L 4 SO 5/09

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 61 SO 432/08
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 5/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten – auch der Beigeladenen – werden nicht erstattet. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte dem Kläger für die Monate Januar und Februar 2008 weitere Grundsicherungsleistungen zu bewilligen hat.

Der im XXXXX 1942 geborene Kläger lebt zusammen mit den Beigeladenen zu 1) und 2) (Ehefrau und Sohn). Im streitigen Zeitraum erhielt er eine monatliche Altersrente in Höhe von 425,24 EUR. Die Beigeladene zu 1) bezog ab Januar 2008 Arbeitsentgelt in Höhe von 1.040 EUR monatlich brutto bzw. 828,88 EUR monatlich netto. Darüber hinaus erhielt sie von der Beigeladenen zu 3) (ARGE) Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), und zwar im Januar in Höhe von 203,14 EUR und für Februar in Höhe von 197,83 EUR. Für den Beigeladenen zu 2), der außer Kindergeld (154 EUR) kein Einkommen erzielte, wurden für Januar 2008 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 132,08 EUR und für Februar 2008 in Höhe von 128,61 EUR bewilligt. Der monatliche Mietzins der Familienwohnung betrug 685,59 EUR. Für Hausrat- und Privathaftpflichtversicherung fielen monatlich 14,54 EUR an, außerdem für die Beigeladene zu 1) berücksichtigungsfähige Fahrtkosten in Höhe von monatlich 80 EUR.

Mit Bescheid vom 22. Januar 2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag hin Leistungen der Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe – (SGB XII) für den Monat Januar 2008 in Höhe von 16,51 EUR.

Mit weiterem Bescheid vom 22. Januar 2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger für den Monat Februar 2008 Grundsicherung in Höhe von 25,29 EUR.

Der Kläger erhob gegen diese Bescheide wie auch gegen den Bewilligungsbescheid betreffend Dezember 2007 Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2008 veränderte die Beklagte die Bewilligung und wies ansonsten den Widerspruch zurück. Auf den Bescheid (Bl. 18 bis 24 der Prozessakten) wird Bezug genommen.

Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 26. November 2008 zugestellt. Am 23. Dezember 2008 hat er vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.

Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens modifizierte die Beklagte die Berechnung der dem Kläger zu bewilligenden Leistungen abermals und erkannte mit seiner Zustimmung weitergehende Ansprüche an (Termin zur mündlichen Verhandlung am 31. März 2009). Im Ergebnis hat sie dem Kläger für den Monat Januar 2008 monatliche Leistungen der Grundsicherung in Höhe von 112,51 EUR bewilligt. Dabei brachte sie von seinem und dem Einkommen der Beigeladenen zu 1) nach § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII einen Freibetrag in Höhe von 173,50 EUR (Hälfte des Regelsatzes von hier 347 EUR) zum Abzug. Ausgehend von einem berücksichtigungsfähigen Einkommen der Ehefrau in Höhe von somit 768,64 EUR abzüglich des Bedarfs der Ehefrau in Höhe von 537,31 EUR und des Restbedarfs für den Beigeladenen zu 2) in Höhe von 217,23 EUR berücksichtigte sie ein Einkommen in Höhe von 14,10 EUR als Partnereinkommen bei der Berechnung der Ansprüche des Klägers.

Für den Monat Februar 2008 hat die Beklagte dem Kläger im Ergebnis Grundsicherung in Höhe von 121,29 EUR bewilligt. Hierbei wandte sie die gleiche Berechnungsmethode an wie für Januar 2008 und brachte ein Einkommen in Höhe von 5,32 EUR als Partnereinkommen bei der Berechnung seiner Ansprüche in Abzug. Die Aufwendungen der Familie für Hausrat- und Haftpflichtversicherung brachte die Beklagte - für die Berechnung neutral - vollen Umfangs beim Kläger zum Ansatz.

Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgebracht, die Beklagte habe zu Unrecht bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen lediglich den Freibetrag nach § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zum Abzug gebracht. Bei dieser Vorgehensweise würde der als Arbeitsanreiz gedachte Freibetrag nach § 30 SGB II, welcher der Beigeladenen zu 1) gewährt werde, der Bedarfsgemeinschaft wieder genommen. Würde der hilferechtliche Bedarf ausschließlich nach dem SGB II berechnet werden, würde der Gemeinschaft der volle Freibetrag nach § 30 SGB II verbleiben. Die verschiedenen Freibetragsregelungen widersprächen sich. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber eine solche Ungleichbehandlung gewollt habe. Würde man auch bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen die Freibetragsgrenzen des § 30 SGB II anwenden, fände weder für Januar noch für Februar 2008 eine Einkommensanrechnung aus dem Einkommen der Beigeladenen zu 1) statt.

Mit Urteil vom 31. März 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen. In der Begründung heißt es, die Klage sei unbegründet. Der Kläger habe für den fraglichen Zeitraum keinen Anspruch auf höhere als die bewilligten Grundsicherungsleistungen.

Dem Kläger stehe Anspruch auf ergänzende Grundsicherung nach §§ 41 Abs. 1, 42 SGB XII zu. Sein Bedarf in Höhe von 551,85 EUR werde durch die Rente nicht vollen Umfangs gedeckt. Entgegen seiner Auffassung stünden ihm jedoch im Monat Januar keine Leistungen in Höhe von 126,61 EUR, sondern lediglich solche in Höhe von 112,51 EUR zu. Für den Monat Februar habe er Anspruch auf Grundsicherungsleistungen in einer Höhe von 121,29 EUR, nicht jedoch in Höhe von 126,61 EUR, wie er meine. Dies beruhe darauf, dass die Beklagte zu Recht § 82 Abs. 3 SGB XII und nicht § 30 SGB II herangezogen habe. Bei Leistungen der Grundsicherung sei nach § 82 Abs. 3 SGB XII bei Leistungsberechtigten, die Einkommen aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit bezögen, ein Betrag in Höhe von 30 % des Einkommens, höchstens jedoch 50 % des Eckregelsatzes zum Abzug zu bringen. Diese Norm sei auch dann heranzuziehen, wenn es sich um ein Einkommen handele, das nicht der Grundsicherungsberechtigte selbst, sondern ein mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebender erwerbsfähiger Partner beziehe, bei dem wiederum die Freibetragsregelung des § 30 SGB II gelte. Der Gesetzgeber habe mit der Novellierung der sozialhilferechtlichen Regelungen und der Schaffung des SGB II und des SGB XII zum 1. Januar 2005 eine klare Grenzziehung zwischen den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende und den Leistungen für nicht erwerbsfähige Empfänger von Leistungen der Sozialhilfe bzw. der Grundsicherung gezogen. Gegen die beabsichtigte Abgrenzung spräche es, zöge man bei der Berechnung des Bedarfs eines Grundsicherungsempfängers Regelungen des SGB II heran. Durch die klare Trennung würden nicht in rechtlich zu beanstandender Weise Vermögenspositionen des Empfängers von Grundsicherungsleistungen beeinträchtigt. Denn der Anreiz, den § 30 SGB II für Empfänger von Arbeitslosengeld II biete, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, komme der Beigeladenen bei Berechnung der ihr zustehenden Leistungen nach dem SGB II zugute. Der Kläger selbst hingegen stehe dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung und bedürfe somit keines solchen Anreizes. Ausgehend von der Vorschrift des § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ergebe sich für Januar 2008 bei einem Netto-Einkommen der Beigeladenen zu 1) von 824,20 EUR abzüglich Arbeitsmittelpauschale (5,20 EUR) und Fahrtkosten (80 EUR) zuzüglich der Leistungen nach dem SGB II (203,14 EUR) abzüglich der Hälfte des Regelsatzes (173, 50 EUR) sowie des Bedarfs der Beigeladenen zu 1) und 2) (537,31 EUR und 217,23 EUR) eine restliche Anrechnung für den Kläger in Höhe von 14,10 EUR, somit bei einem Bedarf in Höhe von 551,85 EUR abzüglich der Rente (425,24 EUR) und des Anrechnungsbetrages (14,10 EUR) die bewilligte Grundsicherung in Höhe von 112,51 EUR.

