L 2 AS 79/24

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 28 AS 1118/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 2 AS 79/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Das Schulgeld für eine private Berufsfachschule kann im Einzelfall als notwendige Ausgabe iSv § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II vom Einkommen aus Leistungen der Ausbildungsförderung abzusetzen sein (Anschluss an LSG Hamburg, Beschluss vom 18.06.2019 - L 4 AS 155/19 B ER; entgegen LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.10.2023 - L 4 AS 1273/20; vgl. auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 06.02.2025 - L 10 AS 230/20).

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12. März 2024 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger von dem beklagten Rentenversicherungsträger die Erstattung der Kosten seines Aufenthalts in der Klinik B. in Höhe von 34.020,00 € verlangen kann.

Der am ... 1975 geborene Kläger war zuletzt als leitender Angestellter bei einem Anbieter von Fenster-, Türen- und Fassadensystemen in Vollzeit versicherungspflichtig beschäftigt. Er ist bei einem privaten Versicherungsunternehmen, der H. Krankenversicherung AG (im Folgenden: HM), kranken- und pflegeversichert.

Am 5. September 2020 erlitt der Kläger eine Hirnstammblutung mit Einbruch in den vierten Ventrikel. Er lag zunächst im Koma auf der Intensivstation des BG Klinikums B. in H. Am 22. September 2020 wurde der Kläger in das Neurozentrum des BG Klinikums B. verlegt und dort bis zum 14. Juli 2021 im Rahmen der Neurologischen Frührehabilitation der Phase B stationär versorgt. Seit dem Entlassungstag bezieht der Kläger, der zu Hause gepflegt wird, Pflegegeld, zumindest seit Oktober 2022 nach dem Pflegegrad 5. Nach Aktenlage ist bei dem Kläger der Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit den Merkzeichen „G“, „aG“, „B“ und „H“ festgestellt. Die Beklagte stellte bei dem Kläger eine volle Erwerbsminderung mit dem Leistungsfall am 5. September 2020 und Rentenbeginn am 1. September 2021 fest und leistet dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer (Zahlbetrag bei Rentenbeginn 2.553,00 €, ab dem 1. Juli 2022 2.707,17 €).

Die Klinik B. in K. führt ein Rehabilitationszentrum für Intensivmedizin, Frührehabilitation, Anschlussheilbehandlungen sowie stationäre und teilstationäre Heilverfahren. Die Klinik ist eine zugelassene Rehabilitationseinrichtung im Sinne der §§ 8 und 111 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V) und führt Rehabilitationsmaßnahmen u.a. in Kostenträgerschaft der Beklagten durch. Am 1. Januar 2009 wurde das Fach- und Privatkrankenhaus in derselben Trägerschaft in die Krankenhausplanung des Landes Sachsen zur Betreuung von chronisch-kritisch-kranken Patienten unmittelbar im Anschluss an die primäre Versorgung auf der Intensivstation auf der Grundlage von § 39 SGB V aufgenommen. In dem - in dem vom Kläger eingereichten Exemplar nur für den Einrichtungsträger unterschriebenen - Behandlungsvertrag zwischen dem Träger der Klinik B. und dem Kläger vom 14. September 2021 ist dessen Aufnahme in die stationäre Behandlung im Fachkrankenhaus mit der Abrechnung der stationären Leistungen unter entsprechender Anwendung des DRG-Entgelttarifs vereinbart. Zu den allgemeinen Entgelten für Krankenhausleistungen wird dort auf § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) verwiesen. Die Klinik B. forderte bei der HM eine Kostenübernahme für einen stationären Aufenthalt des Klägers in der „Neurologie Phase B“ an. Die HM teilte dem Kläger unter Hinweis auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen mit Schreiben vom 15. September 2021 mit, es bestehe kein Versicherungsschutz für Kur- bzw. Sanatoriumsbehandlungen sowie Rehabilitationsmaßnahmen, auch wenn diese stationär durchgeführt würden. Bei der Klinik B. handele es sich um eine so genannte gemischte Krankenanstalt, in der Leistungen nur erbracht werden könnten, wenn diese vor Behandlungsbeginn schriftlich zugesagt worden seien. Eine Zusage sei hier nicht möglich, weil es sich um eine nicht versicherte Rehabilitationsbehandlung handele. Die Kosten hierfür übernehme grundsätzlich die Beklagte.

