L 6 U 3152/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 828/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 3152/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. August 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung eines Minderverdienstausgleichs wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Oktober 2013 streitig.

Der 1980 geborene, bis zum 15. November 2014 nach betriebsbedingter Kündigung versicherungspflichtig als Betonarbeiter beschäftigt gewesene Kläger zog sich während seiner Beschäftigung am 17. Oktober 2013 eine schwere Quetschung der rechten Mittelhand zu, als ihm ein schweres Metallteil auf die Hand fiel. Mit Bescheid vom 5. November 2015 stellte die Beklagte die Verletztengeld-Zahlung mit Ablauf des 8. November 2015 mit der Begründung ein, mit dem Wiedereintritt von Arbeitsfähigkeit sei nicht zu rechnen und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien nicht zu erbringen.

Das Unfallereignis wurde von der Beklagten, gestützt auf die Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. B. wie des Chirurgen Prof. Dr. K., nach beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. W.-S. anerkannt und als Unfallfolgen am rechten Arm: schwere Quetschverletzung der Hand mit deutlicher Einschränkung bei der Unterarmauswärtsdrehung und minimaler bei der Einwärtsdrehung, Bewegungseinschränkung der Hand, inkomplettem Faustschluss, inkompletter Streckung der Langfinger, Pfötchenstellung der Hand, reduzierter Handspanne, Minderung der groben Kraft, chronisch regionalem Schmerzsyndrom (CRPS), Schwellneigung des Handrückens mit Übererwärmung und Rötung sowie eine Anpassungsstörung mit ausgeprägtem Störungsbild und ein algogenes Psychosyndrom, letztere als schmerzbedingte psychische Beeinträchtigungen, festgestellt. Wegen der Unfallfolgen gewährt die Beklagte dem Kläger aufgrund Bescheid vom 3. Mai 2016 seit dem 9. November 2015 Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vom Hundert (v. H.).

Am 3. Dezember 2015 beantragte der Kläger unter Beifügung von Gehaltsabrechnungen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 der Berufskrankheitenverordnung (BKV) zu gewähren. Zur Begründung führte er aus, er habe unfallbedingt seine alte Tätigkeit als Betonarbeiter aufgeben müssen, deswegen sei ihm ein Minderverdienst entstanden.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2015 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, die Regelungen der BKV fänden allein bei Berufskrankheiten Anwendung, nicht aber bei Arbeitsunfällen. Eine vergleichbare Vorschrift zum Ausgleich eines Minderverdienstes bei Arbeitsunfällen gebe es nicht. Der gesetzliche Leistungskatalog bei Arbeitsunfällen sehe keinen unfallbedingten Minderverdienstsausgleich vor. Der eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheides vom 2. März 2016).

