L 3 R 75/23

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 45 R 1247/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 75/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf geändert und der Bescheid vom 19.11.2019 in der Fassung des Bescheides vom 16.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2020 insoweit aufgehoben, als dass ein über einen Betrag in Höhe von 7.199,76 € hinausgehender Betrag erstattet verlangt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt 22 % der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Überzahlung von Witwerrente für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.10.2019 in Höhe von 9.207,14 €.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger beantragte am 08.06.2007 bei der Beklagten die Gewährung von Witwerrente aus der Versicherung seiner am 00.00.0000 verstorbenen Ehefrau, G. K. (Versicherungsnummer N01).

 

Mit Bescheid vom 18.07.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger große Witwerrente unter der Versicherungsnummer N01 ab dem 00.00.0000 in Höhe eines monatlichen Zahlbetrages von 106,33 €. Dabei wurde die Rente nach dem Sterbevierteljahr um das anzurechnende Einkommen des Klägers aus Erwerbstätigkeit gemindert. Die Einzelheiten ergeben sich aus Anlage 8 des Bescheids. Der Bescheid enthielt auf Seite 3 unter „Mitteilungspflichten und Mitwirkungspflichten“ den Hinweis:

 

„Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher sind Sie verpflichtet, uns den Bezug und jede Veränderung von Erwerbseinkommen oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.

Erwerbseinkommen sind

(…)

Erwerbsersatzeinkommen sind

(…)

- Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung,

- Rente wegen Alters und wegen Erwerbsminderung nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (…)“.

 

Im Folgenden berechnete die Beklagte die Rente des Klägers mehrfach neu. Gründe hierfür waren eine Rentenanpassung und eine Änderung des anzurechnenden Einkommens aus Erwerbstätigkeit (Bescheide vom 16.05.2008, 12.05.2010, 12.05.2011, 14.05.2012), eine Rentenanpassung und eine Änderung des anzurechnenden Einkommens aus Erwerbstätigkeit sowie des Beitragssatzes der Krankenversicherung (Bescheid vom 13.05.2009). Vom 01.12.2013 bis 31.01.2015 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Im November 2014 wies der Kläger auf das Auslaufen der Entgeltersatzleistung hin und bat um entsprechende Neuberechnung der Rente, da er kein Arbeitslosengeld II beziehen werde. Die Höhe der großen Witwerrente wurde wieder mehrfach neu berechnet. Gründe hierfür waren die Änderung des anzurechnenden Einkommens aus Erwerbsersatzeinkommen (Bescheide vom 19.02.2013 und 03.12.2014), eine Rentenanpassung und die Änderung des anzurechnenden Einkommens aus Erwerbsersatzeinkommen (Bescheide vom 22.04.2013 und 08.05.2014), sowie die Änderung des anzurechnenden Einkommens aus Erwerbsersatzeinkommen und der Zuschlag für Kindererziehung (Bescheid vom 28.08.2014). Sämtliche Neuberechnungsbescheide enthielten die Hinweise zu den Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten bei erzieltem Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen.

 

Am 14.04.2015 beantragte der Kläger unter seiner eigenen Versicherungsnummer 13 260652 W 097 Altersrente für besonders langjährig Versicherte bei der Beklagten. Er gab im Rentenantragsformular R 100 unter Nennung der Versicherungsnummer seiner verstorbenen Ehefrau an, seit dem 01.06.2017 laufend eine Hinterbliebenenrente zu beziehen. In der Datenerfassung vom 17.04.2015 ist auf Seite 9 unter dem Punkt „Einkommens- und Zuschlagsermittlung“ vermerkt, dass der Kläger eine Hinterbliebenenrente unter der Versicherungsnummer N01 bezieht.

 

Mit Bescheid vom 22.05.2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 01.07.2015 in Höhe eines Zahlbetrages von 1.402,08 € monatlich.

Eine Anrechnung dieser Rente auf die große Witwerrente erfolgte nicht.

 

Die große Witwerrente wurde mit Bescheid vom 13.04.2016 wegen einer Rentenanpassung und eines geänderten Krankenversicherungsbeitrags neu berechnet. Mit Bescheid vom 26.04.2019 berechnete die Beklagte die große Witwerrente ab dem 01.01.2019 wegen eines Zuschlags an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung (sogenannte Mütterrente) neu. In der Anlage „Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte“ ist ausgeführt, dass sich die persönlichen Entgeltpunkte von bisher 50,6866 ab dem 01.01.2019 um einen Zuschlag von 1,000 (0,5000 für jedes zuschlagsberechtigte Kind) erhöhten und nun 51,6866 betragen würden. Hiervon entfielen 4,2006 Entgeltpunkte auf Kindererziehungszeiten.

 

Am 24.09.2019 ergab ein Datenabgleich bei der Beklagten einen sog. „unplausiblen“ Datensatz „aus Postrentenzahlbestand 10.2019 - Fallgruppe 084: Zwei Renten werden geleistet. Die Versichertenrente liegt über dem Freibetrag (Ost). Die Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI ist zu prüfen.“

 

Mit Bescheid vom 19.11.2019 berechnete die Beklagte die große Witwerrente für die Zeit ab dem 01.07.2015 neu. Sie bewilligte ab dem 01.12.2019 einen monatlichen Zahlbetrag von 681,22 € netto. Für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.10.2019 ergebe sich eine Überzahlung von 11.508,87 €. Grund für die Neuberechnung sei eine Rentenanpassung und das mit der Rente zusammentreffende Einkommen. Einzelheiten zur Berechnung der Überzahlung enthalte die Anlage „Berechnung der Rente“. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten. Der Rentenbescheid vom 03.12.2014 werde hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.07.2015 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) aufgehoben. Wesentliche Änderung sei der Hinzutritt der Versichertenrente ab dem 01.07.2015. Bei einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen sei die Aufhebung des Bescheides für die Zukunft zwingend vorzunehmen. Soweit es um die Aufhebung für die Vergangenheit gehe, seien die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit Satz 3 SGB X gegeben. Der Kläger könne sich auf Vertrauen in den Rentenbescheid nicht berufen, da er Einkommen erzielt habe, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt habe. Er habe aufgrund der ihm gegebenen Informationen den Wegfall, das Ruhen bzw. die Kürzung des Rentenanspruchs erkennen müssen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Zudem sei der Kläger seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht, auf die er hingewiesen worden sei, nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).

Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, Vertrauensschutz zu genießen. Daraufhin berechnete die Beklagte die große Witwerrente mit Bescheid vom 16.07.2020 ab dem 01.07.2015 neu. Für die Zeit ab dem 01.07.2020 betrage die monatliche Rente 704,72 € netto. Für die Zeit vom 01.07.2015 bis 30.06.2020 ergebe sich nur noch einer Überzahlung in Höhe von 9.207,14 €. Den Einwand des Klägers hinsichtlich des Vertrauensschutzes berücksichtige sie im Wege des Ermessens insoweit, als der Bescheid nur teilweise aufgehoben werde. Der Kläger sei seiner Mitteilungspflicht zur Altersrente nachgekommen. Dass die Mitteilung der Altersrente bei der Hinterbliebenenrente nicht angekommen oder nicht zur Akte genommen worden sei, begründe ein im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigendes Mitverschulden, sodass sie den zu erstattenden Betrag reduziert habe. Über diesen Betrag hinaus könne nicht von einer Bescheidaufhebung abgesehen werden, da sie vom Gesetzgeber gehalten sei, die ihr übertragene Verpflichtung der einheitlichen und sorgfältigen Vermögensverwaltung zu erfüllen. Sie sei daher zum Wohl der Versichertengemeinschaft verpflichtet, zu Unrecht gezahlte Beträge zurückzufordern. Zudem hätte der Kläger erkennen können, dass nach Bewilligung der Altersrente weiterhin keine Einkommensanrechnung zur Hinterbliebenenrente erfolgt sei.

 

Der Kläger hielt an seinem Widerspruch fest und trug zur Begründung weiter vor, er habe im Rahmen der Antragstellung vollständig und wahrheitsgemäß angegeben, seit dem 01.06.2007 eine laufende Hinterbliebenenrente zu beziehen und habe entsprechende Angaben zu der Verstorbenen gemacht. Dabei habe es sich um eine Abfrage gehandelt, die sich aus dem Formular R100 ergebe. Zudem seien beide Renten ab 2017 in einem einheitlichen Schriftstück beschieden worden, sodass er davon ausgegangen sei, dass der Beklagten beide Renten bekannt seien. In einem Telefonat am 01.06.2015 sei ihm zudem hinsichtlich der Antragstellung der eigenen Versichertenrente im Verhältnis zu der laufenden Witwerrente mitgeteilt worden, dass eine automatische Anpassung erfolge. Er könne sich auf Vertrauen berufen, da er alles Erforderliche getan habe, um eine korrekte Rentenberechnung zu ermöglichen. Eine Rücknahme der nach Bewilligung ergangenen Bescheide vom 01.07.2015 und 13.04.2016 komme im Übrigen nur nach § 45 SGB X in Betracht. Die erbrachten Leistungen habe er bereits verbraucht. Schließlich greife die Verjährungsfrist des § 45 Abs. 4 SGB X.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2020 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.11.2019 zurück, soweit ihm nicht durch Bescheid vom 16.07.2020 abgeholfen worden sei. Die Rentenanpassungsmitteilungen ab dem 01.07.2015 regelten keine Einkommensanrechnung, weshalb sie nicht nach § 45 SGB X zurückzunehmen seien. Gleiches gelte für den Bescheid vom 13.04.2016, der lediglich eine Neuberechnung aufgrund geänderter Daten zur Krankenversicherung regele. Aus seinem Vorbringen im Widerspruch ergebe sich, dass der Kläger gewusst habe, dass die Altersrente auf die Witwerrente anzurechnen sei. Entgegen der Annahme des Klägers stellten die Angabe im Altersrentenantrag und der Versand der Rentenanpassungsmitteilungen in verbundener Form keine positive Kenntnis der Beklagten dar. Als frühester Zeitpunkt der positiven Kenntnis könne die Anzeige der Fehlermeldung vom 24.09.2019 gelten. Sämtliche Daten hätten erst am 08.11.2019 mit der maschinellen Übermittlung der Rentendaten der Altersrente vorgelegen. Die Bescheidaufhebung sei daher innerhalb eines Jahres erfolgt. Grundsätzlich bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes. Zugunsten des Klägers sei jedoch zu berücksichtigen, dass er im Altersrentenantrag den Witwerrentenbezug angegeben habe und damit seinen Mitteilungspflichten nachgekommen sei. Insofern liege ein Mitverschulden der Behörde vor, weil intern die Weitergabe der entsprechenden Information nicht erfolgt bzw. nicht korrekt zugeleitet worden sei. Dies sei im Rahmen des Ermessens mit 20 % anzusetzen und im Rahmen der teilweisen Abhilfe berücksichtigt worden. Darüber hinaus könne von einer Rückforderung nicht abgesehen werden. Der Kläger trage vor, er habe am 01.06.2015 ein Telefonat mit der Sachbearbeitung geführt, in dem er geklärt habe, wie sich die automatische Anpassung der Witwerrente verhalte. In keinem der Vorgänge befinde sich ein entsprechender Telefonvermerk. Jedoch belege die Aussage des Klägers, dass ihm bewusst gewesen sei, dass es zur Anrechnung der Altersrente auf die Witwerrente kommen würde. Das angeführte Telefonat sei weniger als zwei Wochen nach Bewilligung der Altersrente erfolgt. Es hätte sich nahezu aufgedrängt, eine gewisse Zeit später stutzig zu werden und nochmals nachzufragen, wenn in Bezug auf die Witwerrente eine Neuberechnung nicht erfolgt sei. Der Kläger habe aus den Zeiten davor gekannt, wie die Einkommensanrechnung im Bescheid und in den Rentenanpassungen dargestellt werde. Insofern könne auch das Argument, dass ab 2017 die Rentenanpassungen zusammengefasst in einem Schreiben versendet worden seien, nicht zu seinen Gunsten gewertet werden, weil auch hier gerade keine Aussagen zur Einkommensanrechnung enthalten gewesen seien.

