Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 20 U 22/04
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 8 U 110/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
• Der Unfallversicherungsschutz auf dem Weg von der Arbeitsstätte nach Hause wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Versicherte aufgrund seiner Fahrweise im Straßenverkehr gegen gesetzliche Verbote verstieß und durch dieses Verhalten die allgemeine Verkehrsgefahr für den Kläger und andere ganz erheblich erhöht wurde (und sich dann auch verwirklichte).
• Auch wenn dem Grunde nach ein Arbeitsunfall anzuerkennen ist, kann die Berufsgenossenschaft nach § 101 Abs. 2 SGB VII eine Ermessensentscheidung darüber treffen, ob den Hinterbliebenen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ganz oder teilweise versagt werden.
• Auch wenn dem Grunde nach ein Arbeitsunfall anzuerkennen ist, kann die Berufsgenossenschaft nach § 101 Abs. 2 SGB VII eine Ermessensentscheidung darüber treffen, ob den Hinterbliebenen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ganz oder teilweise versagt werden.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Juli 2006 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger auch für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger machen gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen geltend. Die Klägerin zu 1) ist die Witwe des am 1959 geborenen und am 2000 bei einem Verkehrsunfall verstorbenen J. L. (nachfolgend: J.L.); die Klägerin zu 2) ist die am 1983 geborene Tochter, der Kläger zu 3) der am 1986 geborene Sohn der Klägerin zu 1) und des Verstorbenen.
Mit Schreiben vom 16. März 2000 zeigte die bei der Beklagten versicherte Firma Holzbau P , Bad S , der Beklagten an, dass der bis dahin als Fahrer bei ihr beschäftigt gewesene J.L. am 13. März 2000 gegen 17.00 Uhr auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle nach Hause nach L auf der B 206 in Höhe des Ortes S bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt sei.
Der Unfall hatte sich nach den polizeilichen Ermittlungen wie folgt zugetragen: Der verstorbene J.L. war Halter und Eigentümer des Motorrades der Marke Suzuki, Typ GV 72 C. Am 13. März 2000 hatte er mit seinem Motorrad die Bundesstraße 206 aus Bad S kommend in Richtung L befahren. Gegen 17.00 Uhr hatte er sich der Ampelkreuzung bei der Gemeinde S in Höhe Kilometer 42,5 genähert. In jenem Bereich mündet von rechts – aus Richtung Bad S betrachtet – die Dorfstraße von S ein. Im Einmündungsbereich, und zwar aus der Gegenfahrtrichtung, d. h. aus Fahrtrichtung L betrachtet, verfügt die B 206 über drei Fahrstreifen, zum einen aus dem Fahrstreifen für den Geradeausverkehr nach Bad S , zum anderen für Linksabbieger nach Sa und des Weiteren über den Fahrstreifen Richtung L. Aus Richtung Bad S betrachtet verfügt die B 206 an dieser Stelle über zwei Richtungsfahrstreifen, und zwar einmal in Richtung Bad S und zum anderen in Richtung L. Diese beiden Richtungsfahrstreifen sind durch eine auf der Fahrbahn aufgebrachte weiße Sperrfläche sichtbar voneinander getrennt. In Verlängerung jener Sperrfläche ist auf der gegen¬überliegenden Seite der Linksabbieger nach Sa auf der Fahrbahn-Schwarzdecke markiert.
Zur Unfallzeit am 13. März 2000 war die im Einmündungsbereich vorhandene Lichtzeichenanlage in Betrieb; es herrschte Tageslicht; die Fahrbahn der B 206 war trocken. Im Bereich der Unfallstelle steigt die Fahrbahn in Richtung L mit ca. 3 % an.
In dem hier maßgeblichen Bereich ist die B 206 aus beiden Richtungen kommend durch eine entsprechende Beschilderung auf 60 km/h als zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkt; ferner ist die B 206 in diesem Bereich mit einem Überholverbot beschildert.
Am Unfalltag staute sich vor der Lichtzeichenanlage der Verkehr infolge Rotlichts auf. Aus Richtung Bad S kommend in Richtung L stand an erster Stelle an der Ampelanlage bei Rotlicht ein Lkw. Der verstorbene J.L. reihte sich mit seinem Motorrad nicht in die wartende Fahrzeugschlange ein, sondern überholte die wartenden Fahrzeuge links auf der schraffierten Fahrbahnmittelspur, wobei er zunächst Schrittgeschwindigkeit hielt. Als die Ampel auf Grünlicht umschaltete, beschleunigte er sein Motorrad, überholte die gesamte Fahrzeugschlange, die sich vor der Ampel gebildet hatte, und scherte nach dem Überfahren der gesamten im Kreuzungsbereich vorhandenen Sperrfläche im Einmündungsbereich der Dorfstraße von S wieder auf die rechte Fahrbahn ein. Zur gleichen Zeit befand sich die Fahrerin eines Pkw Mitsubishi, Typ Space Runner GLX i, an der Ampelkreuzung und beabsichtigte, aus Richtung L kommend, von der B 206 nach links in die Dorfstraße in Richtung S abzubiegen. Dazu hatte sich die Fahrerin des vorgenannten Pkws auf die dafür vorgesehene Linksabbiegespur eingeordnet und hatte vor der auf Rot stehenden Lichtzeichenanlage angehalten. Als die Ampel auf Grün schaltete, hatte sie den Abbiegevorgang begonnen, der ohne Behinderung des gegenüber wartenden Lastkraftwagens hätte durchgeführt werden können.
Mittig im Einmündungsbereich kam es zum Zusammenstoß zwischen dem Motorrad des verstorbenen J.L. und dem nach links in die Dorfstraße in Richtung S abbiegenden Pkw. Der Frontbereich des Motorrades, das J.L. wieder auf die rechte Fahrspur eingeschert hatte, prallte auf den Pkw im Bereich des Kotflügels vorn rechts beginnend und weitergehend über die Tür vorn rechts sowie die Tür hinten rechts. Der verstorbene J.L., der einen Schutzhelm getragen hatte, erlag seinen dabei erlittenen Kopfverletzungen noch an der Unfallstelle. Laut DEKRA-Gut¬achten vom 7. Juni 2000 ist eine Bremsausgangsgeschwindigkeit des Motorrades von 71 bis 75 km/h errechnet worden. Es heißt dort, eine höhere Geschwindigkeit könne dem Motorradfahrer anhand der seinerzeit bekannten objektiven Fakten nicht nachgewiesen werden. Hinsichtlich der Straßenführung und der Unfallschäden wird insbesondere auf die Aufnahmen im polizeilichen Unfallbericht sowie im DEKRA-Gut¬achten auf Bl. 34 bis 44 und 87 bis 109 der Beiakte A verwiesen.
Nachdem die Beklagte Ermittlungen insbesondere zum Unfallhergang und zu den durch das DEKRA-Gutachten gewonnenen Erkenntnissen durchgeführt hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 31. Ja¬nuar 2001 den Klägern gegenüber die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des tödlichen Verkehrsunfalls ihres Ehemannes bzw. Vaters ab. Sie führte dazu aus, ein Wegeunfall liege nicht vor. Zum Unfallzeitpunkt am 13. März 2000 um 17.00 Uhr habe sich der Verstorbene zwar auf dem direkten Heimweg von seiner beruflichen Tätigkeit befunden, als er als Motorradfahrer an der Einmündung der Dorfstraße in S in die B 206 tödlich verunglückt sei. Jedoch sei sein Verhalten als Vergehen im Sinne der Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) zu werten, wodurch es zu einer Lösung von der versicherten Tätigkeit, hier des Zurücklegens des Heimweges, gekommen sei. Nach den Ermittlungen der Polizei habe der Verstorbene die Bundesstraße 206 aus Bad S kommend in Richtung L befahren. Als er an der o. g. Einmündung eingetroffen sei, hätte die Lichtzeichenanlage "Rot" gezeigt. Vor dem Verunglückten hätte sich bereits eine aus mehreren Fahrzeugen bestehende Fahrzeugschlange gebildet gehabt. Als die Ampel auf "Grün" geschaltet habe, habe der Verunglückte mit seinem leistungsstarken Motorrad, trotz Überholverbots und zulässiger Höchstgeschwindigkeit im Bereich der Ampelanlage von 60 km/h, überholt, wobei er die vor ihm wartenden Kraftfahrzeuge auf der weiß markierten Sperrfläche überholt gehabt habe. Bei diesem Überholmanöver sei der Verunglückte mit einem aus der Gegenrichtung kommenden Pkw, der nach links habe abbiegen wollen, zusammengestoßen und noch an der Unfallstelle seinen Verletzungen erlegen. Zur Lösung von der versicherten Tätigkeit sei es hier gekommen, weil der Verunglückte grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch an einer unübersichtlichen Stelle mit überhöhter Geschwindigkeit von mindestens 71 bis 75 km/h überholt und dadurch in so hohem Maße vernunftswidrig und gefährlich gehandelt habe, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit damit habe rechnen können zu verunglücken. Bei dieser selbstgefährdenden Handlung müsse davon ausgegangen werden, dass die hierdurch selbst geschaffene Gefahr als rechtlich allein wesentliche Unfallursache zu bewerten sei. Leistungen durch die Berufsgenossenschaft könnten somit nicht erbracht werden.
Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machten die Kläger geltend, es lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass das Verhalten des Verstorbenen als Straftat im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen werden könne. Dagegen spreche bereits die Tatsache, dass er mit seinem Motorrad die zulässige Höchstgeschwindigkeit nur geringfügig überschritten gehabt habe und seinen Überholvorgang ohne jegliche Gefährdung für das eigene Leben oder andere Verkehrsteilnehmer hätte beenden können, wenn die Unfallgegnerin ihrerseits seine – des Verunglückten – Vorfahrt beachtet hätte.
Durch Bescheid vom 19. Februar 2002 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheides zurück und stellte nochmals darauf ab, es sei hier zu einer Lösung von der versicherten Tätigkeit gekommen. Bezüglich der Tathandlung der Straßenverkehrsgefährdung sei ein vorsätzliches Verhalten des Verunglückten zu erkennen. Er habe die Höchstgeschwindigkeit überschritten, trotz des bestehenden Überholverbots überholt und dabei die Sperrfläche überfahren. Nach allen Zeugenaussagen hätte die Linksabbiegerin ohne den entgegenkommenden, noch an der Ampelanlage stehenden Lkw zu gefährden, links abbiegen können, wenn nicht der Verunglückte sich grob verkehrswidrig und rücksichtslos im Straßenverkehr verhalten hätte.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2002, der, ebenso wie der Bescheid vom 31. Januar 2001, allein an die Klägerin zu 1) adressiert worden war, hat die Klägerin zu 1) am 18. März 2002 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben und das Begehren auf Hinterbliebenenversorgung weiter verfolgt. Zur Begründung jenes Begehrens ist ergänzend vorgetragen worden, dass in einem Zivilgerichtsverfahren der Klägerin zu 1) gegen die Haftpflichtversicherung des Halters des am Unfall beteiligten Pkws, den Halter selbst wie auch die Fahrerin das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht davon ausgegangen sei, dass den Unfallgegner aus dem Unfall des verstorbenen J.L. vom 13. März 2000 eine Mitschuld an dem Unfall getroffen habe.
Ausweislich der beigezogenen Akten des Zivilrechtsstreits (7 U 230/01 - 13 O 55/01 Landgericht Kiel) hat das Schleswig-Hol¬stei¬nischen Oberlandesgericht die Beklagten jenes Rechtsstreits durch Schlussurteil vom 27. Mai 2004 als Gesamtschuldner verurteilt, Leistungen in Höhe eines Viertels der geltend gemachten Forderungen (eine Reihe von Schadenersatzpositionen und Unterhalt für die zum Zeitpunkt des tödlichen Verkehrsunfalls noch minderjährigen beiden Kinder) zu erbringen. Es hat eine Haftungsverteilung von 75 zu 25 zu Lasten der Klägerseite angenommen. Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge hat es eine 25-prozentige Mithaftung auf Seiten der Beklagten jenes Rechtsstreits gesehen mit der Begründung, dass aus der Position des abbiegenden Pkws heraus die gesamte Sperrfläche einsehbar gewesen sei. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte die Fahrerin jenes Pkws daher auch den Motorradfahrer sehen können. Da sie nach eigenen Angaben diesen überhaupt nicht wahrgenommen gehabt habe, habe sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet, wenn auch nur in geringem Umfang.
Nachdem seitens des Vertreters der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Lübeck beantragt worden war, auch die Kinder der Klägerin, K und J , mit in das Klägerrubrum aufzunehmen, da auch diese von ihm als Prozessbevollmächtigten mitvertreten würden, und das Gericht dem stattgegeben hat, haben die Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Feb¬ruar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, anzuerkennen, dass der Tod des J. K. in- folge eines Versicherungsfalles eingetreten ist und ihnen – den Klägern – wegen dieser Anerkennung Hin- terbliebenenleistungen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat zur Begründung im Wesentlichen die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden wiederholt.
Durch Urteil vom 4. Juli 2006 hat das Sozialgericht Lübeck den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, anzuerkennen, dass der Tod des J. K. infolge eines Versicherungsfalles nach § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Siebentes Buch (SGB VII), eingetreten ist und den Klägern wegen dieser Anerkennung Hinterbliebenenleistungen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu gewähren.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, materielle Grundlage jenes Anspruches sei § 63 Abs. 1 SGB VII. Es stehe fest und sei auch zwischen den Beteiligten unstreitig, dass es sich bei den Klägern um die Hinterbliebenen im Sinne der vorgenannten Norm des J. K. handele und dass J.L. durch den Aufprall auf ein fremdes Auto getötet worden sei, zu dem es gekommen sei, als J.L. sich auf dem (unmittelbaren) Weg von seiner bei der Beklagten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Tätigkeit zu seiner Wohnung befunden habe. Auch der Überholvorgang des J.L., bei dem sich der Unfall ereignet habe, hätte noch diesem Zweck gedient, da auch durch ihn ein Teil der Wegstrecke nach Hause hätte zurückgelegt werden sollen. Diese Handlung sei auch nicht dadurch zu einer privaten, betriebsfremden und damit unversicherten Tätigkeit geworden, dass der konkrete Überholvorgang gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen und dass durch dieses Verhalten die allgemeine Verkehrsgefahr des J.L. ganz erheblich erhöht worden sei (und sich dann auch verwirklicht habe). Dadurch, dass eine zum Unfall führende Handlung mit der Rechtsordnung nicht übereinstimme, insbesondere verbotswidrig sei, werde der Versicherungsschutz noch nicht in Frage gestellt. Das riskante Überholen des J.L. stelle schließlich auch keine "selbst geschaffene Gefahr" dar, die zum Verlust des Unfallversicherungsschutzes hätte führen können.
Gegen das ihr am 15. November 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. November 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie geltend, das Fahrverhalten des verstorbenen J.L. sei mindestens grob fahrlässig gewesen. Das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit, das Nichtbeachten des bestehenden Überholverbots und das Überfahren der Sperrflächen sei vorsätzlich erfolgt und habe zu einer selbstgefährdenden Handlung geführt, welche als rechtlich allein wesentliche Ursache einzustufen sei. Weiter sei davon auszugehen, dass hier wenigstens die Voraussetzungen des § 315c Abs. 1 Nr. 2b, d und Abs. 3 Nr. 1 StGB erfüllt seien und es somit zu einer Lösung von der versicherten Tätigkeit gekommen sei. Mit Beginn des Überholvorgangs sei es aus privaten und rein eigenwirtschaftlichen Gründen zu einem grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhalten gekommen, was einzig und allein das Ziel gehabt habe, den privaten und unversicherten Bereich schnellstmöglich zu erreichen. Ein ursächlicher Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit hätte nicht mehr vorgelegen. Insofern sei dieser Sachverhalt zu unterscheiden von den Fallkon¬stellationen, bei denen es um den Versicherungsschutz auf Fahrten hin zur versicherten Tätigkeit gegangen sei. Das Verhalten auf einer Fahrt nach Hause sei noch viel weniger als bei einem Weg zur versicherten Tätigkeit dem Verantwortungsbereich des Unternehmers zuzurechnen.
Bei einem so grob verkehrswidrigen, rücksichtslosen und in hohem Maße vernunftswidrigen und gefährlichen Verhalten, das auch eine Eigenschädigung billigend in Kauf genommen habe, könne nicht uneingeschränkt der Fortbestand des Versicherungsschutzes angenommen werden. Die gesetzliche Unfallversicherung habe ausschließlich die allgemeinen Verkehrsgefahren im Zusammenhang mit der Zurücklegung eines versicherten Weges zu schützen. Ähnlich wie bei der eindeutigen Rechtsprechung zur Alkoholproblematik müsse deshalb auch im vorliegenden Fall die Lösung vom Versicherungsschutz angenommen werden. Hierfür sprächen auch die Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 11. Oktober 1994 (9 RV 8/94). In jenem auf die Gefährlichkeit des Alkohols für die Fahrtüchtigkeit von Kraftfahrern ausgerichteten Urteil sei in einem Nebensatz ausgeführt worden, ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten stehe der besonderen Gefährlichkeit des Alkohols gleich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Juli 2006 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Revision zuzulassen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie widersprechen den rechtlichen Überlegungen der Beklagten und machen im Wesentlichen geltend, die pauschal ohne nähere Begründung aufgestellte Behauptung der Beklagten, der verstorbene J.L. habe sich gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b, d StGB strafbar gemacht, vermöge die zutreffende rechtliche Einordnung, wie sie das Sozialgericht Lübeck vorgenommen habe, nicht zu erschüttern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und den Inhalt der ebenfalls beigezogenen Akten des Landgerichts Kiel zum dortigen Aktenzeichen 13 O 55/01 (Band I und II) verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Im erstinstanzlichen Urteil sind zutreffend die rechtlichen Grundlagen für das von den Klägern geltend gemachte Klagebegehren aufgezeigt und unter Bezug auf die maßgebliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den hier relevanten Problemkreisen des Wegeunfalls, des inneren Zusammenhangs, der Handlungstendenz, des eigenmächtigen Verhaltens, der Straßenverkehrsgefährdung, der strafrechtlichen Relevanz sowie der selbst geschaffenen Gefahr geprüft worden. Das Sozialgericht hat die relevanten Fakten und rechtlichen Schlussfolgerungen dargelegt, die dazu führen, dass der zugrunde liegende Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2002 als rechtswidrig einzustufen und das geltend gemachte Klagebegehren anzuerkennen ist. Den diesbezüglichen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an und verweist insofern zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die dortigen Entscheidungsgründe.
