Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 21.02.2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers für die Zeit seit dem 19.11.2019.
Der 1966 geborene Kläger beantragte am 19.11.2019 die erstmalige Feststellung eines GdB für die Zeit ab Antragstellung. Zur Begründung gab er eine schwere Depression mit Anpassungsstörungen, Schmerzen im rechten Knöchel und Fuß (Tarsaltunnelsyndrom), Plattfüße, eine Lumboischialgie, eine im Jahr 2014 operativ versorgte Acetabulumfraktur [Bruch der Hüftpfanne], eine Hüftgelenksprothese rechts, einen Leistenbruch, eine Meniskusläsion rechts, einen Tinnitus aurium und ein Schlafapnoesyndrom an. Das Landratsamt L1 zog den Entlassungsbericht des B1 vom 05.11.2019 über die stationäre psychosomatisch-psychotherapeutische Rehabilitationsmaßnahme vom 26.09.2019 bis 31.10.2019 in der Klinik S1 (mittelgradige depressive Episode, Anpassungsstörung), den Arztbrief der O1 vom 22.11.2019 (Depression) und 12.02.2020 (Karpaltunnelsyndrom rechts) sowie die Befundberichte des K1 vom 17.04.2020, der G1 vom 28.05.2020 (leichtgradige Hochtoninnenohrschwerhörigkeit beidseits, leichter Tinnitus beidseits) und des S2 vom 11.01.2021 (Beinverkürzung rechts um 1 cm ohne Arthrosezeichen, Osteochondrose L3-5, Tarsaltunnelsyndrom rechts, Karpaltunnelsyndrom rechts, laborchemisch kein Hinweis auf rheumatologische Erkrankung) bei. Die S3 führte nach Auswertung dieser Unterlagen am 03.03.2021 aus, dass ein Teil-GdB von 10 für die Funktionsbehinderung des Hüftgelenks und ein Teil-GdB von 10 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule anzusetzen seien. Die Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen, der Zustand nach Acetabulumfraktur im Jahr 2014, das Karpaltunnelsyndrom rechts und der Zustand nach depressiver Episode im Jahr 2019 bedingten keinen Teil-GdB von wenigstens 10. Die geltend gemachte Schlafapnoe sei nicht nachgewiesen. Der Gesamt-GdB des Klägers betrage 10.
Darauf gestützt lehnte das Landratsamt L1 mit Bescheid vom 11.03.2021 den Antrag des Klägers auf Feststellung des GdB ab. Der für eine Feststellung erforderliche GdB von wenigstens 20 liege beim Kläger nicht vor.
Hiergegen legte die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 31.03.2021 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger leide bei langem Stehen unter ständigen Schmerzen. Außerdem bestünden ein Schlafapnoesyndrom, psychiatrische Beschwerden und eine Arthrose in beiden Händen. Zur weiteren Widerspruchsbegründung legte sie die Arztbriefe des D1 vom 14.04.2021 (Karpaltunnelsyndrom beidseitig), des M1 vom 05.05.2021 (obstruktives Schlafapnoesyndrom, lungenfunktionell unauffällig) und der F1 vom 06.10.2021 (im Schlaflabor am 30.09.2021 festgestellte schwere obstruktive Schlafapnoe mit Notwendigkeit einer CPAP-Therapie) vor. Das Landratsamt L1 zog den Befundbericht des T1 vom 16.08.2021 (rezidivierende depressive Störung) bei. Die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 24.11.2021 führte aus, dass eine rezidivierende depressive Störung mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten sei. Es liege kein Befund einer eingeschränkten Beweglichkeit des Hüftgelenkes vor. Die Beinverkürzung von 1 cm erhöhe den Teil-GdB nicht. Auch mit Blick auf das Wirbelsäulenleiden seien weder höhergradige Bewegungseinschränkungen noch ein sensomotorisches Defizit nachgewiesen. Es lägen auch keine Befunde über eine Arthrose der Hände vor. Das beidseitige Karpaltunnelsyndrom sei weitgehend gut behandelbar und erreiche nicht das Ausmaß einer Behinderung. Der leichtgradige beidseitige Tinnitus rechtfertige keinen GdB. Seit dem Zeitpunkt der Feststellung eines obstruktiven Schlafapnoesyndroms mit notwendiger Maskenbeatmung am 30.09.2021 im Schlaflabor sei zusätzlich ein Teil-GdB von 20 zu berücksichtigen. Der Gesamt-GdB des Klägers betrage 20 seit dem 30.09.2021.
Darauf gestützt stellte das Landratsamt L1 mit Teil-Abhilfebescheid vom 26.11.2021 beim Kläger einen GdB von 20 seit dem 30.09.2021 fest.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2022 wies das Regierungspräsidium S4 den Widerspruch des Klägers zurück. Der Widerspruchsbescheid ging der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19.04.2022 zu.