 

Am 05.11.2020 hat der Kläger beim Sozialgericht Düsseldorf (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat er weiter vorgetragen, er habe nicht vorhersehen können und müssen, dass ein Abgleich der unterschiedlichen Abteilungen nicht erfolge. Darüber hinaus sei die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 SGB X längst verstrichen, da die Beklagte durch seine Angaben im Rentenantrag zur Altersrente im Jahr 2015 hinreichende Kenntnis erlangt habe. Er könne nicht mehr machen, als die tatsächlichen Verhältnisse mitteilen. Auch sei ihm im Telefonat vom 01.06.2015 von dem Sachbearbeiter, dessen Namen er nicht mehr nennen könne, ausdrücklich mitgeteilt worden, dass er nichts weiter veranlassen müsse. Es sei vor der Antragstellung der Altersrente geführt worden. Damals habe er sich gewerkschaftlich beraten lassen und es sei ihm gesagt worden, er solle sich bei der Beklagten telefonisch melden. Er habe den Bescheid hinsichtlich der eigenen Versichertenrente als auch hinsichtlich der Witwerrente spätestens ab 2016 mit gleichem Datum erhalten und ab 2017 sogar in einem Bescheid. Er habe keinerlei Veranlassung gehabt, davon auszugehen, dass die Sachbearbeitung für eine Witwerrente keine Kenntnis von der eigenen Versichertenrente gehabt habe. Innere Verteilungsstrukturen habe er nicht gekannt und auch nicht kennen müssen. Die Beklagte erkenne selbst ein Mitverschulden an. Die Frage, wo innerhalb des Hauses der Beklagten der Übermittlungsfehler liege, könne er weder beurteilen noch könne der Fehler zu seinen Lasten gehen. Die dem Bescheid vom 03.12.2014 nachfolgenden Bescheide seien nicht aufgehoben worden und hätten weiter Bestand.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

den Bescheid vom 19.11.2019 in der Gestalt des Bescheides vom 16.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2020 insoweit aufzuheben, als dass er verpflichtet wird, für die Zeit vom 01.07.2015 bis zum 30.11.2019 einen Betrag in Höhe von 9.207,14 € zu erstatten.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Zur Begründung hat sie auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Ergänzend hat sie ausgeführt, es gebe unterschiedliche Abteilungen für die Bearbeitung von Hinterbliebenen- und Altersrenten. Im Regelfall machten die Abteilungen untereinander Mitteilung darüber, ob eine weitere Rente bezogen werde. Im Fall des Klägers finde sich eine solche Mitteilung nicht in der Akte. Die Rentenanpassungsmitteilungen erfolgten maschinell. Der Kläger habe in der Vergangenheit bei Änderungen des Einkommens jeweils einen Bescheid erhalten. Nach Beantragung der Altersrente sei kein solcher Bescheid an den Kläger versandt worden. Es seien lediglich Rentenanpassungsmitteilungen ergangen.

 

Mit Urteil vom 09.11.2022 hat das SG den Bescheid vom 19.11.2019 in der Gestalt des Bescheides vom 16.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2020 insoweit aufgehoben, als dass der Kläger verpflichtet wird, für die Zeit vom 01.07.2015 bis 30.11.2019 einen Betrag i.H.v. 9.207,14 € zu erstatten. Der Aufhebung stehe die Fristenregelung des über § 48 Abs. 4 SGB X anzuwendenden § 45 Abs. 3 SGB X entgegen. Zwar seien seit der Änderung der Verhältnisse (Juli 2015) bis zur Aufhebungsentscheidung der Beklagten (November 2019) keine zehn Jahre vergangen. Im vorliegenden Fall sei jedoch ausnahmsweise die Zwei-Jahres-Frist im Sinne des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGG zu beachten. In den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, in denen dem Begünstigten kein unlauteres Verhalten zur Last gelegt werden könne, verbiete sich – auch ohne direkten Normverweis – zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs dem Sinn und Zweck nach jegliche Rückwirkung über die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X hinaus. Aus diesem Grund habe die Beklagte den Bescheid vom 03.12.2014 nicht mehr aufheben dürfen. Dem Kläger könne kein unlauteres Verhalten im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder Nr. 4 SGB X vorgeworfen werden. Er habe seine Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt. Er habe zwar seine Mitwirkungspflichten verletzt, da er verpflichtet gewesen sei, Erwerbersatzeinkommen mitzuteilen. Jedoch habe er nicht grob fahrlässig gehandelt, da er im Antragsformular seiner Altersrente den Bezug der Witwerrente angegeben habe. Er habe davon ausgehen dürfen, dass diese Information intern an die zuständige Stelle weitergegeben werde. Auch die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X lägen nicht vor, da der Kläger nicht in der Lage gewesen sei zu erkennen, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch – auf Witwerrente in der bewilligten Höhe – wegen des parallelen Bezugs der Altersrente ganz oder teilweise weggefallen sei. Der Kläger sei nicht in der Lage gewesen, eigenmächtig eine (mögliche) Anrechnung seiner Altersrente auf die Witwerrente vorzunehmen. Gegen die Annahme der groben Fahrlässigkeit spreche im hiesigen Fall zudem, dass sowohl die Witwer- als auch die Altersrente von demselben Rentenversicherungsträger, der Beklagten, ausgezahlt würden und der Kläger als juristischer Laie ohne besondere Kenntnisse der Anrechnungsmodalitäten davon habe ausgehen dürfen, dass die Beklagte die Anrechnung der Renten vornehme. Auch die Tatsache, dass der Kläger nach Bewilligung der Altersrente keine Neuberechnung der Witwerrente erhalten habe, stehe dem nicht entgegen, da er davon habe ausgehen dürfen, dass ihm beide Renten in der tatsächlich ausgezahlten Höhe zuständen. Dies stütze sich auch auf den persönlichen Eindruck, den die Kammer in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger gewonnen habe. Der Kläger habe glaubhaft geschildert, sich hinsichtlich seines Rentenbezugs sowohl von einer Gewerkschaft als auch von der Beklagten Beratung eingeholt zu haben. Mit der Beklagten habe er ein Telefonat geführt und ihm sei mitgeteilt worden, dass die Anpassung seiner Witwerrente durch den Bezug der Altersrente automatisch erfolge. Da die Beklagte den Bescheid vom 03.12.2014 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung zum 01.07.2015 zu Unrecht aufgehoben habe, mangele es an den Voraussetzungen des § 50 SGB X. Der Kläger habe die von der Beklagten geforderten 9.207,14 € nicht zu erstatten.

