L 34 AS 895/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 42 AS 681/21
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 895/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1.Das an den Unterhaltspflichtigen gerichtete Auskunftsverlangen des Jobcenters erledigt sich nicht zwangsläufig dadurch „auf andere Weise“ im Sinne von § 39 Abs. 2 SGB X, dass das Finanzamt dem Jobcenter Auskunft über die Einkünfte des Unterhaltspflichtigen erteilt. 

2.Der Anspruch der Kindesmutter gegen den Kindesvater auf Betreuungsunterhalt gemäß § 1615l Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 BGB ist nicht schon deshalb im Sinne einer Negativevidenz offensichtlich ausgeschlossen, weil die Kindesmutter einer Erwerbstätigkeit nachgeht.   

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 9. August 2022 wird zurückgewiesen.

 

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Streitig ist, ob der Kläger verpflichtet ist, dem beklagten Jobcenter Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen. 

 

Der Kläger ist als Garten- und Landschaftsbauer selbständig tätig. Er ist der Vater des im 2018 geborenen J T. Kindesmutter ist die im Jahr 1983 geborene Frau A T. Der Kläger und die Kindesmutter sind nicht miteinander verheiratet. Sie lebten und leben getrennt voneinander. Der gemeinsame Sohn wohnt seit seiner Geburt im Haushalt der Kindesmutter.

 

Die Kindesmutter ging ab November 2019 einer selbständigen Tätigkeit nach (Durchführung von Kindersport-, Kindertanz- und Eltern-Kind-Kursen sowie Babymassagen).

 

Auf ihren im Februar 2021 gestellten Antrag hin bewilligte der Beklagte der Kindesmutter für die Zeit vom 1. Februar bis 31. März 2021 Zuschüsse zu den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zur Vermeidung des Eintritts von Hilfebedürftigkeit (Bescheide vom 20. Mai 2021). Ferner gewährte er ihr (sowie dem Sohn) ab dem 1. April 2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des Regelbedarfs, eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende sowie der Kosten für Unterkunft und Heizung. Mit Blick auf die von ihr erzielten Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit erbrachte der Beklagte diese Leistungen zunächst vorläufig (Bescheid vom 25. März 2021 sowie Bescheid vom 12. August 2021) und setzte sie später abschließend fest (Bescheid über die abschließende Leistungsbewilligung vom 17. August 2022, Erstattungsbescheid vom 19. August 2022). Letztlich wurden der Kindesmutter Leistungen in Höhe von monatlich 873,22 € (für April bis Juni 2021) bzw. in Höhe von 664,84 € (für Juli 2021), 248,07 € (für August 2021) und 664,84 € (für September 2021) abschließend bewilligt. 

 

Der Kläger zahlte für seinen Sohn (auch) im Jahr 2021 Unterhalt in Höhe von monatlich 300,- €. Der Kindesmutter selbst gewährte der Kläger im Jahr 2021 keinen Unterhalt (mehr).

 

Mit Bescheid vom 26. April 2021 forderte der Beklagte den Kläger nach § 60 Abs. 2 SGB II i. V. m. § 21 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf, ihm bis spätestens 20. Mai 2021 Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen und seiner Erklärung Nachweise über sein Einkommen der letzten zwölf Monate bzw. bei selbständiger Tätigkeit der letzten drei Jahre, den letzten Steuerbescheid sowie Unterlagen über Einkünfte aus Vermögen und über Belastungen (Miete, Versicherungen, Schuldverpflichtungen etc.) beizufügen. Zugleich informierte der Beklagte den Kläger über den Leistungsbezug der Kindesmutter. Dem Bescheid war ein Fragebogen beigefügt, der Felder für Angaben zur Person, zum Einkommen, zu berufsbedingten Aufwendungen, zu Versicherungsbeiträgen, zu Verpflichtungen aus Schulden, zu Kosten der Unterkunft sowie zu unterhaltsberechtigten Personen enthielt.

