L 1 AS 64/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 23 AS 27/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 AS 64/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 5. November 2008 wird geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 3. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2007 wird aufgehoben, soweit die Erstattungsforderung der Beklagten 277,45 EUR übersteigt und eine Aufrechnung mit dem laufenden Leistungsanspruch angeordnet ist.
2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu ¼ zu erstatten.
4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II) im Hinblick auf erhaltene Nebenkostenrückzahlungen und die Berechtigung der Beklagten zur Aufrechnung des Erstattungsbetrages gegen die laufend gezahlte Leistung.

Die Klägerin bezog seit Januar 2005 laufend Alg II.

In 2005 wurden ihr zunächst laufend monatlich 345 EUR Regelleistung und 377,98 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) gezahlt. Im August 2005 erhielt sie 496,09 EUR (345 EUR Regelleistung, KdU 373,62 EUR) abzüglich des Guthabens aus einer Nebenkostenrückzahlung 2004 in Höhe von 222,53 EUR, die als Einkommen anspruchsmindernd angerechnet wurde (Bescheid vom 22.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2005, im Überprüfungsverfahren mit Bescheid vom 13.08.2007 aufgehoben).

Mit Ihrem Fortzahlungsantrag vom 15. September 2005 legte sie eine Mietbescheinigung vom 18.08.2005 vor. Danach betrug die monatliche Grundmiete für ihre 75,64 m² große Wohnung 299,46 EUR, die Nebenkostenvorauszahlung 61,36 EUR. Ab Oktober 2005 bewilligte die Beklagte nur noch die aus ihrer Sicht angemessenen KdU von 297,94.

Auf den Fortzahlungsantrag vom 16.02.2006 bewilligte die Beklagte Leistungen bis einschließlich August 2006 (Bewilligungsbescheid vom 06.03.2006). Am 27.06.2006 erhielt die Klägerin eine Nebenkostenrückzahlung für 2005 in Höhe von 180,76 EUR, die sie der Beklagten zunächst verschwieg.

Für den Bewilligungszeitraum 01.09.2006 bis 31.12.2006 erhielt die Klägerin 652,12 EUR Alg II, im Januar und Februar 2007 606,12 EUR. Der Bewilligungsbescheid vom 15.08.2006 sah ab 01.01.2007 eine Absenkung der Kosten für Unterkunft und Heizung von zuvor 307,12 EUR auf 261,12 EUR vor.

Zum 01.01.2007 hob der Vermieter der Klägerin die monatliche Kaltmiete auf 307,02 EUR an, bei weiter vorauszuzahlenden Nebenkosten von 61,36 EUR. Die monatlichen Heizkosten lagen bei 31 EUR. Die entsprechende Vermieterbescheinigung legte die Klägerin mit dem Fortzahlungsantrag vom 07.02.2007 vor. Die Beklagte bewilligte neben dem Regelsatz KdU von 319,39 EUR für den Bewilligungszeitraum März bis August 2007 (Bescheid vom 13.02.2007).

Am 10.07.2007 forderte die Beklagte die Klägerin auf, ihre Nebenkostenabrechnungen für 2005 und 2006 vorzulegen. Aus den daraufhin erstmals eingereichten Abrechnungen vom 28.03.2006 und 28.04.2007 ergab sich ein Guthaben von 180,76 EUR für 2005 und von 206,68 EUR für 2006, eingegangen auf dem Konto der Klägerin am 27.06.2006 (für 2005) und am 30.05.2007 (für 2006).

Unter dem 13.08.2007 hörte die Beklagte die Klägerin dazu an, dass sie beabsichtige, die beiden Nebenkostenrückzahlungen für 2005 und 2006 als Einkommen auf den Alg II-Anspruch der Klägerin im Juli 2006 und im Juni 2007 anzurechnen, entsprechend die für diese Monate erfolgte Alg II-Bewilligung teilweise aufzuheben und überzahlte Leistungen in Höhe von 387,44 EUR zurückzufordern.