Am 19.05.2022 hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 11.03.2021 in der Fassung des Teil-Abhilfebescheids vom 26.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2022 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, beim Kläger einen GdB von mindestens 30 festzustellen. Zur Begründung hat sie ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die schriftliche Beantwortung von Beweisfragen durch sachverständige Zeugen angeordnet. Die S5 hat in ihrer schriftlichen Antwort vom 30.01.2023 mitgeteilt, dass sie den Kläger seit dem 28.09.2020 wegen einer mittelgradigen Depression alle 2 bis 3 Monate behandle. Die Einschätzung seines GdB sei ihr nicht möglich.
Der S2 hat in seiner schriftlichen Antwort vom 07.03.2023 ausgeführt, dass er beim Kläger keine Funktionsprüfung der Gelenke und der Wirbelsäule durchgeführt und keine therapeutischen Maßnahmen eingeleitet habe, da der Kläger nur sporadisch erschienen sei. Mit Ausnahme des Tarsaltunnelsyndroms am rechten Fuß habe der Beklagte alle Gesundheitsstörungen des Klägers erfasst. Das Tarsaltunnelsyndrom führe jedoch zu keiner Erhöhung des GdB. Die Verkürzung des rechten Beins könne durch eine Schuhsohlenerhöhung ausgeglichen werden.
Ferner hat das SG den T2 und den S6 zu Sachverständigen ernannt. Der Sachverständige S6 hat den Kläger am 12.09.2023 untersucht und in seinem Gutachten vom 14.09.2023 ausgeführt, dass beim Kläger eine leicht ausgeprägte Dysthymie, schädlicher Nikotinkonsum, Adipositas Grad 2 und ein obstruktives Schlafapnoesyndrom ohne nächtliche Ventilationstherapie bestünden. Es gebe keinen Anhalt für eine manifeste neurologische Erkrankung. Die seelische Störung und seelische Minderbelastbarkeit sei mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der schädliche Nikotinkonsum und die Adipositas begründeten keine Teilhabebeeinträchtigung. Mit Blick auf die Schlafapnoe sei der Ansatz eines GdB von 20 fraglich, da der Kläger nach seinen eigenen Angaben keine nächtliche Ventilationstherapie mehr nutze.
Der Sachverständige T2 hat den Kläger am 12.09.2023 untersucht und in seinem Gutachten vom 18.09.2023 dargelegt, dass beim Kläger eine endgradige Funktionseinschränkung des rechten Hüftgelenkes nach osteosynthetischer Versorgung einer Acetabulumfraktur im Jahr 2014 mit verbliebener Beinlängendifferenz von 1 cm zu Ungunsten der rechten Seite bestehe. Die daraus folgenden leichten Teilhabeeinschränkungen seien mit einem GdB von 10 zu bewerten. Der Gesamt-GdB des Klägers betrage 20.
Der sachverständige Zeuge M1 hat im Dezember 2023 mitgeteilt, dass er den Kläger zuletzt im Mai 2021 behandelt habe. Er könne deshalb keine Angaben machen, aus welchen Gründen eine nasale Überdruckbeatmung nicht mehr durchgeführt werde.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 21.02.2024 die Klage abgewiesen. Beim Kläger lasse sich für die Zeit seit dem 30.09.2021 kein höherer Gesamt-GdB als 20 feststellen. Zuvor habe kein Gesamt-GdB von mindestens 20 bestanden. Für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ sei ein Teil-GdB von 10 in Ansatz zu bringen. Der Sachverständige S6 habe beim Kläger befundgestützt und nachvollziehbar eine Dysthymie bei Vorhandensein psychosozialer Belastungsfaktoren (Migrationsproblematik, Arbeitsplatzproblematik, weitere lebensgeschichtliche Belastungen) festgestellt. Die von der sachverständigen Zeugin S5 mitgeteilte Diagnose einer mittelgradigen Depression sei nicht nachvollziehbar, da die drei Hauptsymptome der Depression (depressiver Affekt, Interessenverlust, Antriebsminderung) nicht im Vollbild vorlägen und auch keine depressive Denkstörung bestehe. Dies ergebe sich aus dem Gutachten des Sachverständigen S6. Der Teil-GdB für das Funktionssystem „Beine“ betrage nicht mehr als 10. Der Kläger könne das Bein im rechten Hüftgelenk bis 100 Grad beugen und bis in die Nullstellung strecken. Eine Beinlängendifferenz von weniger als 2,5 cm – hier nur um 1 cm zu Ungunsten der rechten Seite – rechtfertige keinen GdB. Für das Funktionssystem „Atmung“ könne für den Zeitraum der durchgeführten nasalen Überdruckbeatmung ein Teil-GdB von 20 in Ansatz gebracht werden, der jedoch seit Beendigung der nasalen Überdruckbeatmung nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Der beim Kläger festgestellt Gesamt-GdB von 20 sei bereits sehr großzügig. Die Feststellung eines höheren GdB sei nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des SG ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 21.02.2024 zugestellt worden.