 

Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Beklagte an, dass der Kläger zum Kreis der nach § 1615l Bürgerliches Gesetzbuchs (BGB) Unterhaltspflichtigen gehöre und vorbehaltlich seiner Leistungsfähigkeit grundsätzlich verpflichtet sei, der Kindesmutter Betreuungsunterhalt zu gewähren. Nach § 33 SGB II würden Unterhaltsansprüche für die Zeit, für die Leistungen nach dem SGB II gewährt werden, bis zur Höhe der gewährten Leistungen auf ihn (den Beklagten) als Leistungsträger übergehen, solange und soweit der Kläger seiner Unterhaltsverpflichtung nicht durch Zahlung nachkomme. Die Höhe des Unterhaltsbetrags, zu dessen Zahlung der Kläger grundsätzlich verpflichtet sei, könne derzeit noch nicht beziffert werden. Für die Prüfung, ob und inwieweit eventuell ein Unterhaltsanspruch bestehe, werde die vom Kläger geforderte Auskunft benötigt. Nach pflichtgemäßem Ermessen sei die Einholung der Auskunft für die Ermittlung des vorliegenden Sachverhalts erforderlich und sei das Auskunftsverlangen nach Abwägung mit dem Interesse der Allgemeinheit an der Wirtschaftlichkeit der Verwendung der öffentlichen Mittel in dieser Form zu treffen gewesen.

 

Der Kläger legte Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. April 2021 ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2021 zurückwies.

 

Am 1. Juli 2021 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Potsdam erhoben, mit der er die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt hat. Er hat vorgetragen, dass die Kindesmutter keinen Unterhaltsanspruch gegen ihn habe, da die Voraussetzungen des § 1615l BGB nicht erfüllt seien. Der Kindesmutter sei eine Ganztagsbeschäftigung möglich und zumutbar. Der gemeinsame Sohn werde tagsüber in einer Kita betreut, mit Betreuungszeiten zwischen 08:00 und 16:00 Uhr. Die von der Kindesmutter absolvierten diversen Fortbildungsmaßnahmen würden belegen, dass sie neben der „Wartung [sic] und Pflege“ des Kindes einer Vollzeittätigkeit nachgehen könne. Tatsächlich sei sie auch (wieder) in Vollzeit unternehmerisch tätig. Wenn überhaupt noch Hilfebedürftigkeit vorliegen sollte, so sei diese nicht durch unterhaltsrelevante Umstände, einen besonderen Betreuungsumfang oder überhaupt die Betreuung des gemeinsamen Sohnes verursacht, sondern durch den pandemiebedingten Umsatzrückgang im Unternehmen der Kindesmutter. Der Geschäftsbetrieb sei infolge der Corona-Pandemie im Laufe des Jahres 2020 zunächst zum Erliegen gekommen. Nach den Angaben im Social-Media-Auftritt der Kindesmutter sei jedoch davon auszugehen, dass diese spätestens seit Ende Mai 2021 wieder selbständig tätig sei und Umsätze generiere.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 9. August 2022 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die als reine Anfechtungsklage zulässige Klage unbegründet sei. Als Rechtsgrundlage für das Auskunftsverlangen komme vorliegend nur § 60 Abs. 2 SGB II i. V. m. § 21 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB X in Betracht. Der angegriffene Bescheid vom 26. April 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2021 sei formell rechtmäßig. Hierbei könne dahinstehen, ob eine vorherige Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X erforderlich gewesen wäre, weil ein Verstoß jedenfalls nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt wäre. Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Insoweit sei zu beachten, dass die Unterhaltsplicht des zur Auskunft in Anspruch Genommenen noch nicht feststehen müsse, denn die Auskunft solle ja gerade die Beurteilung der Leistungspflicht des Auskunftspflichtigen ermöglichen. Scheide eine Unterhaltsverpflichtung nach sorgfältiger Prüfung nicht ganz offensichtlich aus, sondern würden Zweifel hinsichtlich des Bestehens verbleiben, so bleibe die Verpflichtung zur Auskunftserteilung bestehen. So liege der Fall hier. Ein Unterhaltsanspruch der Kindesmutter gegen den Kläger gemäß § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB sei nicht im Sinne einer Negativevidenz offensichtlich ausgeschlossen. Anhaltspunkte dafür, dass die Kindesmutter in der Zeit ihres Leistungsbezugs beim Beklagten über ausreichende eigene Einkünfte verfügte, seien nicht gegeben. Der Unterhaltsanspruch nach § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB bestehe in den ersten drei Lebensjahren des Kindes ohne Weiteres (sog. Basisunterhalt). Während dieser ersten drei Lebensjahre des Kindes sei der betreuende Elternteil uneingeschränkt berechtigt, sich selbst um das Kind zu kümmern, d. h. er dürfte nicht auf Fremdbetreuung verwiesen werden und unterliege keiner Erwerbsobliegenheit. Die teilweise Betreuung durch Dritte schade hierbei nicht. Für den Anspruch sei auch nicht erforderlich, dass die Kindesmutter tatsächlich keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Werde tatsächlich eine Erwerbstätigkeit ausgeübt, sei diese als überobligatorisch anzusehen. In einem solchen Fall sei je nach Lage des Einzelfalls zu beurteilen, ob und inwieweit überobligatorisch durch die Kindesmutter erzieltes Einkommen im Rahmen der Unterhaltspflicht anzurechnen sei. Dass im Sinne einer Negativevidenz damit von vornherein ohne weitere Ermittlungen zum Einkommen und Vermögen des Klägers ein Unterhaltsanspruch der Kindesmutter gegen ihn offensichtlich ausscheide, sei nach alledem nicht zu bejahen. Die Ausführungen des Beklagten in den streitgegenständlichen Bescheiden zeigten auch, dass er das ihm zustehende Ermessen erkannt und ausgeübt habe. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Der Verwaltungsakt sei schließlich in der gewählten Form mit dem gewählten Inhalt zur Durchführung der Aufgaben nach dem SGB II erforderlich gewesen.