Am 25. Oktober 2021 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für den geplanten stationären Aufenthalt und reichte diverse Unterlagen über den Verlauf seiner Behandlung ein: Zu dem vorläufigen Arztbrief des BG Klinikums B. über die Neurologische Frührehabilitation der Phase B bis zum 14. Juli 2021 wird auf Blatt 19/122ff. der Verwaltungsakte, zu dem Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit vom 15. August 2021 mit dem Ergebnis der Feststellung der Voraussetzungen des Pflegegrades 4 seit dem 5. September 2020 auf Blatt 47/122ff. der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Die Beklagte holte den Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin D. vom 7. Oktober 2021 ein, zu dem auf Blatt 117/122ff. der Verwaltungsakte Bezug genommen wird. Unter dem 20. Januar 2022 führte diese Ärztin zur Unterstützung des Widerspruchs des Klägers aus, bei diesem bestehe noch ein erhebliches Rehabilitationspotential, sodass bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert werden könnte. Die Beklagte werde gebeten, ihre „Entscheidung im Sinne des Patienten nochmal zu überdenken“. Hierzu wird auf Blatt 121/122 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Die Beklagte lehnte die Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation ab. Die Prüfung der Beklagten habe ergeben, dass auch kein Rehabilitationsbedarf nach den Vorschriften des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen - SGB IX) zu Lasten eines anderen Rehabilitationsträgers vorliege. Bei der Art und Schwere der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers - Zustand nach Pons Blutung mit Ventrikeleinbruch, Hemiparese links, Dysarthrophonie, Dysplegie, Dauerkatheterträger, Stuhlinkontinenz, Vorhandensein einer PEG-Sonde, Ataxie - sei leider nicht zu erwarten, dass durch die beantragte Leistung die bereits bestehende Erwerbsminderung beseitigt werden könne (Bescheid vom 19. November 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2022).

Mit seiner am 24. Juli 2022 vor dem Sozialgericht Halle erhobenen Klage hat der Kläger zunächst die Bewilligung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch die Beklagte verfolgt.

Der Kläger ist vom 12. Oktober bis zum 23. November 2022 in der Klinik B. behandelt worden. Die Einrichtung berechnete dem Kläger hierfür unter dem 28. November 2022 34.020,00 € für „Pflegesatz Neurologie Phase B HV“ betreffend den Zeitraum vom 12. Oktober 2022 bis zum 23. November 2022, d.h. 42 Tage, pro Tag 810,00 €. Zu der Rechnung vom 28. November 2022 wird auf Blatt 79 Bd. I der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Kläger hat die Rechnung nach seinen Angaben aus privaten Mittel bezahlt. Dem Entlassungsbericht, Abteilung Neurologie und Neurokognition, vom 23. November 2022 ist zu entnehmen, der Kläger sei in der Lage gewesen, den Lagewechsel im Bett mit einer Hilfsperson durchzuführen. Das Umsetzen vom Bett in den Rollstuhl gelinge ihm mit einer Hilfsperson. Es bestehe weiterhin eine schwere chronische Dysarthrophie bei peripherer Facialisparese rechts. Zur Verständigung benutze der Kläger eine Kommunikations- und Buchstabentafel, wobei dies gut gelinge. Die Verständlichkeit der Alltagskommunikation sei überwiegend nicht gewährleistet. Nach der jetzigen Beurteilung von Leistungseinschränkungen im Verlauf der Rehabilitation sei nicht von einer positiven Erwerbsprognose auszugehen. Zu dem Bericht wird im Übrigen auf Blatt 50 bis 57 Bd. I der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat den Befundbericht von der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Dr. L. vom 7. Februar 2023 eingeholt. Bei der Erstvorstellung in der Praxis am 14. September 2021 habe dessen Ehefrau die verbale Kommunikation übernehmen müssen, da der Kläger selbst nicht habe sprechen können. Die Vorstellung sei bei schwersten neurologischen Defiziten erfolgt. Im September 2021 hätten als Funktionseinschränkungen eine schwere residuale Tetrasymptomatik mit Extremitäten-, Rumpf-, Stand- und Gangataxie, eine schwere residuale ataktische Dysarthrophonie bei nucleärer Fazialis-, Hypoglossus- und Glossopharyngeusparese rechts mit hierdurch kaum verständlicher Sprache, geringem Sprachantrieb und schwerer Dysphagie bestanden. Stimmungslage und Antrieb hätten sich seither anamnestisch und objektiv deutlich verbessert. Bei der Rehabilitation gehe es nicht primär um die Reintegration in das Berufsleben, sondern um die Verminderung von Pflegebedürftigkeit und das Erreichen von Lebensqualität und punktueller Selbstständigkeit. Zu dem Befundbericht wird im Übrigen auf Blatt 39 bis 40 Bd. I der Gerichtsakte Bezug genommen.

