S 11 AS 251/08 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 251/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 18.07.2008 wird angeordnet.

Die Antragsgegnerin erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 1).

Gründe:

I.

Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Absenkung des Arbeitslosengeldes II des Antragstellers zu 1) für die Zeit vom 01.08.2008 bis zum 31.10.2008 in Höhe von 95,00 Euro monatlich.

Die miteinander verheirateten Antragsteller beziehen seit 01.01.2005 von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt wurden ihnen mit Bescheid vom 02.04.2008 und Änderungsbescheiden vom 17.05.2008 und 20.06.2008 Leistungen für die Zeit vom 01.05.2008 bis zum 31.10.2008 bewilligt.

Seit 01.12.2007 war der Antragsteller zu 1) bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Mit Schreiben vom 04.06.2008 kündigte die Zeitarbeitsfirma das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise zum 15.07.2008 aufgrund des Verdachts, der Antragsteller zu 1) habe bei seinem Einsatzort, einem Verbrauchermarkt, das Firmentelefon für private Gespräche genutzt, Waren gestohlen und Zeitarbeitsblätter manipuliert. Hiergegen erhob der Antragsteller Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Hannover. Nach Scheitern eines Gütetermins ist das Verfahren dort unter dem Aktenzeichen 13 Ca 321/08 noch anhängig.

Mit Bescheid vom 18.07.2008 senkte die Antragsgegnerin den dem Antragsteller zu 1) zustehenden Anteil des Arbeitslosengeldes II um jeweils 95,00 Euro für die Monate August bis Oktober 2008 ab, da dieser die Fortführung einer zumutbaren Arbeit vereitelt habe. Hiergegen legten die Antragsteller mit Schreiben vom 04.08.2008 Widerspruch ein.

Am 06.08.2008 haben die Antragsteller um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.

Sie begehren die ungekürzte Zahlung der Leistungen für die Monate August bis Oktober 2008. Sie tragen vor, in dem Gütetermin vor dem Arbeitsgericht habe die Gegenseite ein Angebot zu einer vergleichsweisen Regelung gemacht. Allein dies zeige, dass die Absenkung der Leistungen nicht gerechtfertigt sei.

Die Antragsteller beantragen schriftsätzlich sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 18.07.2008 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,

den Antrag abzulehnen.

Sie trägt vor, der Bescheid vom 18.07.2008 sei nicht zu beanstanden. Der Antragsteller zu 1) erfülle die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit, da er durch arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass zur Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben habe. Er habe eingeräumt, dass er das Firmenhandy missbräuchlich verwendet habe und dass er die Zeiterfassung zu seinen Gunsten abgeändert habe. Diese Verhaltensweisen seien ausschlaggebend für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorganges der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag des Antragstellers zu 1) hat Erfolg, da er zulässig und begründet ist.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch vom 04.08.2008 gegen den Bescheid vom 18.07.2008 hat keine aufschiebende Wirkung. Die nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG grundsätzlich gegebene aufschiebende Wirkung des Widerspruchs entfällt hier gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG in Verbindung mit § 39 Nr. 1 SGB II. Denn nach dieser Regelung haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entscheidet, keine aufschiebende Wirkung.

Die Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG steht im Ermessen des Gerichts und erfolgt auf der Grundlage einer Interessenabwägung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 86b Rn. 12 ff.). Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Bescheide. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu. Erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse. Ist dagegen offensichtlich, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist, so überwiegt das private Aussetzungsinteresse, da am Sofortvollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, weil sich bei einer summarischen Beurteilung die Anfechtungsklage weder als offensichtlich Erfolg versprechend noch offensichtlich aussichtslos erweist, so hat eine Abwägung aller wechselseitigen Interessen zu erfolgen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht ein überwiegendes Interesse des Antragstellers zu 1) an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 04.08.2008 gegen den Bescheid vom 18.07.2008. Bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.