Im Hinblick auf das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren wird ergänzend folgendes ausgeführt: Es liegt ein Versicherungsfall, und zwar ein Arbeitsunfall in Form eines Wegeunfalls gemäß §§ 7 Abs. 1, 1. Alternative, 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII vor. Eine Lösung von der versicherten Tätigkeit (Erreichen der häuslichen Wohnung in L nach Beendigung der Arbeit in Bad S ) und damit der Wegfall des Versicherungsschutzes sind nicht zu bejahen. Insofern ist maßgeblich auf das zeitlich erst nach Erlass der hier angefochtenen Bescheide ergangene Urteil des BSG vom 4. Juni 2002 – B 2 U 11/01 R – abzustellen, dem eine vergleichbare Konstellation im Straßenverkehr zugrunde lag: Der im Jahre 1958 geborene Kläger des dortigen Verfahrens hatte auf der Fahrt von seiner Wohnung zu einer Praktikumsstelle einen Verkehrsunfall erlitten. Er hatte bei Dunkelheit auf der Landstraße vor einer Bergkuppe und einer Rechtskurve eine Fahrzeugkolonne überholt und war mit einem entgegenkommenden Pkw kollidiert. Dessen Fahrer und der Kläger selbst waren dabei erheblich verletzt worden. Wegen jenes Vorfalls war der Kläger vom Amtsgericht rechtskräftig wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden. In den Entscheidungsgründen hatte es u.a. geheißen, der Kläger habe grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt und dadurch fahrlässig Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer und fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Die zuständige Berufsgenossenschaft hatte zunächst die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt, wurde letztlich jedoch vom BSG zur Anerkennung dem Grunde nach verurteilt, weil der Weg zur Arbeit versichert gewesen sei.
In jenem Urteil des BSG vom 4. Juni 2002 – B 2 U 11/01 R – ist u.a. hinsichtlich des dort relevanten verkehrswidrigen Verhaltens ausgeführt:
" dass der konkrete Überholvorgang gegen ein gesetzliches Verbot verstieß und dass durch dieses Verhalten die allgemeine Verkehrsgefahr für den Kläger ganz erheblich erhöht wurde (und sich dann auch verwirklichte), machte diese Handlung noch nicht zu einer privaten, betriebsfremden und damit unversicherten Tätigkeit.
Dadurch, dass eine zum Unfall führende Handlung mit der Rechtsordnung nicht übereinstimmt, insbesondere verbotswidrig ist, wird der Versicherungsschutz noch nicht in Frage gestellt. Denn verbotswidriges Handeln, zu dem auch ein Verstoß gegen gesetzliche - auch strafrechtlich bewertete - Verbote gehört ( ), schließt nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 7 Abs. 2 SGB VII, die mit der Vorgängervorschrift des § 548 Abs. 3 RVO im Wesentlichen übereinstimmt, die Annahme eines Versicherungsfalles in Gestalt eines Arbeitsunfalles ( ) nicht aus, selbst wenn bei einem nicht rechtswidrigen Handeln der Unfall nicht eingetreten wäre ( ). Eine durch grob verkehrswidrige und rücksichtlose Fahrweise begangene Gefährdung des Straßenverkehrs ist - auch wenn sie vorsätzlich begangen wird - hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens des inneren Zusammenhangs nicht mit einer durch Fahren unter Alkoholeinwirkung verursachten Verkehrsgefährdung infolge herabgesetzter Fahrtüchtigkeit gleichzusetzen,
Das riskante Überholen stellt auch keine "selbst geschaffene Gefahr" dar, die zum Verlust des Unfallversicherungsschutzes führen könnte. ; auch leichtsinniges unbedachtes Verhalten beseitigt den bestehenden inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit nicht. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn ein Beschäftigter sich derart sorglos und unvernünftig verhält, dass für den Eintritt des Arbeitsunfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbst geschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist. "
Das BSG hat in der vorgenannten Entscheidung vom Juni 2002 nachdrücklich dargelegt, der Umstand, dass der Kläger auf dem Weg zur Betriebsstätte in verbotswidriger, strafbarer Weise überholt habe, führe für sich noch nicht zum Verlust des Unfallversicherungsschutzes auf diesem Teilstück des Weges.
Vergleicht man die tatsächlichen Umstände des dortigen Falles mit denen des hier zu entscheidenden, so sind diese hinsichtlich der Straßenverkehrsgefährdung (ungeachtet der Diskussion zwischen den Beteiligten, welche strafrechtlichen Normen im Einzelfall erfüllt sein dürften) nicht als wesentlich anders gelagert, sondern vielmehr als vergleichbar einzustufen, so dass eine unfallversicherungsrechtlich abweichende Einordnung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht durchgreift. Eine mit dem verbotswidrigen Überholen verbundene, auf betriebsfremde Zwecke (also andere, als den Heimweg zurückzulegen) gerichtete Handlungstendenz des Verstorbenen kann nicht festgestellt werden. Eine solche Handlungstendenz, durch die der innere Zusammenhang zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der betrieblichen Tätigkeit gelöst werden könnte, läge etwa vor, wenn der Versicherte den Weg zur oder von der Arbeitsstelle für zum Erreichen dieses Zieles nicht dienliche Zwecke nutzen wollte; dazu zählt nach der Rechtsprechung des BSG etwa eine Selbsttötung durch Verursachung eines Verkehrsunfalls oder die Veranstaltung eines Wettrennens (vgl. BSG SozR 3-2002 § 550 Nr. 21 m.w.N.). Eine solche Handlungstendenz des Versicherten müsste durch objektive Umstände des Einzelfalles bestätigt werden. Dafür liegen hier keinerlei Anhaltspunkte vor.
Auch eine selbst geschaffene Gefahr, die im Rechtssinne als alleinige Unfallursache anzusehen wäre, ist hier in Anlehnung an die oben zitierten Ausführungen im vorgenannten BSG-Urteil nicht zu bejahen. Eine solche hat das BSG z. B. in seiner Entscheidung vom 2. November 1988 (2 RU 7/88) angenommen mit der Begründung, bei einer gemischten Tätigkeit entfalle der Schutz der Unfallversicherung, wenn die privaten Zwecken dienende Verrichtung eine selbst geschaffene Gefahr enthalte. In dem dort zugrunde liegenden Fall hatte der Versicherte sich als Beifahrer eines Tanklastzuges während der Fahrt auf der Autobahn in Italien nicht im Fahrerhaus aufgehalten, sondern auf dem Laufsteg des Tankaufliegers. Dort hatte er sich - nur mit einer kurzen Hose bekleidet - auf seinen Schlafsack gelegt, um sich zu sonnen. Trotz wiederholter Aufforderungen des Fahrers des Tanklastzuges war er während der gesamten Fahrt dort geblieben. Während der Fahrt war es dann auf der Autobahn in Höhe Mailand, als der Tanklastzug mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h gefahren war, zum tödlichen Unfall des Versicherten gekommen, der offenbar das Gleichgewicht verloren hatte und auf die Fahrbahn gestürzt war. In jenem Fall war unter Berücksichtigung der Einzelumstände das Sonnenbad als die maßgebliche private Betätigung eingestuft worden, aufgrund derer der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit (Rückfahrt zum Firmensitz in Deutschland) gelöst worden sei. Mit jener Konstellation ist die hier vorliegende aber nicht gleichzusetzen; denn hier hat sich gerade eine für den Straßenverkehr typische Gefahr (unvorschriftsmäßiges, unvernünftiges und rücksichtsloses Überholmanöver) realisiert.
Eine andere rechtliche Einordnung ist auch nicht im Hinblick auf die von der Beklagten geforderte Gleichsetzung des Verkehrsverhaltens des Versicherten mit der besonderen Gefährlichkeit von Fahrten unter Alkoholeinfluss vorzunehmen und auch nicht im Hinblick darauf, dass es sich hier um eine Heimfahrt von der Arbeitsstelle handelte und der Versicherte deshalb wahrscheinlich besonders schnell in den privaten und unversicherten Bereich zurückkehren wollte.