Mit Bescheid vom 03. September 2007 hob die Beklagte die Bewilligungsbescheide vom 06.03.2006 (für die Zeit vom 01.07. bis 31.07.2006 in Höhe von 180,76 EUR) und 13.02.2007 (für die Zeit vom 01.06.2007 bis 30.06.2007 in Höhe von 387,44 EUR) gestützt auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) teilweise auf, und forderte den überzahlten Betrag von 387,44 EUR von der Klägerin zurück. Zugleich erklärte sie in Ausübung ihres Ermessens nach § 43 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) die Aufrechnung in Höhe von monatlich 104,10 EUR gegen die der Klägerin laufend gewährten Leistungen.

Die Klägerin legte Widerspruch ein. Sie habe die Mietnebenkosten aus der Regelleistung bestritten, eine Anrechnung als Einkommen dürfe deshalb nicht erfolgen. Durch die Einkommensanrechnung werde sie für ihr sparsames Verhalten bestraft. Die Beklagte habe verkannt, dass § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II erst ab 01.08.2006 in Kraft sei. Die Aufrechnung sei ermessensfehlerhaft, weil die Klägerin die Nebenkostenrückzahlungen gutgläubig verschwiegen habe, weil die zurückerhaltenen Beträge nicht als KdU von der Beklagten, sondern aus ihrer Regelleistung von ihr selbst gezahlt worden seien.

Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Bescheid vom 21.11.2007). Nebenkostenerstattungen seien als Einkommen zu berücksichtigen und minderten den Leistungsanspruch im Zuflussmonat. Dies habe auch schon vor Inkrafttreten des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II gegolten. Die Klägerin habe auch wissen müssen, dass sie zur Angabe jedweden Einkommens verpflichtet sei. Dass sie selbst höhere Miete zahle, als an KdU von der Beklagten übernommen werde, könne nicht berücksichtigt werden. Sonst führe dies zu einer systemwidrigen Übernahme unangemessener Wohnungsmieten.

Gegen diese ihr am 22.11.2007 bekannt gegebene Entscheidung hat die Klägerin am 18.12.2007 Klage erhoben und ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 03.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2007 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden, die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit ein Betrag von mehr als 357,44 EUR zurückgefordert wird und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es hat die im Juni 2006 zugeflossene Nebenkostenerstattung als Einkommen angesehen, das - abzüglich der sog. "Versicherungspauschale" von 30 EUR nach § 3 Nr. 1 Alg II-V - den Leistungsanspruch mindere. Für die im Mai 2007 zugeflossene Nebenkostenerstattung gelte schon der am 01.08.2006 in Kraft getretene § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II, der keinen Abzug einer Versicherungspauschale mehr gestatte und eine Anrechnung der Rückzahlung auf die Aufwendungen des Folgemonats vorsehe, wie von der Beklagten richtig umgesetzt. Auch die vorgenommene Aufrechnung sei rechtmäßig, weil die Klägerin nicht damit habe rechnen dürfen, die erstatteten Beträge behalten zu können.

Auf die am Montag, den 12.01.2009 eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem der Klägerin am 10.12.2009 zugestellten Urteil des Sozialgerichts vom 05.11.2008 hat der Senat mit Beschluss vom 20.10.2009 die Berufung zugelassen.

Die Klägerin wiederholt im Berufungsverfahren ihr bisheriges Vorbringen und beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 05.11.2008 zu ändern und die Bescheide der Beklagten vom 03.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide, die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den weiteren Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach Zulassung durch den Senat statthafte Berufung ist teilweise begründet. Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dem zugestimmt haben.

Streitgegenstand ist entgegen dem im Erörterungstermin am 17.11.2009 protokollierten Antrag nur ein Bescheid der Beklagten, der lediglich zwei getrennt zu betrachtende Zeiträume und die Befugnis der Beklagten zur Aufrechnung betrifft.

