L 2 R 411/25

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 950/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 411/25
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Januar 2025 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten streitig ist die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Der 1962 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er war als Lagerarbeiter, Lagerhelfer, Kabelleger, Bauhelfer, Kommissionierer, LKW-Fahrer, Mitarbeiter bei der Tafel und zuletzt als Reinigungs- und Küchenkraft versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 01.08.2022 ist er arbeitslos. Wegen nicht erwerbsmäßiger Pflege werden seit dem 01.08.2022 Pflichtbeiträge gezahlt.

In der Zeit vom 21.01.2022 bis zum 18.02.2022 absolvierte der Kläger eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der R1klinik K1. Im Abschlussbericht vom 22.02.2022 stellte die Klinik ein vollschichtiges Leistungsvermögen für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Reinigungs- und Küchenhilfe fest.
Der Kläger sei auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte körperliche Tätigkeiten sechs Stunden und mehr einsetzbar, soweit diese Tätigkeiten nicht einhergingen mit ständig einzunehmenden Zwangshaltungen, Überkopfarbeit, knienden und hockenden Tätigkeiten sowie Arbeiten in Rumpfvorneige. Die Arbeitsorganisation könne alle Schichten betreffen. Die Entlassung erfolgte arbeitsfähig. Die Einschätzung des Leistungsbildes sei dem Kläger erläutert worden und entspreche seiner Vorstellung des Leistungsvermögens.

Am 19.08.2022 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte wertete die medizinischen Unterlagen aus und holte eine sozialmedizinische Stellungnahme der Z1 ein, welche sich der Leistungseinschätzung der Rehaklinik anschloss.

Mit Bescheid vom 28.10.2022 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch trug der Kläger vor, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten gehen zu können. Die Beklagte holte ein Gutachten bei dem A1 ein. In seinem Gutachten vom 01.02.2023 diagnostizierte dieser aufgrund einer Untersuchung vom selben Tag ein Bewegungs- und Belastungsdefizit der Lendenwirbelsäule bei verschleißbedingten Veränderungen ohne erhebliche Defizite, ein Bewegungs- und Belastungsdefizit der Halswirbelsäule bei verschleißbedingten Veränderungen ohne erhebliche Defizite sowie ein Belastungsdefizit bei chronischem Schmerzsyndrom. Aufgrund dieser Erkrankungen seien Hocken und Knien, Rumpfzwangshaltungen, Überkopftätigkeiten, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg, Klettern und Steigen, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr und Akkordarbeit nicht mehr leidensgerecht. Leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes und die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Küchenhilfe seien im Umfang von sechs Stunden täglich zumutbar. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.04.2023 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Am 15.05.2023 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben und sein Rentenbegehren weiterverfolgt.

Das SG hat zunächst sachverständige Zeugenaussagen bei den behandelnden Ärzten eingeholt: B1 (Auskunft vom 30.08.2023: Behandlung seit Ende 2018, im Vordergrund stehe orthopädisches Krankheitsbild und psychosomatische Chronifizierung, Verschlechterung der komplexen Symptome im Sinne einer ausgeprägten Chronifizierung), S1 (Auskunft vom 13.09.2023: Behandlungen seit 2018, zuletzt in 2023 1 Behandlung, keine wesentlichen Änderungen im Gesundheitszustand, keine Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit durch ihn, Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit sei auf orthopädischem Fachgebiet zu klären) sowie G1 (Auskunft vom 14.09.2023: 1 Vorstellung in Sprechstunde in 2022, 2 Mal in 2023, Diagnosen Parästhesie, Extremitätenschmerz, Cervicobrachialgie in 2022 gestellt, keine Therapie eingeleitet, bei Wiedervorstellung am 03.04.2023 anamnestisch Verschlechterung des Zustandes bei Z.n. Leistenhernien-OP am 22.02.2023, fokal neurologisch unveränderter Befund). Wegen der weiteren Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.