Am 21.03.2024 hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Der Kläger habe Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 30. Er nehme ständig Psychopharmaka ein und stelle sich regelmäßig beim Psychiater vor. Er sei nach der Arbeit so erschöpft, dass er keinen Freizeitaktivitäten nachgehen könne und keine sozialen Kontakte pflege. Die Schlafapnoe sei mit einem höheren GdB als 20 zu bewerten, da der Kläger die Maskenbeatmung wegen Panikattacken nicht tolerieren könne. Der Tinnitus des Klägers sei nicht berücksichtigt worden. Zur weiteren Berufungsbegründung ist der Arztbrief der F1 vom 23.07.2024 vorgelegt worden.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 21.02.2024 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 11.03.2021 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 26.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2022 zu verpflichten, bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von mindestens 30 seit dem 19.11.2019 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Gegen den Ansatz eines Teil-GdB von mehr als 10 für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ sprächen der geringe Therapieaufwand und die erhaltene soziale Teilhabe mit Moscheebesuchen, Motorradtouren, Spaziergängen, Vereinstätigkeiten in der türkischen Gemeinde und im Schützenverein, Gartenarbeiten und Familientreffen sowie mehrwöchigen Urlaubsaufenthalten in der Türkei.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat die den Kläger betreffenden ärztlichen Unterlagen der G1 beigezogen, insbesondere die Tonaudiogramme vom 20.07.2022 und 22.07.2024 und den Auszug aus der Patientenkarteikarte seit November 2019.
Im Erörterungstermin am 22.11.2024 haben sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers und der Beklagte übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 SGG statthaft und zulässig.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren des Klägers nach Feststellung eines GdB von mindestens 30 seit dem 19.11.2019. Dieses Begehren schließt als Minus auch die Feststellung eines GdB von 20 für den Zeitraum vom 19.11.2019 bis 29.09.2021 ein. Streitbefangen sind der Bescheid des Landratsamts L1 vom 11.03.2021, mit dem der Antrag des Klägers auf Feststellung eines GdB für die Zeit seit dem 19.11.2019 abgelehnt worden ist, in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 26.11.2021, mit dem beim Kläger ein GdB von 20 für die Zeit seit dem 30.09.2021 festgestellt worden ist, in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums S4 vom 19.04.2022 (§ 95 SGG) sowie der klageabweisende Gerichtsbescheid des SG vom 21.02.2024.
Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, § 56 SGG) zulässige Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass bei ihm für den Zeitraum vom 19.11.2019 bis 29.09.2021 ein GdB von mindestens 20 und für die Zeit seit dem 30.09.2021 ein GdB von mindestens 30 festgestellt wird. Maßgebender Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 08.12.1988 – 2 RU 83/87 – juris Rn. 17; BSG, Beschluss vom 09.12.2018 – B 9 SB 48/19 B – juris Rn. 8), hier also der 21.03.2025.
Der Anspruch auf Feststellung des GdB gründet für den Zeitraum seit dem 19.11.2019 in § 152 und § 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der seit dem 01.01.2018 geltenden Normfassung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234 <3238, 3280>) und für die Zeit seit dem 01.01.2024 in § 152 SGB IX in der seit dem 01.01.2024 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts vom 06.06.2023 (BGBl. I, Nr. 146, S. 2) i.V.m. § 2 SGB IX. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts ist die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche oder Rechtsverhältnisse grundsätzlich – soweit wie hier Übergangsregelungen fehlen – nach dem Recht zu beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat (vgl. BSG, Beschluss vom 12.08.2021 – B 9 SB 20/21 B – juris Rn. 6).
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (bis 31.12.2023) bzw. des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch (seit 01.01.2024) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB oder gesundheitliche Merkmale bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, wenn dafür ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (§ 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis 31.12.2023 geltenden Normfassung bzw. § 152 Abs. 1 Satz 4 SGB IX in der seit 01.01.2024 geltenden Normfassung). Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Abs. 1 Satz 6 SGB IX in der bis 31.12.2023 geltenden Normfassung bzw. § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der seit 01.01.2024 geltenden Normfassung). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Da noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX in der seit 01.01.2018 geltenden Normfassung). Hierbei handelt es sich um die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) in der vom 20.12.2019 bis 31.12.2023 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652, 2702) und der seit 01.01.2024 geltenden Normfassung der Verordnung zur Änderung der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung und der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 19.06.2023 (BGBl. I, Nr. 158, S. 2). Die Grundsätze zur Feststellung des GdB sind in der Anlage zu § 2 VersMedV als Bestandteil dieser Verordnung festgelegt (vgl. § 2 VersMedV). Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) werden teilhabeorientiert auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft und der Medizintechnik unter Berücksichtigung versorgungsmedizinischer Erfordernisse fortentwickelt (§ 153a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB IX in der seit 14.06.2023 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts vom 06.06.2023 <BGBl. I, Nr. 146, S. 2>).
Allgemein gilt, dass der GdB nach den gleichen Grundsätzen wie der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) bemessen wird, aber auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache, also final bezogen ist (Teil A Nr. 2 lit. a VG). Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens (Teil A Nr. 2 lit. a VG). Der GdB ist unabhängig vom ausgeübten oder angestrebten Beruf zu beurteilen (Teil A Nr. 2 lit. b VG). Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus (Teil A Nr. 2 lit. c VG). Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“) bezeichnet werden (Teil A Nr. 2 lit. c VG).