Zu Recht hat die Beklagte die Alg II-Bewilligungen für die Monate Juli 2006 und Juni 2007 teilweise aufgehoben. Denn die Klägerin hat Ende Juni 2006 Einkommen erzielt, das ihren Anspruch minderte (1.). Im Juni 2007 war die Nebenkostenrückzahlung bei den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung bedarfsmindernd zu berücksichtigen (2.). Allerdings ist die im Juni 2007 entstandene Überzahlung niedriger, als von der Beklagten angenommen (3.). Die vorgenommene Aufrechnung war nicht zulässig (4.).

1. Nach §§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt ist mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Der Beginn des Anrechnungszeitraumes von Einkommen ist nach § 13 SGB II i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 Alg II-V idF vom 22.8.2005 (BGBl I 2499) der Beginn des Monats, in dem das Einkommen zufließt, wobei die Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme rechtsfehlerfrei auch noch im Folgemonat vorgenommen werden kann, § 2 Abs. 3 Satz 2 Alg II-V (vgl. BSG, Urteil vom 13.05.2009, B 4 AS 49/08 R).

Hier stand der Klägerin für Juli 2006 zunächst ein Anspruch auf Alg II zu, jedoch ist dieser nach Bewilligung teilweise entfallen. Die Klägerin hat nach der Antragstellung am 16.02.2006 im Juni 2006 Einkommen erzielt, das zur Minderung ihres Anspruches im Juni bzw. Juli 2006, also innerhalb des laufenden Bewilligungszeitraums geführt haben würde. Die Nebenkostenrückzahlung am 27.06.2006 stellte Einkommen der Klägerin dar. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen, mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden. Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II ist grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält (BSG, Urteil vom 13.05.2009, B 4 AS 49/08 R).

Die Klägerin will die Nebenkostenrückzahlung für 2005 nicht als Einkommen gewertet wissen, da sie sie - jedenfalls teilweise - aus ihrer Regelleistung erbracht habe. Die Beklagte habe nicht die vollen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung übernommen, weshalb ihr der von ihr selbst aufgebrachte Differenzbetrag verbleiben müsse. Die Argumentation der Klägerin ist demnach entweder dahin zu verstehen, die von der Klägerin über die von der Beklagten übernommenen angemessenen KdU hinaus aus der Regelleistung erbrachten Beträge seien entweder "stoffgleich" mit der ihr zustehenden und bewilligten Sozialleistung und deshalb nicht als Einkommen zu berücksichtigen oder das Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung sei nicht als Einkommen, sondern als Vermögen zu werten, da es quasi "angespart" worden und deshalb möglicherweise geschützt sei.

Beide Argumente greifen nicht durch. Für die von der Nebenkostenabrechnung erfasste Zeit vom 01.01. bis einschließlich September 2005 ist diese Auffassung der Klägerin schon deshalb falsch, weil in dieser Zeit die Beklagte die vollen KdU getragen hat, so dass die Klägerin nichts aus ihrer Regelleistung hinzufügen musste. Nur im Oktober, November und Dezember 2005 zweigte sie den von der Beklagten nicht übernommenen Anteil der KdU aus ihrer Regelleistung ab.

Die Nebenkostenrückerstattung durch den Vermieter kann nicht als identisch mit dem der Klägerin bewilligten Alg II angesehen werden, mit der Folge, dass dieses dann nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II anrechnungsfrei wäre. Die Klägerin hat in den Monaten Oktober bis Dezember 2005 die volle Regelleistung erhalten und einen Teil davon für eine nicht angemessene Mietwohnung ausgegeben. Darin, wie die Klägerin mit ihrer Regelleistung verfährt, ist sie frei. Wenn die Klägerin Teile der Regelleistung im Monat der Auszahlung nicht für die Deckung ihres Grundbedarfs und zum Lebensunterhalt benötigt und anders - nämlich zum Unterhalt einer unangemessenen Wohnung - verwendet hat, so hat sie dennoch in dem betreffenden Monat zur Bedarfsdeckung ausreichende Geldmittel erhalten. Ein ungedeckter Bedarf ist nicht verblieben und kann deshalb auch nicht Monate später wieder aufleben.