Maßgeblich ist bei Alkoholgenuss, ob dieser zu einem Vollrausch geführt hat, der die Ausübung einer dem Unternehmen dienenden Verrichtung ausschließt, so dass eine Lösung vom Betrieb vorliegt, die schon den sachlichen Zusammenhang zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zurzeit des Unfalls ausschließt (BSGE 12, 242, 245; BSGE 48, 224). Auch wenn der Alkoholgenuss nicht zu einer Lösung vom Betrieb führt, können seine Folgen zu einem Leistungsabfall führen und als konkurrierende Ursache neben die versicherte Ursache treten. Der alkoholbedingte Leistungsabfall kann dann derart stark sein, dass ihm im Vergleich zur versicherten Ursache – der Verrichtung zurzeit des Unfalls – überragende Bedeutung für das Eintreten des Unfallereignisses beizumessen ist und die versicherte Ursache nicht mehr als wesentlich für das Unfallereignis zu bewerten und die Unfallkausalität zu verneinen ist (ständige RSPR. des BSG, s. z.B. BSGE 59, 193). Ein typischer Anwendungsfall für die alkoholbedingte Herabsetzung der Leistungsfähigkeit ist die eingeschränkte Fahrtüchtigkeit von Kraftfahrern, weil der Alkoholgenuss ihre Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt.
Das BSG hat sich erneut in einem Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 23/05 R - mit einem Wegeunfall und der Unfallkausalität unter Einfluss von Alkohol und Drogen ausführlich mit dieser Problematik befasst und auch wiederum eindeutig hervorgehoben, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Verrichtung zurzeit des Unfalls (auch in jenem Fall handelte es sich um einen Unfall, der sich beim Zurücklegen des versicherten Weges von der Arbeitsstelle nach Hause ereignete) und dem Unfallereignis nur dann ausgeschlossen sei, wenn der Versicherte unter dem Einfluss von Drogen oder anderen die Fahrtüchtigkeit im Straßenverkehr beeinträchtigenden Substanzen (Alkohol/Medikamente) gestanden habe und deren Wirkung nach den Gesamtumständen (wie dem Vorliegen bestimmter Mindestwerte eingenommener Substanzen und weiterer Beweisanzeichen für eine drogen-, alkohol- oder medikamentenbedingte Fahruntüchtigkeit) die allein wesentliche Bedingung für den Unfall gewesen sei. In jener Entscheidung sind die Anforderungen zum alkohol-, drogen- oder medikamentenbedingten Verlust des Versicherungsschutzes sehr hoch angesetzt. Das BSG hat in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass eine solche Betrachtungsweise nach dem derzeit gültigen Rechtsverständnis in der gesetzlichen Unfallversicherung unverzichtbar sei. Jede andere Betrachtungsweise würde zu einer (unzulässigen) Beweislastumkehr führen. Der Versicherte, dem der Konsum geringer Drogenmengen nachgewiesen werden könnte, hätte sonst zu beweisen, dass dieser Konsum (trotz Fahrfehler, wie sie auch ansonsten im Straßenverkehr vorkämen) nicht ursächlich für das Ereignis wäre. Das wäre ein schwerer, häufig unmöglicher Nachweis. Von daher hat das BSG nachdrücklich auf § 7 Abs. 2 SGB VII verwiesen. Soweit und solange verbotswidriges Tun nicht zum Verlust des Unfallschutzes führe, dürfe ohne konkreten Verursachungsnachweis grundsätzlich erlaubter Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenkonsum gleichermaßen nicht zum Verlust des Versicherungsschutzes führen. Dieser Ansatz ist auch hier maßgeblich. Durch das verbotswidrige Verhalten hatte der Versicherte (J. L.) sich nicht vom Zurücklegen des unter Versicherungsschutz stehenden Heimwegs gelöst; vielmehr befand er sich trotz des vorangegangenen verkehrsrechtswidrigen Überholvorgangs zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens weiterhin auf dem direkten Weg von der Arbeitsstätte zu seinem Wohnort.
Eine Unterbrechung des Versicherungsschutzes ist auch nicht im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 11. Oktober 1994 (9 RV 8/94) zu bejahen. In jener von der Beklagten herangezogenen Entscheidung hat das BSG zwar ebenso wie in einem weiteren Urteil vom 16. Dezember 2004 (B 9 VS 1/04 R) dargelegt, die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen rücksichtslosen Verhaltens im Straßenverkehr bzw. ein Gefahr erhöhendes, als vorsätzliches Vergehen strafbares Verhalten im Straßenverkehr schließe Versorgungsschutz wegen eines deshalb erlittenen Unfalls aus. Die beiden vorgenannten Entscheidungen des BSG sind aber jeweils zu der Frage ergangen, ob die Folgen eines Verkehrsunfalls eines Soldaten auf dem Weg zwischen der Kaserne und seinem Wohnsitz als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen seien und deshalb ein Anspruch auf Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) bestehe. Das ist verneint worden. Insbesondere in seiner Entscheidung vom 16. Dezember 2004 (B 9 VS 1/04 R) hat das BSG ausdrücklich darauf abgestellt, dass im Bereich der Soldatenversorgung die Abgrenzung des geschützten Weges nach Wertungen vorzunehmen seien, die sich bei qualitativen Abweichungen vom geschützten Weg von den Wertungen des SGB VII – insbesondere in § 7 Abs. 2, § 101 Abs. 2 SGB VII – unterscheiden würden. Diese Unterscheidung sei durch das Gesetz selbst angelegt; denn das SVG kenne keine den §§ 7 Abs. 2 und 101 Abs. 2 SGB VII entsprechenden Vorschriften. Im Soldatenversorgungsrecht wäre es widersprüchlich, wenn der Staat einerseits ein Dritte gefährdendes (oder gar verletzendes) Handeln bestrafen und zugleich den Täter für die ihn treffenden Folgen derselben Straftat aus Steuermitteln entschädigen würde. Im Rahmen des SVG führe dies – auf Tatbestandsebene – unmittelbar zum Ausschluss des Versorgungsschutzes; im Recht der gesetzlichen Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung bestehe für die Sozialleistungsträger als Normanwender insoweit – auf der Rechtsfolgenebene – ein Ermessensspielraum. Dieser werde durch § 101 Abs. 2 SGB VII, § 52 SGB V, § 104 Abs. 1 SGB VI eröffnet.
Die in den vorgenannten BSG-Urteilen – insbesondere zum Unfallversicherungsschutz nach den Vorschriften des SGB VII - aufgestellten Grundsätze sind insofern konsequent fortgeführt worden, als das BSG nunmehr durch Urteil vom 18. März 2008 (B 2 U 1/07 R) entschieden hat, dass dem Kläger des eingangs genannten Verfahrens aus dem Jahre 2002 (B 2 U 11/01 R), zu dessen Gunsten seinerzeit ein Arbeitsunfall bejaht worden war, keine Rente zustehe. Diesem Urteil – das zurzeit der Entscheidungsfindung des Senats noch nicht vollständig abgefasst vorliegt, über das aber mit Terminbericht des BSG Nr. 13/08 informiert worden ist – liegt eine Entscheidung der beklagten Berufsgenossenschaft nach § 101 Abs. 2 SGB VII zugrunde, wonach einem Versicherten die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ganz oder teilweise versagt werden können, wenn der Arbeitsunfall bei einer Straftat eintritt. Der Zweck der Vorschrift ist es, einem Versicherten den sozialen Schutz ganz oder teilweise vorzuenthalten, wenn sozialethische Mindeststandards verletzt werden und angesichts der Schwere der Tat und ihrer Folgen die - ungeschmälerte - Gewährung der vorgesehenen Sozialleistungen als grob unbillig empfunden würde.
Eine Prüfung nach § 101 Abs. 2 SGB VII, bei der von der Beklagten eine Ermessensentscheidung im Hinblick auf die Frage der Leistungsversagung gegenüber den Hinterbliebenen des J. L. vorzunehmen wäre (vgl. zu den Voraussetzungen z.B. die Kommentierung bei Brackmann, Gesetzliche Unfallversicherung, zu § 101 Abs. 2, dortige Rdn. 24 m.w.N.), hat bislang aber nicht stattgefunden. Inhalt der angefochtenen Bescheide und damit alleiniger Streitgegenstand ist die Frage der Anerkennung eines Wegeunfalls gemäß §§ 7, 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, bei dessen Vorliegen – das hier aus den o.g. Gründen zu bejahen ist – grundsätzlich ein Leistungsanspruch der Kläger als der Hinterbliebenen im Sinne von § 63 Abs. 1 SGB VII zu bejahen ist.
Die Kostenentscheidung zu Lasten der Beklagten folgt aus § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG.
Die Revision wird nicht gemäß § 160 Abs. 1 SGG zugelassen. Gründe für eine Zulassung der Revision, wie sie von der Beklagten ausdrücklich beantragt worden ist, sind nicht gegeben. Das BSG hat durch Urteil vom 4. Juni 2002 (B 2 U 11/01 R) zu allen rechtlichen Punkten, die auch von der Beklagten in diesem Verfahren angeführt worden sind, um der Anfechtung ihrer Bescheide und dem damit zugleich geltend gemachten Feststellungsbegehren der Kläger entgegenzutreten, Stellung genommen. Danach ist weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG noch eine Divergenz im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zu bejahen, auf die eine Zulassung der Revision durch den Senat gestützt werden könnte.