Der Kläger hat nachfolgend mit seinem am 25. Juni 2023 bei dem Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz und in der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2024 beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. November 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2022 zu verurteilen, ihm die Kosten für die vom 12. Oktober bis zum 23. November 2022 „durchgeführte neurologische Rehabilitation der Phase B“ in Höhe von insgesamt 34.020,00 € zu erstatten. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Beklagte hätte bei einer von ihr angenommenen Unzuständigkeit den Antrag „an den zuständigen Träger“ weiterleiten müssen. Dies habe diese nicht getan, sodass sie zuständig sei. Bei ihm seien die persönlichen Voraussetzungen der Leistungen im Sinne von § 10 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) erfüllt. Er sei 47 Jahre alt. Sowohl die ihn behandelnden Ärzte als auch seine Familienangehörigen und Freunde sähen bei ihm hinsichtlich seiner Körperspannung und Fortbewegung Verbesserungen. Insbesondere habe die ihn behandelnde Frau D. in ihrem Befundbericht vom 20. Januar 2022 darauf verwiesen, dass bei ihm - dem Kläger - noch ein erhebliches Rehabilitationspotential bestehe. Nach § 10 SGB VI genüge die bei ihm anzunehmende Möglichkeit einer wesentlichen Besserung. Die Kosten für die selbstbeschaffte Leistung seien ihm nach § 18 SGB IX zu erstatten, da es sich um eine unaufschiebbare Leistung gehandelt habe. Sein Anspruch bestehe zumindest im Rahmen der Eingliederungshilfe für ein „Hilfsmittel“ nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB IX.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. März 2024 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die von ihm selbstbeschaffte Reha in K. vom 12. Oktober bis zum 23. November 2022. Als materiell-rechtliche Grundlage für die vom Kläger begehrte Kostenerstattung komme vorliegend allein die Regelung in § 18 Abs. 6 Satz 1 SGB IX in Betracht. Die vom Träger der gesetzlichen Rentenversicherung im Einzelnen zu erbringenden Leistungen der medizinischen Rehabilitation seien in den § 15 SGB VI i.V.m. §§ 42 ff. SGB IX, speziell zur stationären medizinischen Rehabilitation in § 15 Abs. 2 und 3 SGB VI, geregelt. Maßgeblich für die Ablehnung des Antrags des Klägers sei die Einschätzung der Beklagten gewesen, dass durch entsprechende Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation das Rehabilitationsziel im Sinne der Abwendung einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit, einer Wiederherstellung der geminderten Erwerbsfähigkeit oder einer Abwendung einer wesentlichen Verschlechterung nicht erreicht werden könne. Der Auffassung des Klägers, dass die von der Beklagten hier getroffene Prognose fehlerhaft gewesen sei, könne sich die Kammer im Ergebnis nicht anschließen. Aufgrund der bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens, spätestens bis zum Erlass des Widerspruchsverfahrens, erkennbaren Umstände sei nachvollziehbar gewesen, dass die Beklagte zu dem Ergebnis gekommen sei, dass eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme in Anbetracht der schweren Funktionsstörungen des Klägers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht geeignet ist, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit abzuwenden oder eine Wiederherstellung zu erreichen. Der Kläger sei prognostisch nicht wieder in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren gewesen. Es werde hier nicht darauf abgestellt, dass die Reha-Leistung überhaupt eine positive Wirkung habe. Zu Recht habe die Beklagte auch den Reha-Bedarf nach den Vorschriften zu Lasten eines anderen Reha-Trägers geprüft und ausgeschlossen. Die private Krankenkasse scheide als Reha-Träger nach dem SGB IX aus. Soweit der Sozialhilfeträger für die medizinische Rehabilitation zuständig sei, benenne § 90 Abs. 2 SGB IX die Ziele dieser Leistungen für den Bereich der Eingliederungshilfe abweichend von § 42 SGB IX. Anhaltspunkte für die Abgrenzung von Krankenbehandlung und medizinischer Rehabilitation ergäben sich aus den Behandlungsleitlinien der medizinischen Fachgesellschaften, hier aus den „Empfehlungen zur Neurologischen Rehabilitation von Patienten mit schweren und schwersten Hirnschädigungen in den Phasen B und C“ vom 2. November 1995. Danach sei die Phase B leistungsrechtlich der Krankenbehandlung zuzuordnen. Da der Kläger privat krankenversichert gewesen sei bzw. sei, scheide zwar die Kostenübernahme durch eine gesetzliche Krankenkasse aus, nicht jedoch die leistungsrechtliche Zuordnung zur Krankenhausbehandlung gemäß § 39 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V).

