Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 10 BL 21/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 4/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Kläger werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.04.2003 und der Bescheid des Beklagten vom 08.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.11.2002 aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt, den Klägern vom 01.12.2000 bis zum 31.05.2002 Blindengeld für deren Kind S. zu gewähren.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren als Rechtsnachfolger der 1999 geborenen und am 13.05.2002 gestorbenen S. H. Blindengeld.
Auf den Antrag auf Gewährung von Blindengeld vom 28.12.2000 hin hat der Beklagte Arztbriefe der Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche der F.-Universität E. vom 15.12.1999 über einen stationären Aufenthalt vom 11.10.1999 bis zum 13.10.1999, vom 08.12.2000 über eine ambulante Behandlung am 21.11.2000 und vom 04.07.2001 über einen stationären Aufenthalt am 03. und 04.04.2001, einen Befundbericht der F.-Universität E. vom 09.04.2001 über eine VEP-Untersuchung sowie eine Auskunft der Frühförderung K. für blinde und sehbehinderte Kinder vom 26.04.2001 beigezogen. Hierzu wurde eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie, Sozialmedizin E. vom 25.10.2001 eingeholt, der den Nachweis einer Blindheit im Sinne des Bayerischen Blindengeldgesetzes (BayBlindG) verneinte, weil weder klinisch noch durch die VEP-Untersuchung eine der Blindheit gleichzuachtende Sehstörung nachgewiesen worden sei. Rindenblindheit liege nicht vor, weil S. auf optische Reize reagiere und die VEP-Untersuchung normale P-1-Latenzzeiten ergeben habe. Der Beklagte hat daraufhin mit Bescheid vom 08.11.2001 den Antrag auf Zahlung von Blindengeld abgelehnt. Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Eltern von S. H. als deren gesetzliche Vertreter vom 22.11.2001, der mit Schreiben vom 30.12.2001 näher begründet wurde. In dem Widerspruchsschreiben wird auf das orthoptische Beobachtungsprotokoll der Frühförderung für blinde und sehbehinderte Kinder vom 22.03.2001 Bezug genommen und eine Stellungnahme des Dr.D. von der Uniklinik in E. angekündigt. Der Beklagte hat einen Befundbericht des Augenarztes Dr.S. vom 10.05.2002 eingeholt. Die jetzigen Kläger haben nach dem Tod ihrer Tochter am 13.05.2002 mit Schreiben vom 14.06.2002 eine ärztliche Stellungnahme von Dr.D. von der Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche der F.-Universität E. vom 08.05.2002 übersandt. Mit Schreiben vom 19.07.2002 hat Dr.D. weiter mitgeteilt, dass die VEP-Ableitung nur in der Klinik direkt vom PC abgelesen werden könne und eine Übersendung der VEP-Originalableitung daher nicht möglich sei. In der daraufhin veranlassten versorgungsärztlichen Stellungnahme des Neurologen und Sozialmediziners Dr.K. vom 19.09.2002 hat dieser nach nochmaliger Durchsicht der Akte bei teilweisen differenten Angaben zum Sehakt keine Begründung erkennen können, die zu einem Anspruch nach dem BayBlindG führen könnte. In einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme der Medizinaldirektorin und Sozialmedizinerin P. vom 29.10.2002 hat diese einen Anspruch nach dem BayBlindG ebenfalls abgelehnt. Blindheit müsse auf einem Defekt im optischen Apparat bzw. in der Weiterleitung und Verarbeitung optischer Reize beruhen. Eine Zerstörung der Sehrinden sei nicht nachgewiesen. Kernspintomographisch handele es sich vielmehr um eine generelle cerebrale Schädigung mit Minder- und Fehlanlage des Gehirns und deutlich erweiterten inneren und äußeren Liquorräumen. Eine isolierte Schädigung im Bereich der Hinterhauptlappen sei nicht nachgewiesen. Bei dem Kind S. H. sei das Blitz-VEP weitgehend unauffällig gewesen, was kortikale Blindheit allerdings nicht ausschließe. Es seien jedoch auch Potentiale im Muster-VEP ableitbar gewesen, wenn auch mit deutlich verlängerter Latenzzeit und verringerten Sekundärkomplexen. Bei ableitbaren Potentialen im Muster-VEP sei davon auszugehen, dass das visuelle System vom Auge zur primären Sehrinde intakt sei. Der Aussage von Dr.D. , dass der pathologische Befund der VEP-Untersuchung "passend zur klinischen Beurteilung der kortikalen Blindheit sei", sei nicht zu folgen. Um cerebrale Sehstörungen, insbesondere cerebrale Blindheit, mit klinischen Untersuchungsmethoden festzustellen, müsse beim Patienten ein ausreichendes Maß an Kommunikationsfähigkeit, Aufmerksamkeitsleistung und Wachheit vorhanden sein. Nur dann könnten die klinischen subjektiven Untersuchungsverfahren angewandt werden, um visuelle Funktionen und Leistungen auf augenärztlilchem und neurologischem Gebiet zu erfassen. In besonderem Maße gelte dies für den Nachweis einer klassichen visuellen Agnosie, die strikt von der visuellen Agnosie in der häufig sehr weit reichend verwendeten Bedeutung (generell kein Erkennen möglich) getrennt werden müsse. Nur bei der klassischen Form, die sich nicht auf eine Beeinträchtigung elementarer visueller Leistung, auf Benennungsstörungen oder auf eine allgemeine Herabsetzung kognitiver Fähigkeiten zurückführen lasse, könne gegebenenfalls Blindheit anerkannt werden. Generelle cerebrale Leistungseinschränkungen würden dagegen keine Blindheit bedingen.
Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2002 den Widerspruch der Kläger zurückgewiesen. Um Leistungen nach dem BayBlindG erbringen zu können, sei der Nachweis der Blindheit bzw. einer Blindheit gleichzuachtenden Störung des Sehvermögens erforderlich. Die Wahrscheinlichkeit oder gar nur die Möglichkeit genüge nicht. Es dürften keine berechtigten Zweifel mehr am Vorliegen von Blindheit bzw. einer Blindheit gleichzuachtenden Störung des Sehvermögens bestehen. Wie in den Erläuterungen zum BayBlindG explizit aufgeführt sei, müsse die Blindheit auf einem Defekt im optischen Apparat bzw. in der Verarbeitung optischer Reize beruhen. Weder klinisch noch durch die VEP-Untersuchung habe bei S. Blindheit oder eine der Blindheit gleichzuachtende Sehstörung nachgewiesen werden können.