Tatbestand:
Die Kläger machen gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen geltend. Die Klägerin zu 1) ist die Witwe des am 1959 geborenen und am 2000 bei einem Verkehrsunfall verstorbenen J. L. (nachfolgend: J.L.); die Klägerin zu 2) ist die am 1983 geborene Tochter, der Kläger zu 3) der am 1986 geborene Sohn der Klägerin zu 1) und des Verstorbenen.
Mit Schreiben vom 16. März 2000 zeigte die bei der Beklagten versicherte Firma Holzbau P , Bad S , der Beklagten an, dass der bis dahin als Fahrer bei ihr beschäftigt gewesene J.L. am 13. März 2000 gegen 17.00 Uhr auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle nach Hause nach L auf der B 206 in Höhe des Ortes S bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt sei.
Der Unfall hatte sich nach den polizeilichen Ermittlungen wie folgt zugetragen: Der verstorbene J.L. war Halter und Eigentümer des Motorrades der Marke Suzuki, Typ GV 72 C. Am 13. März 2000 hatte er mit seinem Motorrad die Bundesstraße 206 aus Bad S kommend in Richtung L befahren. Gegen 17.00 Uhr hatte er sich der Ampelkreuzung bei der Gemeinde S in Höhe Kilometer 42,5 genähert. In jenem Bereich mündet von rechts – aus Richtung Bad S betrachtet – die Dorfstraße von S ein. Im Einmündungsbereich, und zwar aus der Gegenfahrtrichtung, d. h. aus Fahrtrichtung L betrachtet, verfügt die B 206 über drei Fahrstreifen, zum einen aus dem Fahrstreifen für den Geradeausverkehr nach Bad S , zum anderen für Linksabbieger nach Sa und des Weiteren über den Fahrstreifen Richtung L. Aus Richtung Bad S betrachtet verfügt die B 206 an dieser Stelle über zwei Richtungsfahrstreifen, und zwar einmal in Richtung Bad S und zum anderen in Richtung L. Diese beiden Richtungsfahrstreifen sind durch eine auf der Fahrbahn aufgebrachte weiße Sperrfläche sichtbar voneinander getrennt. In Verlängerung jener Sperrfläche ist auf der gegen¬überliegenden Seite der Linksabbieger nach Sa auf der Fahrbahn-Schwarzdecke markiert.
Zur Unfallzeit am 13. März 2000 war die im Einmündungsbereich vorhandene Lichtzeichenanlage in Betrieb; es herrschte Tageslicht; die Fahrbahn der B 206 war trocken. Im Bereich der Unfallstelle steigt die Fahrbahn in Richtung L mit ca. 3 % an.
In dem hier maßgeblichen Bereich ist die B 206 aus beiden Richtungen kommend durch eine entsprechende Beschilderung auf 60 km/h als zulässige Höchstgeschwindigkeit beschränkt; ferner ist die B 206 in diesem Bereich mit einem Überholverbot beschildert.
Am Unfalltag staute sich vor der Lichtzeichenanlage der Verkehr infolge Rotlichts auf. Aus Richtung Bad S kommend in Richtung L stand an erster Stelle an der Ampelanlage bei Rotlicht ein Lkw. Der verstorbene J.L. reihte sich mit seinem Motorrad nicht in die wartende Fahrzeugschlange ein, sondern überholte die wartenden Fahrzeuge links auf der schraffierten Fahrbahnmittelspur, wobei er zunächst Schrittgeschwindigkeit hielt. Als die Ampel auf Grünlicht umschaltete, beschleunigte er sein Motorrad, überholte die gesamte Fahrzeugschlange, die sich vor der Ampel gebildet hatte, und scherte nach dem Überfahren der gesamten im Kreuzungsbereich vorhandenen Sperrfläche im Einmündungsbereich der Dorfstraße von S wieder auf die rechte Fahrbahn ein. Zur gleichen Zeit befand sich die Fahrerin eines Pkw Mitsubishi, Typ Space Runner GLX i, an der Ampelkreuzung und beabsichtigte, aus Richtung L kommend, von der B 206 nach links in die Dorfstraße in Richtung S abzubiegen. Dazu hatte sich die Fahrerin des vorgenannten Pkws auf die dafür vorgesehene Linksabbiegespur eingeordnet und hatte vor der auf Rot stehenden Lichtzeichenanlage angehalten. Als die Ampel auf Grün schaltete, hatte sie den Abbiegevorgang begonnen, der ohne Behinderung des gegenüber wartenden Lastkraftwagens hätte durchgeführt werden können.
Mittig im Einmündungsbereich kam es zum Zusammenstoß zwischen dem Motorrad des verstorbenen J.L. und dem nach links in die Dorfstraße in Richtung S abbiegenden Pkw. Der Frontbereich des Motorrades, das J.L. wieder auf die rechte Fahrspur eingeschert hatte, prallte auf den Pkw im Bereich des Kotflügels vorn rechts beginnend und weitergehend über die Tür vorn rechts sowie die Tür hinten rechts. Der verstorbene J.L., der einen Schutzhelm getragen hatte, erlag seinen dabei erlittenen Kopfverletzungen noch an der Unfallstelle. Laut DEKRA-Gut¬achten vom 7. Juni 2000 ist eine Bremsausgangsgeschwindigkeit des Motorrades von 71 bis 75 km/h errechnet worden. Es heißt dort, eine höhere Geschwindigkeit könne dem Motorradfahrer anhand der seinerzeit bekannten objektiven Fakten nicht nachgewiesen werden. Hinsichtlich der Straßenführung und der Unfallschäden wird insbesondere auf die Aufnahmen im polizeilichen Unfallbericht sowie im DEKRA-Gut¬achten auf Bl. 34 bis 44 und 87 bis 109 der Beiakte A verwiesen.
Nachdem die Beklagte Ermittlungen insbesondere zum Unfallhergang und zu den durch das DEKRA-Gutachten gewonnenen Erkenntnissen durchgeführt hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 31. Ja¬nuar 2001 den Klägern gegenüber die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des tödlichen Verkehrsunfalls ihres Ehemannes bzw. Vaters ab. Sie führte dazu aus, ein Wegeunfall liege nicht vor. Zum Unfallzeitpunkt am 13. März 2000 um 17.00 Uhr habe sich der Verstorbene zwar auf dem direkten Heimweg von seiner beruflichen Tätigkeit befunden, als er als Motorradfahrer an der Einmündung der Dorfstraße in S in die B 206 tödlich verunglückt sei. Jedoch sei sein Verhalten als Vergehen im Sinne der Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) zu werten, wodurch es zu einer Lösung von der versicherten Tätigkeit, hier des Zurücklegens des Heimweges, gekommen sei. Nach den Ermittlungen der Polizei habe der Verstorbene die Bundesstraße 206 aus Bad S kommend in Richtung L befahren. Als er an der o. g. Einmündung eingetroffen sei, hätte die Lichtzeichenanlage "Rot" gezeigt. Vor dem Verunglückten hätte sich bereits eine aus mehreren Fahrzeugen bestehende Fahrzeugschlange gebildet gehabt. Als die Ampel auf "Grün" geschaltet habe, habe der Verunglückte mit seinem leistungsstarken Motorrad, trotz Überholverbots und zulässiger Höchstgeschwindigkeit im Bereich der Ampelanlage von 60 km/h, überholt, wobei er die vor ihm wartenden Kraftfahrzeuge auf der weiß markierten Sperrfläche überholt gehabt habe. Bei diesem Überholmanöver sei der Verunglückte mit einem aus der Gegenrichtung kommenden Pkw, der nach links habe abbiegen wollen, zusammengestoßen und noch an der Unfallstelle seinen Verletzungen erlegen. Zur Lösung von der versicherten Tätigkeit sei es hier gekommen, weil der Verunglückte grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch an einer unübersichtlichen Stelle mit überhöhter Geschwindigkeit von mindestens 71 bis 75 km/h überholt und dadurch in so hohem Maße vernunftswidrig und gefährlich gehandelt habe, dass er mit großer Wahrscheinlichkeit damit habe rechnen können zu verunglücken. Bei dieser selbstgefährdenden Handlung müsse davon ausgegangen werden, dass die hierdurch selbst geschaffene Gefahr als rechtlich allein wesentliche Unfallursache zu bewerten sei. Leistungen durch die Berufsgenossenschaft könnten somit nicht erbracht werden.
Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machten die Kläger geltend, es lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass das Verhalten des Verstorbenen als Straftat im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen werden könne. Dagegen spreche bereits die Tatsache, dass er mit seinem Motorrad die zulässige Höchstgeschwindigkeit nur geringfügig überschritten gehabt habe und seinen Überholvorgang ohne jegliche Gefährdung für das eigene Leben oder andere Verkehrsteilnehmer hätte beenden können, wenn die Unfallgegnerin ihrerseits seine – des Verunglückten – Vorfahrt beachtet hätte.
