S 13 KR 98/09 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 98/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller einstweiligen Krankenversicherungsschutz nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch SGB V), insbesondere Krankenbehandlung gemäß §§ 27 ff. SGB V zu gewähren. Die einstweilige Anordnung gilt längstens bis zum rechtskräftigen Ab- schluss des Hauptsacheverfahrens S 13 KR 99/09 (SG Aachen). Die Kosten des Antragstellers trägt die Antragsgegnerin.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller (Ag.) Anspruch auf Krankenversicherungsschutz als versicherungspflichtiges Mitglied nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) hat.

Der am 00.00.1940 geborene Ast. ist schwer krank; er leidet an Diabetes, Arthrose und einer Lungenerkrankung; er benötigt ständig ärztliche Hilfe. Vom 01.01. bis 09.10.2005 war er aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld II bei der Ag. pflichtversichert. Anschließend bezog er bis einschließlich 31.03.2009 laufende Sozialhilfeleistungen; neben einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhält er seit 01.04.2009 Wohngeld (Bescheide des Oberbürgermeisters der Stadt B. vom 01.04.2009 - Sozialamt und Wohngeldstelle).

Am 08.04.2009 erstattete der Ast. bei der Ag. eine "Anzeige zur Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V". Durch Bescheid vom 14.04.2009 lehnte die Ag. eine Mitgliedschaft bei ihr ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 30.06.2009 zurück.

Dagegen hat der Ast. am 03.07.2009 Klage erhoben (S 13 KR 99/09).

Ebenfalls am 03.07.2009 hat der Ast. beim Sozialgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Er ist der Auffassung, dass es nicht sein könne, dass er, weil das Sozialamt nicht mehr zuständig sei, nun ohne Krankenversicherungsschutz sei. Wenn er die notwendige ärztliche Hilfe nicht bekomme, könne das für ihn lebensbedrohlich sein.

Der Antragsteller beantragt seinem Vorbringen nach,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Krankenversicherungsschutz zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, es bestehe keine gesetzliche Krankenversicherungspflicht des Ast.; seiner Pflichtmitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V stehe insbesondere entgegen, dass er nicht "zuletzt gesetzlich krankenversichert" gewesen sei.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Ast. muss glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund). Einstweilige Anordnungen kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage dringend geboten ist.

Es besteht ein Anordnungsgrund. Die summarische Prüfung des Sachverhalts hat ergeben, dass eine Krankenversicherungspflicht des Ast. nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V besteht und er deshalb Anspruch auf Krankenversicherungsschutz nach dem SGB V hat. Nach dieser Vorschrift besteht Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung für Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und a) zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder b) bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in Abs. 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten.

Der Ast. hat keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall. Mangels Sozialhilfebedürftigkeit hat er seit 01.04.2009 keinen Anspruch auf laufende Leistungen der Sozialhilfe; sein Krankenschutz wird deshalb nicht mehr gemäß § 48 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) i.V.m. § 264 SGB V zu Lasten des Sozialhilfeträgers sichergestellt. Entgegen der Auffassung der Ag. erfüllt der Ast. für die Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V auch die Voraussetzung "zuletzt gesetzlich krankenversichert".

"Zuletzt gesetzlich krankenversichert" im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a) SGB V bedeutet nicht, dass einer möglichen "Bürgerversicherung" eine gesetzliche Krankenversicherung zeitlich unmittelbar vorausgegangen sein muss. Es ist unschädlich, wenn nach dem Ende einer Mitgliedschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung ein Zustand bestanden hat, in dem die betreffende Person nicht gesetzlich krankenversichert war. Das Tatbestandsmerkmal "zuletzt gesetzlich krankenversichert" dient allein dazu, Personen, die bisher keinen Bezug zur gesetzlichen Krankenversicherung aufweisen, etwa weil sie vor Verlust der Absicherung im Krankheitsfall als Beamte oder beamtenähnlich abgesichert oder selbstständig tätig und privat krankenversichert waren, vom Versicherungs- schutz der Gesetzlichen Krankenversicherung auszunehmen (vgl. BT-Drucksache 16/3100, S. 94). Dieser Personenkreis - zudem der Ast. nicht gehört - ist der neugeschaffenen Verpflichtung zum Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages ("Basistarif", § 178a Abs. 5 Versicherungsvertragsgesetz) zuzuordnen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.02.2009 - L 11 KR 497/09 ER-B). Das Merkmal dient also allein der Abgrenzung zwischen der Gesetzlichen Krankenversicherung und der Privaten Krankenversicherung, sodass es nicht darauf ankommt, ob vor der Zeit der Nichtabsicherung eine Absicherung nach Maßgabe sozialhilferechtlicher Regelungen bestanden hat (LSG NRW, Beschluss vom 20.10.2008 - L 5 B 75/08 KR ER; SG Aachen, Beschlüsse vom 15.05.2009 - S 13 KR 71/09 ER - und vom 22.05.2009 - S 15 KR 35/09 ER).

Die Ag. ist auch die für die Durchführung der Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zuständige Krankenkasse. Denn bei ihr war der Ast. zuletzt - bis 09.10.2005 - versichert (vgl. § 174 Abs. 5 SGB V).

Auch ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht. Der Ast. ist nach eigenen - von der Ag. unwidersprochenen - Angaben schwer krank und auf ständig ärztliche Hilfe angewiesen. Er hat ein nachvollziehbares Interesse an einer schnellen Klärung seines krankenversicherungsrechtlichen Status, zumal der bisherige Ablauf des Verfahrens und die von der Ag. in einer Vielzahl anhängig gewordener Fälle vertretene Rechtsauffassung zeigen, dass eine endgültige Klärung der Rechtslage, insbesondere eine obergerichtliche Grundsatz- entscheidung über die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "zuletzt gesetzlich krankenversichert" nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a) SGB V nicht kurzfristig zu erwarten ist.

Die Kammer hat die Wirkung der einstweiligen Anordnung auf die Zeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache befristet. Dies erscheint sachgerecht, aber auch notwendig, weil der Krankenversicherungsschutz eines schwer kranken Menschen unabhängig von einer konkreten Therapie sichergestellt sein muss und aus den dargelegten Gründen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der Ast. auf nicht absehbare Zeit versicherungspflichtiges Mitglied der Ag. ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechende Anwendung von § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved