L 14 B 248/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 63 AS 31727/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 248/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2008 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellerinnen für die Zeit vom 5. Dezember 2007 bis zum 31. März 2008 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 488,- Euro monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

Zu Unrecht hat das Sozialgericht gänzlich abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellerinnen höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung zu gewähren.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt vorliegend für Leistungszeiträume vom 5. Dezember 2007 (Tag des Eingangs des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht) bis zum 31. März 2008 (Ende des Bewilligungszeitraumes nach dem Bescheid des Antragsgegners vom 6. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2007 und des Änderungsbescheides vom 18. März 2008) in Betracht. Für diesen Zeitraum sind Anordnungsanspruch und –grund teilweise gegeben.

Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerinnen Anspruch auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung haben, als sie ihnen der Antragsgegner gewährt hat. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs, Zweites Buch – SGB II – werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Das Leitbild einer angemessenen Versorgung mit Wohnraum ist den landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen über die Förderung des sozialen Mietwohnungsbaus zu entnehmen (Bundessozialgericht – BSG ¬- , Urteil v. 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R -). Maßgeblich im Land Berlin sind demnach die Wohnungsbauförderungs¬bestimmungen 1990 – WFB 1990 – vom 16. Juli 1990 (Amtsblatt für Berlin 1990, 1379ff) in der Fassung der Verwaltungsvorschriften zur Änderung der WFB 1990 – VVÄndWFB 1990 - vom 13. Dezember 1992 (Amtsblatt für Berlin 1993, 98f) sowie die Arbeitshinweise der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15. Dezember 2004 zur Umsetzung von § 5 Wohnungsbindungsgesetz iVm § 17 Abs. 1 bis 5 Wohnraumförderungsgesetz (Mitteilung Nr. 8/2004). Nach diesen Vorschriften ist zu beurteilen, ob eine Wohnung im Bereich des Angemessenen liegt (Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg v. 25. Juni 2007 – L 10 B 854/07 AS ER -; Beschluss des erkennenden Senats vom 12. Juli 2007 – L 14 B 571/07 AS ER -). Nach ihrer Größe ist die von den Antragstellerinnen innegehabte Wohnung (2 Zimmer, 58 m²) nicht unangemessen. Die Wohnung bietet zunächst entsprechend Nr. 8 Abs. 1 der Arbeitshinweise der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15. Dezember 2004 für jede dem Haushalt angehörende Person einen Raum. Die Gesamtgröße der Wohnung überschreitet auch nicht die für zwei Personen geltende Wohnflächenobergrenze von 60 m² (vgl. zu dieser Abschnitt II Ziff. 1 Buchstabe a der Anlage 1 der WFB 1990 idF der VVÄndWFB 1990).

Für die Angemessenheit einer Wohnung kommt es aber nicht nur auf deren Größe an. Nach der Rechtsprechung des BSG ist letztlich das Produkt zwischen Wohnfläche und dem einem angemessenen Ausstattungsstandard entsprechenden Quadratmeterpreis entscheidend (BSG, Urt. v. 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R - ). Insoweit ist nicht zu übersehen, dass der Preis der von den Antragstellern innegehabten Wohnung mit 5,45 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter (316,35 Euro insgesamt) im oberen Bereich der sich aus dem Berliner Mietspiegel ergebenden Werte liegt und nur im Hinblick auf die Einordnung des Hauses als Neubau (Bezugsfertigkeit 1974) als üblich angesehen werden kann. Danach sind die Mietkosten möglicherweise unangemessen, weil sie durch den Umzug in ein älteres Haus gesenkt werden könnten. Sehr hoch sind auch die zu entrichtenden Vorauszahlungen für Betriebskosten in Höhe von 3,63 Euro pro Quadratmeter (210,83 Euro insgesamt). Der Senat hat bisher unter Heranziehung der vom Deutschen Mieterbund angegebenen Durchschnittswerte Betriebskosten lediglich in Höhe bis zu 2,82 Euro pro Quadratmeter für angemessen gehalten (Beschluss des erkennenden Senats vom 4. März 2008 – L 14 B 2318/07 AS ER - ). Die sich somit ergebenden Bedenken gegen die Angemessenheit der Miete verhindern, dass schon im Rahmen eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes ein Anspruch auf vollständige Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung als überwiegend wahrscheinlich erscheint.