Das SG hat weiter Beweis erhoben durch Einholung eines fachorthopädisch-unfallchirurgisches Gutachtens bei S2. In seinem Gutachten vom 15.12.2023 hat dieser auf Grundlage seiner Untersuchung folgende Diagnosen gestellt:
(1) Degeneratives Lumbalsyndrom mit radikulärer Schmerzsymptomatik L5 und S1 rechts mit Rechtshinken und insgesamt mäßiggradigen funktionellen Einschränkungen,
(2) degeneratives HWS-Syndrom mit geringen funktionellen Einschränkungen,
(3) schmerzhafte Bewegungseinschränkung der rechten Schulter bei Impingement-Symptomatik mit sonographischem Verdacht auf Supraspinatussehnen (Teil)-Ruptur mit insgesamt mäßiggradigen funktionellen Einschränkungen,
(4) anamnestisch beginnende Koxarthrose bds., klinisch ohne funktionelle Einschränkungen,
(5) klinisch beginnende mediale und retropatellare Gonarthrose bds. ohne funktionelle Einschränkungen,
(6) beginnende Großzehengrundgelenksarthrose links mit geringer endgradiger Bewegungseinschränkung und
(7) geringgradige Funktionsbehinderung und Bewegungseinschränkung Zeigefinger links nach Unfall linker Zeigefinger in den 80er Jahren.
Auf anderen Fachgebieten bestünden folgende Erkrankungen: (1) Laut Kläger Verdacht auf Altersdiabetes, bisher noch nicht bestätigt, (2) bekanntes Nierensteinleiden, aktuell ohne Symptomatik, (3) arterieller Hypertonus, zurzeit noch nicht medikamentös behandelt, (4) anamnestisch Lymphödembildung linker Unterarm nach Thrombophlebitis und (5) psychische Probleme nach Erfahrung mit Gewalteinwirkung im Kindesalter.
Die Untersuchung des Klägers habe sich insgesamt schwierig gestaltet. Es bestehe eine ausgeprägte Verdeutlichungstendenz. Initial seien nur geringstgradige Bewegungsausmaße im Bereich der Halswirbelsäule sowie der Rumpfwirbelsäule demonstriert worden. Unter Persistieren habe sich zwar eine eingeschränkte Beweglichkeit sowohl der Halswirbelsäule als auch der Rumpfwirbelsäule gezeigt, bei aber weiter bestehender Verdeutlichungstendenz. Die Bewegungsausmaße lägen jedoch durchaus noch im Bereich des altersspezifisch akzeptablen Bereichs.
Der Kläger habe die Praxis unter Benutzung eines Gehstocks rechts betreten. Das Gangbild variiere dabei von stark rechtshinkend bis nahezu normal. Unter Wegnahme des Gehstocks verändere sich das Gangbild nicht wesentlich. Der Kläger habe mehrfach darauf hingewiesen, dass der Gutachter unbedingt erwähnen solle, dass er einen Gehstock rechts benutze.
Aufgrund dieser Erkrankungen seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Sitzen und Stehen mit qualitativen Einschränkungen im Rahmen einer arbeitsmarktüblichen Fünf-Tage-Woche acht Stunden täglich zumutbar. Ausschließlich gehende Tätigkeiten, ausschließlich schwere und mittelschwere Tätigkeiten, häufiges Heben und Tragen von Gegenständen mit mehr als 10 kg Gewicht, häufiges Bücken, häufiges Treppensteigen sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, häufige Tätigkeiten in gebückter/gehockter Haltung, häufige Einnahme von Zwangshaltung der Rumpfwirbelsäule, häufige Tätigkeiten in Armvorhalte und über Kopf sollten vermieden werden. Auch Arbeiten in Nachtschicht sollten aufgrund des möglicherweise bestehenden Diabetes mellitus vermieden werden. Arbeiten mit besonderer geistiger Beanspruchung seien sicherlich schwierig, die kognitiven Möglichkeiten des Klägers sicher begrenzt. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Der Kläger habe ein ausreichend zügiges Gangbild gezeigt und selbst angegeben, bis zu einer Stunde am Stück gehen zu können unter Benutzung eines Gehstocks rechts. Der Einschätzung der Rehaklinik und des Gutachters A1 könne er sich anschließen.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.01.2025 abgewiesen. Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Bei dem Kläger bestehe keine quantitative Leistungsminderung im rentenrelevanten Ausmaß. Der Gutachter S2 habe überzeugend dargelegt, dass dem Kläger leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen, denen mit einem geeigneten Arbeitsplatz Rechnung getragen werden könne, mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer arbeitsmarktüblichen Fünf-Tage-Woche zumutbar seien. Eine Grundlage für Zweifel an dieser Einschätzung bestehe nicht. Die Ausführungen des Gutachters stünden im Einklang mit der Einschätzung des im Widerspruchsverfahren tätigen Gutachters, dessen Gutachten im Wege des Urkundsbeweises verwertbar sei. Auch die Auskünfte der behandelnden Ärzte weckten keine Zweifel. Schließlich habe der Kläger auch nicht mitgeteilt, weshalb er sich der Einschätzung nicht anschließen könne.
Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung bestünden nicht. Auch bestünden keine Zweifel an der Wegefähigkeit des Klägers, zumal er Arbeitswege – wie den Weg zur Begutachtung – mit dem eigenen Pkw zurücklegen könne.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 10.01.2025 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 06.02.2025 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erheben lassen. Zur Begründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Die eingeholten orthopädischen Gutachten von A1 und S2 seien unzutreffend und zeitlich überholt. Mittlerweile bestehe beim Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 80, außerdem sei das Merkzeichen G festgestellt.