 

Gegen das ihr am 20.12.2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.01.2023 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Überzahlung sei dadurch entstanden, dass der Kläger den Hinzutritt der ebenfalls von der Beklagten gezahlten Versichertenrente gegenüber der die Witwerrente zahlenden Stelle verschwiegen habe und diese infolgedessen nicht bei der Einkommensanrechnung habe berücksichtigt werden können. Der Kläger habe einen Betrag in Höhe von 11.508,87 € erhalten, der ihm materiell-rechtlich nicht zugestanden habe. Darüber hinaus lägen die verschuldensunabhängigen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X vor. Das vom Kläger behauptete Telefonat vom 01.06.2015 sei nicht belegt. Zweifel an dem Telefonat ergäben sich ferner daraus, dass der Kläger den Sachbearbeiter nicht namentlich benenne. Der fehlende Nachweis gehe zu Lasten des Klägers. Es sei zweifelhaft, ob überhaupt ein Mitverschulden vorliege. Jedenfalls sei einem etwaigen Mitverschulden bereits durch Annahme eines atypischen Falls und Reduzierung der Rückforderung auf etwa 80 % Rechnung getragen worden. Da es nach der Wertung des Bundessozialgerichts bereits nicht ermessensfehlerhaft sei, wenn die Berücksichtigung eines Verschuldens der Behörde bei der Ermessensausübung gänzlich unterblieben sei, müsse eine Ermessensausübung erst recht ermessensfehlerfrei sein, wenn im Ergebnis die Rückforderungssumme um 20 % reduziert worden sei. Ferner sei allgemein anerkannt, dass ein Verschulden der Behörde nicht dazu zwinge, von einem Mitverschulden auszugehen und die Höhe der Überzahlung zu reduzieren. Das Gericht dürfe nur prüfen, ob die Behörde von einem vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen sei und sich von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen. Sie habe ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten. Zu Unrecht wende das SG die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X an, diese sei im Rahmen des § 48 SGB X nicht anwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung handele es sich bei § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X um eine Rechtsfolgenverweisung, was bedeute, dass eine Bösgläubigkeit des Betroffenen nicht vorausgesetzt werde. Bei der vom SG vertretenen Ansicht handele es sich um eine Einzelmeinung. Auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X in Verbindung mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X sei bei Erlass des Bescheides vom 19.11.2019 nicht abgelaufen gewesen. Voraussetzung für den Fristbeginn sei, dass die Behörde positive Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides habe. Nicht ausreichend hierfür sei ein Kennenmüssen. Maßgebend sei allein der Zeitpunkt der Kenntnisbildung bei der die Witwerrente zahlenden Stelle. Die Umstände, dass sowohl die die Versichertenrente zahlende Stelle, als auch die die Witwerrente zahlende Stelle am selben Tag Bescheide erlassen hätten, und dass Rentenanpassungsmitteilungen beider Renten in einem Schriftstück erfolgt seien, ließen nicht darauf schließen, dass die Sachbearbeitung betreffend die Witwerrente Kenntnis vom Bezug der Versichertenrente des Klägers gehabt habe. Soweit der Kläger meine, dass sie aufgrund des Datenaustausches Kenntnis von dem Hinzutritt der Versichertenrente hätte haben müssen, lasse er außer Acht, dass keine Verpflichtung zu einer Datenverknüpfung zwischen dem Versicherungskonto des Klägers (aus dem die Versichertenrente gezahlt werde) und dem Versicherungskonto der Verstorbenen (aus dem die Witwerrente gezahlt werde) bestehe.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.11.2022 abzuändern und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

            die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

 

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Vertiefend führt er aus, die Annahme eines Mitverschuldensanteils von gerade einmal 20 % spiegele den bereits bestätigten atypischen Fall keineswegs wider. Die Ermessensausübung der Beklagten sei fehlerhaft, da die Beklagte schlicht verkannt habe, dass er nicht mehr hätte machen können, als er bereits getan habe. Er habe sämtliche Angaben korrekt gemacht, sich zusätzlich telefonisch erkundigt und schließlich zur Kenntnis genommen, dass im weiteren Verlauf die Bescheiderteilungen in einem Schriftstück und zum gleichen Zeitpunkt erfolgt seien. Der Inhalt des Telefonats sei als richtig zu unterstellen, da die Beklagte selbst bestätigt habe, dass ein entsprechender automatischer Datenaustausch erfolge. Die Tatsache, dass das Telefonat von der Beklagten nicht vermerkt worden sei, könne nicht zu seinen Lasten gehen. Es könne nicht hingenommen werden, dass ein Versicherter, dem keinerlei Pflichtverletzungen vorzuwerfen seien, nahezu schutzlos dem Erstattungsverlangen der Beklagten ausgesetzt sei.

Der Kläger hat eine Kopie der 1. Seite des Rentenbescheides seiner Altersrente vom 22.05.2015 vorgelegt, auf dem handschriftlich vermerkt ist: „1.6.15 - Tel. mit BFA - Witwer wird angerechnet - Benachrichtigung automatisch.“ Sowie die Rentenanpassungsmitteilungen zum 01.07.2017 und 01.07.2019 übersandt. In den von der Deutschen Post AG übersandten Rentenmitteilungen wird die Altersrente unter Punkt A) und die Witwerrente und Punkt B) jeweils unter Angabe der unterschiedlichen Versicherungsnummern aufgeführt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Beklagten ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

 

Die als reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage des Klägers ist zulässig und teilweise begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht in vollem Umfang entsprochen. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 19.11.2019 in der Fassung des Bescheides vom 16.07.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2020 nur teilweise in Höhe von 2.007,38 € beschwert. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in seinen Rechten. Der Kläger ist verpflichtet, die für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.12.2018 zu Unrecht erhaltene Witwerrente in Höhe von 7.199,76 € an die Beklagte zu erstatten.

 

Die Bescheide sind formell rechtmäßig.