Hiergegen richtet sich die Klage der Kläger vom 02.12.2002 zum Sozialgericht Bayreuth. Entgegen der Ansicht des Beklagten seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem BayBlindG erfüllt. Anhand einer Kernspintomographie der Uni-Klinik E. hätten sie erstmals Hinweise darauf erhalten, dass die Tochter nichts sehe. Diese Vermutung sei im Frühjahr 2000 bestätigt worden. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Augenarztes Dr.S. vom 27.12.2002, einen Befundbericht des behandelnden Kinderarztes Dr.S. vom 23.01.2003, Unterlagen der Frühförderung für blinde und sehbehinderte Kinder K. sowie eine Stellungnahme des Dr.D. vom Sozialpädiatrischen Zentrum E. vom 15.01.2003 eingeholt und die Schwerbehindertenakte des AVF B. beigezogen. Mit Beweisanordnung vom 30.01.2003 wurde der Augenarzt Dr.T. zum Sachverständigen ernannt, der das augenärztliche Gutachten nach Aktenlage vom 13.02.2003 erstellt hat. Dr.T. kam zusammenfassend zu der Überzeugung , dass aufgrund der Aktenlage eine eventuelle Blindheit im Sinne des BayBlindG bei S. H. nicht bewiesen werden könne. Die Kläger haben mit Schreiben vom 24.04.2003 vorgetragen, dass alle Ärzte und Therapeuten, die S. gekannt und mit ihr gearbeitet hätten, erneut versichert hätten, dass nach ihrer Auffassung das Sehvermögen von S. im Bereich der gesetzlichen Blindheit gelegen habe. Es sei nicht akzeptabel, dass die Beurteilung des Sehvermögens von S. durch eine Person erfolge, die S. "ein Mindestmaß an Kooperationsfähigkeit" abspreche, obwohl er S. nie kennengelernt habe. S. habe akustische, taktile und Geruchsreize sehr wohl erkennen und interpretiern können. Sie habe aktiv am Familienleben teilgenommen und auf die oben genannten Therapieangebote reagiert.
Das Sozialgericht Bayreuth hat mit Gerichtsbescheid vom 28.04.2003 die Klage abgewiesen. Die Kammer könne sich für den streitigen Zeitraum nicht vom Nachweis einer solchen Sehstörung überzeugen, die als Blindheit im Sinne des Gesetzes anzusehen oder einer solchen gleichzuachten sei. Die Nichterweislichkeit eines anspruchsbegründenden Sachverhalts bzw. einer anspruchsbegründenden Tatsache gehe nach der vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Rechtsprechung von der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der sich auf dessen Vorliegen berufe, hier somit zu Lasten der Kläger.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger vom 22.05.2003. Es sei nicht akzeptabel, dass ein Gerichtsentscheid aufgrund eines Gutachtens gefällt werde, das der Tochter ein "Mindestmaß an Kooperationsfähigkeit" abspreche, ohne dass der betreffende Gutachter das Kind kennengelernt habe. Es stelle sich die Frage, ob nicht vorrangig die Personen gehört werden sollten, die mit S. gelebt und sie therapiert hätten. Auf Anfrage des Senats hat der Beklagte mit Schreiben vom 01.10.2003 an seiner Auffassung festgehalten, dass eine Sehbehinderung von einem der Blindheit gleichzuachtenden Schwere nicht nachgewiesen werden könne. Die Medizinaldirektorin und Sozialmedizinerin P. hat diesbezüglich in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.09.2003 darauf hingewiesen, dass das Vorliegen einer Sehbehinderung im engeren Sinne, d.h. als Folge einer Schädigung des optisch-visuellen Bereiches zwischen den Augen und der primären Sehrinde (Hinterhauptslappen), weder als "gesichert" angesehen noch ungefähr quantifiziert werden könne. Alle aktenkundigen Befunde würden vielmehr dafür sprechen, dass das "Sehenkönnen" nicht allein oder hervorgehoben beeinträchtigt gewesen sei, sondern eine generelle schwere geistige und körperliche Behinderung mit eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit in allen Sinnesmodalitäten vorliege. Der morphologische Befund an den Augen, vor allem am Augenhintergrund, sei unauffällig gewesen. Bei den Blitz-VEP hätten sich normale Latenzzeiten ergeben, was bedeute, dass die Weiterleitung von Lichtreizen von der Netzhaut bis zur Sehrinde nicht beeinträchtigt gewesen sei. Die bildgebenden Verfahren hätten eine schwere globale Hirnschädigung mit Erweiterung der inneren und äußeren Liquorräume, einer Verschmächtigung des so genannten Balkens bei insgesamt diskreter Hirnatrophie ergeben, wobei die Hirnwindungen und -furchen im Bereich der Schläfen-Hinterhauptsregion auffallend verschmächtigt und unregelmäßig angeordnet gewesen seien. Nach hiesiger Auffassung wäre hier eher der Begriff einer wahrscheinlich vorliegenden Sehbehinderung angebracht, da der Nachweis, der für die Sicherung einer Diagnose erforderlich gewesen wäre, nicht habe erbracht werden können. Neben den technischen Zusatzbefunden spreche auch die Verhaltensbeobachtung dafür, dass die mangelnde bzw. fehlende Reaktion auf visuelle Reize im Rahmen der üblichen Untersuchungssituationen nicht Ausdruck einer Sehbehinderung gewesen sei, sondern einer eingeschränkten Aufmerksamkeit und Konzentration im Rahmen der schweren allgemeinen mentalen Retadierung. Schließlich darf auf den Arztbrief vom 15.12.1999 hingewiesen werden, wonach die ergotherapeutische Untersuchung für "eine schwere harmonische Retardierung" gesprochen habe. Der Begriff "harmonisch" sei dahingehend zu verstehen, dass alle untersuchten Qualitäten in gleicher Weise beeinträchtigt gewesen seien. Auch die Diagnose einer "schweren Wahrnehmungsstörung mit deutlich verlangsamter Reizantwort" weise auf eine gleichschwere Beeinträchtigung in allen Sinnesmodalitäten hin, andernfalls wäre die Differenzierung dahingehend erfolgt, welche Sinneswahrnehmungen schwerer oder weniger schwer beeinträchtigt seien. Die Eltern von S. haben sich mit Schreiben vom 11.11.2003 mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Medizinaldirektorin P. nicht einverstanden erklärt und halten eine Stellungnahme derer, die S. betreut hätten, für unumgänglich. Der Senat hat mit Schreiben vom 06.09.2005 zu erkennen gegeben, dass er den vorliegenden Streitfall mit dem vom Bundessozialgericht am 20.07.2005 entschiedenen Blindengeldfall (B 9a BL 1/05 R) für vergleichbar halte. Hierzu hat der Beklagte auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Medizinaldirektorin und Sozialmedizinerin P. mit Schreiben vom 29.09.2005 nochmals Stellung genommen. Auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Medizinaldirektorin und Sozialmedizinerin P. vom 21.09.2005 sei davon auszugehen, dass der vorliegende Rechtsstreit nicht mit dem vom Bundessozialgericht am 20.07.2005 entschiedenen Blindengeldfall vergleichbar sei. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung u.a. ausgeführt, dass es zum Nachweis einer zu faktischer Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens genüge, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sei, als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten. Im entschiedenen Blindengeldfall habe der Hirnschaden des Klägers keine gleichmäßige und allgemeine Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeiten zur Folge gehabt, sondern habe sich bei teilweisem Erhalt des Gehör- und des Tastsinns besonders durch den fast vollständigen Ausfall der visuellen Modalität ausgezeichnet. Die auf anderen Feldern der Sinneswahrnehmung verbliebenen Fähigkeiten seien danach ihrerseits nicht so weit herabgesetzt gewesen, dass der Leistungsunterschied zur fehlenden visuellen Modalität unbeachtlich gewesen wäre. Bei S. H. sei diese Konstellation nach den Feststellungen des gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr.T. in seinem Gutachten vom 13.02.2003 nicht gegeben. Dr.T. sei von einer generalisierten Wahrnehmungsstörung im Rahmen der Mehrfachbehinderung ausgegangen. Der morphologische Befund an den Augen sei bei S. nach dem Befundbericht des Dr.S. vom 10.05.2002 im Gegensatz zu dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Blindengeldfall unauffällig gewesen. Auch die am 23.03.2000 und am 06.08.2001 abgeleiteten VEP seien im Wesentlichen unauffällig gewesen. Hierzu haben die Kläger mit Schreiben vom 19.10.2005 darauf hingewiesen, dass bei der Tochter S. keine "gleichmäßige und allgemeine Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit" vorgelegen habe. Vielmehr seien Tast-, Geruchs-, Geschmacks- und Hörsinn bei S. erhalten gewesen. Die Therapeuten, die S. begleitet hätten, hätten dies immer wieder bestätigt und auch schriftlich fixiert (Hinweis auf Stellungnahme von Frau H. von der Blindenfrühförderung K. vom Februar 2002 und Arztbrief von Frau Dr.T. von der Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche der F.-Universität E. vom 08.12.2000). Der Leitsatz "als blind gelte auch, wer aufgrund schwerer Hirnschädigung visuell nichts wahrnehme, sofern andere Sinnesmodalitäten wenigstens teilweise noch erhalten seien", treffe vorliegend zu. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 22.12.2005 unter Bezugnahme auf eine neuerliche versorgungsärztliche Stellungnahme der Medizinaldirektorin und Sozialmedizinerin P. vom 16.12.2005 an der Auffassung festgehalten, dass der vorliegende Rechtsstreit nicht mit dem vom Bundessozialgericht am 20.07.2005 entschiedenen Blindengeldfall vergleichbar sei. Insbesondere lasse sich eine spezifische Störung des Sehvermögens im Vergleich zu den anderen, ebenfalls eingeschränkten Gehirnfunktionen nicht feststellen. Hierzu haben sich die Kläger nochmals mit Schreiben vom 12.02.2006 geäußert. Dass S. jetzt, weil dem Versorgungsamt B. scheinbar die Argumente ausgehen, mit Wachkomapatienten und deren "Primitivreflexen" verglichen werde, erscheine mehr als unwürdig und sei auch nicht zutreffend. Dazu solle nur noch eines hervorgehoben werden. S. habe sehr gerne gegessen. Sie habe deutlich machen können, was ihr schmecke und was sie ablehne. So habe sie z.B. sehr gerne Brot gegessen. Allein damit sei erwiesen, dass Geschmackssinn, Kauen und Schluckreflex mehr als ausreichend und deutlich ausgeprägter vorhanden gewesen seien als ihr Sehsinn.
Mit Schriftsatz vom 08.06.2006 haben sich die Rechtsanwälte E. und Kollegen als Prozessbevollmächtigte der Kläger bestellt und haben die Berufung noch näher begründet. Der vorliegende Fall der S. H. sei sehr wohl mit dem vom BSG mit Urteil vom 20.07.2005 entschiedenen Fall vergleichbar. Vorliegend stehe in Anlehnung an die Feststellungen des BSG fest, dass S. H. zu Lebzeiten bereits auf einer sehr frühen Stufe des Prozesses visueller Wahrnehmung Objekte nicht habe wahrnehmen können. Insoweit werde unbestritten festgestellt, dass S. bei normalen Lichtverhältnissen in hellen Räumen keine eindeutige Reaktion auf visuelle Reize gezeigt habe, keine Fixationsaufnahme erfolgt sei und auch keine eindeutigen Aufmerksamkeitsreaktionen der Blickhinwendung auf visuelle Angebote hätten beobachtet werden können. Aus den Berichten der Frühförderstelle K. ergebe sich, dass bei S. eine generelle zerebrale Minderleistung ausgeschlossen werden könne und entgegen dem Beklagten gerade nicht von einer allgemeinen Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit gesprochen werden könne. Mit Schreiben vom 27.06.2006 haben die Prozessbevollmächtigten noch Abschlussberichte der Frühförderungsinstitute in K. und B. von Juni 2006 übersandt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.06.2006 haben die Kläger noch vorgetragen, dass S. nach dem Tanken deutliche Reaktionen zeigte (z.B. Gesicht verziehen, Hinführen der Hand zur Nase), aus denen zu schließen gewesen sei, dass ihr der Geruch unangenehm sei. Ähnliche Reaktionen seien bei Zigarettenrauch erfolgt. Demgegenüber habe sie auf Düfte wie von Hönig und Blumen positiv reagiert. Bezüglich des Tastsinns sei zu beobachten gewesen, dass sie glatte Oberflächen gemocht habe. Bei rauen Oberflächen habe sie zwischen denen, die sie mochte, und denen, die sie nicht mochte, differenziert. Der Hörsinn sei besonders gut entwickelt gewesen.
Der Bevollmächtigte der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.04.2003 und den Bescheid des Beklagten vom 08.11.2001 in der Gesalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2002 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern ab 01.12.2000 bis einschließlich 31.05.2002 Blindengeld für deren Kind S. zu gewähren.
Der Vertreter des Beklagten beantragt, die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
Dem Senat liegen die Verwaltungsakte des Beklagten, die Akte des Sozialgerichts Bayreuth mit dem Az.: S 10 BL 21/02 sowie die Akte des Bayer. Landessozialgerichts mit dem Az.: L 15 BL 4/03 zur Entscheidung vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren weiteren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger ist zulässig (Art.7 Abs.2 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und auch begründet. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die 1999 geborene und am 13.05.2002 verstorbene S. H. ab dem Antragsmonat Dezember 2000 bis zu ihrem Sterbemonat Mai 2002 Anspruch auf Blindengeld hat.
Dies ist zur Überzeugung des Senats zu bejahen.
Gemäß Art.1 Abs.1 BayBlindG erhalten Blinde, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art.1 Abs.2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG auch Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt, 2. bei denen durch Nr.1) nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr.1) gleichzuachten sind. Bei S. bestand zunächst allerdings keine Blindheit im Sinne von Art.1 Abs.2 Satz 1 BayBlindG, weil bei ihr das Augenlicht nicht vollständig fehlte. In den Arztbriefen der Kinderklinik des Klinikums B. vom 09.11.1999, der Universitäts-Kinderklinik E. vom 23.03.2000, 02.08.2000, 04.07.2001 und 06.08.2001 wurde jeweils eine Reaktion des Kindes auf optische Reize beschrieben. Auch das orthoptische Beobachtungsprotokoll der Frühförderstelle K. vom 22.03.2001 spricht von einem ausdauernden visuellen Interesse bei S. jedenfalls in abgedunkelten Räumen. Der magnetresonanztomographische Befund im Arztbrief der Universitäts-Kinderklinik E. vom 04.07.2001 beschreibt im Übrigen keine Zerstörung der Occipitalrinde, die eine kortikale Blindheit hätte beweisen können. Von einer vollständigen Blindheit im Sinne von Art.1 Abs.2 Satz 1 BayBlindG kann nach alledem nicht ausgegangen werden, weil weder die Dokumentation eines negativen Blitz-VEP oder wenigstens eines Blitz-VEP mit erheblich verlängerter Latenz, die eine Schädigung im Bereich der Erregungsleitung beweisen würde, noch eine dokumentierte Schädigung des Occipitalpols zum Nachweis einer kortikalen Blindheit oder ein dokumentierter morphologischer Augenbefund, der für eine Blilndheit im oben genannten Sinne beweisend wäre, vorliegen. Auch der Nachweis von Blindheit im Sinne von Art.1 Abs.2 Satz 2 Nr.1 BayBlindG kann nicht geführt werden. Hierfür müsste die Reduzierung der Sehschärfe - also des Auflösungsvermögens des Auges - auf maximal 1/50 auf dem besseren Auge durch Messungen/ Tests, die den Anforderungen des Vollbeweises genügen, festgestellt werden können. Exakte Mess- und Testergebnisse waren bei S. H. aufgrund der bei ihr vorliegenden Mikrocephalie bei Polymikrogyrie und der psycho- und statomotorischen Retadierung nicht zu erhalten.