Mit seiner dagegen am 9. März 2016 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen dargelegt, die anerkannte unfallbedingte Anpassungsstörung begründe auch eine Berufskrankheit. § 3 Abs. 2 BKV verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, soweit ein durch einen Arbeitsunfall verursachter Minderverdienstausfallschaden nicht ausgeglichen werde. Außerdem sei seine körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) bei der Arbeit verletzt worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 16. August 2016 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, mangels Rechtsgrundlage stehe dem Kläger die begehrte Gewährung eines Minderverdienstausgleichs nicht zu, weil er nicht von einer Berufskrankheiten-Gefahr bedroht werde, wenn er seine Tätigkeit als Betonarbeiter wieder aufnehme. Normzweck des § 3 BKV sei die sogenannte Berufskrankheiten-Prophylaxe. Diese umfasse Maßnahmen der Vorbeugung und Krankheitsverhütung und solle das Entstehen eines Entschädigungsanspruchs verhindern oder die Auswirkungen bereits eingetretener Versicherungsfälle beeinflussen. Der Gesetzgeber habe sich darauf beschränkt, bei der Individualprävention insbesondere Geldleistungen nur bei konkret-individuell drohenden Berufskrankheiten unter besonderen kausalen Voraussetzungen zweckbestimmt als unterstützende Maßnahme der Prävention zu gewähren. Der Geltungsbereich betreffe daher weder die allgemeine arbeitsbedingte Gesundheitsgefahr noch Arbeitsunfälle. Anlass dafür seien besondere, schädigende Einwirkungen durch die Arbeit, welche die Gefahr einer Berufskrankheit begründeten. Versicherte, die trotz allgemeiner Prävention besonderen schädigenden Einwirkungen durch ihre Arbeit ausgesetzt seien, könnten deswegen in konkreter, individueller Gefahr stehen, an einer Berufskrankheit zu erkranken, die sich grundsätzlich von einer Unfallgefahr unterscheide. Diese individuelle Gefahr für den Versicherten sei der Schlüssel zur Anwendung des § 3 BKV, der die individuelle Berufskrankheiten-Prävention zum Ziel habe. Beim Kläger sei indessen weder streitig noch zweifelhaft, dass er an keiner Berufskrankheit leide noch bei Wiederaufnahme der Tätigkeit von einer konkreten, individuellen Berufskrankheiten-Gefahr bedroht wäre. Auch eine Analogie scheide in Ermangelung einer Regelungslücke aus. Die Entschädigung nach Eintritt eines Arbeitsunfalls in Form einer Verletztenrente erfolge überdies als abstrakte Schadensberechnung, sodass der bisherige Beruf oder die bisherige berufliche Tätigkeit grundsätzlich nicht entscheidend für die Höhe der unfallbedingten MdE sei. Die Regelungen verstießen auch nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen die Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der allgemeinen Handlungsfreiheit oder den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz.

Hiergegen hat der Kläger am 22. August 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt, zu deren Begründung er vorgetragen hat, in Konstellationen, in denen eine MdE aufgrund eines Arbeitsunfalls von 50 v. H. bestehe und die Tätigkeit als Betonbauer nicht mehr ausgeübt werden könne, müssten Übergangsleistungen gewährt werden. Denn der Umstand, dass der Versicherte aufgrund der Entwicklung eines langwierigen Krankheitsgeschehens zur Aufgabe der ihn gefährdenden Tätigkeit gezwungen sei, treffe auch bei ihm zu. Er leide hinsichtlich der depressiven Beschwerden an einer Berufskrankheit, die aber ungleich behandelt werde.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. August 2016 sowie den Bescheid vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Oktober 2013 einen Minderverdienstausgleich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i. v. m. § 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet.

Gegenstand dieses Rechtsmittelverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG Karlsruhe vom 16. August 2016, mit dem die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) erhobene Klage, mit welcher der Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 14. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2016 die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung eines Minderverdienstausgleichs begehrt hat, abgelehnt wurde. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bezogen auf die vorliegenden Klageart der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34).

Zu Recht hat es das SG mit zutreffender Begründung abgelehnt, die Beklagte zu verurteilen dem Kläger einen Minderverdienstausgleich zu gewähren. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen nach eigener Prüfung an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs. 2 SGG ab.

Ergänzend ist lediglich auf folgende Punkte hinzuweisen:

Zutreffend hat das SG zunächst dargelegt, dass es für den begehrten Minderverdienstausgleich bereits an einer gesetzlichen Grundlage fehlt.

Denn § 3 Abs. 1 und 2 BKV regeln nur Berufskrankheiten oder die Gefahr des Entstehens einer solchen. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 BKV hat der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung einem Versicherten, der die gefährdende Tätigkeit unterlässt, weil die Gefahr, dass eine Berufskrankheit entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, nicht zu beseitigen ist, zum Ausgleich der hierdurch verursachten Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung zu gewähren. Liegen diese Voraussetzungen vor, besteht ein Anspruch auf Gewährung einer Übergangsleistung, deren Höhe, Dauer und Zahlungsart allerdings im Ermessen des Unfallversicherungsträgers steht. Als Übergangsleistung wird gemäß § 3 Abs. 2 BKV ein einmaliger Betrag bis zur Höhe der Jahresvollrente oder eine monatlich wiederkehrende Zahlung bis zur Höhe eines Zwölftels der Vollrente längstens für die Dauer von fünf Jahren gezahlt.