Für Februar 2008 ergebe sich bei gleichem Netto-Einkommen und Werbungskosten der Beigeladenen zu 1) zuzüglich der Leistungen nach dem SGB II (197,83 EUR) abzüglich des halben Regelsatzes und des Bedarfs der Beigeladenen zu 1) und 2) (537,31 EUR und 226,02 EUR) eine restliche Anrechnung für den Kläger in Höhe von 5,32 EUR, woraus sich bei einem Bedarf von 551,85 EUR abzüglich der Altersrente und des ermittelten Anrechnungsbetrages die bewilligte Grundsicherung in Höhe von 121,29 EUR ergebe.

Das Urteil ist dem Kläger am 2. April 2009 zugestellt worden. Am 29. April 2009 hat er Berufung eingelegt.

Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger geltend, die Beklagte habe bei der Anrechnung des Einkommens der Beigeladenen zu 1) deren Einkommen nur um den Freibetrag nach § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in Höhe von 173,50 EUR, nämlich der Hälfte des Eckregelsatzes, bereinigt, sodass sich ein zu hohes anzurechnendes Einkommen der Beigeladenen zu 1) ergebe. Richtigerweise hätte die Beklagte das Einkommen der Beigeladenen zu 1) um den vollen Freibetrag nach § 30 SGB II kürzen müssen. Dann hätte sich für den Monat Januar 2008 lediglich ein anzurechnendes Einkommen von 678,01 EUR ergeben und damit nach Berücksichtigung des Bedarfs der Beigeladenen kein auf die Grundsicherungsleistung des Klägers noch anzurechnendes Einkommen der Beigeladenen zu 1). Entsprechendes gelte für den Monat Februar 2008. Es ergebe sich hier eine verfassungswidrige Diskrepanz dadurch, dass der als Arbeitsanreiz gedachte Freibetrag nach § 30 SGB II der Bedarfsgemeinschaft dadurch wieder genommen werde, dass bei der sozialhilferechtlichen Berechnung nach dem SGB XII das volle Einkommen der Beigeladenen zu 1) angesetzt und lediglich um den Freibetrag nach § 82 Abs. 3 SGB XII wieder bereinigt werde, wobei der Freibetrag der Höhe nach auf höchstens 50 % des Eckregelsatzes von derzeit 347 EUR gekappt werde. Diese Diskrepanz sei durch eine entsprechende Anwendung des § 30 SGB II zu beseitigen. Würde der hilferechtliche Bedarf ausschließlich nach dem SGB II berechnet werden und dem Kläger dort sein Renteneinkommen angerechnet werden, so würde der Bedarfsgemeinschaft der volle Freibetrag nach § 30 SGB II verbleiben, während dadurch, dass eine fiktive Berechnung nach dem SGB XII erfolge, der die Hälfte des Eckregelsatzes übersteigende Teil des Freibetrages vom Erwerbseinkommen entgegen der Intention des § 30 SGB II den Betroffenen letztlich doch wieder genommen werde. Da die Freibetragsregelungen nach § 30 SGB II und § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nicht miteinander harmonisierten und der Gesetzgeber eine solche ungleiche Behandlung mit Sicherheit nicht gewollt hätte, liege eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke vor. Gegen eine klare Grenzziehung zwischen den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und den Leistungen der Sozialhilfe bzw. der Grundsicherung spreche schon die Öffnungsklausel des § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass derartige Konstellationen des Zusammentreffens von Leistungen der Grundsicherung bei einem Ehegatten und nach dem SGB II bei dem anderen Ehegatten relativ selten, nämlich nur bei großem Altersunterschied, auftreten könnten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 31. März 2009 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 22. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2008 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger weitere Leistungen der Grundsicherung für Januar 2008 in Höhe von 14,10 EUR und für Februar 2008 in Höhe von 5,32 EUR zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 1) schließt sich dem Antrag des Klägers an. Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