Die Nebenkostenrückzahlung kann auch nicht wie ein aus dem Alg II angesparter Betrag als Vermögen angesehen werden, mit der Folge, dass dann zugunsten der Klägerin Freibeträge zu berücksichtigen wären (vgl. § 12 Abs. 2 SGB II). Die Klägerin hat kein Nebenkostenguthaben angespart, sondern sie hat Vorauszahlungen auf Nebenkosten geleistet, die sich nachträglich als zu hoch herausgestellt haben. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat nach eigener Prüfung folgt, ist geklärt, dass Rückzahlungen aus Nebenkostenguthaben jedenfalls bis zum Inkrafttreten des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II als Einkommen zu berücksichtigen waren (BSG, Urteil vom 15.04.2008, B 14/7b AS 58/06 R).

Da mit Ausnahme der vom Sozialgericht berücksichtigten Versicherungspauschale von 30 EUR § 11 Abs. 2 und 3 SGB II keine weiteren Abzüge und Freibeträge vom Einkommen der Klägerin vorsehen, ist auch die Berechnung der Rückforderung durch das Sozialgericht insoweit nicht zu beanstanden.

2. Auch hinsichtlich der Nebenkostenerstattung für das Jahr 2006 hatte die Beklagte den Bewilligungsbescheid nach §§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, da in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten war. Die Nebenkostenerstattung für das Jahr 2006 war grundsätzlich anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Nach § 22 Abs. 1 Satz 4, 1. Halbsatz SGB II (in der ab 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006, BGBl. I, 1706) mindern Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten der Unterkunft (KdU) zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen.

Der Verwaltungsakt war insoweit mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, da die Klägerin - wie § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 voraussetzt - einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Durch den Erhalt der Nebenkostenrückzahlung war eine wesentliche Änderung in den der Leistungsbewilligung zugrunde liegenden wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin eingetreten. Die Klägerin hätte der Beklagten jeweils mitteilen müssen, dass sie eine Nebenkostenerstattung erhalten hatte (§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I). Dieser Pflicht zur Mitteilung einer wesentlichen Änderung ist sie zur Überzeugung des Senats vorsätzlich nicht nachgekommen: Aus dem zeitlich parallelen Verwaltungsverfahren betreffend die Nebenkostenrückzahlung für 2004 war ihr ihre Pflicht zur Anzeige der Nebenkostenerstattung vollständig bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass mit einer Anrechnung des Erstattungsbetrags auf die bewilligten Leistungen zu rechnen war.

3. Der Höhe nach ist der Erstattungsanspruch der Beklagten jedoch niedriger, als in dem angefochtenen Bescheid angenommen. Die Beklagte und die Vorinstanz haben § 22 Abs. 1 SGB II dahingehend verstanden, dass Rückzahlungen auf Nebenkosten in voller Höhe die bewilligte Leistung mindern. Diese Auffassung ist aber mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht vereinbar. § 22 Abs. 1 SGB II unterscheidet sehr klar zwischen Aufwendungen einerseits und Leistungen bzw. Bedarf andererseits. Dabei meint das Wort "Leistungen" die zu bewilligenden KdU, während das Wort "Aufwendungen" die tatsächlichen Kosten bezeichnet, die der Leistungsempfänger unabhängig von der Höhe der ihm bewilligten Leistungen aufbringen muss. So ist in Satz 1 die Höhe der tatsächlichen Aufwendungen der Leistung gegenübergestellt und es wird nach angemessenen und nicht angemessenen Aufwendungen unterschieden. In Satz 2 wird dasselbe Begriffspaar verwendet um klarzustellen, dass in bestimmten Fällen die Leistungen nicht angehoben werden, wenn die Aufwendungen steigen. In Satz 3 ist von Aufwendungen die Rede, die als Bedarf berücksichtigt werden, solange sie nicht zumutbar auf das angemessene Maß gesenkt werden können. Dieser Sprachgebrauch macht deutlich, dass das Wort "Aufwendungen" den Betrag bezeichnet, den der Hilfebedürftige tatsächlich zahlt, während das, was er vom Leistungsträger bekommt die "Leistung" zur Deckung seines "Bedarfs" ist, der nur die angemessenen, also nicht alle Aufwendungen umfasst. Wenn Satz 4 demnach anordnet, dass Rückzahlungen auf Kosten der Unterkunft im auf den Zufluss folgenden Monat die Aufwendungen mindern, kann sich dies - da nicht von Leistungen, Bedarf oder angemessenen Aufwendungen die Rede ist - nur auf den Gesamtbetrag der Aufwendungen beziehen. Im Folgemonat kann also der Hilfebedürftige die Nebenkostenrückzahlung verwenden, um mit ihr seine Aufwendungen ("auf andere Weise" - § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II - z.B. durch sparsames Wirtschaften) zu senken. Folglich ist der Rückzahlungsbetrag von den Gesamtkosten der KdU abzusetzen und nur insoweit anzurechnen, als die danach verbleibenden Aufwendungen den in der Leistungsbewilligung festgelegten Bedarf unterschreiten.