Bei der nach Zehnergraden abgestuften Feststellung des GdB (vgl. § 152 Abs. 1 Satz 4 SGB IX in der seit 01.01.2024 geltenden Normfassung) sollen im Allgemeinen die folgenden Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden: Gehirn einschließlich Psyche, Augen, Ohren, Atmung, Herz und Kreislauf, Verdauung, Harnorgane, Geschlechtsapparat, Haut, Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem, innere Sekretion und Stoffwechsel, Arme, Beine, Rumpf (Teil A Nr. 2 lit. e VG). Die in der GdB-Tabelle niedergelegten Sätze berücksichtigen bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen (Teil A Nr. 2 lit. i VG). Sind die seelischen Begleiterscheinungen erheblich höher als aufgrund der organischen Veränderungen zu erwarten wäre, so ist ein höherer GdB gerechtfertigt. Vergleichsmaßstab ist dabei nicht der behinderte Mensch, der überhaupt nicht oder kaum unter seinem Körperschaden leidet, sondern die allgemeine ärztliche Erfahrung hinsichtlich der regelhaften Auswirkungen. Außergewöhnliche seelische Begleiterscheinungen sind anzunehmen, wenn anhaltende psychoreaktive Störungen in einer solchen Ausprägung vorliegen, dass eine spezielle ärztliche Behandlung dieser Störungen – z.B. eine Psychotherapie – erforderlich ist (Teil A Nr. 2 lit. i VG). Die in der GdB-Tabelle angegebenen Werte schließen die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen auch erfahrungsgemäß besonders schmerzhafte Zustände (Teil A Nr. 2 lit. j VG). Ist nach Ort und Ausmaß der pathologischen Veränderungen eine über das übliche Maß hinausgehende Schmerzhaftigkeit nachgewiesen, die eine ärztliche Behandlung erfordert, können höhere Werte angesetzt werden (Teil A Nr. 2 lit. j VG). Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so sind zwar Einzel-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden (Teil A Nr. 3 lit. a VG). Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden (Teil A Nr. 3 lit. c VG). Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein (Teil A Nr. 3 lit. d VG): Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken. Die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Die Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung werden durch eine hinzutretende Gesundheitsstörung nicht verstärkt. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (Teil A Nr. 3 lit. d sublit. ee Satz 1 VG). Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 lit. d sublit. ee Satz 2 VG).
Die auf diese Weise vorzunehmende Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe, die in freier Beweiswürdigung nach Maßgabe der VG vorzunehmen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 27.10.2022 – B 9 SB 4/21 R – juris Rn. 21 m.w.N.; BSG, Urteil vom 16.12.2021 – B 9 SB 6/19 R – juris Rn. 38 m.w.N.). Bei der rechtlichen Bewertung der Auswirkungen einer Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sind die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden (vgl. BSG, Beschluss vom 04.05.2020 – B 9 SB 84/19 B – juris Rn. 6 m.w.N.).
Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsakts (vgl. BSG, Urteil vom 24.06.1998 – B 9 SB 17/97 R – juris Rn. 23). Der Einzel- bzw. Teil-GdB ist keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsakts, ist nicht isoliert anfechtbar und erwächst auch nicht in Bindung (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 – 9/9a RVs 2/92 – juris Rn. 20; BSG, Beschluss vom 20.02.2019 – B 9 SB 67/18 B – juris Rn. 9).
In Anwendung dieser Maßstäbe hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 20 für den Zeitraum vom 19.11.2019 bis 29.09.2021 und keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 30 für die Zeit seit dem 30.09.2021.
Die das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ betreffenden Gesundheitsstörungen des Klägers sind, wie bereits das SG zutreffend dargelegt hat, mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten.
Beim Kläger besteht eine Dysthymie, mithin eine chronische depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden depressiven Störung zu erfüllen. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen S6 vom 14.09.2023 und der Klassifikation der Dysthymie in F34.1 ICD-10. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass beim Kläger eine rezidivierende depressive Störung besteht. Die in der schriftlichen Antwort der sachverständigen Zeugin S5 vom 30.01.2023 mitgeteilte Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung ist nicht schlüssig, da die schriftliche Antwort vom 30.01.2023 keinen psychopathologischen Befund, sondern nur anamnestische Angaben des Klägers enthält. Auch der Arztbrief des T1 vom 16.08.2021 enthält keinen psychopathologischen Befund und ermöglicht es dem Senat deshalb nicht, die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung nachzuvollziehen. Der vom Sachverständigen S6 erhobene psychopathologische Befund stützt die Annahme einer depressiven Störung nicht, da die drei Hauptsymptome der Depression – depressiver Affekt, Interessenverlust, Antriebsminderung – nicht vorliegen und auch keine depressive Denkstörung besteht. Eine relevante Antriebsminderung oder gar psychomotorische Hemmung liegt beim Kläger nicht vor. Dieser wirkt in der Grundstimmung leicht niedergeschlagen, subdepressiv bzw. dysthym. Seine affektive Resonanzfähigkeit ist allenfalls leicht zum negativen Pol hin verschoben, aber zum positiven Pol nicht aufgehoben. Eine tiefgehende depressive Stimmungslage liegt nicht vor. Der Kläger kann spontan und authentisch lächeln und kurzzeitig lachen. Es bestehen bei ihm keine formalen oder inhaltlichen Denkstörungen, keine Störungen des Bewusstseins, der Orientierung, der Auffassung und Konzentration sowie keine signifikanten Gedächtnisstörungen. Diese Feststellungen trifft der Senat aufgrund des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen S6 vom 14.09.2023. Daraus folgt auch, dass beim Kläger kein Interessenverlust vorliegt, da er nach seinen eigenen Angaben in Vollzeit als Haustechniker arbeitet, eine wieder intakte Ehe mit seiner Frau führt und in seiner Freizeit spazieren geht, Moscheen besucht, Motorrad fährt, sein Auto und seine Motorräder repariert, sich als Mitglied der türkischen Gemeinde und im Schützenverein engagiert, einen Schrebergarten versorgt und längere Urlaube in der Türkei macht. Dies entnimmt der Senat ebenfalls dem Gutachten des Sachverständigen S6.