Durch Bescheid vom 19. Februar 2002 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheides zurück und stellte nochmals darauf ab, es sei hier zu einer Lösung von der versicherten Tätigkeit gekommen. Bezüglich der Tathandlung der Straßenverkehrsgefährdung sei ein vorsätzliches Verhalten des Verunglückten zu erkennen. Er habe die Höchstgeschwindigkeit überschritten, trotz des bestehenden Überholverbots überholt und dabei die Sperrfläche überfahren. Nach allen Zeugenaussagen hätte die Linksabbiegerin ohne den entgegenkommenden, noch an der Ampelanlage stehenden Lkw zu gefährden, links abbiegen können, wenn nicht der Verunglückte sich grob verkehrswidrig und rücksichtslos im Straßenverkehr verhalten hätte.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2002, der, ebenso wie der Bescheid vom 31. Januar 2001, allein an die Klägerin zu 1) adressiert worden war, hat die Klägerin zu 1) am 18. März 2002 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben und das Begehren auf Hinterbliebenenversorgung weiter verfolgt. Zur Begründung jenes Begehrens ist ergänzend vorgetragen worden, dass in einem Zivilgerichtsverfahren der Klägerin zu 1) gegen die Haftpflichtversicherung des Halters des am Unfall beteiligten Pkws, den Halter selbst wie auch die Fahrerin das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht davon ausgegangen sei, dass den Unfallgegner aus dem Unfall des verstorbenen J.L. vom 13. März 2000 eine Mitschuld an dem Unfall getroffen habe.
Ausweislich der beigezogenen Akten des Zivilrechtsstreits (7 U 230/01 - 13 O 55/01 Landgericht Kiel) hat das Schleswig-Hol¬stei¬nischen Oberlandesgericht die Beklagten jenes Rechtsstreits durch Schlussurteil vom 27. Mai 2004 als Gesamtschuldner verurteilt, Leistungen in Höhe eines Viertels der geltend gemachten Forderungen (eine Reihe von Schadenersatzpositionen und Unterhalt für die zum Zeitpunkt des tödlichen Verkehrsunfalls noch minderjährigen beiden Kinder) zu erbringen. Es hat eine Haftungsverteilung von 75 zu 25 zu Lasten der Klägerseite angenommen. Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge hat es eine 25-prozentige Mithaftung auf Seiten der Beklagten jenes Rechtsstreits gesehen mit der Begründung, dass aus der Position des abbiegenden Pkws heraus die gesamte Sperrfläche einsehbar gewesen sei. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte die Fahrerin jenes Pkws daher auch den Motorradfahrer sehen können. Da sie nach eigenen Angaben diesen überhaupt nicht wahrgenommen gehabt habe, habe sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet, wenn auch nur in geringem Umfang.
Nachdem seitens des Vertreters der Klägerin zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Lübeck beantragt worden war, auch die Kinder der Klägerin, K und J , mit in das Klägerrubrum aufzunehmen, da auch diese von ihm als Prozessbevollmächtigten mitvertreten würden, und das Gericht dem stattgegeben hat, haben die Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Feb¬ruar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, anzuerkennen, dass der Tod des J. K. in- folge eines Versicherungsfalles eingetreten ist und ihnen – den Klägern – wegen dieser Anerkennung Hin- terbliebenenleistungen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat zur Begründung im Wesentlichen die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden wiederholt.
Durch Urteil vom 4. Juli 2006 hat das Sozialgericht Lübeck den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, anzuerkennen, dass der Tod des J. K. infolge eines Versicherungsfalles nach § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Siebentes Buch (SGB VII), eingetreten ist und den Klägern wegen dieser Anerkennung Hinterbliebenenleistungen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben zu gewähren.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, materielle Grundlage jenes Anspruches sei § 63 Abs. 1 SGB VII. Es stehe fest und sei auch zwischen den Beteiligten unstreitig, dass es sich bei den Klägern um die Hinterbliebenen im Sinne der vorgenannten Norm des J. K. handele und dass J.L. durch den Aufprall auf ein fremdes Auto getötet worden sei, zu dem es gekommen sei, als J.L. sich auf dem (unmittelbaren) Weg von seiner bei der Beklagten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Tätigkeit zu seiner Wohnung befunden habe. Auch der Überholvorgang des J.L., bei dem sich der Unfall ereignet habe, hätte noch diesem Zweck gedient, da auch durch ihn ein Teil der Wegstrecke nach Hause hätte zurückgelegt werden sollen. Diese Handlung sei auch nicht dadurch zu einer privaten, betriebsfremden und damit unversicherten Tätigkeit geworden, dass der konkrete Überholvorgang gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen und dass durch dieses Verhalten die allgemeine Verkehrsgefahr des J.L. ganz erheblich erhöht worden sei (und sich dann auch verwirklicht habe). Dadurch, dass eine zum Unfall führende Handlung mit der Rechtsordnung nicht übereinstimme, insbesondere verbotswidrig sei, werde der Versicherungsschutz noch nicht in Frage gestellt. Das riskante Überholen des J.L. stelle schließlich auch keine "selbst geschaffene Gefahr" dar, die zum Verlust des Unfallversicherungsschutzes hätte führen können.
Gegen das ihr am 15. November 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 29. November 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht sie geltend, das Fahrverhalten des verstorbenen J.L. sei mindestens grob fahrlässig gewesen. Das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit, das Nichtbeachten des bestehenden Überholverbots und das Überfahren der Sperrflächen sei vorsätzlich erfolgt und habe zu einer selbstgefährdenden Handlung geführt, welche als rechtlich allein wesentliche Ursache einzustufen sei. Weiter sei davon auszugehen, dass hier wenigstens die Voraussetzungen des § 315c Abs. 1 Nr. 2b, d und Abs. 3 Nr. 1 StGB erfüllt seien und es somit zu einer Lösung von der versicherten Tätigkeit gekommen sei. Mit Beginn des Überholvorgangs sei es aus privaten und rein eigenwirtschaftlichen Gründen zu einem grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Verhalten gekommen, was einzig und allein das Ziel gehabt habe, den privaten und unversicherten Bereich schnellstmöglich zu erreichen. Ein ursächlicher Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit hätte nicht mehr vorgelegen. Insofern sei dieser Sachverhalt zu unterscheiden von den Fallkon¬stellationen, bei denen es um den Versicherungsschutz auf Fahrten hin zur versicherten Tätigkeit gegangen sei. Das Verhalten auf einer Fahrt nach Hause sei noch viel weniger als bei einem Weg zur versicherten Tätigkeit dem Verantwortungsbereich des Unternehmers zuzurechnen.
Bei einem so grob verkehrswidrigen, rücksichtslosen und in hohem Maße vernunftswidrigen und gefährlichen Verhalten, das auch eine Eigenschädigung billigend in Kauf genommen habe, könne nicht uneingeschränkt der Fortbestand des Versicherungsschutzes angenommen werden. Die gesetzliche Unfallversicherung habe ausschließlich die allgemeinen Verkehrsgefahren im Zusammenhang mit der Zurücklegung eines versicherten Weges zu schützen. Ähnlich wie bei der eindeutigen Rechtsprechung zur Alkoholproblematik müsse deshalb auch im vorliegenden Fall die Lösung vom Versicherungsschutz angenommen werden. Hierfür sprächen auch die Ausführungen des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 11. Oktober 1994 (9 RV 8/94). In jenem auf die Gefährlichkeit des Alkohols für die Fahrtüchtigkeit von Kraftfahrern ausgerichteten Urteil sei in einem Nebensatz ausgeführt worden, ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten stehe der besonderen Gefährlichkeit des Alkohols gleich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Juli 2006 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Revision zuzulassen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie widersprechen den rechtlichen Überlegungen der Beklagten und machen im Wesentlichen geltend, die pauschal ohne nähere Begründung aufgestellte Behauptung der Beklagten, der verstorbene J.L. habe sich gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b, d StGB strafbar gemacht, vermöge die zutreffende rechtliche Einordnung, wie sie das Sozialgericht Lübeck vorgenommen habe, nicht zu erschüttern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und den Inhalt der ebenfalls beigezogenen Akten des Landgerichts Kiel zum dortigen Aktenzeichen 13 O 55/01 (Band I und II) verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Im erstinstanzlichen Urteil sind zutreffend die rechtlichen Grundlagen für das von den Klägern geltend gemachte Klagebegehren aufgezeigt und unter Bezug auf die maßgebliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den hier relevanten Problemkreisen des Wegeunfalls, des inneren Zusammenhangs, der Handlungstendenz, des eigenmächtigen Verhaltens, der Straßenverkehrsgefährdung, der strafrechtlichen Relevanz sowie der selbst geschaffenen Gefahr geprüft worden. Das Sozialgericht hat die relevanten Fakten und rechtlichen Schlussfolgerungen dargelegt, die dazu führen, dass der zugrunde liegende Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2002 als rechtswidrig einzustufen und das geltend gemachte Klagebegehren anzuerkennen ist. Den diesbezüglichen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an und verweist insofern zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die dortigen Entscheidungsgründe.