Der Kläger hat gegen das ihm am 7. April 2024 zugestellte Urteil am 22. April 2024 Berufung bei dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und zur Begründung sein Vorbringen aus der ersten Instanz wiederholt und vertieft. Das Sozialgericht habe hier nicht die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Die medizinischen Berichte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hätten gezeigt, dass bei ihm bereits Verbesserungen des Gangbildes zu verzeichnen gewesen seien und ein erhebliches Rehabilitationspotential bestanden habe. Zumindest habe Anlass für weitere medizinische Ermittlungen bestanden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne die Abgrenzung zwischen vollstationärer Krankenhausbehandlung und stationärer medizinischer Rehabilitation im Wesentlichen nur nach der Art der Einrichtung, den Behandlungsmethoden und dem Hauptziel der Behandlung getroffen werden, die sich auch in der Organisation der Einrichtung wiederspiegelten. Regelmäßig sei eine Gesamtschau unter Berücksichtigung der Verhältnisse des einzelnen Falles erforderlich, die jedoch nur nach objektiven Merkmalen und Kriterien erfolgen könne. Auch wenn das BSG diese Grundsätze für die Frage der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bei psychischen Erkrankungen aufgestellt habe, könnten diese Grundsätze auf die vorliegende Abgrenzung bei neurologischen Erkrankungen übertragen werden. Nach den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) sei die Phase B nicht mit einer Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit gleichzusetzen. Einen Anhaltspunkt hierfür biete, dass einzelne Bundesländer Patienten der Phase B sowohl Krankenhäusern als auch Rehabilitationseinrichtungen zuwiesen. Auch in Anbetracht der bei der Phase B im Vordergrund stehenden Sicherung und Verbesserung eines bestehenden Zustands im Wesentlichen durch die Anwendung von Heilmitteln und der Dauer der Maßnahmen bestünden erhebliche Bedenken, dass die Phase B stets mit einer Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit gleichgesetzt werden könne. Dies gelte auch, weil die primäre Akutversorgung bereits abgeschlossen sein müsse und die intensiv-medizinischen Behandlungsmöglichkeiten auch in einer Rehabilitations-Einrichtung vorgehalten werden könnten. Das Phasen-Modell könne daher allenfalls eine Orientierungshilfe darstellen, ob eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit bestehe bzw. wie die Abgrenzung einer Frührehabilitation im Sinne des § 39 SGB V von einer Rehabilitation im Sinne des § 40 SGB V vorzunehmen sei. Da Patienten der Phase B sowohl krankenhausbehandlungsbedürftig als auch nicht mehr krankenhausbehandlungsbedürftig sein könnten, hätten durch das Gericht weitere Ermittlungen erfolgen müssen. Unter Berücksichtigung des vorliegenden Einzelfalls sei die bei ihm - dem Kläger - erfolgte Behandlung in der Phase B als Rehabilitationsmaßnahme zu qualifizieren.

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt:

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12.03.2024, Az.: S 8 R 216/22, wird aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19.11.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.07.2022 verurteilt dem Kläger die Kosten für die vom 12.10.2022 bis zum 23.11.2022 durchgeführte neurologische Rehabilitation der Phase B in Höhe von insgesamt 34.020,00 € zu erstatten.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 12.03.2024 - AZ S 8 R 216/22 - zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat bei dem Kläger mit gerichtlichem Schreiben vom 14. Mai 2024 angefragt, ob ein Antrag auf Leistungen bei dem Sozialhilfeträger gestellt worden sei. Der Kläger hat dies verneint.

Der Senat hat das Gutachten von dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B. vom 12. Januar 2025 nach Aktenlage erstatten lassen. Insgesamt sei im Oktober 2021 nicht zu erwarten gewesen, dass der Kläger in absehbarer Zeit, auch nicht im Verlauf von mehreren Jahren, eine so starke Verbesserung der basalen Fähigkeiten und Funktionen werde erlangen können, dass eine Integration im Erwerbsleben denkbar geworden wäre. Limitierend seien weniger die Störungen der großen Muskelgruppen, also des Rumpfes und der Extremitäten, als die der Sprache und des (verbalen) Ausdrucks. Der Sachverständige hat seinem Gutachten zur Veranschaulichung eine gebräuchliche Verständigungstafel beigefügt. Bezüglich der Einzelheiten des Gutachtens wird im Übrigen auf Blatt 170 bis 186 Bd. II der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 31. März 2025 (dem Kläger zugestellt am 1. April 2025) sind die Beteiligten zu einer Entscheidung des Senats gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden. Die Beteiligten haben sich nachfolgend in der Sache nicht mehr geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese Akten haben bei der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen.

