruch dem Grunde und der Höhe nach festgestellt wurde. Denn der Gesetzgeber verwendet in § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II den Begriff „beziehen“ und nicht – wie aber in § 156 SGB III, an den die Norm ersichtlich angelehnt wurde (Knickrehm/Roßbach/Waltermann/S. Knickrehm, 8. Aufl. 2023, SGB II § 7 Rn. 46, beck-online) – „zuerkennen“. Für das Zuerkennen einer ausschließenden Sozialleistung reicht es aus, wenn der zuständige Träger eine positive Entscheidung (VA) über das Bestehen des Anspruchs getroffen und dem Berechtigten bekanntgegeben hat (§ 37 SGB X), soweit die Bewilligung zu einer Zahlung führen kann (Knickrehm/Roßbach/Waltermann/Kallert, 8. Aufl. 2023, SGB III § 156 Rn. 6, beck-online). Im Unterschied hierzu muss für den Bezug einer Leistung im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II eine Auszahlung der Altersrente erfolgen. 

Dem steht nicht entgegen, dass das Merkmal „Bezug“ von der Rechtsprechung des BSG für die Vorschrift des § 146 SGB III in der Weise konkretisiert worden ist, dass zumindest ein realisierbarer Anspruch auf Zahlung für die Zeit vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bestanden haben muss (BSG, Urteil vom 7. Februar 2002 – B 7 AL 28/01 R –, Rn. 16, juris BSG SozR 4100 § 105b Nr. 3 und Nr. 6), aber insoweit nicht entscheidend ist, ob die Leistung (im Fall des § 146 SGB III: Arbeitslosengeld) tatsächlich gezahlt wurde (Knickrehm/Roßbach /Waltermann/Kallert, 8. Aufl. 2023, SGB III § 146 Rn. 9, beck-online). Denn auch für die Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit gem. § 146 SGB III gilt, dass eine Leistungsfortzahlung trotz Bestehens des Stammrechts grundsätzlich nicht in Betracht kommt, wenn und solange der Einzelanspruch auf die (monatlich wiederkehrende) Leistung noch nicht entstanden ist oder ruht (Knickrehm/Roßbach/Waltermann/Kallert, 8. Aufl. 2023, SGB III § 146 Rn. 9, beck-online; vgl. zum Verhältnis von Stammrecht und Einzelanspruch Lilge in: Lilge/Gutzler, SGB I, 5., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, § 40 SGB 1, Rn. 21). 

Der Beigeladene will demgegenüber in Anlehnung an die Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 2. Februar 2016 – L 9 AS 2914/15 B, BeckRS 2016, 67053 Rn. 5, beck-online) allein auf die erstmalige Aufnahme der Auszahlung, also das erstmalige Entstehen des Einzelanspruchs, abstellen mit der Folge, dass nachfolgende Unterbrechungen der Auszahlung – wie im vorliegenden Verfahren – vor dem Hintergrund der typisierende Annahme irrelevant sein sollen, dass Bezieher von Altersrenten bereits vor Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden müssen („Fiktion der Erwerbsunfähigkeit“; vgl. insoweit BSG, Urteil vom 8. Dezember 2022 – B 7/14 AS 11/21 R –, BSGE 135, 181 -, juris Rn. 15; BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017 - B 14 AS 7/17 R -, SozR 4-4200 § 7 Nr. 55, juris Rn. 16 m. w. N.; vgl. im Zusammenhang mit § 12a SGB II BSG, Urteil vom 19. August 2015 - B 14 AS 1/15 R - BSGE 119, 271 -, juris Rn. 22, 47), so dass nach der erstmaligen Aufnahme der (laufenden) Rentenzahlungen die betroffene Person dauerhaft dem Rechtskreis des SGB XII zuzuordnen wäre. Dies liegt vor dem Hintergrund der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderten funktionsdifferenten Normauslegung unter Berücksichtigung der Zwecke der jeweiligen Norm erforderlich zur Beantwortung der Frage, ob der Gesetzgeber die betroffenen Personen dem System des SGB II oder dem des SGB XII unterwerfen wollte (BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R –, BSGE 124, 81ff, juris, Rn. 33), nicht fern, steht aber nicht im Einklang mit dem in beiden Existenzsicherungssystemen vorherrschenden Monatsprinzip, nach dem die – positiven wie negativen - Voraussetzungen der Leistungsgewährung hinsichtlich Grund und Höhe in jedem Leistungsmonat gegeben sein müssen. 

Ein Wechsel zwischen den Rechtskreisen des SGB II und SGB XII in Fällen wie dem vorliegenden ist daher hinzunehmen. Gerade für den Bereich der Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII, dem der betroffene Personenkreis der Rentenbezieher vor Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze des § 7a SGB II im Falle der Bejahung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 SGB II zuzuordnen sind, ist es – im Unterschied zum 4. Kapitel des SGB XII – typisch, dass Leistungen nur für relativ kurze Zeiträume erbracht werden, nämlich bis ein vorrangiges Leistungssystem eingreift.

Soweit für die Gegenansicht spricht, dass die betroffenen Personen die tatsächliche Auszahlung der Rentenleistung – und damit die Zuordnung einem der Rechtskreise – beeinflussen können, etwa indem sie eine Lebensbescheinigung o. ä. dem Rentenversicherungsträger nicht vorlegen, für eine solche Konstellation vorliegend keine Anhaltspunkte.

Der Senat hat vor dem Hintergrund der bereits vor dem Sozialgericht Kassel, Az. S 4 AS 273/21, anhängigen, auf die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II gerichteten Klage gegen den Beigeladenen das ihm gem. § 75 Abs. 5 SGG eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, von einer Verurteilung des Beigeladenen abzusehen.

Die Kostengrundentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, § 193 Abs. 4 SGG.

Die Revision war gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Der Senat misst der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „beziehen“ in § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II grundsätzliche Bedeutung bei.
 

Rechtskraft
Aus
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