 

Gegen den ihm am 30. August 2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 30. September 2022 Berufung eingelegt.

 

Er meint weiterhin, dass im streitbefangenen Zeitraum kein Anspruch der Kindesmutter gegen ihn auf Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB bestanden habe. Der Beklagte sei zunächst zu weiteren Feststellungen zu Existenz und Umfang des vermeintlich übergegangenen Unterhaltsanspruchs verpflichtet gewesen, bevor er durch den angegriffenen Bescheid in sein Persönlichkeitsrecht eingreife und ihn gewissermaßen „auf Vorrat“ zur Auskunftserteilung verpflichte. Das Sozialgericht verkenne, dass er dem Unterhaltsanspruch der Kindesmutter nicht etwa eine Erwerbsobliegenheit entgegenhalte, sondern eine tatsächliche Erwerbstätigkeit. Die Kindesmutter habe Einkommen erzielt, während das gemeinsame Kind in Vollzeit in der Kita betreut worden sei. Mindereinkünfte habe die Kindesmutter nur deshalb erzielt, weil ihr Unternehmen aufgrund der Corona-Pandemie finanziell notleidend geworden sei. Diese Einkommenseinbuße abzufangen sei eine gesellschaftliche Aufgabe, da sie mit dem gemeinsamen Kind nichts zu tun habe.

 

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 9. August 2022 sowie den Bescheid des Beklagten vom 26. April 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2021 aufzuheben.

 

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

 

Das Finanzamt hat dem Beklagten auf dessen Ersuchen hin unter dem 24. November 2022 Auskunft über die vom Kläger in den Jahren 2018, 2019 und 2020 erzielten Einkünfte erteilt. Die Frage des Gerichts, ob sich hierdurch das streitgegenständliche Auskunftsverlangen gegenüber dem Kläger erledigt habe, hat der Beklagte verneint. Er macht insoweit geltend, dass durch die Auskunft des Finanzamts lediglich das steuerrechtliche Einkommen des Klägers ermittelt werden könne. Das steuerrechtliche Einkommen sei jedoch nicht mit dem unterhaltsrechtlichen Einkommen gleichzusetzen. Zudem fehle es weiterhin an einer Auskunft zum Vermögen des Klägers, welches bei der Unterhaltsberechnung ebenfalls zugrunde gelegt werde.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

 

I. Zutreffend ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass die Klage zulässig ist. Statthafte Klageart ist die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG), gerichtet auf die Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 26. April 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2021. Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Beklagte den Kläger aufgefordert, Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen. Bei dem Auskunftsverlangen handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X.