 

Zwar hat die Beklagte den Kläger vor Erlass des Bescheides vom 19.11.2019 nicht formell nach § 24 Abs. 1 SGB X angehört. Der Anhörungsmangel ist vorliegend jedoch nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Grundsätzlich muss die Anhörung vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens durch eine verfahrensabschließende Entscheidung erfolgen, da nur bis zu diesem Verfahrensstadium der Zweck der Anhörung tatsächlich zur Geltung gebracht werden kann. Hat die Behörde im Ausgangsverfahren nicht angehört, kann der Zweck der Anhörung auch noch während des Widerspruchsverfahrens gesichert werden. Eine Heilung des Anhörungsmangels allein durch die Durchführung des Widerspruchsverfahrens setzt aber zumindest voraus, dass der Ausgangsbescheid alle wesentlichen Tatsachen nennt (Siefert in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 24 Rn. 7 m.w.N.). Aus dem Bescheid vom 19.11.2019 ist ersichtlich, dass die Beklagte die Witwerrente teilweise rückwirkend für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.10.2019 unter Anrechnung der Altersrente neu berechnet und sich eine Überzahlung in Höhe von 11.276,85 € ergeben hat. Im Bescheid ist die Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X genannt und dargelegt, dass aufgrund des Erhalts der Altersrente ab dem 01.07.2015 ein geringerer Anspruch auf Witwerrente bestanden hat. Die vom Kläger zunächst im Widerspruchsverfahren vorgebrachten Argumente zum Vertrauensschutz haben im teilweise abhelfenden Bescheid vom 16.07.2020 Berücksichtigung gefunden. Mit den danach vorgetragenen Argumenten hat sich die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 30.09.2020 auseinandergesetzt.

 

Die Bescheide sind auch materiell rechtmäßig.

 

Rechtsgrundlage für die teilweise rückwirkende Aufhebung der großen Witwerente ist § 48 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2), nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).

 

Die Voraussetzungen für die hier streitige Rücknahme der Rentenbewilligung für den Zeitraum vom 01.07.2015 bis zum 31.10.2019 sind vorliegend erfüllt. Bei dem die Gewährung einer unbefristeten Witwenrente gewährenden Bescheid vom 03.12.2014 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Durch die mit Bescheid vom 22.05.2015 gewährte Altersrente an den Witwer ab dem 01.07.2015, zunächst in Höhe eines Zahlbetrages in Höhe von 1.402,08 € monatlich, haben sich die tatsächlichen Verhältnisse gegenüber dem Witwerrentenbewilligungsbescheid vom 03.12.2014 nachträglich wesentlich geändert. Die durch den Witwer bezogene Altersrente hat ab dem 01.07.2015 zu einer Minderung seines Anspruchs auf Zahlung der Witwerrente geführt.

 

Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) wird Einkommen (§ 18a des Vierten Buches – SGB IV) von Berechtigten, das mit einer Witwenrente, Witwerrente oder Erziehungsrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Dies gilt nach § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB VI nicht bei Witwenrenten oder Witwerrenten, solange deren Rentenartfaktor mindestens 1,0 beträgt. Anrechenbar ist das Einkommen, das monatlich das 26,4fache des aktuellen Rentenwerts übersteigt (§ 97 Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Von dem anrechenbaren Einkommen werden 40 vom Hundert angerechnet (§ 97 Abs. 2 Satz 3 SGB VI).

 

Von diesen rechtlichen Voraussetzungen ausgehend ist das anzurechnende Einkommen des Witwers im Bescheid vom 19.11.2019 für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.10.2019 zutreffend ermittelt worden, woraus sich eine Überzahlung von insgesamt 11.276,85 € ergibt. Mit dem im Widerspruchsverfahren erlassenen Änderungsbescheid vom 16.07.2020 hat die Beklagte die Überzahlung unter Annahme eines eigenen Mitverschuldens um 20% auf 9.207,14 € reduziert. Berechnungsfehler sind weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.

 

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 4 SGB X erfüllt.

 

Der Kläger hat zunächst seine Mitteilungspflichten grob fahrlässig verletzt; § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Zwar hat er den Witwenrentenbezug bei Beantragung der Rente aus eigener Versicherung korrekt angegeben. Der durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung des Altersrentenbezugs ab dem 01.07.2015 zum Versichertenkonto seiner verstorbenen Ehefrau – aus dem die Witwerrente gezahlt wird – ist er jedoch damit zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Maßgebend dafür ist die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten, also ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt danach, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Dieser Vorwurf ist auf die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angabe zu beziehen (Schütze in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 48 Rn. 28. m.w.N.).

 

Aus der Vergangenheit war dem Kläger durchaus bewusst, dass jegliche Änderung in den Einkommensverhältnissen der Beklagten unter der Versicherungsnummer seiner Ehefrau mitzuteilen ist. Denn er hat sich mehrfach unverzüglich bei Änderungen in seinen Einkommensverhältnissen – sei es betreffend sein Erwerbseinkommen oder das Erwerbsersatzeinkommen – an die Beklagte gewandt. So hat er anlässlich des Auslaufens seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld sowohl persönlich bei der Beklagten im August 2014 vorgesprochen und um Neuberechnung gebeten, als auch nochmals Ende November schriftlich. Darüber hinaus hat der Kläger sich vor Beantragung der Altersrente gewerkschaftlich beraten lassen und sich anschließend nach eigenen Angaben in einem Telefongespräch bei der Beklagten über die Anrechnung der Rente erkundigt. In diesem Gespräch ist ihm ebenfalls mitgeteilt worden, dass eine Anrechnung erfolgen werde. 

 

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen ist, zu verstehen, dass Änderungen in seinen Einkommensverhältnissen Einfluss auf die Höhe der Witwerrente haben und er seinen Mitteilungspflichten genügen muss, sind nicht ersichtlich. Dass er sich sowohl gewerkschaftlich hat beraten lassen, als auch bei der Beklagten nachgefragt hat, belegt sein Problembewusstsein hinsichtlich der Möglichkeit von Auswirkungen auf die Höhe seiner Witwerrente.

 

Seiner Pflicht zur Mitteilung ist der Kläger nicht durch das von ihm behauptete Telefonat vom 01.06.2015 nachgekommen. Selbst unter der Annahme, dass das Gespräch wie vom hierfür beweisbelasteten Kläger vorgetragen stattgefunden hat, belegt dies nicht, dass der Kläger der rentengewährenden Stelle gegenüber seine Mitteilungspflichten erfüllt hat. Denn es ist anhand des Telefonvermerks nicht erkennbar, dass die Mitteilung zu der Versicherungsnummer der Ehefrau erfolgt ist, zumal sich der handschriftlich verfasste Gesprächsvermerk auf der ersten Seite des Bescheids vom 22.05.2015 betreffend die Bewilligung der Altersrente befindet. Das Telefonat offenbart vielmehr lediglich das bestehende Bewusstsein des Klägers über die Notwendigkeit einer Anzeige des zeitgleichen Bezugs von Witwer- und Altersrente. Aus dem Wortlaut des Vermerks ist nur zu entnehmen, dass er die Auskunft bekommen hat, dass eine Anrechnung erfolgen wird. 