Zur Überzeugung des Senats sind aber die Voraussetzungen der Nr.2 des Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG erfüllt.
Eine "faktische" Blindheit im Sinne der Nr.2 des Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG kann nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 31.01.1995, Az.: 1 RS 1/93 = SozR 3-5920 § 1 Nr.1; Urteil vom 26.10.2004, B 7 SF 2/03 R; Urteil vom 20.07.2005, Az.: B 9a BL 1/05 R) auch auf cerebralen Schäden beruhen und zwar für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans. Allerdings ist in Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderung zu differenzieren, ob das Sehvermögen, d.h. das Sehen- bzw. Erkennen-Können beeinträchtigt ist oder ob bei vorhandener Sehfunktion (nur) eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliegt, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden kann, die also nicht (schon) das Erkennen, sondern (erst) das Benennen betrifft. Ausfälle allein des Benennen-Könnens erfüllen die Voraussetzungen faktischer Blindheit nicht. Bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden ist darüber hinaus eine weitere Differenzierung erforderlich. Hier muss es sich im Vergleich zu anderen, möglicherweise ebenfalls eingeschränkten Gehirnfunktionen um eine spezifische Störung des Sehvermögens handeln. Zum Nachweis einer zu faktischer Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens genügt es insoweit, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist, als die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten. Diese vom BSG herausgearbeitete zusätzliche Differenzierung beim Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden entspricht auch dem aus den Motiven zum BayBlindG (Landtags-Drucksache 13/458 vom 16.02.1995, S.5) sich ergebenden Willen des Landesgesetzgebers insoweit, als dieser Leistungen nach dem BayBlindG aufgrund einer ausschließlich infolge einer generellen cerebralen Behinderung mit allgemeiner Herabsetzung der kognitiven Fähigkeiten bestehenden Unfähigkeit zur visuellen Wahrnehmung ausschließen wollte. Im Falle von S. H. kann insbesondere auf der Grundlage der Anamnese von Frau E.H. von der Frühförderung für blinde und sehbehinderte Kinder, K. , vom Februar 2002, Juni 2002 (Abschlussbericht) und Juni 2006 und den glaubhaften Angaben der Eltern von S. - insbesondere im Verhandlungstermin vom 27. Juni 2006 -, nicht von einer generellen cerebralen Behinderung mit im Wesentlichen gleichmäßiger und allgemeiner Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit sensorischer Reize ausgegangen werden, sondern es liegt eine spezifische Störung des Sehvermögens vor, während andere Sinnesmodalitäten bei S. wenigstens teilweise noch erhalten waren. Zunächst ist der Hörsinn bei S. teilweise vorhanden gewesen, was sich daraus ergibt, dass sie akustische Angebote mochte und die Richtung angeben konnte, aus der das Angebot erfolgt. Trommeln und Klangschalen erweckten immer ihre Aufmerksamkeit. Beim Anbieten von Klangstäben bewegte sie ihre Hand mehrmals hin und her, um die Klangstäbe zu berühren und dabei weitere unterschiedliche Töne zu erzeugen. Bei den Klanggeräuschen veränderte sich der Muskeltonus im Gesicht, sie zeigte, dass sie sich anstrengte und sich freute. Die Geräusche der Rettungsfolie, auf die S. manchmal gelegt wurde, nahm sie ebenfalls wahr. Sie reagierte mit Bewegungen von Armen und Beinen, um das raschelnde und knisternde Geräusch immer wieder auszulösen. Wenn sie passiv auf einer Matte lag, reagierte sie auf laute Geräusche in unmittelbarer Nähe (Rassel, Glöckchen) mit Innehalten oder Erschrecken. Auch taktile Reize ließ S. zu und empfand sie als angenehm. Auch von einem teilweise vorhandenen Geschmackssinn ist auszugehen, weil sie kenntlich machen konnte, was ihr schmeckt, z.B. Brot ohne Rinde, wobei Kauen und Schluckreflex ohne Weiteres möglich war. S. verfügt auch in nennenswertem Umfang über einen Geruchssinn. Dies schließt der Senat aus den glaubhaften Angaben der Eltern von S. , wonach S. beim Tanken an der Tankstelle deutliche Reaktionen wie Gesicht verziehen und Hinführen der Hand zur Nase zeigte, aus denen geschlossen werden konnte, dass ihr der Geruch unangenehm war. Ähnliche Reaktionen erfolgten auch in der Nähe von Zigarettenrauch. Demgegenüber reagierte S. positiv auf Düfte wie Honig oder Blumen. Auch der Tastsinn von S. war jedenfalls teilweise erhalten. Diesbezüglich war zu beobachten, dass sie glatte Oberflächen mochte. Bei rauen Oberflächen differenzierte sie zwischen denen, die sie mochte, und denen, die sie nicht mochte. Demgegenüber war die Wahrnehmung S. bei optischen Angeboten vergleichsweise deutlich herabgesetzt. Bei normalen Lichtverhältnissen in hellen Räumen erfolgte keine eindeutige Aufmerksamkeitsreaktion oder Blickhinwendung auf visuelle Angebote und auch keine Fixationsaufnahme. Lediglich in abgedunkelten Räumen erfolgte eine Blickhinwendung und ansatzweise Folgebewegung nach rechts, links und oben. Visuelle Reaktionen waren bei S. daher nur unter ganz speziellen, im Alltag kaum vorkommenden Bedingungen (abgedunkelter Raum) zu erhalten. Aus der unterschiedlichen Qualität der Sinneswahrnehmung schließt der Senat im Sinne des Vollbeweises, auch wenn eine Schädigung des Sehorgans (Auge, Sehbahn) nicht zur Überzeugung des Senats nachweisbar ist, auf das Vorliegen von zentralen, das "Erkennen-Können" betreffende Verarbeitungsstörungen und nicht erst auf Störungen des Benennen-Könnens bei ansonsten vorhandener ausreichender Sehfähigkeit. Diese zentrale, bereits das Erkennen-Können betreffende Verarbeitungsstörung bei S. führte zu einer so schwerwiegenden Herabsetzung der Sehfähigkeit wie bei einer Herabsetzung der Sehschärfe auf den gesetzlichen Grenzwert (besseres Auge nicht mehr als 1/50).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren als Rechtsnachfolger der 1999 geborenen und am 13.05.2002 gestorbenen S. H. Blindengeld.