Nach Teil B Nr. 3.7 VG sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0-20 zu bewerten. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) begründen einen GdB von 30-40.
In Anwendung dieser Maßstäbe hat das SG die Dysthymie des Klägers zutreffend mit einem Teil-GdB von 10 bewertet. Die Dysthymie des Klägers führt zu einer seelischen Minderbelastbarkeit. Allerdings ist der Schweregrad der seelischen Symptomatik auch in der Längsschnittbetrachtung als höchstens leicht einzustufen, da die Kommunikationsfähigkeit des Klägers nicht eingeschränkt ist, keine wesentliche Einbuße der Vitalität besteht und die Wahrnehmung und Aufrechterhaltung sozialer Beziehungen, das Leben in der Gemeinschaft, das soziale und staatsbürgerliche Engagement und entsprechend auch das häusliche Leben einschließlich der Hilfeleistung für Dritte nicht relevant beeinträchtigt sind. Hiervon ist der Senat aufgrund des befundgestützten und nachvollziehbaren Gutachtens des Sachverständigen S6 vom 14.09.2023 überzeugt. Für eine allenfalls leichte Funktionsbeeinträchtigung durch die Dysthymie spricht auch, dass der seelische Leidensdruck des Klägers bereits durch eine an 3 von 7 Wochentagen eingenommene Bedarfsmedikation mit einer Tablette Mirtazapin 30 mg zur Nacht gelöst werden kann. Der geringe Leidensdruck des Klägers, der sich insbesondere im Fehlen einer psychopharmakologischen Dauermedikation und in weitmaschigen fachpsychiatrischen Behandlungen im Abstand von 2-3 Monaten (schriftliche Antwort der sachverständigen Zeugin S5 vom 30.01.2023) bzw. alle 10 Wochen (Gutachten des Sachverständigen S6) zeigt, bestätigt die Bewertung der Einschränkungen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ mit einem Teil-GdB von 10.
Die das Funktionssystem „Atmung“ betreffenden Gesundheitsstörungen rechtfertigen im Zeitraum vom 30.09.2021 bis 11.09.2023 den Ansatz eines Teil-GdB von 20 und seit dem 12.09.2023 nur noch einen Teil-GdB von 10.
Nach Teil B Nr. 8.7 VG ist ein durch Untersuchung im Schlaflabor nachgewiesenes Schlaf-Apnoe-Syndrom ohne Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung mit einem GdB von 0-10, mit Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung mit einem GdB von 20 und bei nicht durchführbarer nasaler Überdruckbeatmung mit einem GdB von 50 zu bewerten. Folgeerscheinungen oder Komplikationen (z. B. Herzrhythmusstörungen, Hypertonie, Cor pulmonale) sind zusätzlich zu berücksichtigen.
