L 4 SO 47/14

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 52 SO 575/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 47/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung von Leistungen der Grundsicherung wegen Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Die Klägerin wurde 1972 mit nicht eindeutig bestimmbarem Geschlecht geboren und im Universitätsklinikum E. in H. geschlechtsangleichend operiert sowie medikamentös behandelt. Sie sieht sich durch diese Behandlung, die sie als Folter bezeichnet, schwer traumatisiert und bemüht sich seit geraumer Zeit, bei verschiedenen Behörden und in diversen gerichtlichen Verfahren Entschädigungsforderungen durchzusetzen.

Die Klägerin hat ein Studium der Rechtswissenschaften mit dem Magister-Titel abgeschlossen und war als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Anschließend war sie arbeitslos. In der Zeit vom 21. August 2012 bis zum 19. August 2013 erhielt sie Arbeitslosengeld I nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Höhe von monatlich 747,30 Euro. Ab September 2012 bezog sie aufstockend Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Derzeit erhält sie eine bis zum 31. Januar 2017 befristete Rente wegen Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung Bund sowie aufstockende Leistungen nach dem SGB II vom Beigeladenen.

Am 13. Juli 2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. Juli 2012 ab mit der Begründung, die Klägerin habe vorrangige Ansprüche nach dem SGB III und dem SGB II. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2012 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII, da nach den vorliegenden Unterlagen kein Zweifel daran bestehe, dass sie erwerbsfähig sei.

Am 22. Dezember 2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht erhoben mit dem Ziel, Leistungen nach dem SGB XII zu erhalten. Sie hat vorgetragen, die Bundesrepublik Deutschland sei verpflichtet, ihr eine angemessene Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Folterverbot aus Art. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (im Folgenden: UN-Antifolterkonvention) zu gewähren. Bis dies geschehen sei, sei die Beklagte zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB XII zu verpflichten.

Mit Bescheid vom 14. Juni 2013 hat die Deutsche Rentenversicherung Bund der Klägerin eine zunächst bis zum 31. Dezember 2014 befristete Rente wegen Erwerbsminderung bewilligt. Dies basierte auf einem Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr ..., der die Klägerin im August 2012 untersucht hatte, wobei die Begutachtung nach ca. 20 Minuten durch die Klägerin beendet worden war. Dr ... war in seinem Gutachten zu der Einschätzung gekommen, dass die Klägerin drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbsfähig sein könne. In dem Rentenbescheid vom 14. Juni 2013 heißt es dazu: "Der Rentenanspruch ist zeitlich begrenzt, weil die volle Erwerbsminderung nicht ausschließlich auf Ihrem Gesundheitszustand, sondern auch auf den Verhältnissen des Arbeitsmarktes beruht". Weitere Begutachtungen zur Frage der Erwerbsfähigkeit haben nach Angabe der Klägerin nicht stattgefunden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. Juni 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe bereits deshalb keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung, weil sie infolge der ihr gewährten Leistungen nach dem SGB III und dem SGB II nicht hilfebedürftig sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass ihr diese Leistungen zu Unrecht gewährt worden seien. Insbesondere lägen keine Gründe vor, die an der Erwerbsfähigkeit der Klägerin zweifeln ließen.

Gegen den ihr am 17. Juni 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14. Juli 2014 Berufung eingelegt und diese zunächst nicht begründet. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24. Juni 2016 hat sie ausgeführt, es gehe ihr eigentlich um eine Entschädigung als Folteropfer. Da die Bundesrepublik Deutschland bislang Art. 14 der UN-Antifolterkonvention nicht hinreichend umgesetzt habe und es daher keine Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung gebe, mache sie alle möglichen Ansprüche gegen Sozialleistungsträger geltend. Auf den Hinweis, dass bei Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII möglicherweise niedrigere Vermögensfreibeträge gälten als bei Leistungen nach dem SGB II, hat die Klägerin erklärt, dass sie zu diesen Bedingungen keine Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung von der Beklagten wolle. Zur Frage ihrer Erwerbsfähigkeit wolle sie sich nicht äußern; zu einer diesbezüglichen Begutachtung sei sie nicht bereit. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung einen umfangreichen Schriftsatz eingereicht. Danach hält sie an den bisher gestellten Anträgen fest und beantragt ferner, 1. die Beklagte zu verpflichten, ihr eine angemessene monatliche Entschädigung in Höhe von vorerst mindestens 2.500,- Euro aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und Art. 14 der UN-Antifolterkonvention sowie aus den Empfehlungen des Unterausschusses gegen Folter an die Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahre 2011 zu zahlen; 2. das Verfahren auszusetzen, bis ihr auf Kosten der Beklagten eine mit den Folgen von sadistischer Folter an schwerbehindert geborenen Säuglingen und Kleinstkindern vertraute medizinische und rechtliche Spezialistin zur Seite gestellt worden ist; 3. die Bedeutung des Begriffs der "wesentlich erweiterten Pflegebedürftigkeit" aus dem Bescheid des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 4. Mai 1942, den das Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 12. März 1997, Az.: 5 AZR 329/96 als Entscheidungsgrundlage heranzieht, gerichtlich festzustellen; 4. im Urteil sämtliche an der Entscheidung beteiligten Richter und Richterinnen mit vollständigem amtlichen Vor- und Nachnamen sowie gegebenenfalls mit akademischen Titeln zu bezeichnen; 5. im Urteil den vollständigen amtlichen Vor- und Nachnamen sowie gegebenenfalls den akademischen Titel der Prozessvertretung der Beklagten anzugeben; 6. sie mit ihrem vollständigen Namen zu benennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beigeladene, den der Senat mit Beschluss vom 12. Januar 2016 nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen hat, hat keinen Antrag gestellt.