Auf den Antrag auf Gewährung von Blindengeld vom 28.12.2000 hin hat der Beklagte Arztbriefe der Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche der F.-Universität E. vom 15.12.1999 über einen stationären Aufenthalt vom 11.10.1999 bis zum 13.10.1999, vom 08.12.2000 über eine ambulante Behandlung am 21.11.2000 und vom 04.07.2001 über einen stationären Aufenthalt am 03. und 04.04.2001, einen Befundbericht der F.-Universität E. vom 09.04.2001 über eine VEP-Untersuchung sowie eine Auskunft der Frühförderung K. für blinde und sehbehinderte Kinder vom 26.04.2001 beigezogen. Hierzu wurde eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie, Sozialmedizin E. vom 25.10.2001 eingeholt, der den Nachweis einer Blindheit im Sinne des Bayerischen Blindengeldgesetzes (BayBlindG) verneinte, weil weder klinisch noch durch die VEP-Untersuchung eine der Blindheit gleichzuachtende Sehstörung nachgewiesen worden sei. Rindenblindheit liege nicht vor, weil S. auf optische Reize reagiere und die VEP-Untersuchung normale P-1-Latenzzeiten ergeben habe. Der Beklagte hat daraufhin mit Bescheid vom 08.11.2001 den Antrag auf Zahlung von Blindengeld abgelehnt. Hiergegen richtet sich der Widerspruch der Eltern von S. H. als deren gesetzliche Vertreter vom 22.11.2001, der mit Schreiben vom 30.12.2001 näher begründet wurde. In dem Widerspruchsschreiben wird auf das orthoptische Beobachtungsprotokoll der Frühförderung für blinde und sehbehinderte Kinder vom 22.03.2001 Bezug genommen und eine Stellungnahme des Dr.D. von der Uniklinik in E. angekündigt. Der Beklagte hat einen Befundbericht des Augenarztes Dr.S. vom 10.05.2002 eingeholt. Die jetzigen Kläger haben nach dem Tod ihrer Tochter am 13.05.2002 mit Schreiben vom 14.06.2002 eine ärztliche Stellungnahme von Dr.D. von der Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche der F.-Universität E. vom 08.05.2002 übersandt. Mit Schreiben vom 19.07.2002 hat Dr.D. weiter mitgeteilt, dass die VEP-Ableitung nur in der Klinik direkt vom PC abgelesen werden könne und eine Übersendung der VEP-Originalableitung daher nicht möglich sei. In der daraufhin veranlassten versorgungsärztlichen Stellungnahme des Neurologen und Sozialmediziners Dr.K. vom 19.09.2002 hat dieser nach nochmaliger Durchsicht der Akte bei teilweisen differenten Angaben zum Sehakt keine Begründung erkennen können, die zu einem Anspruch nach dem BayBlindG führen könnte. In einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme der Medizinaldirektorin und Sozialmedizinerin P. vom 29.10.2002 hat diese einen Anspruch nach dem BayBlindG ebenfalls abgelehnt. Blindheit müsse auf einem Defekt im optischen Apparat bzw. in der Weiterleitung und Verarbeitung optischer Reize beruhen. Eine Zerstörung der Sehrinden sei nicht nachgewiesen. Kernspintomographisch handele es sich vielmehr um eine generelle cerebrale Schädigung mit Minder- und Fehlanlage des Gehirns und deutlich erweiterten inneren und äußeren Liquorräumen. Eine isolierte Schädigung im Bereich der Hinterhauptlappen sei nicht nachgewiesen. Bei dem Kind S. H. sei das Blitz-VEP weitgehend unauffällig gewesen, was kortikale Blindheit allerdings nicht ausschließe. Es seien jedoch auch Potentiale im Muster-VEP ableitbar gewesen, wenn auch mit deutlich verlängerter Latenzzeit und verringerten Sekundärkomplexen. Bei ableitbaren Potentialen im Muster-VEP sei davon auszugehen, dass das visuelle System vom Auge zur primären Sehrinde intakt sei. Der Aussage von Dr.D. , dass der pathologische Befund der VEP-Untersuchung "passend zur klinischen Beurteilung der kortikalen Blindheit sei", sei nicht zu folgen. Um cerebrale Sehstörungen, insbesondere cerebrale Blindheit, mit klinischen Untersuchungsmethoden festzustellen, müsse beim Patienten ein ausreichendes Maß an Kommunikationsfähigkeit, Aufmerksamkeitsleistung und Wachheit vorhanden sein. Nur dann könnten die klinischen subjektiven Untersuchungsverfahren angewandt werden, um visuelle Funktionen und Leistungen auf augenärztlilchem und neurologischem Gebiet zu erfassen. In besonderem Maße gelte dies für den Nachweis einer klassichen visuellen Agnosie, die strikt von der visuellen Agnosie in der häufig sehr weit reichend verwendeten Bedeutung (generell kein Erkennen möglich) getrennt werden müsse. Nur bei der klassischen Form, die sich nicht auf eine Beeinträchtigung elementarer visueller Leistung, auf Benennungsstörungen oder auf eine allgemeine Herabsetzung kognitiver Fähigkeiten zurückführen lasse, könne gegebenenfalls Blindheit anerkannt werden. Generelle cerebrale Leistungseinschränkungen würden dagegen keine Blindheit bedingen.
Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2002 den Widerspruch der Kläger zurückgewiesen. Um Leistungen nach dem BayBlindG erbringen zu können, sei der Nachweis der Blindheit bzw. einer Blindheit gleichzuachtenden Störung des Sehvermögens erforderlich. Die Wahrscheinlichkeit oder gar nur die Möglichkeit genüge nicht. Es dürften keine berechtigten Zweifel mehr am Vorliegen von Blindheit bzw. einer Blindheit gleichzuachtenden Störung des Sehvermögens bestehen. Wie in den Erläuterungen zum BayBlindG explizit aufgeführt sei, müsse die Blindheit auf einem Defekt im optischen Apparat bzw. in der Verarbeitung optischer Reize beruhen. Weder klinisch noch durch die VEP-Untersuchung habe bei S. Blindheit oder eine der Blindheit gleichzuachtende Sehstörung nachgewiesen werden können.
