L 8 AL 3362/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AL 3168/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 AL 3362/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Regelung des § 421d Abs. 1 SGB III findet keine analoge Anwendung auf Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich nach dem 31.12.2020 auf einen Tag gemindert hat. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 421d Abs. 1 SGB III auf Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich in der Zeit vom 01.05.2020 bis zum 31.12.2020 auf einen Tag gemindert hat, verstößt weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen Art. 14 Abs. 1 GG.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 24.10.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.



Tatbestand


Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 08.01.2021 bis 07.04.2021.

Der 1966 geborene Kläger war vom 15.04.2013 bis 30.09.2019 versicherungspflichtig als Zahnarzt beschäftigt. Am 25.07.2019 meldete er sich für die Zeit ab 01.10.2019 arbeitssuchend und beantragte die Gewährung von Alg. Mit Bescheid vom 13.09.2019 wurde dem Kläger Alg für die Dauer von 450 Tagen im Zeitraum vom 01.10.2019 bis 30.12.2020 in Höhe von täglich 22,91 € bewilligt.

Am 22.11.2019 teilte der Kläger mit, dass er in den Zeiträumen vom 20.01.2020 bis 23.01.2020 sowie vom 27.01.2020 bis 30.01.2020 auf Honorarbasis Vertretungen in einer Zahnarztpraxis übernehmen werde. Mit Änderungsbescheid vom 07.01.2020 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeiträume vom 20.01.2020 bis 23.01.2020 sowie vom 27.01.2020 bis 30.01.2020 auf und gewährte dem Kläger Alg in Höhe von täglich 22,91 € über den 30.12.2020 hinaus bis zum 07.01.2021. Der Kläger erhob hiergegen keinen Widerspruch.

Mit Schreiben vom 01.12.2020 beantragte der Kläger die Weiterbewilligung von Alg aufgrund des Sozialschutz-Pakets II. Ursprünglich sei ihm Alg bis 30.12.2020 bewilligt worden. Infolge seiner freiwilligen und nur sehr kurzzeitigen Arbeitsaufnahme im Januar 2020 ende sein neu erworbener Alg-Anspruch am 07.01.2021. Er fühle sich benachteiligt und werde im Falle eines Ablehnungsbescheids Klage erheben.

Mit Bescheid vom 04.12.2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Verlängerung des Alg-Anspruchs um drei Monate bis 07.04.2021 ab. Hierfür gebe es keine gesetzliche Grundlage. Gemäß § 421d Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) verlängere sich das Alg einmalig um drei Monate für Personen, deren Anspruch sich in der Zeit vom 01.05.2020 bis 31.12.2020 auf einen Tag gemindert habe. Der Alg-Anspruch des Klägers mindere sich jedoch erst am 07.01.2021 auf einen Tag. Die Regelung des § 421d SGB III sei deshalb hier nicht erfüllt.

Hiergegen legte der Kläger am 16.12.2020 Widerspruch ein und teilte mit, dass bereits Klage erhoben sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2020 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich der ursprünglich am 30.12.2020 endende Alg-Anspruch des Klägers durch zwei befristete Beschäftigungen verlängert und erst am 07.01.2021 geendet habe. Die Voraussetzungen des § 421d SGB III lägen beim Kläger nicht vor. Der Gesetzgeber habe die einmalige Verlängerung der Anspruchsdauer um drei Monate ganz exakt auf Leistungsempfänger begrenzt, deren Alg-Anspruch sich bis spätestens 31.12.2020 auf einen Tag gemindert habe. Der Alg-Anspruch des Klägers habe sich jedoch erst am 07.01.2021 auf einen Tag gemindert. Der Widerspruchsbescheid wurde am 18.12.2020 zur Post aufgegeben.