 

Der Kläger hat seiner Pflicht zur Mitteilung auch nicht durch die Angabe des Bezuges der Witwerrente im Antragsformular der Altersrente genügt, da er sich nach der Bewilligung der Altersrente unter seiner Versicherungsnummer nicht unter der Versicherungsnummer seiner Ehefrau an die die Witwerrente gewährende Abteilung der Beklagten gewandt und dies mitgeteilt hat. Zwar ist der Kläger nach dem von ihm behaupteten Telefonat davon ausgegangen, dass eine automatische Weiterleitung erfolgt. Allerdings hätte er, nachdem er keine Neuberechnung der Witwerrente erhalten hat, dort noch einmal nachfragen und ggf. (erneut) den Bezug der Altersrente gegenüber der die Witwerrente zahlenden Abteilung unter der Versicherungsnummer seiner verstorbenen Ehefrau mitteilen müssen. Zwar ist eine automatische interne Mitteilung im Hause der Beklagten nach deren Angaben im Regelfall üblich, eine Pflicht zur Weiterleitung besteht hingegen nicht.

 

Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X sind bereits deshalb erfüllt, weil der Kläger parallel zu der großen Witwerrente Einkommen in Form von Regelaltersrente erzielt hat, welches zur Minderung des Anspruchs geführt hat.

 

Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vor. Diese sind gegeben, wenn der Kläger wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Witwerrentenbescheid vom 03.12.2014 ergebende Anspruch kraft Gesetzes teilweise zum Ruhen gekommen ist. Dem Kläger war bereits aus der Vergangenheit bekannt, dass ein weiteres Einkommen (Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen in Form von Arbeitslosengeld) zur Minderung des Anspruchs auf Witwerrente führt. Ihm war durch sein bereits angerechnetes Einkommen in den bis dato erlassenen Änderungsbescheiden auch vor Augen geführt worden, wie das Prozedere ist und sich die Höhe der Witwerrente entsprechend des jeweiligen Einkommens ändert. Zudem war dem Kläger anlässlich der gewerkschaftlichen Beratung mitgeteilt worden, dass er sich bei der Beklagten melden müsse. In dem behaupteten Telefongespräch vom 01.06.2015 war er nach eigenen Angaben über die Anrechnung der Rente, die automatisch erfolge, informiert worden. Der Senat geht bei diesem Hintergrundwissen und Geschehensablauf davon aus, dass der Kläger zumindest grob fahrlässig nicht erkannt hat, dass das Einkommen aus der Altersrente bei der Witwerrente nicht angerechnet worden ist. Ein genaues Nachvollziehen der Berechnungsschritte ist hierzu nicht erforderlich. Ob Vorsatz vorgelegen hat, kann der Senat offenlassen.

 

Die von der Beklagten im Rahmen der Prüfung eines Mitverschuldens angenommenen Mitverschuldensquote von 20 % im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung, die der Senat nur eingeschränkt überprüfen kann, sind Ermessensfehler nicht ersichtlich. Allerdings sind die tatbestandlichen Voraussetzungen eines atypischen Falls wegen eines mitwirkenden Fehlverhalten der Beklagten bei grobem Verschulden (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 26.06.1986 - 7 RAr 126/84 -, Rn. 16) zweifelhaft. Soweit wegen einer fehlenden Kontenverknüpfung bzw. Datenabgleichs zwischen dem Konto des verstorbenen Versicherten und dem eigenen Versicherungskonto der Witwe die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin sowohl die Witwenrente als auch die Versichertenrente gewährt hat, ergibt sich hieraus kein grob schuldhaftes Verhalten. Denn der eine Sozialleistung empfangene Bürger ist zu einem eigenverantwortlichen Handeln verpflichtet. Dadurch wird grundsätzlich eine überwachende und nachforschende Verwaltung entbehrlich. Unterlässt die Verwaltung eine regelmäßige Kontrolle, kann ihr kein Fehlverhalten durch Unterlassen vorgeworfen werden (BSG, Urteil vom 03.07.1991 - 9b RAr 2/90 - Rn. 15, LSG NRW, Urteil vom 19.10.2022, L 3 R 912/21, juris, Rn. 52). Auch aus dem Umstand, dass der Kläger zeitgleich Rentenanpassungsmitteilungen für beide Renten und ab dem Jahr 2017 diese in einem einheitlichen Schreiben erhalten hat, ergibt sich nichts Abweichendes. Denn auch in den vom Kläger überreichten Rentenanpassungsmitteilungen vom 01.07.2017 und 01.07.2019 werden lediglich zwei Renten unter zwei verschiedenen Versicherungsnummern aufgeführt, und aus dem Absender lässt sich eindeutig erkennen, dass die Mitteilungen von der Deutschen Post AG und nicht von der Beklagten erstellt und versandt wurden.

Schließlich ist das Vorliegen einer besonderen finanziellen Bedrängnis bei einem Kläger mit Einkommen aus zwei Renten nicht ersichtlich.

 

Weiterhin ist bei der Rücknahme mit Bescheid vom 19.11.2019 auch die Jahresfrist nach §§ 48 Abs. 4, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten, da die die Witwerrente gewährende Stelle erst durch die interne Fehlermeldung vom 24.09.2019 positive Kenntnis davon erlangte, dass eine Versichertenrente bezogen wird, die über dem Freibetrag liegt und eine Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI zu prüfen ist und ihr die zur Prüfung eines atypischen Falls relevanten Umstände erst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens (zuletzt mit am 24.08.2020 eingegangen Schriftsatz des Klägers) bekannt geworden sind.

 

Die Rücknahme des Bescheides vom 03.12.2014 ist auch nicht gemäß §§ 48 Abs. 4, 45 Abs. 3 Satz 3 bis 4 SGB X ausgeschlossen, da noch keine zehn Jahre vergangen sind. Denn auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zurückgenommen werden, wenn laufende Geldleistungen - wie hier die große Witwerrente - mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurden, sofern - wie hier bereits ausgeführt - die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und/oder 3 SGB X gegeben sind.