Hiergegen richtet sich die Klage der Kläger vom 02.12.2002 zum Sozialgericht Bayreuth. Entgegen der Ansicht des Beklagten seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem BayBlindG erfüllt. Anhand einer Kernspintomographie der Uni-Klinik E. hätten sie erstmals Hinweise darauf erhalten, dass die Tochter nichts sehe. Diese Vermutung sei im Frühjahr 2000 bestätigt worden. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Augenarztes Dr.S. vom 27.12.2002, einen Befundbericht des behandelnden Kinderarztes Dr.S. vom 23.01.2003, Unterlagen der Frühförderung für blinde und sehbehinderte Kinder K. sowie eine Stellungnahme des Dr.D. vom Sozialpädiatrischen Zentrum E. vom 15.01.2003 eingeholt und die Schwerbehindertenakte des AVF B. beigezogen. Mit Beweisanordnung vom 30.01.2003 wurde der Augenarzt Dr.T. zum Sachverständigen ernannt, der das augenärztliche Gutachten nach Aktenlage vom 13.02.2003 erstellt hat. Dr.T. kam zusammenfassend zu der Überzeugung , dass aufgrund der Aktenlage eine eventuelle Blindheit im Sinne des BayBlindG bei S. H. nicht bewiesen werden könne. Die Kläger haben mit Schreiben vom 24.04.2003 vorgetragen, dass alle Ärzte und Therapeuten, die S. gekannt und mit ihr gearbeitet hätten, erneut versichert hätten, dass nach ihrer Auffassung das Sehvermögen von S. im Bereich der gesetzlichen Blindheit gelegen habe. Es sei nicht akzeptabel, dass die Beurteilung des Sehvermögens von S. durch eine Person erfolge, die S. "ein Mindestmaß an Kooperationsfähigkeit" abspreche, obwohl er S. nie kennengelernt habe. S. habe akustische, taktile und Geruchsreize sehr wohl erkennen und interpretiern können. Sie habe aktiv am Familienleben teilgenommen und auf die oben genannten Therapieangebote reagiert.
Das Sozialgericht Bayreuth hat mit Gerichtsbescheid vom 28.04.2003 die Klage abgewiesen. Die Kammer könne sich für den streitigen Zeitraum nicht vom Nachweis einer solchen Sehstörung überzeugen, die als Blindheit im Sinne des Gesetzes anzusehen oder einer solchen gleichzuachten sei. Die Nichterweislichkeit eines anspruchsbegründenden Sachverhalts bzw. einer anspruchsbegründenden Tatsache gehe nach der vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelten Rechtsprechung von der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der sich auf dessen Vorliegen berufe, hier somit zu Lasten der Kläger.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger vom 22.05.2003. Es sei nicht akzeptabel, dass ein Gerichtsentscheid aufgrund eines Gutachtens gefällt werde, das der Tochter ein "Mindestmaß an Kooperationsfähigkeit" abspreche, ohne dass der betreffende Gutachter das Kind kennengelernt habe. Es stelle sich die Frage, ob nicht vorrangig die Personen gehört werden sollten, die mit S. gelebt und sie therapiert hätten. Auf Anfrage des Senats hat der Beklagte mit Schreiben vom 01.10.2003 an seiner Auffassung festgehalten, dass eine Sehbehinderung von einem der Blindheit gleichzuachtenden Schwere nicht nachgewiesen werden könne. Die Medizinaldirektorin und Sozialmedizinerin P. hat diesbezüglich in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 16.09.2003 darauf hingewiesen, dass das Vorliegen einer Sehbehinderung im engeren Sinne, d.h. als Folge einer Schädigung des optisch-visuellen Bereiches zwischen den Augen und der primären Sehrinde (Hinterhauptslappen), weder als "gesichert" angesehen noch ungefähr quantifiziert werden könne. Alle aktenkundigen Befunde würden vielmehr dafür sprechen, dass das "Sehenkönnen" nicht allein oder hervorgehoben beeinträchtigt gewesen sei, sondern eine generelle schwere geistige und körperliche Behinderung mit eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit in allen Sinnesmodalitäten vorliege. Der morphologische Befund an den Augen, vor allem am Augenhintergrund, sei unauffällig gewesen. Bei den Blitz-VEP hätten sich normale Latenzzeiten ergeben, was bedeute, dass die Weiterleitung von Lichtreizen von der Netzhaut bis zur Sehrinde nicht beeinträchtigt gewesen sei. Die bildgebenden Verfahren hätten eine schwere globale Hirnschädigung mit Erweiterung der inneren und äußeren Liquorräume, einer Verschmächtigung des so genannten Balkens bei insgesamt diskreter Hirnatrophie ergeben, wobei die Hirnwindungen und -furchen im Bereich der Schläfen-Hinterhauptsregion auffallend verschmächtigt und unregelmäßig angeordnet gewesen seien. Nach hiesiger Auffassung wäre hier eher der Begriff einer wahrscheinlich vorliegenden Sehbehinderung angebracht, da der Nachweis, der für die Sicherung einer Diagnose erforderlich gewesen wäre, nicht habe erbracht werden können. Neben den technischen Zusatzbefunden spreche auch die Verhaltensbeobachtung dafür, dass die mangelnde bzw. fehlende Reaktion auf visuelle Reize im Rahmen der üblichen Untersuchungssituationen nicht Ausdruck einer Sehbehinderung gewesen sei, sondern einer eingeschränkten Aufmerksamkeit und Konzentration im Rahmen der schweren allgemeinen mentalen Retadierung. Schließlich darf auf den Arztbrief vom 15.12.1999 hingewiesen werden, wonach die ergotherapeutische Untersuchung für "eine schwere harmonische Retardierung" gesprochen habe. Der Begriff "harmonisch" sei dahingehend zu verstehen, dass alle untersuchten Qualitäten in gleicher Weise beeinträchtigt gewesen seien. Auch die Diagnose einer "schweren Wahrnehmungsstörung mit deutlich verlangsamter Reizantwort" weise auf eine gleichschwere Beeinträchtigung in allen Sinnesmodalitäten hin, andernfalls wäre die Differenzierung dahingehend erfolgt, welche Sinneswahrnehmungen schwerer oder weniger schwer beeinträchtigt seien. Die Eltern von S. haben sich mit Schreiben vom 11.11.2003 mit der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Medizinaldirektorin P. nicht einverstanden erklärt und halten eine Stellungnahme derer, die S. betreut hätten, für unumgänglich. Der Senat hat mit Schreiben vom 06.09.2005 zu erkennen gegeben, dass er den vorliegenden Streitfall mit dem vom Bundessozialgericht am 20.07.2005 entschiedenen Blindengeldfall (B 9a BL 1/05 R) für vergleichbar halte. Hierzu hat der Beklagte auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Medizinaldirektorin und Sozialmedizinerin P. mit Schreiben vom 29.09.2005 nochmals Stellung genommen. Auf der Grundlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Medizinaldirektorin und Sozialmedizinerin P. vom 21.09.2005 sei davon auszugehen, dass der vorliegende Rechtsstreit nicht mit dem vom Bundessozialgericht am 20.07.2005 entschiedenen Blindengeldfall vergleichbar sei. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung u.a. ausgeführt, dass es zum Nachweis einer zu faktischer Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens genüge, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen sei, als die Wahrnehmung in anderen Modalitäten. Im entschiedenen Blindengeldfall habe der Hirnschaden des Klägers keine gleichmäßige und allgemeine Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeiten zur Folge gehabt, sondern habe sich bei teilweisem Erhalt des Gehör- und des Tastsinns besonders durch den fast vollständigen Ausfall der visuellen Modalität ausgezeichnet. Die auf anderen Feldern der Sinneswahrnehmung verbliebenen Fähigkeiten seien danach ihrerseits nicht so weit herabgesetzt gewesen, dass der Leistungsunterschied zur fehlenden visuellen Modalität unbeachtlich gewesen wäre. Bei S. H. sei diese Konstellation nach den Feststellungen des gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr.T. in seinem Gutachten vom 13.02.2003 nicht gegeben. Dr.T. sei von einer generalisierten Wahrnehmungsstörung im Rahmen der Mehrfachbehinderung ausgegangen. Der morphologische Befund an den Augen sei bei S. nach dem Befundbericht des Dr.S. vom 10.05.2002 im Gegensatz zu dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Blindengeldfall unauffällig gewesen. Auch die am 23.03.2000 und am 06.08.2001 abgeleiteten VEP seien im Wesentlichen unauffällig gewesen. Hierzu haben die Kläger mit Schreiben vom 19.10.2005 darauf hingewiesen, dass bei der Tochter S. keine "gleichmäßige und allgemeine Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit" vorgelegen habe. Vielmehr seien Tast-, Geruchs-, Geschmacks- und Hörsinn bei S. erhalten gewesen. Die Therapeuten, die S. begleitet hätten, hätten dies immer wieder bestätigt und auch schriftlich fixiert (Hinweis auf Stellungnahme von Frau H. von der Blindenfrühförderung K. vom Februar 2002 und Arztbrief von Frau Dr.T. von der Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche der F.