Im Hinblick auf das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren wird ergänzend folgendes ausgeführt: Es liegt ein Versicherungsfall, und zwar ein Arbeitsunfall in Form eines Wegeunfalls gemäß §§ 7 Abs. 1, 1. Alternative, 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII vor. Eine Lösung von der versicherten Tätigkeit (Erreichen der häuslichen Wohnung in L nach Beendigung der Arbeit in Bad S ) und damit der Wegfall des Versicherungsschutzes sind nicht zu bejahen. Insofern ist maßgeblich auf das zeitlich erst nach Erlass der hier angefochtenen Bescheide ergangene Urteil des BSG vom 4. Juni 2002 – B 2 U 11/01 R – abzustellen, dem eine vergleichbare Konstellation im Straßenverkehr zugrunde lag: Der im Jahre 1958 geborene Kläger des dortigen Verfahrens hatte auf der Fahrt von seiner Wohnung zu einer Praktikumsstelle einen Verkehrsunfall erlitten. Er hatte bei Dunkelheit auf der Landstraße vor einer Bergkuppe und einer Rechtskurve eine Fahrzeugkolonne überholt und war mit einem entgegenkommenden Pkw kollidiert. Dessen Fahrer und der Kläger selbst waren dabei erheblich verletzt worden. Wegen jenes Vorfalls war der Kläger vom Amtsgericht rechtskräftig wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden. In den Entscheidungsgründen hatte es u.a. geheißen, der Kläger habe grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt und dadurch fahrlässig Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer und fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet. Die zuständige Berufsgenossenschaft hatte zunächst die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt, wurde letztlich jedoch vom BSG zur Anerkennung dem Grunde nach verurteilt, weil der Weg zur Arbeit versichert gewesen sei.
In jenem Urteil des BSG vom 4. Juni 2002 – B 2 U 11/01 R – ist u.a. hinsichtlich des dort relevanten verkehrswidrigen Verhaltens ausgeführt:
" dass der konkrete Überholvorgang gegen ein gesetzliches Verbot verstieß und dass durch dieses Verhalten die allgemeine Verkehrsgefahr für den Kläger ganz erheblich erhöht wurde (und sich dann auch verwirklichte), machte diese Handlung noch nicht zu einer privaten, betriebsfremden und damit unversicherten Tätigkeit.
Dadurch, dass eine zum Unfall führende Handlung mit der Rechtsordnung nicht übereinstimmt, insbesondere verbotswidrig ist, wird der Versicherungsschutz noch nicht in Frage gestellt. Denn verbotswidriges Handeln, zu dem auch ein Verstoß gegen gesetzliche - auch strafrechtlich bewertete - Verbote gehört ( ), schließt nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 7 Abs. 2 SGB VII, die mit der Vorgängervorschrift des § 548 Abs. 3 RVO im Wesentlichen übereinstimmt, die Annahme eines Versicherungsfalles in Gestalt eines Arbeitsunfalles ( ) nicht aus, selbst wenn bei einem nicht rechtswidrigen Handeln der Unfall nicht eingetreten wäre ( ). Eine durch grob verkehrswidrige und rücksichtlose Fahrweise begangene Gefährdung des Straßenverkehrs ist - auch wenn sie vorsätzlich begangen wird - hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens des inneren Zusammenhangs nicht mit einer durch Fahren unter Alkoholeinwirkung verursachten Verkehrsgefährdung infolge herabgesetzter Fahrtüchtigkeit gleichzusetzen,
Das riskante Überholen stellt auch keine "selbst geschaffene Gefahr" dar, die zum Verlust des Unfallversicherungsschutzes führen könnte. ; auch leichtsinniges unbedachtes Verhalten beseitigt den bestehenden inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit nicht. Dies ist vielmehr nur ausnahmsweise dann der Fall, wenn ein Beschäftigter sich derart sorglos und unvernünftig verhält, dass für den Eintritt des Arbeitsunfalls nicht mehr die versicherte Tätigkeit, sondern die selbst geschaffene Gefahr als die rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist. "
Das BSG hat in der vorgenannten Entscheidung vom Juni 2002 nachdrücklich dargelegt, der Umstand, dass der Kläger auf dem Weg zur Betriebsstätte in verbotswidriger, strafbarer Weise überholt habe, führe für sich noch nicht zum Verlust des Unfallversicherungsschutzes auf diesem Teilstück des Weges.
Vergleicht man die tatsächlichen Umstände des dortigen Falles mit denen des hier zu entscheidenden, so sind diese hinsichtlich der Straßenverkehrsgefährdung (ungeachtet der Diskussion zwischen den Beteiligten, welche strafrechtlichen Normen im Einzelfall erfüllt sein dürften) nicht als wesentlich anders gelagert, sondern vielmehr als vergleichbar einzustufen, so dass eine unfallversicherungsrechtlich abweichende Einordnung entgegen der Auffassung der Beklagten nicht durchgreift. Eine mit dem verbotswidrigen Überholen verbundene, auf betriebsfremde Zwecke (also andere, als den Heimweg zurückzulegen) gerichtete Handlungstendenz des Verstorbenen kann nicht festgestellt werden. Eine solche Handlungstendenz, durch die der innere Zusammenhang zwischen dem zum Unfall führenden Verhalten und der betrieblichen Tätigkeit gelöst werden könnte, läge etwa vor, wenn der Versicherte den Weg zur oder von der Arbeitsstelle für zum Erreichen dieses Zieles nicht dienliche Zwecke nutzen wollte; dazu zählt nach der Rechtsprechung des BSG etwa eine Selbsttötung durch Verursachung eines Verkehrsunfalls oder die Veranstaltung eines Wettrennens (vgl. BSG SozR 3-2002 § 550 Nr. 21 m.w.N.). Eine solche Handlungstendenz des Versicherten müsste durch objektive Umstände des Einzelfalles bestätigt werden. Dafür liegen hier keinerlei Anhaltspunkte vor.
Auch eine selbst geschaffene Gefahr, die im Rechtssinne als alleinige Unfallursache anzusehen wäre, ist hier in Anlehnung an die oben zitierten Ausführungen im vorgenannten BSG-Urteil nicht zu bejahen. Eine solche hat das BSG z. B. in seiner Entscheidung vom 2. November 1988 (2 RU 7/88) angenommen mit der Begründung, bei einer gemischten Tätigkeit entfalle der Schutz der Unfallversicherung, wenn die privaten Zwecken dienende Verrichtung eine selbst geschaffene Gefahr enthalte. In dem dort zugrunde liegenden Fall hatte der Versicherte sich als Beifahrer eines Tanklastzuges während der Fahrt auf der Autobahn in Italien nicht im Fahrerhaus aufgehalten, sondern auf dem Laufsteg des Tankaufliegers. Dort hatte er sich - nur mit einer kurzen Hose bekleidet - auf seinen Schlafsack gelegt, um sich zu sonnen. Trotz wiederholter Aufforderungen des Fahrers des Tanklastzuges war er während der gesamten Fahrt dort geblieben. Während der Fahrt war es dann auf der Autobahn in Höhe Mailand, als der Tanklastzug mit einer Geschwindigkeit von 110 km/h gefahren war, zum tödlichen Unfall des Versicherten gekommen, der offenbar das Gleichgewicht verloren hatte und auf die Fahrbahn gestürzt war. In jenem Fall war unter Berücksichtigung der Einzelumstände das Sonnenbad als die maßgebliche private Betätigung eingestuft worden, aufgrund derer der Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit (Rückfahrt zum Firmensitz in Deutschland) gelöst worden sei. Mit jener Konstellation ist die hier vorliegende aber nicht gleichzusetzen; denn hier hat sich gerade eine für den Straßenverkehr typische Gefahr (unvorschriftsmäßiges, unvernünftiges und rücksichtsloses Überholmanöver) realisiert.
Eine andere rechtliche Einordnung ist auch nicht im Hinblick auf die von der Beklagten geforderte Gleichsetzung des Verkehrsverhaltens des Versicherten mit der besonderen Gefährlichkeit von Fahrten unter Alkoholeinfluss vorzunehmen und auch nicht im Hinblick darauf, dass es sich hier um eine Heimfahrt von der Arbeitsstelle handelte und der Versicherte deshalb wahrscheinlich besonders schnell in den privaten und unversicherten Bereich zurückkehren wollte.