 

Die Anfechtungsklage ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass der Beklagte im Laufe des Berufungsverfahrens vom Finanzamt Auskunft über die vom Kläger in den Jahren 2018, 2019 und 2020 erzielten Einkünfte erhalten hat. Zwar wird eine Anfechtungsklage unzulässig, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt erledigt (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rn. 8a). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

 

Gemäß § 39 Abs. 2 SGB X bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Eine (hier allein in Betracht kommende) Erledigung „auf andere Weise“ tritt ein, wenn der Verwaltungsakt seine regelnde Wirkung verliert oder die Ausführung des Verfügungssatzes rechtlich oder tatsächlich unmöglich geworden ist, etwa weil das Gebot erfüllt oder der Zweck des Verwaltungsakts anderweitig erreicht wurde (Roos/Blüggel, in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 39 Rn. 14).

 

Ausgehend hiervon hat sich das an den Kläger gerichtete Auskunftsverlangen nicht durch die dem Beklagten vom Finanzamt erteilte Auskunft erledigt. Die vom Kläger verlangte Auskunft reicht weiter. Sie bezieht sich auf alle Umstände, die für die Bemessung des Unterhalts von Bedeutung sein können (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II i. V. m. § 1605 Abs. 1 Satz 1 BGB). Somit erschöpft sie sich gerade nicht in der Angabe der nach Maßgabe des Steuerrechts ermittelten Einkünfte, sondern bezieht sich noch auf weitere Punkte, welche im Einzelnen in dem Fragebogen genannt sind, den der Beklagte dem Bescheid vom 26. April 2021 als Anlage beigefügt hatte.

 

II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 26. April 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

 

1. Als Ermächtigungsgrundlage für das Auskunftsverlangen des Beklagten gegenüber dem Kläger kommt vorliegend allein § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II i. V. m. § 21 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X in Betracht. Diese Vorschriften ermächtigen den SGB II-Leistungsträger, eine Auskunftspflicht durch Verwaltungsakt gegenüber dem Pflichtigen geltend zu machen, wobei die Behörde eine Ermessensentscheidung (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X: „nach pflichtgemäßem Ermessen“) zu treffen hat (BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 4/15 R –, SozR 4-4200 § 60 Nr. 4, juris Rn. 13). Bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen, die mit der reinen Anfechtungsklage angefochten werden, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2021 (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juni 2016, a. a. O.).

 

2. Der angefochtene Verwaltungsakt ist formell rechtmäßig. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte den Kläger vor Erlass des Bescheids vom 26. April 2021 nach § 24 Abs. 1 SGB X hätte anhören müssen. Ein etwaiger Anhörungsmangel ist jedenfalls inzwischen geheilt worden, denn die ggf. erforderliche Anhörung wurde gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X im Widerspruchsverfahren nachgeholt. Für die Nachholung der Anhörung im Widerspruchsverfahren bedarf es keiner Durchführung eines gesonderten (mehr oder minder förmlichen) behördlichen Verwaltungsverfahrens. Es genügt, wenn dem Betroffenen im Widerspruchsverfahren hinreichende Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen zu äußern (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 9/11 R – SozR 4-2600 § 77 Nr. 10, juris Rn. 14). Dies war vorliegend der Fall.