Zur ergänzenden Begründung hat der Kläger einen Arztbericht der V1 Klinik R2 (S3 und F1) vom 13.02.2025 über die dortige Vorstellung und Untersuchung vorgelegt. Darin werden u.a. die Diagnosen Cervicocephalgie zum Hinterhaupt und Cervicobrachialgie im Wechsel der Seitbetonung, Dorsalgie der BWS, chronisch therapieresistente Lumbalgie, zeitweise Lumboischialgie und Lumbofemoralgie, myofasziales Schmerzsyndrom, chronisches Schmerzsyndrom, Verdacht auf Fibromyalgie-Syndrom, Leistenschmerzen rechts, chronisches therapieresistentes myofasziales Schmerzsyndrom, Z.n. Unterarmthrombose, Z.n. Sigma-Divertikulitis, V.a. chronisches Schmerzsyndrom mit psychischen und somatischen Faktoren, V.a. PTBS und Diabetes mellitus Typ II gestellt.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ergänzend einen Arztbericht der Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie vom 02.06.2025 über eine dortige Vorstellung am 05.05.2025 vorgelegt. Wegen der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Januar 2025 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren,
hilfsweise, zum Beweis der Tatsache, dass das Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf unter sechs Stunden abgesunken ist, ein fachorthopädisches Gutachten einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihren Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Der Senat hat die Berufung nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 28.05.2025 dem Vorsitzenden Richter übertragen, der hierüber zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG Mannheim vom 08.01.2025 und der Bescheid der Beklagten vom 28.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2023 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]) dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zurück.


Der Eintritt der Erwerbsminderung unterliegt dem Vollbeweis. Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen (BSG, Urteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R -, juris Rn. 26). Der Vollbeweis verlangt keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Dies bedeutet, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können und verbleibende Restzweifel bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, a.a.O., m.w.N.). Kann sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Erwerbsminderung eingetreten ist, hat derjenige, der daraus Ansprüche ableitet, das Risiko der Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsache im Sinne einer objektiven Beweislast zu tragen.
 
Hiernach hat der Kläger vorliegend nicht den Nachweis erbracht, dass bei ihm so weitreichende gesundheitliche Einschränkungen bestehen, dass das Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf unter sechs Stunden herabgesunken ist oder aus anderen Gründen eine rentenrelevante Leistungseinschränkung vorliegt. Etwas Anderes ergibt sich nicht aus dem Berufungsvorbringen. Der Senat kann sich nach der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht davon überzeugen, dass der Kläger unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen nicht mehr in der Lage ist, einer leichten körperlichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von sechs Stunden und mehr arbeitstäglich nachzugehen.