-Universität E. vom 08.12.2000). Der Leitsatz "als blind gelte auch, wer aufgrund schwerer Hirnschädigung visuell nichts wahrnehme, sofern andere Sinnesmodalitäten wenigstens teilweise noch erhalten seien", treffe vorliegend zu. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 22.12.2005 unter Bezugnahme auf eine neuerliche versorgungsärztliche Stellungnahme der Medizinaldirektorin und Sozialmedizinerin P. vom 16.12.2005 an der Auffassung festgehalten, dass der vorliegende Rechtsstreit nicht mit dem vom Bundessozialgericht am 20.07.2005 entschiedenen Blindengeldfall vergleichbar sei. Insbesondere lasse sich eine spezifische Störung des Sehvermögens im Vergleich zu den anderen, ebenfalls eingeschränkten Gehirnfunktionen nicht feststellen. Hierzu haben sich die Kläger nochmals mit Schreiben vom 12.02.2006 geäußert. Dass S. jetzt, weil dem Versorgungsamt B. scheinbar die Argumente ausgehen, mit Wachkomapatienten und deren "Primitivreflexen" verglichen werde, erscheine mehr als unwürdig und sei auch nicht zutreffend. Dazu solle nur noch eines hervorgehoben werden. S. habe sehr gerne gegessen. Sie habe deutlich machen können, was ihr schmecke und was sie ablehne. So habe sie z.B. sehr gerne Brot gegessen. Allein damit sei erwiesen, dass Geschmackssinn, Kauen und Schluckreflex mehr als ausreichend und deutlich ausgeprägter vorhanden gewesen seien als ihr Sehsinn.
Mit Schriftsatz vom 08.06.2006 haben sich die Rechtsanwälte E. und Kollegen als Prozessbevollmächtigte der Kläger bestellt und haben die Berufung noch näher begründet. Der vorliegende Fall der S. H. sei sehr wohl mit dem vom BSG mit Urteil vom 20.07.2005 entschiedenen Fall vergleichbar. Vorliegend stehe in Anlehnung an die Feststellungen des BSG fest, dass S. H. zu Lebzeiten bereits auf einer sehr frühen Stufe des Prozesses visueller Wahrnehmung Objekte nicht habe wahrnehmen können. Insoweit werde unbestritten festgestellt, dass S. bei normalen Lichtverhältnissen in hellen Räumen keine eindeutige Reaktion auf visuelle Reize gezeigt habe, keine Fixationsaufnahme erfolgt sei und auch keine eindeutigen Aufmerksamkeitsreaktionen der Blickhinwendung auf visuelle Angebote hätten beobachtet werden können. Aus den Berichten der Frühförderstelle K. ergebe sich, dass bei S. eine generelle zerebrale Minderleistung ausgeschlossen werden könne und entgegen dem Beklagten gerade nicht von einer allgemeinen Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit gesprochen werden könne. Mit Schreiben vom 27.06.2006 haben die Prozessbevollmächtigten noch Abschlussberichte der Frühförderungsinstitute in K. und B. von Juni 2006 übersandt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27.06.2006 haben die Kläger noch vorgetragen, dass S. nach dem Tanken deutliche Reaktionen zeigte (z.B. Gesicht verziehen, Hinführen der Hand zur Nase), aus denen zu schließen gewesen sei, dass ihr der Geruch unangenehm sei. Ähnliche Reaktionen seien bei Zigarettenrauch erfolgt. Demgegenüber habe sie auf Düfte wie von Hönig und Blumen positiv reagiert. Bezüglich des Tastsinns sei zu beobachten gewesen, dass sie glatte Oberflächen gemocht habe. Bei rauen Oberflächen habe sie zwischen denen, die sie mochte, und denen, die sie nicht mochte, differenziert. Der Hörsinn sei besonders gut entwickelt gewesen.
Der Bevollmächtigte der Kläger beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.04.2003 und den Bescheid des Beklagten vom 08.11.2001 in der Gesalt des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2002 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Klägern ab 01.12.2000 bis einschließlich 31.05.2002 Blindengeld für deren Kind S. zu gewähren.
Der Vertreter des Beklagten beantragt, die Berufung der Kläger zurückzuweisen.
Dem Senat liegen die Verwaltungsakte des Beklagten, die Akte des Sozialgerichts Bayreuth mit dem Az.: S 10 BL 21/02 sowie die Akte des Bayer. Landessozialgerichts mit dem Az.: L 15 BL 4/03 zur Entscheidung vor, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren weiteren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger ist zulässig (Art.7 Abs.2 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) und auch begründet. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die 1999 geborene und am 13.05.2002 verstorbene S. H. ab dem Antragsmonat Dezember 2000 bis zu ihrem Sterbemonat Mai 2002 Anspruch auf Blindengeld hat.
Dies ist zur Überzeugung des Senats zu bejahen.
Gemäß Art.1 Abs.1 BayBlindG erhalten Blinde, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld. Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art.1 Abs.2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG auch Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt, 2. bei denen durch Nr.1) nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr.1) gleichzuachten sind. Bei S. bestand zunächst allerdings keine Blindheit im Sinne von Art.1 Abs.2 Satz 1 BayBlindG, weil bei ihr das Augenlicht nicht vollständig fehlte. In den Arztbriefen der Kinderklinik des Klinikums B. vom 09.11.1999, der Universitäts-Kinderklinik E. vom 23.03.2000, 02.08.2000, 04.07.2001 und 06.08.2001 wurde jeweils eine Reaktion des Kindes auf optische Reize beschrieben. Auch das orthoptische Beobachtungsprotokoll der Frühförderstelle K. vom 22.03.2001 spricht von einem ausdauernden visuellen Interesse bei S. jedenfalls in abgedunkelten Räumen. Der magnetresonanztomographische Befund im Arztbrief der Universitäts-Kinderklinik E. vom 04.07.2001 beschreibt im Übrigen keine Zerstörung der Occipitalrinde, die eine kortikale Blindheit hätte beweisen können. Von einer vollständigen Blindheit im Sinne von Art.1 Abs.2 Satz 1 BayBlindG kann nach alledem nicht ausgegangen werden, weil weder die Dokumentation eines negativen Blitz-VEP oder wenigstens eines Blitz-VEP mit erheblich verlängerter Latenz, die eine Schädigung im Bereich der Erregungsleitung beweisen würde, noch eine dokumentierte Schädigung des Occipitalpols zum Nachweis einer kortikalen Blindheit oder ein dokumentierter morphologischer Augenbefund, der für eine Blilndheit im oben genannten Sinne beweisend wäre, vorliegen. Auch der Nachweis von Blindheit im Sinne von Art.1 Abs.2 Satz 2 Nr.1 BayBlindG kann nicht geführt werden. Hierfür müsste die Reduzierung der Sehschärfe - also des Auflösungsvermögens des Auges - auf maximal 1/50 auf dem besseren Auge durch Messungen/ Tests, die den Anforderungen des Vollbeweises genügen, festgestellt werden können. Exakte Mess- und Testergebnisse waren bei S. H. aufgrund der bei ihr vorliegenden Mikrocephalie bei Polymikrogyrie und der psycho- und statomotorischen Retadierung nicht zu erhalten.