In Anwendung dieser Maßstäbe kommt der Ansatz eines Teil-GdB für den auch streitbefangenen Zeitraum vom 19.11.2019 bis 29.09.2021 nicht in Betracht, da ein Schlafapnoesyndrom beim Kläger erstmals aufgrund der Untersuchung im Schlaflabor am 30.09.2021 nachgewiesen worden ist. Ausweislich des Arztbriefs der F1 vom 06.10.2021 ist erstmalig am 30.09.2021 im Schlaflabor eine schwere obstruktive Schlafapnoe mit Notwendigkeit einer CPAP-Therapie festgestellt worden. Ab diesem Zeitpunkt ist ein Teil-GdB von 20 zu berücksichtigen. Eine höhere Bewertung ist nicht gerechtfertigt, da keine Unmöglichkeit einer Überdruckbeatmung festgestellt werden kann. Von einer Nichtdurchführbarkeit der nasalen Überdruckbeatmung kann erst dann ausgegangen werden, wenn anatomische Besonderheiten einer nasalen Überdruckbeatmung entgegenstehen oder wenn durch das Scheitern entsprechender Therapieversuche der Nachweis der Nichtdurchführbarkeit der nasalen Überdruckbeatmung erbracht ist (Senatsurteil vom 14.06.2024 – L 8 SB 1175/22 – juris Rn. 53; Senatsurteil vom 16.12.2022 – L 8 SB 1259/21 – juris Rn. 50 m.w.N.). Dazu gehört, dass der Betroffene verschiedene Masken ausgetestet und ein Gewöhnungstraining erfolglos durchlaufen hat (a.a.O.). Es reicht nicht, wenn die Beatmungsmaske wegen subjektiver Beschwerden nicht mehr benutzt wird (a.a.O.). Solche gescheiterten Bemühungen oder anatomischen Besonderheiten sind hier nicht ersichtlich. Vielmehr wurde im Rahmen einer Kontrolluntersuchung im Schlaflabor am 06.05.2022 durch Anpassung des Überdrucks der nächtlichen CPAP-Therapie eine deutliche Verbesserung des Befundes mit Reduktion der respiratorischen Ereignisse und Anhebung der Sauerstoffsättigung erreicht und das Schnarchen weitgehend unterdrückt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Arztbrief der F1 vom 11.05.2022. Daraus folgt auch, dass die regelmäßige Anwendung der nächtlichen Überdruckbeatmung weiterhin empfohlen worden ist. Jedoch ist das Schlafapnoesyndrom des Klägers jedenfalls seit dem Zeitpunkt der Untersuchung des Klägers durch den Sachverständigen T2 am 12.09.2023 nur noch mit einem GdB von 10 zu bewerten, da nach den eigenen Angaben des Klägers infolge einer Gaumensegelstraffung keine CPAP-Therapie mehr durchgeführt wird. Dies entnimmt der Senat den Gutachten der Sachverständigen S6 vom 14.09.2023 und T2 vom 18.09.2023. Der Arztbrief der F1 vom 23.07.2024 bestätigt, dass beim Kläger keine kontinuierliche nasale Überdruckbeatmung mehr notwendig ist, da die Untersuchung im Schlaflabor am 11.07.2024 ohne Maske erfolgte und als medizinisch indizierte Therapie nur noch die Vermeidung der Rückenlage mit einer Lagerungshilfe vorgeschlagen worden ist. Ärztlich objektivierte Anhaltspunkte für die medizinische Unmöglichkeit der nasalen Überdruckbeatmung enthält auch der Arztbrief der F1 vom 23.07.2024 nicht. Diese sind auch sonst nicht ersichtlich.
Die das Funktionssystem „Ohren“ betreffenden Gesundheitsstörungen begründen für die Zeit seit dem 20.07.2022 einen GdB von 15 und seit dem 22.07.2024 einen GdB von 20.
Nach Teil B Nr. 5 VG ist für die Bewertung des GdB bei Hörstörungen die Herabsetzung des Sprachgehörs, deren Umfang durch Prüfung ohne Hörhilfen zu bestimmen ist, maßgebend. Der Beurteilung ist die von der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie empfohlene Tabelle (siehe Teil B Nr. 5.2.4 VG, Tabelle D) zugrunde zu legen.
In Anwendung dieser Maßstäbe bestand beim Kläger seit dem 20.07.2022 eine geringgradige Schwerhörigkeit auf beiden Ohren. Das von der G1 erstellte Tonaudiogramm vom 20.07.2022 zeigt in der 4-Frequenztabelle nach Röser 1973 (Teil B Nr. 5.2.2 VG, Tabelle B) auf dem rechten Ohr einen Hörverlust von 24% (als Summe aus 4% für einen Hörverlust unter 25 dB bei 500 Hz, 8% für einen Hörverlust unter 25 dB bei 1 kHz, 7% für einen Hörverlust unter 25 dB bei 2 kHz und 5% für Hörverlust unter 30 dB bei 4 kHz) und auf dem linken Ohr einen Hörverlust von 33% (als Summe aus 9% für einen Hörverlust unter 40 dB bei 500 Hz, 13% für einen Hörverlust unter 35 dB bei 1 kHz, 7% für einen Hörverlust unter 25 dB bei 2 kHz und 4% für Hörverlust unter 25 dB bei 4 kHz). Nach Teil B Nr. 5.2.4 VG begründet die – einen Hörverlust von 20-40% erfassende – geringgradige Schwerhörigkeit in beiden Ohren einen GdB von 15. Der Ansatz eines GdB von 20 ist nicht gerechtfertigt, da die geringgradige Schwerhörigkeit auf dem rechten Ohr an der Grenze zur Normalhörigkeit liegt.
Das von der G1 erstellte Tonaudiogramm vom 22.07.2024 zeigt in der 4-Frequenztabelle nach Röser 1973 (Teil B Nr. 5.2.2 VG, Tabelle B) auf dem rechten Ohr einen Hörverlust von 32% (als Summe aus 6% für einen Hörverlust unter 30 dB bei 500 Hz, 10% für einen Hörverlust unter 30 dB bei 1 kHz, 9% für einen Hörverlust unter 30 dB bei 2 kHz und 7% für einen Hörverlust unter 40 dB bei 4 kHz) und auf dem linken Ohr einen Hörverlust von 43% (als Summe aus 9% für einen Hörverlust unter 40 dB bei 500 Hz, 16% für einen Hörverlust unter 40 dB bei 1 kHz, 13% für einen Hörverlust unter 40 dB bei 2 kHz und 5% für einen Hörverlust unter 30 dB bei 4 kHz). Nach Teil B Nr. 5.2.4 VG begründen die geringgradige Schwerhörigkeit im rechten Ohr und die – einen Hörverlust von 40-60% erfassende – mittelgradige Schwerhörigkeit im linken Ohr einen GdB von 20 seit dem 22.07.2024.