Eine Auslegung der Norm anhand ihrer Entstehungsgeschichte oder ihres Zwecks führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Der Grund für die Einführung der Vorschrift war nicht leistungsrechtlicher Natur, sondern diente dazu, Nebenkostenrückzahlungen dem Träger zuzuordnen, der auch die Leistungen für KdU getragen hat, also dem kommunalen Träger (BT-Drs. 16/1696, S. 24f.). Die Zusammenschau mit § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II legt nahe, dass ein Anreiz zu wirtschaftlichem Verhalten durchaus beabsichtigt war (gegen eine volle Anrechnung auch Berlit, in: LBK-SGB II, § 22 Rn. 54). Die von der Beklagten und dem Sozialgericht offenbar gesehene Gefahr, dass Leistungsempfänger durch Vereinbarung überhöhter Nebenkosten über die Rückzahlung nach der Jahresendabrechnung eine Subvention unangemessener Mieten erreichen könnten, sieht der Senat als gering an, da die Nebenkostenrückzahlung jeweils nur den Leistungsanspruch in einem einzelnen Monat des Jahres betrifft.

Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass der von der Klägerin zu erstattende Betrag niedriger ist, als von der Beklagten angenommen. Im maßgeblichen Monat Juni 2007 waren der Klägerin 319,39 EUR an KdU bewilligt. Tatsächlich betrugen die Aufwendungen für Kaltmiete 307,02 EUR bei Nebenkosten von 61,36 EUR und Heizkosten von 31 EUR, insgesamt also 399,38. Die Rückzahlung von 206,68 minderte diese Aufwendungen auf 192,70 EUR, so dass die Klägerin im Juni 2007 126,69 EUR zuviel erhalten hat. Mit den 150,76 EUR aus der Nebenkostenrückzahlung 2005 ergibt sich demnach noch ein Gesamtrückforderungsbetrag von 277,45 EUR.