Zur Überzeugung des Senats sind aber die Voraussetzungen der Nr.2 des Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG erfüllt.
Eine "faktische" Blindheit im Sinne der Nr.2 des Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG kann nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 31.01.1995, Az.: 1 RS 1/93 = SozR 3-5920 § 1 Nr.1; Urteil vom 26.10.2004, B 7 SF 2/03 R; Urteil vom 20.07.2005, Az.: B 9a BL 1/05 R) auch auf cerebralen Schäden beruhen und zwar für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans. Allerdings ist in Abgrenzung vor allem zu Störungen aus dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderung zu differenzieren, ob das Sehvermögen, d.h. das Sehen- bzw. Erkennen-Können beeinträchtigt ist oder ob bei vorhandener Sehfunktion (nur) eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliegt, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden kann, die also nicht (schon) das Erkennen, sondern (erst) das Benennen betrifft. Ausfälle allein des Benennen-Könnens erfüllen die Voraussetzungen faktischer Blindheit nicht. Bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden ist darüber hinaus eine weitere Differenzierung erforderlich. Hier muss es sich im Vergleich zu anderen, möglicherweise ebenfalls eingeschränkten Gehirnfunktionen um eine spezifische Störung des Sehvermögens handeln. Zum Nachweis einer zu faktischer Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens genügt es insoweit, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist, als die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten. Diese vom BSG herausgearbeitete zusätzliche Differenzierung beim Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden entspricht auch dem aus den Motiven zum BayBlindG (Landtags-Drucksache 13/458 vom 16.02.1995, S.5) sich ergebenden Willen des Landesgesetzgebers insoweit, als dieser Leistungen nach dem BayBlindG aufgrund einer ausschließlich infolge einer generellen cerebralen Behinderung mit allgemeiner Herabsetzung der kognitiven Fähigkeiten bestehenden Unfähigkeit zur visuellen Wahrnehmung ausschließen wollte. Im Falle von S. H. kann insbesondere auf der Grundlage der Anamnese von Frau E.H. von der Frühförderung für blinde und sehbehinderte Kinder, K. , vom Februar 2002, Juni 2002 (Abschlussbericht) und Juni 2006 und den glaubhaften Angaben der Eltern von S. - insbesondere im Verhandlungstermin vom 27. Juni 2006 -, nicht von einer generellen cerebralen Behinderung mit im Wesentlichen gleichmäßiger und allgemeiner Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit sensorischer Reize ausgegangen werden, sondern es liegt eine spezifische Störung des Sehvermögens vor, während andere Sinnesmodalitäten bei S. wenigstens teilweise noch erhalten waren. Zunächst ist der Hörsinn bei S. teilweise vorhanden gewesen, was sich daraus ergibt, dass sie akustische Angebote mochte und die Richtung angeben konnte, aus der das Angebot erfolgt. Trommeln und Klangschalen erweckten immer ihre Aufmerksamkeit. Beim Anbieten von Klangstäben bewegte sie ihre Hand mehrmals hin und her, um die Klangstäbe zu berühren und dabei weitere unterschiedliche Töne zu erzeugen. Bei den Klanggeräuschen veränderte sich der Muskeltonus im Gesicht, sie zeigte, dass sie sich anstrengte und sich freute. Die Geräusche der Rettungsfolie, auf die S. manchmal gelegt wurde, nahm sie ebenfalls wahr. Sie reagierte mit Bewegungen von Armen und Beinen, um das raschelnde und knisternde Geräusch immer wieder auszulösen. Wenn sie passiv auf einer Matte lag, reagierte sie auf laute Geräusche in unmittelbarer Nähe (Rassel, Glöckchen) mit Innehalten oder Erschrecken. Auch taktile Reize ließ S. zu und empfand sie als angenehm. Auch von einem teilweise vorhandenen Geschmackssinn ist auszugehen, weil sie kenntlich machen konnte, was ihr schmeckt, z.B. Brot ohne Rinde, wobei Kauen und Schluckreflex ohne Weiteres möglich war. S. verfügt auch in nennenswertem Umfang über einen Geruchssinn. Dies schließt der Senat aus den glaubhaften Angaben der Eltern von S. , wonach S. beim Tanken an der Tankstelle deutliche Reaktionen wie Gesicht verziehen und Hinführen der Hand zur Nase zeigte, aus denen geschlossen werden konnte, dass ihr der Geruch unangenehm war. Ähnliche Reaktionen erfolgten auch in der Nähe von Zigarettenrauch. Demgegenüber reagierte S. positiv auf Düfte wie Honig oder Blumen. Auch der Tastsinn von S. war jedenfalls teilweise erhalten. Diesbezüglich war zu beobachten, dass sie glatte Oberflächen mochte. Bei rauen Oberflächen differenzierte sie zwischen denen, die sie mochte, und denen, die sie nicht mochte. Demgegenüber war die Wahrnehmung S. bei optischen Angeboten vergleichsweise deutlich herabgesetzt. Bei normalen Lichtverhältnissen in hellen Räumen erfolgte keine eindeutige Aufmerksamkeitsreaktion oder Blickhinwendung auf visuelle Angebote und auch keine Fixationsaufnahme. Lediglich in abgedunkelten Räumen erfolgte eine Blickhinwendung und ansatzweise Folgebewegung nach rechts, links und oben. Visuelle Reaktionen waren bei S. daher nur unter ganz speziellen, im Alltag kaum vorkommenden Bedingungen (abgedunkelter Raum) zu erhalten. Aus der unterschiedlichen Qualität der Sinneswahrnehmung schließt der Senat im Sinne des Vollbeweises, auch wenn eine Schädigung des Sehorgans (Auge, Sehbahn) nicht zur Überzeugung des Senats nachweisbar ist, auf das Vorliegen von zentralen, das "Erkennen-Können" betreffende Verarbeitungsstörungen und nicht erst auf Störungen des Benennen-Könnens bei ansonsten vorhandener ausreichender Sehfähigkeit. Diese zentrale, bereits das Erkennen-Können betreffende Verarbeitungsstörung bei S. führte zu einer so schwerwiegenden Herabsetzung der Sehfähigkeit wie bei einer Herabsetzung der Sehschärfe auf den gesetzlichen Grenzwert (besseres Auge nicht mehr als 1/50).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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