§ 3 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 BKV haben damit einen eigenständigen ("kleinen") Versicherungsfall zum Inhalt, der nicht den Eintritt des ("großen") Versicherungsfalls einer Berufskrankheit voraussetzt. Auf der anderen Seite genügt weder eine arbeitsbedingte Gesundheitsgefahr (§ 1 Nr. 1, § 14 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII -) noch ein Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII), denn die Übergangsleistungen sind immer auf mindestens eine bestimmte Berufskrankheit bezogen. Für den Anspruch auf Übergangsleistungen ist es vielmehr ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Versicherte aufgrund seiner versicherten Tätigkeit Einwirkungen auf seine Gesundheit ausgesetzt ist, die aktuell eine konkrete individuelle Gefahr (u.a.) des Entstehens einer Berufskrankheit begründen, wegen der fortbestehenden Gefahr die gefährdende Tätigkeit eingestellt wird, und es dadurch zu einer konkreten Verdienstminderung und/oder sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen kommt. Das ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 BKV, der eine Gefahr voraussetzt, "dass eine Berufskrankheit entsteht" und "fortbesteht", als auch aus der präventiven Zielrichtung der Vorschrift. Die von vergangenheitsbezogenen Leistungen zur Entschädigung bereits eingetretener Versicherungsfälle zu unterscheidende zukunftsgerichtete Übergangsleistung soll vor aktuellen Gesundheitsgefahren schützen und dient der Vorbeugung sowie Krankheitsverhütung. Damit wird die vorrangige Aufgabe der Unfallversicherung konkretisiert, mit allen geeigneten Mitteln Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zu verhüten (§ 1 Nr. 1 SGB VII). Um der Gefahr, an einer Berufskrankheit zu erkranken, zu entgehen, bedarf es der Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit (vgl. BSG SozR 3-5670 § 3 Nr. 5; BSG, Urteil vom 5. August 1993 - 2 RU 46/92 -, juris, Rz. 20).

Der Kläger hat aber unstreitig am 17. Oktober 2013 nur einen (anerkannten) Arbeitsunfall erlitten, also etwas ganz Anderes als eine Berufskrankheit (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Eine Erkrankung aus dem depressiven/neurotischen Formenkreis ist darüber hinaus weder als Listen-Berufskrankheit noch ersichtlich nach § 9 Abs. 2 SGB VII als sogenannte Wie-Berufskrankheit berücksichtigungsfähig.

Eine Analogie scheidet ebenfalls aus, wie es schon das SG zutreffend dargelegt hat. Das hat das BSG bereits mit Urteil vom 16. März 1995 (2 RU 18/94 - , juris, Rz. 22) entschieden. Es fehlt nicht nur an der unbewussten Regelungslücke, sondern auch an der sozial-ethischen Vergleichbarkeit von Arbeitsunfall und Berufskrankheit. Die Leistungen nach § 3 BKV sollen im Wesentlichen eine Verschlimmerung der Berufskrankheit bei Fortführen der gefährdenden Tätigkeit verhindern. Bei Arbeitsunfällen besteht aber eine solche Verschlimmerungsgefahr nicht. Arbeitsunfälle können durch Prävention verhindert werden, nicht aber durch Unterlassen der Tätigkeit.

Die Grundrechte, darunter Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG begründen keine Ansprüche auf Leistungen gegen den Staat, ausgenommen in Bezug auf das Existenzminimum und eventuell vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 4 GG. Art. 3 Abs. 1 GG, ist ebenfalls nicht verletzt, denn zwischen Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen bestehen wesentliche sachliche Unterschiede, sodass die Ungleichbehandlung, die sich nur am Willkürverbot messen lassen muss, da sie vorwiegend nicht an personengebundene Merkmale anknüpft, gerechtfertigt ist.

Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 30. November 2015 zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf den §§ 183, 193 SGG beruht.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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