Indessen hält es der Senat - jedenfalls im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes - für geboten, den Antragsgegner an den von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin am 7. Juni 2005 erlassenen Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II (AV-Wohnen) festzuhalten, aus denen sich höhere Leistungen als die bisher gewährten ergeben. Zwar geben die AV-Wohnen lediglich Hinweise darauf, was in der Praxis für angemessen gehalten wird, sie vermögen als Verwaltungsvorschriften das Gericht auch nicht zu binden (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 12. Juli 2007 – L 14 B 571/07 AS ER ). Bei der in einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung ist aber davon auszugehen, dass ein einzelner Anspruchsteller nicht ohne zureichenden Grund schlechter gestellt werden darf, als in den AV-Wohnen allgemein vorgesehen ist.

In Anwendung der AV-Wohnen ist für die Antragstellerinnen nicht der allgemeine Richtwert für 2-Personen-Haushalte von 444,- Euro (Nr. 4 Abs. 2 der AV-Wohnen), sondern der wegen Alleinerziehung um 10 vom Hundert erhöhte (Nr. 4 Abs. 5 Buchstabe a] der AV-Wohnen) maßgeblich, also ein Betrag von 488,- Euro. Die vom Antragsgegner gegen die Anwendung des in den AV-Wohnen vorgesehenen Erhöhungstatbestandes vorgetragenen Gründe überzeugen nicht. Den AV-Wohnen ist kein Hinweis dafür zu entnehmen, dass die für Alleinerziehende vorgesehene Erhöhung des Richtwertes nur gewährt werden kann, wenn das Kind noch unter 10 Jahre alt ist. Mit ihrem Vortrag, dass ihre Tochter wegen Schule und Freundeskreis an das bisherige Wohnumfeld gebunden sei, verweist die Antragstellerin zu 1) auf typischerweise bei Kindern nach einem Wohnungswechsel entstehende Schwierigkeiten, die somit von dem Erhöhungstatbestand erfasst werden. Nicht überzeugend ist auch der Hinweis des Antragsgegners, dass selbst Leistungen in Höhe von 488,- Euro monatlich für Unterkunft und Heizung nicht ausreichen würden, um die tatsächlichen Wohnkosten der Antragsteller zu decken. Abgesehen davon, dass von der tatsächlichen Miete in Höhe von 527,18 Euro ohnehin zunächst noch Kosten für Warmwasserbereitung in Abzug zu bringen wären (vgl. BSG, Urteil v. 27. Februar 2008 – B 14/11b AS 15/07 R -), hat die Antragstellerin zu 1) (auch) in dem streitigen Zeitraum Nebeneinkünfte erzielt, die zu entsprechenden Freibeträgen geführt haben, aus denen die überschießende Miete gezahlt werden könnte. Eigene Einkünfte sind auch in der Zukunft wegen des in Aussicht stehenden Eintritts in den Referendardienst wieder zu erwarten. Im Übrigen wäre es Sache der Antragstellerin zu 1), wegen der nur begrenzt möglichen Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung bei ihrem Vermieter wegen einer Mietminderung nachzusuchen.

Der Anordnungsgrund für die Verpflichtung zur Zahlung weiterer Leistungen für Unterkunft und Heizung bis zu einer Höhe von 488,- Euro ergibt sich daraus, dass dieser Betrag die Antragstellerinnen in die Lage versetzen dürfte, die verbleibende Differenz zur vertraglich geschuldeten Miete zunächst aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Deswegen konnte der Senat auch offen lassen, ob bei den Antragstellerinnen besondere Gründe vorliegen, aus denen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II ein Anspruch auf Übernahme auch der über das Maß des Angemessenen hinausgehenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ergibt. Da schon geringere Leistungen die Möglichkeit zum Erhalt der Wohnung eröffnen, fehlt für weitere jedenfalls der für den Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung erforderliche Anordnungsgrund.

Nach alledem war der Beschluss des Sozialgerichts abzuändern und der Antragsgegner zur Gewährung höherer Leistungen zu verpflichten.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG, sie berücksichtigt das Ergebnis in der Sache.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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