L 14 B 2268/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 39 AS 32030/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 2268/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Eine wirksame Aufforderung zur Kostensenkung setzt gegebenenfalls weitere Informationen voraus, wenn die Hilfebedürftigen nachvollziehbar einen erhöhten Informationsbedarf geltend machen.
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2008 aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für die Zeit vom 1. Oktober 2008 bis 31. März 2009 die Aufwendungen der Antragsteller für Unterkunft und Heizung in tatsächlich anfallender Höhe zu übernehmen. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen für Unterkunft und Heizung weiter in der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen.

Nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Streitig ist vorliegend allein der Zeitraum vom 1. Oktober 2008 bis zum 31. März 2009. Denn nur dieser ist von dem aktuellen Bewilligungsbescheid vom 11. September 2008 erfasst und könnte zulässigerweise Gegenstand eines Rechtsstreites in der Hauptsache sein. Das gilt erst recht für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem keine weitergehenden Entscheidungen möglich sind, als auch in einem Hauptsacheverfahren erfolgen könnten.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 3 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs - SGB II -. Nach dieser Vorschrift sind Aufwendungen für die Unterkunft, die den der Besonderheit des Einzelfalles entsprechenden Umfang übersteigen, so lange zu berücksichtigen, wie es der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Art und Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die im Gesetz vorgesehene Regelfrist ist dabei nicht so zu verstehen, dass nach Ablauf von sechs Monaten auch bei Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer Kostensenkung die Kosten der Unterkunft nur noch in angemessener Höhe zu übernehmen sind (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 60). Sie belegt vielmehr, dass eine Beschränkung auf die angemessenen Kosten regelmäßig nur dann in Betracht kommt, wenn einem Hilfebedürftigen vorher Gelegenheit gegeben worden ist, seine unangemessen hohen Kosten zu senken. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass dies innerhalb des zeitlichen Rahmens von sechs Monaten im Regelfall möglich sein wird. Die Übernahme der Kosten lediglich bis zur angemessenen Höhe soll nur die Hilfebedürftigen treffen, die es vorwerfbar versäumt haben, ihre unangemessen hohen Kosten zu reduzieren; sie setzt folglich voraus, dass es den Hilfebedürftigen vorher tatsächlich möglich und zumutbar gewesen sein muss, ihre Unterkunftskosten zu reduzieren (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rdnr. 55). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, sind auch für einen längeren Zeitraum als sechs Monate weiter die Aufwendungen in tatsächlicher Höhe zu übernehmen. Die gesetzliche Regelfrist bedeutet danach nur, dass vor Ablauf von sechs Monaten regelmäßig nicht davon auszugehen ist, dass eine Kostensenkung möglich und zumutbar war.

Kostensenkungsaufforderungen haben ihre Bedeutung im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung als Informationen gegenüber den Hilfebedürftigen mit Aufklärungs- und Warnfunktion (BSG v. 7. November 2006 – B 7b AS 10/06 R -). Wenn dem Hilfebedürftigen nicht ohnehin bekannt ist, dass seine Kosten für Unterkunft und Heizung zu hoch sind und er zur Absenkung verpflichtet ist, muss er darauf zunächst hingewiesen werden. Ohne einen erteilten Hinweis mag die Senkung der Unterkunftskosten zwar objektiv möglich gewesen sein, sie war dem Hilfebedürftigen aber - mangels Kenntnis von seiner Verpflichtung – nicht zuzumuten. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Regelfall ausreichend, dass der Hilfebedürftige den angemessenen Mietzins und die Folgen mangelnder Kostensenkung kennt. Weitergehenden Informationsbedarf soll er dadurch decken, dass er nähere Einzelheiten beim Leistungsträger erfragt (BSG, Urt. v. 19. März 2008 – B 11b AS 43/06 R – Rdnr. 16). Dies setzt dann aber voraus, dass auf entsprechende Nachfrage auch eine Antwort erteilt wird. Ansonsten hat der Hilfebedürftige, bei dem – nachvollziehbar – ein besonderer Informationsbedarf besteht, nicht die Möglichkeit, den Umfang und Inhalt seiner Pflicht zur Kostensenkung zur Kenntnis zu nehmen und sie entsprechend umzusetzen. Die durch eine Kostensenkungsaufforderung in Gang gesetzte Sechs-Monats-Frist, die der Gesetzgeber den Hilfebedürftigen regelmäßig als Übergangszeitraum zubilligt, läuft danach erst weiter, wenn die sich aus einer Nachfrage als erforderlich ergebenden Hinweise erteilt worden sind.

Nach diesen Maßstäben war den Antragstellern während des gesamten streitigen Zeitraums unzumutbar, die Kosten der Unterkunft zu senken. Denn sie hatten nach Erhalt der Kostensenkungsaufforderung vom 29. Januar 2008 durch Schreiben vom 29. April 2008 und nach dem in der Verwaltungsakte des Antragsgegners enthaltenen Vermerk am 19. Mai 2008 auch telefonisch weitere Informationen zum Inhalt ihrer Verpflichtung zur Kostensenkung erbeten, die ihnen der Antragsgegner nicht hat zukommen lassen, obwohl die Nachfragen nicht ohne Anlass waren.

