S 24 AS 81/06 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
24
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 24 AS 81/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Gründe:

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung erfordert danach einen Anordnungsgrund, als Ausdruck einer besonderen Eilbedürftigkeit, und einen Anordnungsanspruch, also das materiell bestehende Recht.

Vorliegend hat das Gericht bereits Bedenken an dem Vorliegen eines Anordnungsgrundes, da der Antragsteller eine besondere Eilbedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht hat. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, dass ihm in absehbarer Zeit Wohnungslosigkeit drohe, wenn er den im Eilverfahren begehrten Differenzbetrag hinsichtlich der Kosten für die Unterkunft in Höhe von etwa 110,- Euro nicht im Wege des Eilverfahrens erhält. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, dass im Hinblick auf etwa rückständige Mietzinszahlungen die fristlose Kündigung droht.

Unabhängig davon fehlt es jedoch auch an einem Anordnungsanspruch. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe der derzeitigen tatsächlichen Aufwendungen. Die von ihm gemeinsam mit zwei anderen Personen bewohnte 130 qm-Wohnung die vom Antragsteller mit einem Wohnraum von 43 qm genutzt wird und auf einen Mietpreis inklusive Nebenkosten von 289,07 Euro sich beläuft, ist nicht angemessen. Bei der Beurteilung, ob der Aufwand für die Unterkunft einen angemessenen Umfang hat, ist von der tatsächlich entrichteten Miete auszugehen und eine den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht werdende Betrachtung vorzunehmen (vgl. Bundesverwaltungsgerichtsentscheid 97, 110, 112; 75, 168, 171 im Hinblick auf die Frage der Angemessenheit nach dem BSHG). Es ist also eine individualisierte Betrachtungsweise vorzunehmen, die neben den konkreten Verhältnissen auf dem örtlichen Mietmarkt auch die persönlichen Lebensumstände der Hilfebedürftigen in die Prüfung einzubeziehen hat. Es handelt sich hier unbestrittenermaßen um eine "reine" Wohngemeinschaft. Anhhaltspunkte dafür, dass eine Wohngemeinschaft der Besonderheit einer Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. dazu Niedersächsisches OVG, Urteil vom 16.06.2004, AZ: 12 L C 67/04, Juris) vorliegt, bestehen nicht. Im übrigen ist auch nicht nachvollziehbar, welche Auswirkungen auf die Angemessenheit der Unterkunftskosten der Umstand haben soll, ob in einer Wohngemeinschaft gemeinsam gewirtschaftet wird oder getrennt. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 1, 20 ff. SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige Arbeitslosengeld II, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung umfassen. Leistungen für Unterkunft und Heizung werden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Bestimmung der Angemessenheit der Größe erfolgt unter Rückgriff auf die Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz, Runderlass des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport vom 08.03.2004 (Ministerialblatt Nordrhein-Westfalen vom 10.05.2002, Nr. 23) zu § 5 Abs. 2 Wohnungsbindungsgesetz bzw. die dort festgelegten Wohnungsgrößen im sozialen Wohnungsbau; die Rechtsprechung hat die darin zum Ausdruck kommende Typisierung für zulässig erachtet (vgl. insoweit Bundesverwaltungsgericht, NJW 1993, 124, 125). Danach werden je nach Anzahl der Bewohner folgende Wohnraumgrößen für angemessen erachtet: Bei einem Einpersonen-Haushalt 40 bis 50 qm, bei einem Zweipersonen-Haushalt 60 qm und bei einem Dreipersonen-Haushalt 75 qm.

Die Frage der Angemessenheit der Wohnung ist vorliegend unter Berücksichtigung des tatsächlich bestehenden Dreipersonen-Haushaltes zu prüfen. Nicht abzustellen ist auf einen fiktiven Bedarf dreier Einpersonen-Haushalte. Denn der tatsächliche Bedarf des vom Antragsteller frei gewählten Wohnmodells der Dreier-Wohngemeinschaft ist maßgebend. Die Frage der Angemessenheit der Unterkunft ist vielmehr aus der Richtung der angemessenen Unterbringung als vielmehr der Frage einer erreichten Obergrenze zu beantworten. Eine fiktive, an Besitzstandsgesichtspunkten orientierte Bedarfsberechnung liefe dem Rechtscharakter der Sozialhilfe zuwider (vgl. zu § 300 Satz 1 BSHG, Niedersächsisches OVG, Urteil vom 16.06.2004, a.a.O.). Es beruht auf der höchstpersönlichen Entscheidung des Antragstellers nicht in einem Einzelhaushalt zu leben, sondern in einer Wohngemeinschaft. Allein vor diesem Hintergrund ist der jeweils angemessene Unterkunftsbedarf zu bestimmen. Eine andere Betrachtungsweise würde auch zu einer Ungleichbehandlung von Lebensformen kommen je nach dem, ob diese eine Bedarfsgemeinschaft bilden oder eine reine Wohngemeinschaft. Für eine solche Ungleichbehandlung gibt es jedoch keinen sachlich rechtfertigenden Grund. Durch die Lebensform der Haushaltsgemeinschaft – ohne dass es sich um eine Bedarfsgemeinschaft handelt – werden von den daran Beteiligten infolge zumindest gemeinsamen Wohnens Kosten gegenüber einem getrennten Wohnen eingespart. Diese Situation ist der von Familien- bzw. Bedarfsgemeinschaften vergleichbar. Der Bedarf solcher Familien- oder Lebensgemeinschaften, die eine Bedarfsgemeinschaft bilden, wird dabei jeweils anhand der für diese Bedarfsgemeinschaft vorgegebenen und als angemessen betrachteten Wohnungsgröße ermittelt. Nicht abgestellt wird auf den Bedarf eines einzelnen Mitglieds dieser Bedarfsgemeinschaft. Wohngemeinschaften wären diesen gegenüber leistungsrechtlich besser gestellt, wenn für die Wohngemeinschaften auf einen fiktiven Bedarf abgestellt würde (vgl. Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15.09.2005, L 10 B 429/05 AS ER), andere Auffassung Landessozialgericht Niedersachsen/Bremen, Beschluss vom 23.03.2006, L 6 AS 96/06 ER.

Ob im Hinblick darauf, dass Hilfebedürftige in Wohngemeinschaften die Aufwendung durch einen Umzug in eine nur von ihnen bewohnte Wohnung senken könnten und damit sowohl hinsichtlich der monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung als auch durch die erforderlich werdende Gestellung einer Mietkaution sowie die Begleichung von Umzugskosten durch die Antragsgegnerin dem Steuerzahler deutlich höhere Kosten entstünden, unter Umständen eine andere Betrachtung im Einzelfall angezeigt sein kann, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls wenn – wie hier – die in der Wohngemeinschaft anteilig entstehenden Kosten sowie auch die individuell genutzte Wohnfläche nahezu an die Kostenobergrenze sowie die Quadratmeterobergrenze einer einzel genutzten Wohnung heranragt, ist die Unterkunft als angemessen anzusehen. Wenn sich nur geringfügige Überschreitungen ergeben, kann es im Einzelfall durchaus angezeigt sein, im Sinne einer Gesamtbetrachtung solche geringfügigen Überschreitungen noch als angemessen anzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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