Bereits am 14.12.2020 hat der Kläger beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage mit dem Begehren nach Bewilligung von Alg für drei weitere Monate über den 07.01.2021 hinaus erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er seit dem 30.01.2020 keinerlei berufliche Einkünfte mehr erzielt habe. Er sei vom Schutzzweck des § 421d SGB III erfasst. Die Begrenzung des Zeitraums auf den 31.12.2020 sei aufgrund der gerade wieder steigenden Infektionszahlen nicht nachvollziehbar. Aufgrund seines eigenen positiven Einsatzes werde er ungerechtfertigt schlechter gestellt. Es könne nicht sein, dass der Blick nur auf den Stichtag und nicht auf die Lage des hilfebedürftigen Bürgers gerichtet sei. Es gebe keinen sachlichen Grund, ihn für sein Engagement zu bestrafen, indem man ihm den staatlichen Schutzschirm vorenthalte. Mit Schreiben vom 12.01.2021 hat der Kläger erklärt, dass er hilfsweise auf seinen Anspruch aus der erworbenen Verlängerung der Anspruchsdauer um 8 Tage verzichte, sofern er dadurch die Voraussetzungen des § 421d SGB III erfülle.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Voraussetzungen des § 421d SGB III für eine einmalige Verlängerung der Anspruchsdauer auf Alg wegen der Coronapandemie seien nicht erfüllt, da der Alg-Anspruch des Klägers erst am 07.01.2021 erschöpft gewesen sei.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 24.10.2022 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass die Beklagte dem Kläger zutreffend Alg für die Dauer von 15 Monaten, d.h. 450 Tagen im Zeitraum vom 01.10.2019 bis 30.12.2020 bewilligt habe. Durch die Arbeitsaufnahme des Klägers habe sich der ursprüngliche Anspruch bis zum 07.01.2021 verlängert. Ein Anspruch auf Alg über den 07.01.2021 hinaus stehe dem Kläger nicht zu. Es gebe hierfür keine Rechtsgrundlage. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 421d Abs. 1 SGB III seien nicht erfüllt, weil sich der Alg-Anspruch des Klägers nicht bis zum 31.12.2020 auf einen Tag gemindert habe, sondern erst am 07.01.2021 erschöpft gewesen sei. Die Vorschrift des § 421d SGB III sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Sie verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar liege eine Ungleichbehandlung vor. Diese sei jedoch durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Durch die Stichtagsregelung in § 421d Abs. 1 SGB III würden zulässigerweise in typisierender und pauschalierender Weise die Leistungsbezieher erfasst, deren Alg-Anspruch sich in zeitlicher Nähe zum Beginn der Coronapandemie erschöpfe und die deshalb früher dem erheblichen Risiko ausgesetzt gewesen seien, bei schwer abschätzbarer Arbeitsmarktlage eine neue Stelle zu finden. Mit Rücksicht auf die durch das Kurzarbeitergeld zur Krisenbewältigung einzusetzenden erheblichen Beträge der Arbeitslosenversicherung und die seinerzeit schwer abschätzbaren Gesamtkosten diene die einmalige Verlängerung der Anspruchsdauer um drei Monate für Alg-Bezieher mit zeitnäherer Anspruchserschöpfung auch dem Zweck, die Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung im Hinblick auf die begrenzt zur Verfügung stehenden Beitragsmittel nicht zu gefährden. Die Vorschrift des § 421d Abs. 1 SGB III verstoße auch nicht gegen die Eigentumsfreiheit. Die dreimonatige Verlängerung des Alg-Anspruchs sei nicht Äquivalent eigener Leistung, sondern eine bloße soziale Wohltat zum Ausgleich unterstellter pandemiebedingter Nachteile. In der beigefügten Rechtsmittelbelehrung ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass er innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart – Postfach 102944, 70025 Stuttgart –, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Berufung einlegen kann. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 29.10.2022 zugestellt worden.

Mit auf den 25.11.2022 datiertem Schreiben hat der Kläger am 30.11.2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, dass ihm ein Anspruch auf Alg für die Zeit bis 07.04.2021 zustehe. Die zeitliche Beschränkung verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Sinn und Zweck der Regelung liefen ins Leere, weil durch die von Januar bis März 2021 weiter verschärfte Pandemielage die Möglichkeiten und Chancen, eine neue Beschäftigung aufzunehmen, weiter gesunken seien. Die Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenversicherung sei nicht gefährdet, da jeder Versicherung ein Risiko immanent sei und gegebenenfalls der Staat „unterstützend in die Bresche springen“ müsse. Fiskalische Erwägungen dürften bei den Schwächsten der Gesellschaft keine Rolle spielen. Die Begrenzung des Zeitraums bis zum 31.12.2020 sei willkürlich. Er verlange eine Einzelfallentscheidung, die seine besondere Situation berücksichtige. Während er über einen Zeitraum von 6,5 Jahren Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt und seine Vorleistung durch Aufnahme einer 8-tägigen Arbeitstätigkeit im Januar 2020 sogar noch erhöht habe, komme ein gleichaltriger Beitragszahler, der nur 24 Monate lang Beiträge gezahlt und während des Leistungsbezugs nicht gearbeitet habe, in den Genuss der 3-monatigen Verlängerung der Anspruchsdauer. Er könne sich nicht damit zufriedengeben, dass er infolge eigenen Bemühens und eigener Vorleistung schlechter gestellt und bestraft werde.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 24.10.2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 04.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2020 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 08.01.2021 bis 07.04.2021 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung für nicht zulässig, da sie nicht fristgerecht erhoben worden sei. Unabhängig davon habe der Kläger keinen Anspruch, trotz der eindeutigen Rechtslage Alg über den 07.01.2021 hinaus zu erhalten. Der angefochtene Gerichtsbescheid sei zutreffend.

Mit Schreiben vom 02.12.2022 hat der Berichterstatter den Kläger darauf hingewiesen, dass die Berufung erst nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist erhoben worden sei. Der Kläger hat daraufhin am 19.12.2022 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und unter Vorlage des Einlieferungsbelegs vom 26.11.2022 ausgeführt, er habe die Berufungsschrift am 26.11.2022, einem Samstag, um 12:01 Uhr zur Post aufgegeben. Er habe deshalb darauf vertrauen dürfen, dass die Berufungsschrift dem LSG spätestens am Dienstag, den 29.11.2022, zugehen werde.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß § 143 SGG statthaft und zulässig. Insbesondere gilt die verspätete und nachgeholte Einlegung der Berufung als fristgerecht vorgenommen (vgl. zur Fiktion einer Prozesshandlung als rechtzeitig infolge der Wiedereinsetzung BGH, Beschluss vom 08.10.1986 – VIII ZB 41/86 – juris, Rn. 10 m.w.N.; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 67 Rn. 18; Senger, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGG, 2. Aufl. 2022, § 67, Rn. 96).

Der Gerichtsbescheid vom 24.10.2022 ist dem Kläger am 29.10.2022 durch Einwurf in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten zugestellt worden. Dies ergibt sich aus der Zustellungsurkunde des Postzustellers vom 29.10.2022. Da der Kläger in dem Gerichtsbescheid darüber belehrt worden ist, dass er innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim LSG Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart – Postfach 102944, 70025 Stuttgart –, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Berufung einlegen kann, beginnt gemäß § 66 Abs. 1 SGG die gemäß § 151 Abs. 1 SGG einmonatige Berufungsfrist gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 30.10.2022 zu laufen und endet gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG mit Ablauf des 29.11.2022, einem Dienstag. Tatsächlich ist die Berufungsschrift des Klägers erst am 30.11.2022 dem LSG Baden-Württemberg zugegangen.

Dem Kläger wird jedoch gemäß § 67 Abs. 2 Satz 4 SGG von Amts wegen und auf seinen Antrag vom 19.12.2022 gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Berufungsfrist bewilligt. Die bereits am 1. Tag nach dem Fristablauf wirksam beim LSG eingelegte Berufung ist damit fristgerecht erhoben.

Gemäß § 67 Abs. 1 SGG ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 67 Abs. 2 Satz 1 SGG ist der Antrag – wie hier – binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Nach § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG ist die versäumte Verfahrenshandlung – wie hier – innerhalb der Antragsfrist nachzuholen. Außerdem sollen gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 SGG die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht werden. Eine Fristversäumnis ist schuldhaft, wenn der Beteiligte zur der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist (vgl. zur ständigen Rechtsprechung BSG, Beschluss vom 22.05.2023 – B 9 V 3/23 B – juris, Rn. 6; BSG, Beschluss vom 09.12.2021 – B 14 AS 250/21 B – juris, Rn. 3; BSG, Beschluss vom 24.02.2021 – B 1 KR 50/20 B – juris, Rn. 6).

Bei voller Ausschöpfung einer Rechtsmittelfrist kann den Rechtsmittelführer für bestimmte Situationen kurz vor Fristende eine erhöhte Sorgfaltspflicht treffen (vgl. BSG, Beschluss vom 13.09.2016 – B 5 RS 30/16 B – juris, Rn. 4; BSG; Beschluss vom 15.03.2018 – B 10 ÜG 30/17 C – juris, Rn. 8). Für Postlaufzeiten ist in der Rechtsprechung allerdings bislang anerkannt, dass ein Absender abgesehen von Ausnahmesituationen wie z.B. bei Streik (vgl. BSG, Beschluss vom 19.10.2016 – B 14 AS 51/16 B – juris, Rn. 6) darauf vertrauen darf, dass ein mit der Beförderung beauftragter Postuniversaldienstleister die normalen Postlaufzeiten einhält (BSG, Beschluss vom 09.05.2022 – B 5 R 11/22 BH – juris, Rn. 10; BSG, Beschluss vom 27.03.2017 – B 9 V 68/16 B – juris, Rn. 10; BSG, Beschluss vom 19.10.2016 – B 14 AS 51/16 B – juris, Rn. 6). Als normale Postlaufzeit in diesem Sinne gilt bei Einlieferung der Briefsendung in einer Filiale an einem Werktag oder Einwurf in einen Briefkasten an einem Werktag vor seiner Leerung eine Auslieferung am nächsten Werktag. Dies geht zurück auf die zum 01.01.1998 in Kraft getretene Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV) vom 15.12.1999. Das in § 2 Nr. 3 Satz 1 PUDLV vorgeschriebene Qualitätsmerkmal für den Universaldienst im Bereich der Briefdienstleistungen sieht vor, dass die an Werktagen aufgegebenen inländischen Briefsendungen im ganzen Bundesgebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80 Prozent am ersten Werktag nach der Einlieferung ausgeliefert werden. Auf die Fortgeltung dieser Rechtsprechung, die mit derjenigen aller anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes übereinstimmt (BVerwG, Urteil vom 18.09.2014 – 5 C 18/13 – juris, Rn. 15; BGH, Beschluss vom 21.10.2010 – IX ZB 73/10 – juris, Rn. 15; BFH, Beschluss vom 04.09.2008 – I R 41/08 – juris, Rn. 12; BAG, Urteil vom 21.03.2001 – 10 AZR 41/00 – juris, Rn. 15) durfte der Kläger im vorliegenden Fall weiterhin vertrauen.