 

3. Auch die materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids ist zu bejahen.

 

Wer jemandem, der eine Leistung nach dem SGB II beantragt hat oder bezieht, zu Leistungen verpflichtet ist, die geeignet sind, Leistungen nach dem SGB II auszuschließen oder zu mindern, hat der Agentur für Arbeit gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II auf Verlangen hierüber sowie über damit im Zusammenhang stehendes Einkommen oder Vermögen Auskunft zu erteilen, soweit es zur Durchführung der Aufgaben nach dem SGB II erforderlich ist. Ob die Behörde eine Auskunft einholt, richtet sich danach, ob sie die Auskunft nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält (§ 21 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X). 

 

a) Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II (i. V. m. § 21 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X) sind hier erfüllt.

 

aa) Die Kindesmutter hat im Februar 2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 19 ff. SGB II) beantragt. Sie hat solche Leistungen auch bezogen. Ob – über den Wortlaut des § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB II hinaus – eine Auskunftspflicht nur bei Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung anzunehmen ist, bedarf keiner Klärung, da diese Voraussetzung vorliegend jedenfalls gegeben ist, insbesondere war die Kindesmutter (spätestens ab April 2021) hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Leistungsberechnung des Beklagten, die in dem Bescheid über die abschließende Leistungsbewilligung vom 17. August 2022 dargestellt ist. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit dieser Leistungsberechnung.

 

bb) Unterhaltszahlungen, zu denen der Kläger hier möglicherweise (dazu näher unter dd) verpflichtet war, sind generell geeignet, Leistungen nach dem SGB II auszuschließen oder zu mindern. Dies ergibt sich daraus, dass solche Unterhaltszahlungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen sind.

 

cc) Ferner ist das im Rahmen des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II zu beachtende Erfordernis der Personenidentität (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. Juni 2016 – B 14 AS 4/15 R –, SozR 4-4200 § 60 Nr. 4, juris Rn. 21 ff.) zwischen Leistungsempfänger und Inhaber des Unterhaltsanspruchs gewahrt, denn dem streitgegenständlichen Auskunftsverlangen liegt ein (möglicher) eigener Unterhaltsanspruch der Kindesmutter gegen den Kläger aus § 1615l BGB zugrunde.   

 

dd) Die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens setzt schließlich nicht voraus, dass dem Leistungsempfänger der Unterhaltsanspruch tatsächlich zusteht. Zur Auskunft ist verpflichtet, wer als Unterhaltsschuldner des Leistungsempfängers in Betracht kommt. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, unterhaltsrechtlichen Fragen (näher) nachzugehen. Diese Prüfung obliegt in dem gegliederten Rechtsschutzsystem der Bundesrepublik Deutschland den insoweit rechtswegmäßig zuständigen Zivilgerichten. Nur wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch offensichtlich ausgeschlossen ist – und insofern ist mit Blick auf die gegliederte Aufgabenzuweisung strikte Zurückhaltung geboten –, ist ein gleichwohl erlassenes, erkennbar sinnloses Auskunftsersuchen aufzuheben (sog. Negativevidenz, vgl. zum Auskunftsanspruch im Sozialhilferecht BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993 – 5 C 22/90 –, BVerwGE 91, 375 ff., juris Rn. 8; BSG, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – B 8 SO 75/12 B –, SozR 4-3500 § 117 Nr. 2, juris Rn. 7; speziell zum Auskunftsanspruch nach dem SGB II etwa Bayerisches LSG, Urteil vom 22. April 2015 – L 8 AS 223/14 –, juris Rn. 26).

 

Ein Fall der Negativevidenz ist hier nicht gegeben.

 

§ 1615l BGB regelt die Unterhaltsansprüche nicht miteinander verheirateter Eltern untereinander, insbesondere die der Mutter des nichtehelichen Kindes gegen dessen Vater.