II.

Der Senat hat nach § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden können, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher gehört worden.

Eine Beteiligung anderer Rehabilitationsträger im Rahmen der Beiladung zum Verfahren ist hier nicht geboten gewesen. Die vom Kläger aufgeworfene Frage einer Zuständigkeit der Beklagten als erstangegangener Träger im Sinne des § 14 SGB IX - mit der Folge der Beiladung eines anderen tatsächlich leistungspflichtigen Trägers - stellt sich im vorliegenden Fall nach Maßgabe der geltenden Rechtslage nicht. Denn aufgrund der privaten Krankenversicherung des Klägers gibt es keinen anderen Sozialleistungsträger, an den der Rehabilitationsantrag des Klägers hätte weitergeleitet werden können. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX sind nur die „gesetzlichen Krankenkassen“ Träger der Rehabilitation, die unmittelbar oder durch Verweisung auf dieses Gesetzbuch nach dem SGB IX zu erbringen ist. Gesetzliche Krankenkassen in diesem Sinne sind nur die in § 4 SGB V aufgeführten rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts. Bezogen auf die Träger der Eingliederungshilfe findet die Regelung in § 18 SGB IX nach Absatz 7 der Vorschrift keine Anwendung. Die Bewilligung von Eingliederungshilfe nach dem Zweiten Buch des SGB IX ist im Übrigen von einem auf die Bewilligung dieser Leistungen gerichteten Antrag (§ 108 Abs. 1 SGB IX) sowie einer durch Offenlegung der gesamten Einkommens- und Vermögensverhältnisse nachgewiesenen Bedürftigkeit abhängig. Insoweit bestehen in Anbetracht der sich aus den Akten ergebenden finanziellen Verhältnisse des Klägers, der Abdeckung der Rechnung der Klinik B. aus eigenen Mitteln und der Versicherung des Klägers bei der HM, die nach Aktenlage anscheinend auch die Kosten der Frührehabilitation der Phase B im Klinikum B. getragen hat, keine Anhaltspunkte, dass der Kläger einen Anspruch gegenüber dem Träger der Eingliederungshilfe haben könnte.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten aus der Rechnung der Klinik B. vom 28. November 2022 in Höhe von 34.020,00 €.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Erstattung der von ihm aufgewendeten Kosten nach § 18 Abs. 6 Satz 1 und 2 SGB IX noch auf Neubescheidung seines Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 25. Oktober 2021, da die Beklagte den Antrag nicht zu Unrecht abgelehnt hat.

In der Entscheidung kann es nicht zu Lasten der Beklagten berücksichtigt werden, dass zwar das Sozialleistungssystem auf die Begrenzung von Lücken im Versicherungsschutz ausgerichtet und auch Ausschlussklauseln in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen eng auszulegen sind (vgl. Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 8. Januar 2020 - IV ZR 240/18 -, juris, RdNr. 10), es aber keine vollständige Harmonisierung zwischen dem Sozialleistungssystem des Sozialgesetzbuchs und dem System der privaten Krankenversicherung gibt. Letztere wollte der Gesetzgeber erkennbar nicht vollständig in das Gesamtsystem der sozialen Absicherung einbinden. Das wird bereits dadurch erkennbar wird, dass die Unternehmen der privaten Krankenversicherung nicht zu den Rehabilitationsträgern im Sinne des § 6 SGB IX gehören.