Mit Beschluss vom 28. Oktober 2014 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 SGG der Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

Den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens (Ziffer 2 der oben genannten Anträge) hat der Senat in der mündlichen Verhandlung am 24. Juni 2016 abgelehnt. Dem Antrag der Klägerin bezüglich ihrer Namensnennung (Ziffer 6 der oben genannten Anträge) ist der Senat durch Änderung des Aktivrubrums des Rechtsstreits nachgekommen. Über den ebenfalls in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat der Senat durch Beschluss entschieden, insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind und bei der Beratung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

I. Das Gericht konnte durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach § 153 Abs. 5 SGG übertragen hat. In der mündlichen Verhandlung am 24. Juni 2016 konnte eine Entscheidung ergehen, dem Aussetzungsantrag der Klägerin (Ziffer 2 der oben genannten Anträge) war nicht stattzugeben, da keiner der in § 114 SGG genannten Aussetzungsgründe vorliegt. Es war auch nicht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, denn die Klägerin kann mangels entsprechender Rechtsgrundlage nicht verlangen, dass ihr auf Kosten der Beklagten eine medizinische und rechtliche Spezialistin zur Seite gestellt wird.

II. Zulässiger Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nur ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Hingegen kann ein Anspruch auf Entschädigung als Folteropfer (Ziffer 1 der oben genannten Anträge) nicht zulässig zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden. Dabei kann dahin gestellt bleiben, inwieweit sich aus den Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention und der UN-Antifolterkonvention unmittelbare Ansprüche der Betroffenen ergeben und ob die Beklagte diesbezüglich zuständig wäre. Denn die Unzulässigkeit der Einbeziehung des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs in das Berufungsverfahren ergibt sich bereits daraus, dass die Beklagte über einen solchen Anspruch mit dem hier angegriffenen Bescheid nicht entschieden hat. Der angefochtene Bescheid vom 18. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. November 2012 betrifft nur die Frage eines Anspruchs auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Nur diesbezüglich ist daher eine Entscheidung des Gerichts möglich. Entsprechendes gilt, soweit die Klägerin eine gerichtliche Feststellung der Bedeutung des Begriffs der "wesentlich erweiterten Pflegebedürftigkeit" (Ziffer 3 der oben genannten Anträge) begehrt. Die abstrakte Klärung der Bedeutung dieses Begriffs ist nicht Aufgabe des sozialgerichtlichen Verfahrens.

III. Soweit die Klägerin sich gegen die Ablehnung von Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung durch die Beklagte wendet, ist die Berufung zulässig, aber nicht begründet.

Unabhängig davon, dass ihren Äußerungen in der mündlichen Verhandlung zufolge die Klägerin Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach den Vorschriften des SGB XII offenbar nun doch nicht (mehr) begehrt, erfüllt sie nicht die Voraussetzungen für einen entsprechenden Leistungsanspruch. Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung erhält gemäß § 41 Abs. 3 SGB XII, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) ist und bei dem unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VI ist, wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nach den vorliegenden Unterlagen nicht. Der Neurologe und Psychiater Dr ... ist aufgrund seiner – wenn auch zeitlich kurzen – Begutachtung der Klägerin zu dem Ergebnis gekommen, dass diese noch zwischen drei und sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne. Der Umstand, dass die Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung von der DRV Bund bezieht, führt zu keiner anderen Einschätzung der Erwerbsfähigkeit, da die Rentengewährung nicht allein auf der eingeschränkten Erwerbsfähigkeit der Klägerin beruht, sondern auch auf der Arbeitsmarktlage, genauer der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes (sog. Arbeitsmarktrente). Die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ist für die Beurteilung der grundsicherungsrechtlichen Frage der Erwerbsfähigkeit aber ohne Bedeutung (vgl. BSG, Urteil vom 21.12.2009 – B 14 AS 42/08 R).

Weitere Unterlagen zur Erwerbsfähigkeit der Klägerin liegen nicht vor, nach ihren eigenen Angaben haben keine weiteren Begutachtungen stattgefunden. Da die Klägerin sich zudem zur Frage ihrer Erwerbsfähigkeit nicht äußern wollte und einer gerichtlich veranlassten Begutachtung nicht zugestimmt hat, bestehen weder Möglichkeiten noch Anlass für eine diesbezügliche weitere Sachverhaltsaufklärung durch den Senat.

IV. Die Bezeichnung der an der Entscheidung beteiligten Richterinnen und Richter sowie der Beklagten in diesem Urteil entspricht der Regelung des § 136 SGG. Darüber hinaus gehende Angaben kann die Klägerin nicht verlangen. Nach § 136 Abs. 1 Nr. 1 SGG sind die Beteiligten, ihre gesetzlichen Vertreter und Bevollmächtigten nach Namen, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren zu bezeichnen. Bei juristischen Personen sind diese sowie der gesetzliche Vertreter zu benennen. Zu benennen sind ferner Rechtsanwälte, Verbandsvertreter oder Dritte, denen ein Beteiligter Vollmacht erteilt hat, nicht aber der Bedienstete einer juristischen Person, der als ihr Prozessvertreter auftritt (vgl. Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 136 Rn. 3). Nach § 136 Abs. 1 Nr. 2 SGG sind die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, anzugeben. Dem wird durch die Nennung der Nachnamen genüge getan. Akademische Titel, insbesondere der Doktortitel, sind kein Namensbestandteil (vgl. BGH, Beschluss vom 4.9.2013 – XII ZB 526/12; BVerwG, Urteil vom 24.10.1957 – I C 50.56).

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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