Der vom Kläger angegebene Tinnitus aurium führt zu keiner höheren Bewertung des Teil-GdB für das Funktionssystem „Ohren“. Nach Teil B Nr. 5.3 VG sind Ohrgeräusche (Tinnitus) ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen mit einem GdB von 0-10 und mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen mit einem GdB von 20 zu bewerten. Im Fall des Klägers liegen jedoch keine erheblichen, sondern lediglich leichtgradige psychische Begleiterscheinungen vor (s.o.).
Die das Funktionssystem „Beine“ betreffenden Gesundheitsstörungen begründen einen Teil-GdB von 10.
Im rechten Hüftgelenk des Klägers ist eine Endoprothese implantiert. Dies entnimmt der Senat dem Entlassungsbericht des B1 vom 05.11.2019. Für eine GdB-relevante Erkrankung des neurologischen Fachgebiets, insbesondere für ein Tarsaltunnelsyndrom (Engpasssyndrom des Nervus tibialis an den Füßen) ergibt sich kein Anhalt. Hiervon ist der Senat aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen S6 vom 14.09.2023 überzeugt.
Nach Teil B Nr. 18.12 VG beträgt der GdB bei einer einseitigen Endoprothese im Hüftgelenk mindestens 10. Dabei handelt es sich um einen Mindest-GdB, der für eine Endoprothese bei bestmöglichem Behandlungsergebnis gilt. Bei eingeschränkter Versorgungsqualität sind höhere Werte angemessen. Die Versorgungsqualität kann insbesondere beeinträchtigt sein durch eine Beweglichkeits- und Belastungseinschränkung, eine Nervenschädigung, eine deutliche Muskelminderung oder eine ausgeprägte Narbenbildung.
Der für die einseitige Endoprothese anzusetzende GdB von 10 ist hier nicht zu erhöhen, da die Versorgungsqualität nicht eingeschränkt ist. Die Beweglichkeit des Hüftgelenks ist nur geringfügig in einer einzelnen Bewegungsrichtung eingeschränkt, da das rechte Hüftgelenk nur bis 100 Grad und nicht bis 130 Grad, dem Referenzwert von Erwachsenen mit durchschnittlicher Hüftgelenksbeweglichkeit, gebeugt werden kann. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Sachverständigen T2 vom 18.09.2023 und dem diesem Gutachten beigefügten Messblatt für untere Extremitäten nach der Neutral-0-Methode. Daraus folgt allerdings auch, dass das rechte Hüftgelenk des Klägers in allen anderen Bewegungsrichtungen – Streckung, Abspreizung, Anführung sowie Drehung nach innen und außen – uneingeschränkt und frei beweglich ist. Aufgrund dieser Befunde hat der Sachverständige T2 die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Hüftgelenks befundgestützt und nachvollziehbar mit einem Teil-GdB von 10 bewertet. Denn allein die beim Kläger bestehende leichte Einschränkung der Beugung des rechten Hüftgelenks stellt unter Berücksichtigung der in Teil B Nr. 18.14 VG genannten Maßstäbe, wonach ein GdB von 10 für eine Bewegungseinschränkung eines Hüftgelenks regelbeispielhaft sowohl eine Einschränkung der Beugung bis 90 Grad als auch ein Streckdefizit von 10 Grad und außerdem eine entsprechende Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit voraussetzt, keine GdB-relevante Behinderung dar. Gleiches gilt für die Verkürzung des rechten Beins um 1 cm, da gemäß Teil B Nr. 18.14 VG eine Beinverkürzung bis 2,5 cm keinen GdB rechtfertigt, sondern, wie der sachverständige Zeuge S2 in seiner schriftlichen Antwort vom 07.03.2023 zutreffend ausgeführt hat, durch eine Schuhsohlenerhöhung ausgeglichen werden kann.
Für das Funktionssystem „Arme“ ist kein Teil-GdB zu berücksichtigen. Für eine GdB-relevante neurologische Gesundheitsstörung der Arme findet sich kein Anhalt. Ein beginnendes bzw. blandes Karpaltunnelsyndrom beidseits ist möglich. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen S6 vom 14.09.2023. Die Beweglichkeit beider Handgelenke ist nicht eingeschränkt. Druckschmerz kann an beiden Handgelenken nicht ausgelöst werden. Auch im Bereich der Fingergrund-, Mittel- und Endgelenke einschließlich der Daumengrund- und Daumensattelgelenke besteht keine Druckschmerzhaftigkeit und keine Einschränkung der Beweglichkeit. Beide Fäuste können komplett geschlossen werden. Die grobe Kraft der Hände ist nicht eingeschränkt. Dies stellt der Senat aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen T2 vom 18.09.2023 fest.