 

Neben den – hier ersichtlich ausscheidenden – Unterhaltstatbeständen nach § 1615l Abs. 1 Satz 1 BGB (Unterhalt für die Dauer von sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt des Kindes) und § 1615l Abs. 2 Satz 1 BGB (Unterhalt bei fehlender Erwerbsfähigkeit infolge der Schwangerschaft oder einer durch die Schwangerschaft oder die Entbindung verursachten Krankheit) regelt § 1615l Abs. 2 Satz 2 BGB, dass der Vater verpflichtet ist, der Mutter über den in Abs. 1 Satz 1 bezeichneten Zeitraum hinaus Unterhalt zu gewähren, soweit von der Mutter wegen der Pflege oder Erziehung des Kindes eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann. Die Unterhaltspflicht besteht gemäß § 1615l Abs. 2 Satz 3 BGB für mindestens drei Jahre nach der Geburt (sog. Basisunterhalt). Sie verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht (§ 1615l Abs. 2 Satz 4 BGB). Dabei sind insbesondere die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu berücksichtigen (§ 1615l Abs. 2 Satz 5 BGB).

 

Bei Erlass des angefochtenen Bescheids sowie während der gesamten Dauer des Leistungsbezugs hatte der im  2018 geborene gemeinsame Sohn das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet. Er lebte im Haushalt der Mutter und wurde (zumindest auch) von dieser gepflegt und erzogen. Ein Anspruch der Kindesmutter gegen den Kläger auf Betreuungsunterhalt in Form des Basisunterhalts nach § 1615l Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 BGB ist für diese Zeit nicht offensichtlich ausgeschlossen. Insoweit gilt zu beachten, dass der betreuende Elternteil während der ersten drei Lebensjahre des Kindes uneingeschränkt berechtigt ist, sich selbst um das Kind zu kümmern; d. h. er darf nicht auf eine Fremdbetreuung verwiesen werden und unterliegt keiner Erwerbsobliegenheit (Hammermann, in: Ermann, BGB, 17. Aufl. 2023, § 1615l Rn. 14 m. w. N.). Die teilweise Betreuung des Kindes durch Dritte, etwa in einer Kindertagesstätte, steht dem Unterhaltsanspruch nicht entgegen (Langeheine, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2024, § 1615l Rn. 29 m. w. N.). Übt der betreuende Elternteil eine Erwerbstätigkeit aus, so ist dies als überobligatorisch anzusehen. Ob und inwieweit überobligatorisch erzielte Einkünfte anzurechnen sind, kann nicht schematisch bejaht oder verneint werden, sondern ist je nach Lage des Einzelfalls zu beurteilen (Lugani, in: BeckOGK, BGB, Stand: 1. August 2023, § 1615l Rn. 73 m. w. N). Diese Prüfung hat jedoch nicht der erkennende Senat vorzunehmen, weil dieser – wie bereits ausgeführt – unterhaltsrechtlichen Fragen nicht näher nachzugehen hat. Ob und ggf. in welcher Höhe ein Unterhaltsanspruch bestand, wird vielmehr ggf. in einem künftigen zivilgerichtlichen Verfahren zu klären sein.

 

b) Sind somit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB II erfüllt, so ist der Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 21 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 SGB X) berechtigt gewesen, Auskunft über Einkommen und Vermögen des Klägers zu verlangen.

 

Der Senat ist insoweit auf die Prüfung beschränkt, ob der Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG), d. h. die Entscheidung des Beklagten ist gerichtlich nur auf Ermessensfehler – Ermessensausfall, Ermessensunterschreitung, Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch – hin zu kontrollieren (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rn. 25 ff.). 

 

Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs ist die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat das ihm durch das Gesetz eingeräumte Ermessen erkannt und ordnungsgemäß ausgeübt. Die von ihm erfragten Tatsachen sind für die Feststellung des Unterhaltsanspruchs erforderlich (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz SGB II sowie § 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II i. V. m. § 1605 Abs. 1 Satz 1 BGB); sie können den Anspruch dem Grunde bzw. der Höhe nach beeinflussen. Soweit der Beklagte die Vorlage von Belegen gefordert hat, folgt die Berechtigung hierzu aus § 60 Abs. 2 Satz 3 SGB II i. V. m. § 1605 Abs. 1 Satz 2 BGB.

 

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der es eingelegt hat.

 

IV. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegen.

 

 

Rechtskraft
Aus
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