Ausgehend von dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen im Berufungsverfahren ist es nicht streitentscheidend, dass auch die hier in der Klinik B. - nach entsprechenden Leistungen im Klinikum B. - fortgesetzte Neurologische Frührehabilitation der Phase B der Krankenbehandlung zuzuordnen ist. Das Phasenmodell mit den Phasen A bis F wurde von der Arbeitsgruppe Neurologische Rehabilitation des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger entwickelt, auf dem basierend die BAR die Empfehlungen zur Neurologischen Rehabilitation von Personen mit schweren und schwersten Hirnschädigungen in den Phasen B und C vom 2. November 1995 (im Folgenden BAR-Empfehlungen) erarbeitet hat. Nach dem Sozialleistungsrecht wird auf dieser Grundlage die Neurologische Frührehabilitation der Phase B mit von der Krankenhausplanung der Länder vorgehaltenen Einrichtungen abgedeckt (vgl. BAR-Empfehlungen, S. 5 und 12), worauf bereits das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat. Die Definition der Phase B als Behandlungs-/Rehabilitationsphase, in der noch intensiv-medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorgehalten werden müssen, basiert auf einer einrichtungsbezogenen Betrachtung. Insoweit bestehen auch keine Abgrenzungsprobleme zu der für den Krankenversicherungsschutz des Klägers maßgebenden zivilrechtlichen Betrachtung. Der Aufenthalt in Rehabilitationseinrichtungen ist typischerweise von längerer Dauer, bei dem - anders als bei einem Krankenhaus - eine den Anforderungen an eine intensive und möglichst umfassende medizinische und ärztliche Betreuung und Behandlung entsprechende Ausstattung nicht im Vordergrund steht. Es werden hinsichtlich der Intensität des Einsatzes von medizinischem Personal und/oder medizinisch-technischer Geräte geringere Anforderungen gestellt (vgl. BGH, a.a.O., RdNr. 13f. m.w.N.). An diesem Maßstab ist die Versorgung des Klägers in der Frührehabilitation der Phase B auch in ihrer Fortsetzung in der Klinik B. der Behandlung in einem Krankenhaus zuzuordnen, da auch das Fachkrankenhaus der Klinik B. apparative und personelle Standards eines Krankenhauses vorhält und nach der Definition der Phase B vorhalten muss. Im Übrigen spricht der Inhalt der Vereinbarung vom 14. September 2021 über die stationäre Behandlung des Klägers im „Fachkrankenhaus“ mit der Abrechnung auf der Basis von DRG und dem KHEntG gegen eine Zuordnung zur medizinischen Rehabilitation. Für die Neurologische Frührehabilitation der Phase B wurden nach den Ausführungen der Beklagten im Übrigen keine Verträge zwischen Rentenversicherungsträgern und Leistungserbringern im Sinne des § 15 Abs. 2 Satz 1 SGB VI geschlossen.

Diese Zuordnung der Neurologischen Frührehabilitation der Phase B zur Krankenhausbehandlung wäre auf der Stufe der Prüfung des Auswahlermessens oder einer Ermessensreduzierung auf null ausschlaggebend, wenn ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation auf der Stufe des „Ob“ festzustellen wäre. Auch daran fehlt es hier.

Die Träger der Rentenversicherung erbringen nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Leistungen zur medizinischen Rehabilitation als Form der Leistungen zur Teilhabe, um (Nr. 1) den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten vorzubeugen, entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und (Nr. 2) dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit des Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Diese Leistungen haben nach § 9 Abs. 1 Satz 3 SGB VI Vorrang vor Rentenleistungen, die bei erfolgreichen Leistungen zur Teilhabe nicht oder voraussichtlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erbringen sind. Nach § 9 Abs. 2 SGB VI sind die Leistungen nach Absatz 1 dieser Vorschrift zu erbringen, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.

Die in § 10 SGB VI vorgegebenen persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind bei dem Kläger nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift erfüllt ein Versicherter die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe, (Nr. 1) dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung gefährdet oder gemindert ist und (Nr. 2) bei denen voraussichtlich a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation abgewendet werden kann, b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann. Bei dem Kläger ist seit der Antragstellung bei der Beklagten am 25. Oktober 2021 die Erwerbsfähigkeit sowohl in dem bisherigen Beruf als auch für leichte körperliche und geistig anspruchslose Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufgehoben. Der Senat hat dem Vorbringen des Klägers dadurch Rechnung getragen, dass das Sachverständigengutachten von Dr. B. eingeholt worden ist. Eine positive Prognose für eine Wiedereingliederung des Klägers in das Erwerbsleben hat danach im Zeitraum seit der Antragstellung bei der Beklagten zu keinem Zeitpunkt bestanden. Die durch eine weitere Neurologische Frührehabilitation der Phase B in der Klinik B. zu prognostizierenden Fortschritte des Klägers betreffen dessen Alltagskompetenz und Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, nicht indes dessen Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung. Insoweit ist auch hervorzuheben, dass die Beklagte den Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung auf Dauer festgestellt hat und der Kläger seit dem 1. September 2021 die von ihm beantragte Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

Rechtskraft
Aus
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