Wie bereits in der Verfügung des Gerichts vom 15.04.2025 ausgeführt, ist der Kläger ausweislich des Abschlussberichts der Rehabilitationsklinik R1klinik K1 vom 22.02.2022 und des im Verwaltungsverfahren eingeholten orthopädischen Gutachten des A1 vom 01.02.2023, welche der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet (vgl. BSG, Beschluss vom 14.11.2013 - B 9 SB 10/13 B -, juris Rn. 6; BSG, Urteil vom 05.02.2008 - B 2 U 8/07 R -, juris Rn. 51) sowie des gerichtlichen Sachverständigengutachtens des S2 vom 15.12.2023 trotz seiner – den Schwerpunkt des Krankheitsbildes bildenden – orthopädischen Einschränkungen weiterhin in der Lage, jedenfalls leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts im Umfang von sechs Stunden arbeitstäglich auszuführen. Auch sonstige rentenbegründende Einschränkungen sind weder auf orthopädischem noch auf einem anderen Fachgebiet noch bei einer Gesamtwürdigung aller gesundheitlichen Leiden und Einschränkungen erkennbar.

Aus den im Berufungsverfahren vorgelegten Arztberichten ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Der Arztbericht der V1 Klinik (S3 und F1) vom 13.02.2025 weicht zwar in der Diagnosestellung teilweise von den Begutachtungen ab. Im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung kommt es allerdings nicht maßgeblich auf die Diagnosestellung, die Art oder Anzahl von Diagnosen oder auf die Bezeichnung von Befunden an, sondern auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 28.02.2017 - B 13 R 37/16 B -, juris), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen. Dementsprechend spielen auch die Ursachen der Gesundheitsstörung keine entscheidende Rolle (BSG a.a.O.). Solche rentenrelevanten Funktionseinschränkungen sind beim Kläger unter Berücksichtigung der von S2 und A1 erhobenen – im Tatbestand festgestellten – Befunde nicht nachgewiesen. Hinzu kommt, dass im Arztbericht der V1 Klinik keine eigene, ggf. abweichende Leistungsbeurteilung erfolgt, sondern stattdessen mehrfach die eingeschränkte Compliance des Klägers bei der Mitwirkung im Rahmen der klinischen Untersuchungen erwähnt wird, etwa bei der Untersuchung der HWS- und Schulterbeweglichkeit im Bereich der Kraftgrade bzw. bei der Untersuchung der Hüft- und Kniegelenksbeweglichkeit, wobei die mangelnde Compliance nach Aussage der untersuchenden Ärzte eine suffiziente Untersuchung kaum zugelassen habe. Unter diesen Umständen ließen sich die vom Kläger angegebenen funktionellen Einschränkungen auch nicht objektivieren. Auch der Arztbericht der K2 über die einmalige Vorstellung des Klägers am 05.05.2025 lässt nicht erkennen, dass dessen anamnestische Angaben, auch was die angegebene Gehstrecke anbelangt, geprüft und objektiviert wurden.

Zu beachten ist auch, dass der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige grundsätzlich ein höherer Beweiswert als der Einschätzung der behandelnden Ärzte zukommt (vgl. hierzu Hessisches LSG, Urteil vom 04.09.2019 - L 6 R 264/17 - juris, Rn. 85; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 10.03.2011 - L 3 R 545/06 - juris, Rn. 48; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.02.2002 - L 10 B 30/01 SB - juris, Rn. 5). Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen.

Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist auch nicht aufgrund einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes beeinträchtigt.
Ein Rentenanspruch kann nicht auf die Grundsätze einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. BSG, Urteile vom 30.11.1983 - 5a RKn 28/82 - und zuletzt vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, jeweils Juris). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. Eine Verweisungstätigkeit braucht erst dann benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Ausgehend hiervon liegt bei dem Kläger unter Berücksichtigung der von ihm zu beachtenden qualitativen Einschränkungen weder eine besondere spezifische Leistungsbeeinträchtigung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Nach dem Ergebnis der Begutachtungen und Untersuchungen hat der Senat keine Zweifel, dass der Kläger typische Verrichtungen, die nur mit körperlich und geistig leichten Belastungen einhergehen (z. B. Sortier- und Montiertätigkeiten, Boten- und Bürodienste), ausführen kann und die hierfür notwendige Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit besitzt.