 

Für die Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gibt es nach dem Gesetzeswortlaut keine fristmäßige Begrenzung auf zwei Jahre; § 48 Abs. 4 SGB X ordnet nur die entsprechende Geltung von § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 SGB X an, nicht aber die von § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.01.2014 – L 7 KA 119/11 KL). Der Senat kann offenlassen, ob – wie das SG meint - die Zweijahresfrist des § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X über § 48 Abs. 4 SGB X ausnahmsweise dann wegen des Regelungszusammenhangs der Normen anzuwenden sei, wenn lediglich die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB X vorlägen, da andernfalls ein Wertungswiderspruch entstünde. Denn der Senat bejaht – wie bereits ausgeführt – auch die Voraussetzungen der Nrn. 2 und 4. Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass der Senat die Schlussfolgerungen, die das SG unter einem Verweis auf eine Kommentierung von Steinwedel (jetzt: Sandbiller in: Rolfs/Körner/Krasney/Mutschler, BeckOGK (Kassler Kommentar), Stand: 15.11.2024, § 48 SGB X Rn. 101) aus den beiden BSG-Entscheidungen (Urteile des BSG vom 01.07.2010 – B 13 R 77/09 R – und 02.11.2015 – B 13 R 27/14 R –) zieht, nicht nachvollziehen kann. Vielmehr beziehen sich die Ausführungen in dem älteren Urteil vom 01.07.2010 (a.a.O. zitiert nach juris, Rn. 36 - 45) unter Verweis auf die Gesetzesänderung durch Einfügung der Sätze 4 und 5 in § 45 Abs. 3 SGB X (BT-Drs. 13/10033 S. 20) nach der Kritik des Bundesrechnungshofs wegen unbilliger Ergebnisse bei strikter Anwendung der Zehnjahresfrist darauf, dass eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X auch nach Überschreitung der Zehnjahresfrist möglich ist, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Nr. 2 oder der Nr. 4 gegeben sind und – wenn sie nicht vorliegen – der rechtswidrig Begünstigte (egal ob nach Nr.1, 2 oder 3) nach 10 Jahren nicht mehr mit Sanktionen rechnen muss. In der jüngeren Entscheidung vom 02.11.2015 (a.a.O. zitiert nach juris, Rn. 33), in der die Voraussetzungen der Nr. 2-4 nicht geprüft werden (müssen), bestätigt das BSG, dass die Befugnis des Rentenversicherungsträgers zur Rücknahme eines Verwaltungsakts über eine laufende Geldleistung auch nach Überschreitung der Zehnjahresfrist ihre Rechtfertigung in der Störung der Rechtsordnung infolge der vom Gesetzgeber missbilligten Perpetuierung des Unrechts bis in die Gegenwart durch den bösgläubigen Empfang einer rechtlich nicht zustehenden Geldleistung findet und setzt sich darüber hinaus damit auseinander, dass die Perpetuierung des Unrechts durch den fortbestehenden Empfang rechtlich nicht zustehender laufender Geldleistungen im Falle des bloßen Bestehens eines – „ruhenden“ Rentenstammrechts“ nicht vorliegt.

 

Im Übrigen ist eine Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 19.11.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16.07.2020 weder ersichtlich noch dargelegt.

 

Der Erstattungsanspruch der Beklagten ergibt sich aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist; die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen (§ 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Die Beklagte hat mit Bescheid vom 19.11.2019 in der Fassung des Bescheides vom 16.07.2020 die Witwerrente für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.10.2019 teilweise in Höhe von 9.207,14 € aufgehoben. Der darin enthaltenen Forderung in Höhe von 2.007,38 € für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.10.2019 steht jedoch die Bestandskraft des Bescheids vom 26.04.2019 entgegen, mit dem die Beklagte die große Witwerrente ab dem 01.01.2019 mit einem höheren Zuschlag für Kindererziehung (sogenannte Mütterrente) unter Zugrundelegung höherer persönlicher Entgeltpunkte neu festgestellt und dem Kläger für die Zeit ab dem 01.01.2019 große Witwerrente in Höhe eines Zahlbetrags von 885,04 € bewilligt hat. Denn bei dem Bescheid vom 26.04.2019 handelt es sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht lediglich um eine Neuberechnung der Rente, sondern um eine Neufeststellung (hierzu 1.). Da die Beklagte diesen Bescheid nicht nach § 45 SGB X aufgehoben hat, ist er der Rechtsgrund des Klägers für das Behaltendürfen der – zu Unrecht – bewilligten Witwerrente in Höhe von 2.007,38 € (hierzu 2.).

 

1. Der Bescheid vom 26.04.2019 bestimmt konstitutiv das Entstehen und die Zahlbarkeit von Einzelansprüchen und „berechnet“ die große Witwenrente nicht lediglich neu. Denn er regelt das (Stamm-)Recht des Klägers auf Rente hinsichtlich der Rentenhöhe unter Veränderung der bislang der Rentenberechnung zugrundeliegenden Entgeltpunkte.

 

Mit der Berücksichtigung eines Zuschlags an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung nach § 307d Abs. 1a SGB VI hat die Beklagte einen Teil der Rentenformel gem. § 64 Nr. 1 SGB VI und damit das Rentenstammrecht des Klägers auf große Witwerrente für die Zeit ab dem 01.01.2019 neufestgestellt. Darin liegt eine teilweise Änderung der rechtlichen Verhältnisse gegenüber denjenigen der ursprünglichen Rentenbewilligung im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der durch eine Teilaufhebung der ursprünglichen Festsetzung des Rentenwerts und deren Ersetzung durch einen höheren Rentenwert Rechnung zu tragen ist (vgl. zu § 307d Abs. 1 SGB VI: BSG, Urteil vom 26.09.2019 – B 5 R 6/18 R, Rn. 13 juris und Urteil vom 28.06.2018 - B 5 R 12/17 R, juris Rn. 11).