Der Bescheid vom 18.07.2008 war zumindest zum Zeitpunkt seiner Bekanntgabe bereits deshalb rechtswidrig, weil die gemäß § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erforderliche Anhörung nicht erfolgt ist. Eine unterlassene Anhörung eines Beteiligten stellt jedoch einen wesentlichen Mangel des Verwaltungsverfahrens dar und führt zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes (von Wulffen, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 24 Rn. 15). Allerdings kann eine erforderliche Anhörung nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 SGB X bis zum Ende der letzten sozialgerichtlichen Tatsacheninstanz nachgeholt werden. Eine solche Nachholung ist zwar zwischenzeitlich durch die Äußerungen des Antragstellers zu 1) im Widerspruchsverfahren erfolgt. Die Nachholung der Anhörung erst nach Erlass des Bescheides reicht jedoch insoweit nicht aus, als es nicht um die eigentliche Regelung des Bescheides, sondern allein um seine sofortige Vollziehbarkeit geht. Die sofortige Vollziehbarkeit nach § 39 Nr. 1 SGB II stellt eine Ausnahme von der im SGG grundsätzlich geltenden aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG) dar. Diese sofortige Vollziehbarkeit tritt bereits mit der Bekanntgabe des Bescheides ein. War im vorliegenden Fall jedenfalls zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 18.07.2008 die Anhörung noch nicht nachgeholt und der Bescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses damit rechtswidrig, so hatte der Antragsteller zu 1) im Zeitpunkt der Bekanntgabe noch einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides. Insofern ist es nicht gerechtfertigt, die in § 39 SGB II angeordnete sofortige Vollziehbarkeit dennoch eintreten zu lassen. Denn die sofortige Vollziehbarkeit nach § 39 Nr. 1 SGB II dient gerade dem Zweck, den Bescheid schon mit seiner Bekanntgabe vollziehbar zu machen. Konnte dieser Zweck durch einen Anhörungsfehler nicht von Anfang an rechtmäßig erreicht worden, führt dies dazu, wieder an die grundsätzliche Regelung des SGG anzuschließen, nach der Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben. In diesem Fall ist es der Antragsgegnerin wegen deren fehlerhafter Verfahrensweise zuzumuten, eine endgültige Klärung erst im Hauptsacheverfahren zu erlangen (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.09.2007, L 20 B 155/07 AS ER, dort offen gelassen).

Im Übrigen bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 18.07.2008 deshalb, weil die Antragsgegnerin den Bescheid auf § 31 Abs. 4 Nr. 3 Buchst. b) SGB II gestützt hat. Eine Sanktion nach dieser Norm umfasst nur Fälle, in denen das vorwerfbare Ereignis vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II liegt. Wenn eine Beschäftigung während des Leistungsbezuges aufgegeben wird, ist § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) SGB II als speziellere Vorschrift einschlägig (vgl. Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 31 Rn. 31a a.E. m.w.N.). Auch auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c) SGB II kann die Absenkung der Leistungen jedoch im vorliegenden Fall nicht gestützt werden, da es an der erforderlichen Rechtsfolgenbelehrung fehlt. Eine Sanktion nach § 31 Abs. 1 SGB II erfordert, dass der Hilfeempfänger über die Rechtsfolgen seines Verhaltens belehrt worden ist. Im Bescheid vom 18.07.2008 heißt es zwar, der Antragsteller zu 1) habe seine Arbeit trotz Belehrung über die Rechtsfolgen aufgegeben. Aus den vorliegenden Unterlagen ergibt sich jedoch nicht, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller zu 1) tatsächlich über die Rechtsfolgen arbeitsvertragswidrigen Verhaltens belehrt hätte.

Der Antrag der Antragstellerin zu 2) ist unzulässig, weil sie nicht prozessführungsbefugt ist.

Mit der Anfechtungsklage und entsprechend mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkungen können in der Regel nur eigene Rechte verfolgt werden, nicht Rechte eines Dritten. Der angefochtene Bescheid vom 18.07.2008 regelt eine Absenkung der Leistungen nur des Antragstellers zu 1), nicht jedoch der Antragstellerin zu 2). Rechte eines Dritten können ausnahmsweise verfolgt werden, wenn eine Prozessstandschaft vorliegt. Eine Prozessstandschaft besteht jedoch hier nicht. Insbesondere kann auch bei Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft aus dieser keine Gesamtgläubigerschaft oder eine gesetzliche Verfahrens- und Prozessstandschaft jedes Mitglieds für die Ansprüche der anderen Mitglieder abgeleitet werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 8/06 R).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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