Der Senat ist schließlich auch nicht davon überzeugt, dass die Wegefähigkeit des Klägers rentenrelevant eingeschränkt ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 14.03.2002 - B 13 RJ 25/01 R - juris Rn. 21 m.w.N.). Da ein Minimum an Mobilität zur Ausübung einer Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs, die in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich ist, erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 - SozR 3-2200, § 1247 Nr. 10; Urteil vom 09.08.2001- B 10 LW 18/00 R - SozR 3-5864, § 13 Nr. 2), gehört zur Erwerbsfähigkeit grundsätzlich auch die Fähigkeit des Versicherten, viermal am Tag Wegstrecken von (mehr als) 500 m Länge mit zumutbarem Zeitaufwand, d.h. jeweils innerhalb von 20 Minuten, zu Fuß zu bewältigen und zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 - SozR 3-2200, § 1247 Nr. 10). Dass dies für den Kläger nicht (mehr) möglich ist, ergibt sich aus den vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht. Die Gutachter A1 und S2 haben die Wegefähigkeit des Klägers als noch gegeben angesehen. Wie ausgeführt, ist dem Arztbericht der K2 vom 02.06.2025 nicht zu entnehmen, dass die dort anamnestisch angegebene reduzierte Gehstrecke geprüft und objektiviert worden wäre. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen sind (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 - SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10; SozR 3-2600 § 44 Nr. 10). Die zumutbare Nutzung eines Kraftfahrzeugs schließt eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit aus (BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R - juris, Rn. 20). Der Kläger verfügt über einen Führerschein und einen Pkw und nutzt diesen auch regelmäßig. So ist er zu beiden Begutachtungen eigenständig mit dem eigenen Fahrzeug angereist.

Auch führen das dem Kläger zuerkannte Merkzeichen G und der festgestellte GdB von 80 zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Beurteilung nach dem Schwerbehindertenrecht besitzt für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung (BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, juris) und die Voraussetzungen für die Beurteilung des Grades der Behinderung unterscheiden sich maßgeblich (vgl. § 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB IX]: Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft) von jenen für die Beurteilung einer Erwerbsminderung (vgl. z.B. § 43 Abs. 3 SGB VI: Fähigkeit, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten). Gleiches gilt für das Merkzeichen G (Grenze: übliche Wegstrecke von zwei km, vgl. BSG, Urteil vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 7/06 R -, juris, und damit geringere Anforderungen als bei der Wegefähigkeit).

Weitere Ermittlungen sind nicht veranlasst. Der Senat sieht den Sachverhalt durch die vorliegenden Gutachten sowie die vorliegenden Befundberichte der behandelnden Ärzte als umfassend aufgeklärt an. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes seit der Begutachtung in erster Instanz ist weder substantiiert dargelegt noch sonst erkennbar. Zudem stehen das Ausmaß der von Amts wegen vorzunehmenden Sachverhaltsaufklärung und die Wahl der Beweismittel im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (BSG, Beschluss vom 16.11.2022 - B 5 R 112/22 B -, juris). Hiervon ausgehend sieht der Senat auch keine Veranlassung, der hilfsweise beantragten (nochmaligen) Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens auf orthopädischem Fachgebiet zu entsprechen, unabhängig davon, ob dieser Antrag den Anforderungen an einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag genügt. Anhaltspunkte für leistungsrelevante Erkrankungen auf anderen Fachgebieten bestehen nicht.

Der Kläger hat somit keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit besteht schon deshalb nicht, weil der Kläger 1962 und damit nach dem maßgeblichen Stichtag des § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI geboren ist.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).  

 

Rechtskraft
Aus
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