Die Beklagte führt aus, dem Kläger könne nicht gefolgt werden, wenn er für das von ihm erstrebte Ergebnis auf die in § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII enthaltene Öffnungsklausel verweise, denn diese Bestimmung sei für die Berücksichtigung der Absetzbeträge von Erwerbseinkommen Erwerbsfähiger gerade nicht vorgesehen, da für diesen Personenkreis ausschließlich die Bestimmungen des SGB II einschlägig seien.

Die Sachakten der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Sozialgericht ausdrücklich zugelassene Berufung ist nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden und daher zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Dem Kläger stehen für die Monate Januar und Februar 2008 keine höheren Grundsicherungsleistungen nach § 41 ff SGB XII zu, als die Beklagte ihm bereits in den angefochtenen Bescheiden und im Wege des – angenommenen – Anerkenntnisses zugesprochen hat.

Dass der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf ergänzende Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII hat, ist nicht zweifelhaft. Insoweit kann auf die zutreffenden Bescheide der Beklagten vom 22. Januar 2008 und vom 24. November 2008 sowie auch das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Bezug genommen werden. Insbesondere steht einem solchen Anspruch nicht entgegen, dass der Kläger zusammen mit der erwerbsfähigen hilfebedürftigen Beigeladenen zu 1) nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a SGB II in einer Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II steht. Der Anspruch auf Grundsicherung nach dem 4. Kapitel SGB XII geht dem Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II vor (vgl. §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II).

Die Beklagte hat, was auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt wird, die Höhe der Leistungen für die Monate Januar und Februar 2008, legt man eine Anwendbarkeit des § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zugrunde, der Höhe nach richtig berechnet. Insoweit kann auf die zutreffenden Kalkulationen im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts verwiesen werden. Streitig ist allein, ob wegen des Einkommens der Beigeladenen zu 1) der Absetzbetrag nach § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII oder nach einer für den Kläger im Ergebnis günstigeren Regelung (insbesondere etwa § 30 SGB II) zu bilden ist. Letzteres ist nach Auffassung des Senats zu verneinen.

Bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten, die dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigen, nach den §§ 19 und 20 Satz 1 SGB XII zu berücksichtigen. Entsprechendes sieht § 19 Abs. 2 Satz 2 SGB XII vor. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist von Einkommen neben den in § 82 Abs. 2 SGB XII genannten Posten ferner ein Betrag in Höhe von 30 % des Einkommens aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit des Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens jedoch die Hälfte des Eckregelsatzes, der hier nach der einschlägigen hamburgischen Verordnung (§ 28 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) 347 EUR beträgt (§ 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII). Dass der Freibetrag nach der entsprechenden Bestimmung des SGB XII (hier § 82 Abs. 3 Satz 1) zu ermitteln ist und nicht, obwohl es hier um Einkommen der nach SGB II leistungsberechtigten Beigeladenen zu 1) geht, nach der günstigeren Vorschrift des SGB II (§ 30) ist nach der gesetzlichen Regelung nicht zweifelhaft, denn § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verweist ausdrücklich auf eine Bestimmung des überschießenden Einkommens "nach diesem Buch" also dem SGB XII. Bei der geschilderten normativen Lage besteht auch keine Gesetzeslücke, die durch analoge Anwendung von Regelungen aus anderen Gesetzen zu schließen wäre.