Die Antragsteller waren weder ausreichend über die für sie maßgebende Grenze der Angemessenheit informiert, noch war ihnen hinreichend deutlich gemacht worden, auf welche Art und Weise ein Umzug abgewickelt werden könnte. Zwar hatte der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass die bisherige Wohnung zu teuer sei und den aus seiner Sicht angemessenen Mietpreis genannt. Die Verhältnisse der Antragsteller unterscheiden sich aber insoweit vom Regelfall, als beide erkrankt sind, wobei für die Antragstellerin zu 1) nach ärztlicher Bescheinigung der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. D vom 1. April 2008 ein Umzug vermieden werden sollte. Gegen einen Umzug hat sich Frau Dr. D nochmals in ihrem Attest vom 25. September 2008 ausgesprochen, auch der behandelnde Arzt Dr. K "empfiehlt" einen Umzug nicht (Attest v. 3. November 2008). Soweit die behandelnde Ärztin E I in ihrem Attest vom 24. September 2008 meint, dass ein Umzug jedenfalls noch ein weiteres halbes Jahr benötige, spricht das ebenfalls dagegen, dass die Antragsteller bereits zum 1. Oktober 2008 eine preisgünstigere Wohnung hätten finden können. Diese Einschätzung wird durch das Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Berlin Nord (bereits) vom 24. Mai 2007 gestützt, das gleichfalls auf eine erhebliche psychische Minderbelastbarkeit der Antragstellerin zu 1) hinweist. Aus welchen Gründen gleichwohl ein Umzug bis zum 1. Oktober 2008 zumutbar gewesen wäre, hat der Antragsgegner nicht ausgeführt, er hat auch selbst keine neuere medizinische Einschätzung eingeholt, obwohl dies nahe gelegen hätte.

Zudem ist der in der Kostensenkungsaufforderung vom 29. Januar 2008 gegebene Hinweis, eine "Mietkostenübernahme" (gemeint ist offenbar die in § 22 Abs. 2 SGB II vorgesehene "Zusicherung") werde nicht erteilt für Wohnungen, welche die Mindestwohnraumzahl von einem Wohnraum (bei zwei zum Haushalt gehörenden Personen) nicht einhielten, jedenfalls irreführend. Dieser Hinweis legt die Annahme nahe, dass die Kosten nur für Ein-Raum-Wohnungen übernommen werden würden. Eine solche Beschränkung ist weder dem Gesetz noch der (den Senat nicht bindenden) AV-Wohnen zu entnehmen. Falls der Antragsgegner ausdrücken wollte, dass eine bestimmte Wohnungsgröße nicht unterschritten (wohl aber überschritten) werden dürfe, ist dies nicht mit der gebotenen Deutlichkeit erfolgt.

Weiter haben die Antragsteller in ihrem Schreiben vom 23. April 2008 geltend gemacht, dass der Vermieter eine Senkung der Miete abgelehnt habe und sie trotz Bemühungen keinen anderen geeigneten preisgünstigen Wohnraum finden könnten. Auch dieser Einwand ist erheblich, weil erst das Bestehen der konkreten Möglichkeit zur Kostensenkung dazu führt, dass nur noch die angemessenen Kosten übernommen werden dürfen. Insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit einer Kostensenkung durch Umzug hätte der Antragsgegner durch die Benennung konkreter Möglichkeiten reagieren müssen, weil es im Streitfall seine Aufgabe sein dürfte, das Vorhandensein geeigneter Wohnungen zu belegen (BSG, Urt. v. 19. März 2008 – B 11b AS 41/06 R - Rdnr. 21). Schließlich sind die Antragsteller zu spät darüber informiert worden, dass angesichts ihrer gesundheitlichen Einschränkungen die Möglichkeit bestanden hätte, den Umzug nicht "in Eigenregie", sondern durch ein Umzugsunternehmen unter Übernahme der Kosten durch den Antragsgegner durchzuführen. Auf diese Möglichkeit weist der Antragsgegner zwar in seinem Schriftsatz vom 23. Oktober 2008 und das Sozialgericht in dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss hin. Die Antragsteller sind vorher aber nicht entsprechend belehrt worden, obwohl sie die Problematik in ihrer an den Antragsgegner gerichteten Anfrage vom 23. April 2008 deutlich angesprochen hatten.

Auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung maßgebende Anordnungsgrund liegt vor. Dieser ergibt sich daraus, dass Leistungen der Grundsicherung im Streit sind. Auch der Umstand, dass der Bewilligungszeitraum im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nahezu abgelaufen ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn abzustellen ist regelmäßig auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht, weil die Laufzeit des Verfahrens nicht zu Lasten der Antragsteller gehen kann. Besondere Umstände, aus denen sich ein Wegfall des Eilbedürfnisses ergeben könnte, sind nicht ersichtlich.

Nach alledem war auf die Beschwerde der Antragsteller hin der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten für die Zeit von Oktober 2008 bis März 2009 zu verpflichten.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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