4. Die vorgenommene Aufrechnung nach § 43 SGB II ist zu Unrecht erfolgt. Nach dieser Vorschrift können Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zu einem Betrag in Höhe von 30% der für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Regelleistung mit Ansprüchen der Träger von Leistungen nach diesem Buch aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung oder auf Schadenersatz handelt, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Mit ihrer auf § 48 SGB X gestützten Erstattungsforderung durfte die Beklagte nicht gegen die laufende Leistung der Klägerin aufrechnen. Denn anders als in § 26 SGB XII ist in § 43 SGB II eine Aufrechnungsermächtigung nicht ausdrücklich auch für den Fall eines pflichtwidrigen Unterlassens ausgesprochen und beide Vorschriften (§ 26 SGB XII sprachlich klarer als § 43 SGB II) fordern zur Verwirklichung des Tatbestandes, dass der Hilfebedürftige die Leistungen, die Gegenstand des Erstattungsanspruch sind, "veranlasst" hat. Aus diesem Wortlaut der Vorschrift und seiner Gegenüberstellung mit § 26 Abs. 2 Satz 1 SGB XII wird für den Senat überzeugend in Literatur und Rechtsprechung ganz überwiegend gefolgert, dass eine Aufrechnung nur bei Aufhebungsbescheiden in Betracht kommt, die auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X beruhen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.09.2007, L 5 B 825/07 AS PKH; SG Aachen, Urteil vom 09.01.2007, S 11 AS 147/06; Löns/Herold-Tews, SGB II, 2. Aufl., § 43 Rn. 5; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 43 Rn. 42; Streichsbier, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 26 Rn.2; Radüge, jurisPK-SGB II, § 43 Rn. 18; Berlit, in: LPK-SGB II, 2. Aufl., § 43 Rn. 9). Der abweichenden Auffassung von Eicher (Eicher/Spellbrinck, SGB II, 2. Aufl., § 43 Rn. 8) kann sich der Senat nicht anschließen. Die Aufrechnung gegen Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ist nur zulässig, soweit sie im Gesetz ausdrücklich geregelt ist (Schoch, ZfF 2008, 241, 246). Dafür dass der Gesetzgeber ein Unterlassen zur Verwirklichung der Voraussetzungen des § 43 Satz 1 SGB II nicht genügen lassen wollte und also bewusst für das SGB XII und das SGB II unterschiedliche Regelungen erlassen hat, spricht außerdem § 65e SGB II, der dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Verrechnung mit Forderungen des Sozialhilfeträgers gegen die laufende Leistung des Hilfeempfängers nach dem SGB II nur dann zulässt, wenn (über die Voraussetzungen des § 26 SGB XII hinaus) auch die Voraussetzungen des § 43 SGB II erfüllt sind.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Zulassung der Revision erfolgt beschränkt (vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer beschränkten Revisionszulassung: BSG, Urteil vom 20.10.2005, B 4 RA 10/05 R). Der Bescheid der Beklagten vom 3. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 2007 trifft drei abgrenzbare Verfügungen: Die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 06.03.2006 und Rückforderung der entstandenen Überzahlung im Hinblick auf die Nebenkostenerstattung im Juni 2006 (1), die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 13.02.2007 und Rückforderung der entstandenen Überzahlung im Hinblick auf die Nebenkostenerstattung im Juni 2007 (2) und die Aufrechnung mit den daraus resultierenden Rückforderungsansprüchen gegen den laufenden Leistungsanspruch der Klägerin (3). Nur bezogen auf die beiden letztgenannten Streitgegenstände (zu 2 und 3) lässt der Senat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) im Hinblick auf den bestehenden Meinungsstreit zur Reichweite der Ermächtigung zur Aufrechnung in § 43 SGB II und auf die hier vorgenommene Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II. Anlass zur Revisionszulassung bezüglich des erstgenannten Streitgegenstandes (Nebenkostenerstattung für 2005) bestand nicht, da sich das insoweit anzuwendende Recht mit Inkrafttreten des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II geändert hat , auslaufendes oder ausgelaufenes Recht in aller Regel keine grundsätzlichen Rechtsfragen mehr aufwerfen kann (BSG, Beschluss vom 26.04.2007, B 12 R 15/06 B; Breitkreuz/Fichte, SGG, § 160 Rn. 32) und der Senat bei seiner Entscheidung auch nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht (§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG). Der Senat hat davon abgesehen, den Umfang der Revisionszulassung schon im Urteilstenor im einzelnen zu spezifizieren, da auch bei insoweit offen gefasstem Tenor die Beschränkung der Revisionszulassung zulässig auch noch in den Urteilsgründen erfolgen kann (BSG, Urteil vom 25.06.1998, B 7 AL 2/98 R, BSGE 82, 198; Breitkreuz/Fichte, a.a.O., Rn. 77; Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 160 Rn. 28c).
Rechtskraft
Aus
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