 

Nach § 307d Abs. 1a Satz 1 SGB VI wird, wenn der Anspruch auf Rente nach dem 30.06.2014 und vor dem 01.01.2019 entstanden ist, ab dem 01.01.2019 ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für ein vor dem 01.01.1992 geborenes Kind berücksichtigt, wenn in der Rente eine Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für den 24. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde (Nr. 1) und kein Anspruch nach den §§ 294 und 294a besteht (Nr. 2). Der Zuschlag beträgt für jedes Kind 0,5 persönliche Entgeltpunkte (§ 307d Abs. 1a Satz 2 SGB VI).

 

In der Gesetzesbegründung zur Einführung des § 307d Abs. 1a SGB VI zum 01.01.2019 (BT-Drs. 19/4668, 38f.) wird zwar ausgeführt, dass damit - wie schon bei der Verlängerung der Kindererziehungszeit im Jahr 2014 - grundsätzlich keine Neufeststellung der Renten erfolge. Um die reibungslose Umsetzung der Einbeziehung auch des Rentenbestandes in die verbesserte Anrechnung von Kindererziehungszeiten für Geburten vor 1992 zu gewährleisten, werde pauschal an bereits im Versicherungsverlauf enthaltene Daten angeknüpft (BT-Drs., a.a.O.).

 

Gleichwohl ergibt sich aus der vom Gesetzgeber gewählten Systematik des Gesetzes, dass mit Berücksichtigung eines Zuschlags an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung nach § 307d Abs. 1a SGB VI eine Änderung des Rentenstammrechts (§ 64 Nr. 1 SGB VI) erfolgt:

§ 306 Abs. 1 SGB VI stellt den Grundsatz auf, dass die einer Rente zu Grunde liegenden persönlichen Entgeltpunkte aus Anlass einer Rechtsänderung nicht neu bestimmt werden, wenn ein Anspruch auf Leistung einer Rente vor dem Zeitpunkt einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften bestand. Dieser Grundsatz gilt nach § 306 Abs. 1 letzter Halbsatz SGB VI nicht, soweit in den folgenden Vorschriften etwas anderes bestimmt ist. § 307d Abs. 1a Satz 1 SGB VI regelt dann im Folgenden, dass die Berücksichtigung der Kindererziehung durch einen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten umgesetzt wird. Durch diese Erhöhung der persönlichen Entgeltpunkte (§ 66 SGB VI) wird aber das Rentenstammrecht neu festgestellt (§ 300 Abs. 3 SGB VI), da die persönlichen Entgeltpunkte durch Addition der jeweiligen Zuschläge in Höhe von 0,5 persönlichen Entgeltpunkten für jedes vor dem 1. Januar 2019 geborene Kind neu zu ermitteln sind. Neubestimmungsgrund im Sinne von § 306 Abs. 1 SGB VI ist insoweit die durch § 307d Abs. 1a SGB VI erfolgende Änderung der persönlichen Entgeltpunkte.

 

2. Die Beklagte hat den Bescheid vom 26.04.2019 nicht aufgehoben. Vielmehr hat sie in der Begründung des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2020 sogar ausdrücklich ausgeführt, aus welchen Gründen eine Aufhebung der zeitlich nach dem aufgehobenen Bescheid vom 03.12.2014 ergangenen Rentenanpassungsmitteilungen nach § 45 SGB X nicht erforderlich sei, was zutreffend ist (siehe das bereits zitierte Urteil des BSG vom 23.02.1999 – B 4 RA 41/98 R). Den Bescheid vom 26.04.2019 erwähnt die Beklagte indes nicht. Auch findet sich keine Formulierung, in die eine Aufhebung weiterer Bescheide hineingelesen werden könnte. Unabhängig davon wäre im vorliegenden Fall die Umdeutung der Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X in eine solche nach § 45 SGB X nach § 43 SGB X (vgl. hierzu statt vieler: BSG, Urteil vom 07.04.2016 – B 5 R 26/15 R, Rn. 33ff. m.w.N.) schon deshalb nicht möglich, weil die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 30.09.2020 klar und deutlich ausgeführt hat, aus welchen Gründen § 45 SGB X im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Für eine Auslegung und Umdeutung verbleibt daher kein Raum.

 

Dass die Beklagte den Bescheid vom 13.04.2016 nicht aufgehoben hat, steht dem von der Beklagten für die Zeit vom 01.07.2015 bis 31.12.2018 geltend gemachten Erstattungsanspruch ebenso wenig entgegen wie die Bestandskraft der Rentenanpassungen zum 01.07.2017 und 01.07.2019. Ebenso wie bei Rentenanpassungen (siehe hierzu grundlegend die bereits zitierte Entscheidung des BSG vom 23.02.1999 – B 4 RA 41/98 R, juris, Rn. 33) wird bei einer Änderung der aus der Rente einzubehaltenden Krankenversicherungsbeiträge die Rente lediglich neu berechnet und das Stammrecht auf Rente nicht neu festgestellt (so zur vergleichbaren wertmäßigen Anpassung des Krankenversicherungszuschusses auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.04.2023 – L 9 R 3005/22, juris, Rn. 48).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

 

Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen. Das BSG führt in seiner Entscheidung vom 28.06.2018 (a.a.O., Rn. 11) aus, dass in der Festsetzung des Zuschlags nach § 307d Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 SGB VI eine teilweise Änderung der rechtlichen Verhältnisse gegenüber der ursprünglichen Rentenbewilligung i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liege, die Rente jedoch unverändert festgesetzt werde, wie es bei einem Angriff auf Mitteilungen über die Rentenanpassung (grundlegend: BSG Urteil vom 23.3.1999 - B 4 RA 41/98 R - SozR 3-1300 § 31 Nr. 13 S 23 f, 28; vgl. auch BSG Beschlüsse vom 26.10.2017 - B 13 R 54/17 B – juris, Rn. 9 und - B 13 R 102/17 B – juris, Rn. 8) oder gegen die zusätzliche Berücksichtigung von Entgeltpunkten für Ghetto-Zeiten (BSG Urteil vom 03.05.2005 - B 13 RJ 34/04 R - BSGE 94, 294 = SozR 4-2600 § 306 Nr. 1, Rn. 5) sei. Damit ist für den erkennenden Senat aber nicht grundsätzlich geklärt, ob ein bestehender Rentenanspruch durch die Neuberücksichtigung des Zuschlags nach § 307d Abs. 1a SGB VI neu konstituiert wird.

Rechtskraft
Aus
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