Die vorhandenen Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit begründen im Zeitraum vom 19.11.2019 bis 29.09.2021 keinen GdB von 20, da nur leichte Behinderungen in den Funktionssystemen „Gehirn einschließlich Psyche“ und „Beine“ vorlagen, die vom Beklagten zutreffend jeweils mit einem Teil-GdB von 10 bewertet worden sind. Mit einem Teil-GdB von 10 bewertete Auswirkungen führen in aller Regel zu keiner Erhöhung des Gesamtwerts, weil sie zu geringfügig sind (vgl. BSG, Beschluss vom 30.06.2021 – B 9 SB 69/20 B – juris Rn. 7 m.w.N.). Das in Teil A Nr. 3 lit. d sublit. ee Satz 1 VG (s.o.) enthaltene Erhöhungsverbot gilt ausnahmslos, wenn mehrere mit einem Teil-GdB von 10 beurteilte (leichte) Funktionsbeeinträchtigungen unabhängig voneinander verschiedene Lebensbereiche betreffen (BSG, Beschluss vom 30.06.2021 – B 9 SB 69/20 B – juris Rn. 7 m.w.N.). Eine Erhöhung des Gesamtwerts wegen eines zusätzlichen Teil-GdB von 10 und damit ein Ausnahmefall im Sinne von Teil A Nr. 3 lit. d sublit. ee Satz 1 VG kommt nur dann in Betracht, wenn sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt (BSG, a.a.O.). Ein solcher Ausnahmefall lag hier nicht vor. Dies entnimmt der Senat den überzeugenden Gutachten des Sachverständigen S6 vom 14.09.2023 und T2 vom 18.09.2023.
Für den Zeitraum vom 30.09.2021 bis 11.09.2023 begründen die vorhandenen Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit einen GdB von 20. Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist von einem Teil-GdB von 20 für die Auswirkungen der Beeinträchtigungen des Klägers im Funktionssystem „Atmung“ im Zeitraum vom 30.09.2021 bis 11.09.2023 auszugehen. Dieser Teil-GdB ist jedoch nicht weiter zu erhöhen, da der seit dem 20.07.2022 in Ansatz zu bringende Teil-GdB von 15 für das Funktionssystem „Ohren“ lediglich leichte Funktionsbeeinträchtigungen im Sinne von Teil A Nr. 3 lit. d sublit. ee Satz 2 VG abbildet und deshalb keinen Schluss auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung rechtfertigt. Die jeweils mit einem Teil-GdB von 10 bewerteten Behinderungen in den Funktionssystemen „Gehirn einschließlich Psyche“ und „Beine“ führen zu keiner Erhöhung des Gesamt-GdB auf mehr als 20 (s.o.).
Auch für den Zeitraum seit dem 12.09.2023 begründen die vorhandenen Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit einen GdB von (höchstens) 20. Bei der Bildung des Gesamt-GdB für die Zeit seit dem 12.09.2023 ist von einem Teil-GdB von zunächst 15 und – seit dem 22.07.2024 – 20 für die Auswirkungen der Beeinträchtigungen des Klägers im Funktionssystem „Ohren“ auszugehen. Dieser Teil-GdB ist nicht weiter zu erhöhen, da die seit dem 12.09.2023 nur noch einen Teil-GdB von 10 begründenden Behinderungen im Funktionssystem „Atmung“ den Gesamt-GdB ebenso wenig erhöhen wie die mit einem Teil-GdB von 10 berücksichtigten Behinderungen in den Funktionssystemen „Gehirn einschließlich Psyche“ und „Beine“ (s.o.).
Der gemäß Teil A Nr. 3 lit. b VG bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen anzustellende Vergleich mit Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen, für die im Tabellenteil der VG ein Wert von 30 fest vorgegeben ist (vgl. BSG Urteil vom 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – juris Rn. 24), bestätigt, dass beim Kläger kein GdB von 30 festzustellen ist. Denn der Kläger ist durch seine Gesundheitsstörungen und daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen nicht in ähnlich gravierender Weise in seiner Lebensführung eingeschränkt wie behinderte Menschen mit einer Sarkoidose mit chronischem Verlauf, klinischen Aktivitätszeichen und Auswirkungen auf den Allgemeinzustand, mit totalem Haarausfall einschließlich des Fehlens von Augenbrauen und Wimpern, mit schweren Schäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, mit einer Versteifung des Schultergelenks in günstiger Stellung, mit einer Versteifung des Handgelenks in ungünstiger Stellung, mit dem Verlust eines Daumens mit Mittelhandknochen, mit dem Verlust von zwei Fingern, mit der Versteifung eines Kniegelenks in günstiger Stellung oder mit dem Verlust aller Zehen an beiden Füßen. Im Vergleich dazu erreicht das Ausmaß der Behinderungen des Klägers und der daraus folgenden Beeinträchtigung seiner Teilhabe an der Gesellschaft kein Ausmaß, das die Feststellung eines GdB von 30 rechtfertigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SB 1348/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2393/24
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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