Maßgeblich ist bei Alkoholgenuss, ob dieser zu einem Vollrausch geführt hat, der die Ausübung einer dem Unternehmen dienenden Verrichtung ausschließt, so dass eine Lösung vom Betrieb vorliegt, die schon den sachlichen Zusammenhang zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zurzeit des Unfalls ausschließt (BSGE 12, 242, 245; BSGE 48, 224). Auch wenn der Alkoholgenuss nicht zu einer Lösung vom Betrieb führt, können seine Folgen zu einem Leistungsabfall führen und als konkurrierende Ursache neben die versicherte Ursache treten. Der alkoholbedingte Leistungsabfall kann dann derart stark sein, dass ihm im Vergleich zur versicherten Ursache – der Verrichtung zurzeit des Unfalls – überragende Bedeutung für das Eintreten des Unfallereignisses beizumessen ist und die versicherte Ursache nicht mehr als wesentlich für das Unfallereignis zu bewerten und die Unfallkausalität zu verneinen ist (ständige RSPR. des BSG, s. z.B. BSGE 59, 193). Ein typischer Anwendungsfall für die alkoholbedingte Herabsetzung der Leistungsfähigkeit ist die eingeschränkte Fahrtüchtigkeit von Kraftfahrern, weil der Alkoholgenuss ihre Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt.
Das BSG hat sich erneut in einem Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 23/05 R - mit einem Wegeunfall und der Unfallkausalität unter Einfluss von Alkohol und Drogen ausführlich mit dieser Problematik befasst und auch wiederum eindeutig hervorgehoben, dass der ursächliche Zusammenhang zwischen der versicherten Verrichtung zurzeit des Unfalls (auch in jenem Fall handelte es sich um einen Unfall, der sich beim Zurücklegen des versicherten Weges von der Arbeitsstelle nach Hause ereignete) und dem Unfallereignis nur dann ausgeschlossen sei, wenn der Versicherte unter dem Einfluss von Drogen oder anderen die Fahrtüchtigkeit im Straßenverkehr beeinträchtigenden Substanzen (Alkohol/Medikamente) gestanden habe und deren Wirkung nach den Gesamtumständen (wie dem Vorliegen bestimmter Mindestwerte eingenommener Substanzen und weiterer Beweisanzeichen für eine drogen-, alkohol- oder medikamentenbedingte Fahruntüchtigkeit) die allein wesentliche Bedingung für den Unfall gewesen sei. In jener Entscheidung sind die Anforderungen zum alkohol-, drogen- oder medikamentenbedingten Verlust des Versicherungsschutzes sehr hoch angesetzt. Das BSG hat in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass eine solche Betrachtungsweise nach dem derzeit gültigen Rechtsverständnis in der gesetzlichen Unfallversicherung unverzichtbar sei. Jede andere Betrachtungsweise würde zu einer (unzulässigen) Beweislastumkehr führen. Der Versicherte, dem der Konsum geringer Drogenmengen nachgewiesen werden könnte, hätte sonst zu beweisen, dass dieser Konsum (trotz Fahrfehler, wie sie auch ansonsten im Straßenverkehr vorkämen) nicht ursächlich für das Ereignis wäre. Das wäre ein schwerer, häufig unmöglicher Nachweis. Von daher hat das BSG nachdrücklich auf § 7 Abs. 2 SGB VII verwiesen. Soweit und solange verbotswidriges Tun nicht zum Verlust des Unfallschutzes führe, dürfe ohne konkreten Verursachungsnachweis grundsätzlich erlaubter Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenkonsum gleichermaßen nicht zum Verlust des Versicherungsschutzes führen. Dieser Ansatz ist auch hier maßgeblich. Durch das verbotswidrige Verhalten hatte der Versicherte (J. L.) sich nicht vom Zurücklegen des unter Versicherungsschutz stehenden Heimwegs gelöst; vielmehr befand er sich trotz des vorangegangenen verkehrsrechtswidrigen Überholvorgangs zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens weiterhin auf dem direkten Weg von der Arbeitsstätte zu seinem Wohnort.
Eine Unterbrechung des Versicherungsschutzes ist auch nicht im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 11. Oktober 1994 (9 RV 8/94) zu bejahen. In jener von der Beklagten herangezogenen Entscheidung hat das BSG zwar ebenso wie in einem weiteren Urteil vom 16. Dezember 2004 (B 9 VS 1/04 R) dargelegt, die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen rücksichtslosen Verhaltens im Straßenverkehr bzw. ein Gefahr erhöhendes, als vorsätzliches Vergehen strafbares Verhalten im Straßenverkehr schließe Versorgungsschutz wegen eines deshalb erlittenen Unfalls aus. Die beiden vorgenannten Entscheidungen des BSG sind aber jeweils zu der Frage ergangen, ob die Folgen eines Verkehrsunfalls eines Soldaten auf dem Weg zwischen der Kaserne und seinem Wohnsitz als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen seien und deshalb ein Anspruch auf Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) bestehe. Das ist verneint worden. Insbesondere in seiner Entscheidung vom 16. Dezember 2004 (B 9 VS 1/04 R) hat das BSG ausdrücklich darauf abgestellt, dass im Bereich der Soldatenversorgung die Abgrenzung des geschützten Weges nach Wertungen vorzunehmen seien, die sich bei qualitativen Abweichungen vom geschützten Weg von den Wertungen des SGB VII – insbesondere in § 7 Abs. 2, § 101 Abs. 2 SGB VII – unterscheiden würden. Diese Unterscheidung sei durch das Gesetz selbst angelegt; denn das SVG kenne keine den §§ 7 Abs. 2 und 101 Abs. 2 SGB VII entsprechenden Vorschriften. Im Soldatenversorgungsrecht wäre es widersprüchlich, wenn der Staat einerseits ein Dritte gefährdendes (oder gar verletzendes) Handeln bestrafen und zugleich den Täter für die ihn treffenden Folgen derselben Straftat aus Steuermitteln entschädigen würde. Im Rahmen des SVG führe dies – auf Tatbestandsebene – unmittelbar zum Ausschluss des Versorgungsschutzes; im Recht der gesetzlichen Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung bestehe für die Sozialleistungsträger als Normanwender insoweit – auf der Rechtsfolgenebene – ein Ermessensspielraum. Dieser werde durch § 101 Abs. 2 SGB VII, § 52 SGB V, § 104 Abs. 1 SGB VI eröffnet.
Die in den vorgenannten BSG-Urteilen – insbesondere zum Unfallversicherungsschutz nach den Vorschriften des SGB VII - aufgestellten Grundsätze sind insofern konsequent fortgeführt worden, als das BSG nunmehr durch Urteil vom 18. März 2008 (B 2 U 1/07 R) entschieden hat, dass dem Kläger des eingangs genannten Verfahrens aus dem Jahre 2002 (B 2 U 11/01 R), zu dessen Gunsten seinerzeit ein Arbeitsunfall bejaht worden war, keine Rente zustehe. Diesem Urteil – das zurzeit der Entscheidungsfindung des Senats noch nicht vollständig abgefasst vorliegt, über das aber mit Terminbericht des BSG Nr. 13/08 informiert worden ist – liegt eine Entscheidung der beklagten Berufsgenossenschaft nach § 101 Abs. 2 SGB VII zugrunde, wonach einem Versicherten die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung ganz oder teilweise versagt werden können, wenn der Arbeitsunfall bei einer Straftat eintritt. Der Zweck der Vorschrift ist es, einem Versicherten den sozialen Schutz ganz oder teilweise vorzuenthalten, wenn sozialethische Mindeststandards verletzt werden und angesichts der Schwere der Tat und ihrer Folgen die - ungeschmälerte - Gewährung der vorgesehenen Sozialleistungen als grob unbillig empfunden würde.
Eine Prüfung nach § 101 Abs. 2 SGB VII, bei der von der Beklagten eine Ermessensentscheidung im Hinblick auf die Frage der Leistungsversagung gegenüber den Hinterbliebenen des J. L. vorzunehmen wäre (vgl. zu den Voraussetzungen z.B. die Kommentierung bei Brackmann, Gesetzliche Unfallversicherung, zu § 101 Abs. 2, dortige Rdn. 24 m.w.N.), hat bislang aber nicht stattgefunden. Inhalt der angefochtenen Bescheide und damit alleiniger Streitgegenstand ist die Frage der Anerkennung eines Wegeunfalls gemäß §§ 7, 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII, bei dessen Vorliegen – das hier aus den o.g. Gründen zu bejahen ist – grundsätzlich ein Leistungsanspruch der Kläger als der Hinterbliebenen im Sinne von § 63 Abs. 1 SGB VII zu bejahen ist.
Die Kostenentscheidung zu Lasten der Beklagten folgt aus § 193 Abs. 1, Abs. 4 SGG.
Die Revision wird nicht gemäß § 160 Abs. 1 SGG zugelassen. Gründe für eine Zulassung der Revision, wie sie von der Beklagten ausdrücklich beantragt worden ist, sind nicht gegeben. Das BSG hat durch Urteil vom 4. Juni 2002 (B 2 U 11/01 R) zu allen rechtlichen Punkten, die auch von der Beklagten in diesem Verfahren angeführt worden sind, um der Anfechtung ihrer Bescheide und dem damit zugleich geltend gemachten Feststellungsbegehren der Kläger entgegenzutreten, Stellung genommen. Danach ist weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG noch eine Divergenz im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG zu bejahen, auf die eine Zulassung der Revision durch den Senat gestützt werden könnte.
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