S 8 AS 18/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 18/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 28/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Berufung erledigt durch Rücknahme
Der Bescheid vom 06.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2006 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, Arbeitslosengeld II in Höhe von 42,23 EUR auch für Oktober und November 2005 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Klägers zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Anrechnung eines Guthabens bei einem Energieversorgungsunternehmen auf seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II.

Der am 00.00.1944 geborene Kläger beantragte im Juni 2005 Arbeitslosengeld II. Er stand bis Juli 2004 in einem Beschäftigungsverhältnis, seit 01.08.2004 ist er arbeitslos. Er hat im Jahr 2004 keine Sozialhilfe bezogen. Mit Bescheid vom 21.07.2005 bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 12.07.2005 bis zum 31.01.2006 Arbeitslosengeld II (unter Anrechnung von Arbeitslosengeld) in Höhe von monatlich 55,83 EUR. Am 15.08.2005 teilten die T B AG (T) dem Kläger mit, er habe für den Abrechnungszeitraum 10.12.2004 bis 27.07.2005 hinsichtlich seines Gasverbrauches ein Guthaben in Höhe von 82,24 EUR. Das Guthaben floss dem Kläger am 22.08.2005 zu.

Mit Bescheid vom 06.10.2005 rechnete die Beklagte im Oktober und November 2005 jeweils 41,12 EUR wegen des Guthabens bei der T auf das Arbeitslosengeld II des Klägers an.

Im Widerspruchsverfahren meinte der Kläger, bei dem Guthaben bei der T handele es sich um geschütztes Vermögen, nicht um Einkommen. Es dürfe daher nicht angerechnet werden.

Mit Bescheid vom 22.02.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie stützte die Entscheidung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Das T-Guthaben sei mit Zahlung an den Kläger am 22.08.2005 als Einkommen anzusehen, welches zur Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II führe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 06.03.2006 erhobene Klage. Die Beteiligten verweisen auf ihr bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 06.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2006 aufzuheben, soweit das Guthaben bei der T auf das Arbeitslosengeld II angerechnet wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

Für die Entscheidung der Beklagten fehlt es an einer Ermächtigungsgrundlage. Insbesondere kann die Beklagte sich nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X stützen. Hiernach (i. V. m. §§ 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 3 SGB III) ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.

Der Zufluss des T-Guthabens am 22.08.2005 ist nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

Bereits im Bereich des Sozialhilferechts war anerkannt und höchstrichterlich geklärt, dass Einkommen alles das ist, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhält und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Dabei ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt - normativer Zufluss - (BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 35/97 = NJW 1999, 3649 = info also 2000, 37). Zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem, was zufließt, und dem, was bereits vorhanden war, ist zu berücksichtigen, dass Einnahmen grundsätzlich aus bereits bestehenden Rechtspositionen erzielt werden. Da eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört sie, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht, auch zu seinem Vermögen. Im Falle der Erfüllung einer Geldforderung ist grundsätzlich nicht auf die Forderung, sondern deren Erfüllung abzustellen. Grundsätzlich ist die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert damit als Einkommen anzusehen. Das gilt allerdings nicht für Fälle, in denen mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde (BVerwG a. a. O.). Dann kann es normativ geboten sein, nicht auf den Zufluss, sondern auf die erfüllte Forderung abzustellen.

Auch die Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit zum Grundsicherungsrecht hat sich diesem Ansatz angeschlossen (SG Leipzig, Urteil vom 16.08.2005 - S 9 AS 405/05 ER; zum Schrifttum vgl. Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 11 Rdnr. 16 ff. "Zuflusstheorie").

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist es geboten, das Guthaben des Klägers bei der T und dessen Auszahlung nicht als Einkommen, sondern als Vermögen anzusehen. Der Kläger hat das Guthaben dadurch erzielt, dass er den Gasverbrauch reduziert hat. Der Abrechnungszeitraum fällt fast ausschließlich in einen Zeitraum, in dem der Kläger keine Sozialhilfe und kein Arbeitslosengeld II bezogen hat. Lediglich für wenige Tage im Juli 2005 reicht der Abrechnungszeitraum in den Zeitraum des Bezugs von Arbeitslosengeld II hinein. Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass im Juli 2005 ohnehin kaum Heizkosten angefallen sein dürften und Einkommen auf die Regelleistung und die Unterkunftskosten angerechnet wird, weshalb der Kläger den Gasverbrauch auch im Juli 2005 teilweise selbst finanziert hat.

Das Guthaben bei der T ist damit nicht anders zu bewerten, als bewusst und freiwillig angespartes Geld, welches der Kläger beispielsweise auf ein Sparbuch eingezahlt hätte.

Hinzu kommt, dass eine Berücksichtigung des Guthabens als Einkommen unbillig wäre. Hätte der Kläger hinsichtlich seines Energieverbrauches kein vernünftiges Verhalten gewählt, sondern im Gegenteil der Verbrauch seine Abschlagszahlungen überschritten, hätte er nunmehr gegenüber der T eine Verbindlichkeit, welche von der Beklagten - wie diese im Erörterungstermin mitgeteilt hat - ausgeglichen worden wäre. Auch dieses unbillige Ergebnis spricht dafür, im Rahmen der normativen Abgrenzung von Einkommen und Vermögen das Guthaben bei der T trotz Zufluss des Betrages im August 2005 als Vermögen anzusehen.

Als Vermögen führt das Guthaben nicht zu einer Minderung des Arbeitslosengeldes II, weil der Kläger kein weiteres Vermögen hat und die Freibeträge des § 12 Abs. 2 nicht erreicht werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Das Gericht hat die Berufung zugelassen, weil die zugrunde liegenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat.
Rechtskraft
Aus
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