Die Beklagte war nicht nach § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII verpflichtet, abweichend von § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zu Gunsten des Klägers einen höheren Freibetrag zu gewähren. Nach dieser Vorschrift kann zwar in begründeten Fällen ein anderer Betrag vom Einkommen abgesetzt werden. Der Anwendungsbereich dieser Ermessensnorm ist jedoch von vornherein durch den unbestimmten Rechtsbegriff des "begründeten Falles" eingeschränkt, welcher regelmäßig nur aus den mit der Regelung verfolgten zusätzlichen Motivationszwecken geboren wird (vgl. BT-Drucks. 15/1514 S. 65, zu § 77; Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, Kommentar, K § 82 Rn. 76; Brühl in LPK-SGB XII, 7. Aufl. § 82 Rn 86). Hierzu passt die vorliegende Fallkonstellation nicht. Denn eine besondere Motivierung des Klägers, Einkommen zu erzielen, steht nicht in Rede. Auch ist nicht erkennbar, dass eine besondere – zusätzliche – Motivation der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu besorgen gewesen wäre. Im Übrigen wären Anreize für diese über die Vorschriften des SGB II zu steuern (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 82 Rn. 50).

Eine abweichende Beurteilung ist nicht von Verfassungs wegen geboten. Es mag zwar zutreffen, dass es für die Gemeinschaft günstiger wäre, wenn § 30 SGB II zur Anwendung käme. Auch mag der in dieser Vorschrift liegende Anreizeffekt (vgl. die Überschrift des 3. Unterabschnitts des 3. Kapitels SGB II) durch die in § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII vorgesehene Kappung des Anrechnungsbetrages verloren gehen. Dabei ist unerheblich, ob ein solches Ergebnis für die vorliegende Fallkonstellation vom Gesetzgeber gewollt war. An einer Korrektur gegen den Wortlaut des Gesetzes wäre der Senat jedenfalls gehindert. Auch sonst ist drängt sich von Verfassungs wegen keine andere Beurteilung auf. Insbesondere ist für den Kläger weder eine Verletzung des Art. 1 Grundgesetz (GG) noch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 GG) erkennbar.

Eine Verletzung des Art. 1 GG wäre nur zu erwägen, wenn die strenge Anwendung des Gesetzes zu einer Verkürzung des durch die Grundsicherungsleistungen sowohl nach SGB XII als auch nach SGB II sicherzustellenden soziokulturellen Existenzminimums führen könnte. Dies ist jedoch bei der Nichtanwendung des § 30 SGB II nicht der Fall. Wie § 11 Abs. 2 Nr. 6 SGB II zeigt, betrifft § 30 SGB II nicht den durch das Existenzminimum vorgegebenen Bedarf, vielmehr wirkt die Freibetragsregelung sich lediglich auf das maßgebliche Einkommen aus, wenn der Hilfebedürftige bzw. sein Partner über Einkommen verfügt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 15.4.2008, B 14/7 B AS 58/06 R; Berlit, juris-PR SozR 6/2009 Anm. 1).

Auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) erscheint eine Modifizierung der im SGB XII getroffenen gesetzlichen Regelung vor dem Hintergrund des Bestehens einer sogenannten "gemischten Bedarfsgemeinschaft" jedenfalls aus Sicht des Klägers nicht geboten. Aus dem oben Gesagten ergibt sich, dass zum Zwecke einer einheitlichen Bedarfsermittlung bei verschieden zusammengesetzten Gemeinschaften (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16.10.2007, B 8/9 B SO 2/06 R) eine Modifizierung der Freibetragsregelung nicht geeignet ist. Der Leistungsanspruch des Klägers nach SGB XII ist auch nicht deswegen geringer, weil er mit nach SGB II zu beurteilenden Personen in einer Gemeinschaft lebt. Richtig ist nur, dass der Gemeinschaft insgesamt der Anreizbetrag des § 30 SGB II verlorengehen könnte. Diese Folge der unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen im SGB XII und SGB II ist jedoch vor dem Hintergrund des Art. 3 GG hinzunehmen. Dem Gesetzgeber steht es frei, hier unterschiedliche Regelungen zu treffen, zumal Nachteile, die sich für die gemischte Bedarfsgemeinschaft aus einer Nichtanwendung von Bestimmungen des SGB II ergeben, ausgeglichen werden könnten durch leistungserleichternde Regelungen im SGB XII (vgl. z.B. § 43 Abs. 2).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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