Hierbei kann offenbleiben, ob die vom Kläger am Samstag, den 26.11.2022, in einer unbekannten Postfiliale in D1 um 12:01 Uhr als Einschreiben aufgegebene Berufungsschrift überhaupt als an diesem Tag zur Post aufgegeben gelten kann. Dass es sich bei dem Einlieferungstag um einen Samstag handelte, ist zunächst unerheblich. Denn als Werktage im Sinne des § 2 Nr. 3 PUDLV gelten im Umkehrschluss aus § 2 Nr. 2 Satz 2 PUDLV („…jeden Werktag sowie bedarfsgerecht jeden Sonn- und Feiertag…“) ebenso wie im Prozessrecht (§ 64 Abs. 3 SGG, § 222 Abs. 2 ZPO) und im bürgerlichen Recht (§ 193 BGB) auch Samstage. Gegen eine Einlieferung im Rechtssinne bereits am Samstag, 26.11.2022, spricht indes, dass die für beide in Betracht kommenden Postfilialen in D1 aus den von der Deutschen Post AG unter https://www.deutschepost.de/de/s/standorte.html als „Versandschlusszeiten“ an Samstagen veröffentlichten Zeitpunkte von 11:55 Uhr (für die Filiale G1-straße) bzw. 12:00 Uhr (für die Filiale B1-straße) zum Zeitpunkt der tatsächlich bestätigten Einlieferung um 12:01 Uhr bereits (wenn auch im Fall einer der beiden Filialen nur knapp) abgelaufen waren. Ähnlich den regelmäßigen und gemäß § 2 Nr. 2 Satz 3 PUDLV auf den Briefkästen anzugebenden Leerungszeiten dürfte es insoweit nicht auf die Verbrauchersicht (ab der Abgabe am Postschalter bzw. ab dem Einwurf in den Briefkasten), sondern auf die Betriebssicht (ab der Abholung aus der Postfiliale bzw. ab der Briefkastenleerung) ankommen, denn anderenfalls hätten die Universaldienstleister sogar einschließlich aller bis 23:59 Uhr jedes Werktags (auch jedes Samstags) in einen beliebigen Briefkasten im Bundesgebiet eingeworfenen Briefsendungen ungeachtet der jeweiligen Leerungszeit des konkreten Briefkastens sicherzustellen, dass die 80 Prozent-Quote erfüllt wird (zur Differenzierung zwischen Betriebssicht und Verbrauchersicht siehe auch die weiteren Erläuterungen der Bundesnetzagentur unter https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Vportal/Post/Qualitaetsmonitoring/start.html).

Ob ausgehend von der Betriebssicht (hier „Versandschlusszeit“ spätestens um 12:00 Uhr) die hier um 12:01 Uhr an einem Samstag eingelieferte Sendung also erst am Montag, den 28.11.2022, als eingeliefert anzusehen ist, kann allerdings letztlich dahinstehen. Denn auch für diesen Fall durfte der Kläger trotz der bei Ausschöpfen einer Rechtsmittelfrist gegen Fristende steigenden Sorgfaltsanforderungen mangels besonderer Vorkommnisse wie z.B. Streik noch darauf vertrauen, dass die Berufungsschrift jedenfalls an dem auf Montag, den 28.11.2022, folgenden Werktag, hier also am Dienstag, dem 29.11.2022 und zugleich letzten Tag der Berufungsfrist, zugestellt werden würde. Die tatsächlich erst einen weiteren Tag später am 30.11.2022 erfolgte Zustellung an das LSG hat der Kläger daher nicht als eigenes oder ihm zuzurechnendes Verschulden zu vertreten.

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 2, Abs. 4, §§ 56, 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 04.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.12.2020 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Alg für die Zeit vom 08.01.2021 bis 07.04.2021.

Der Anspruch des Klägers auf Alg ab 01.10.2019 ist mit Ablauf des 07.01.2021 vollständig erfüllt worden.

Gemäß § 147 Abs. 2 SGB III beträgt die Dauer des Anspruchs auf Alg 15 Monate nach Versicherungspflichtverhältnissen mit einer Dauer von insgesamt mindestens 30 Monaten und nach Vollendung des 50. Lebensjahres. In Anwendung dieser Maßstäbe hat die Beklagte dem Kläger zutreffend Alg für die Dauer von 15 Monaten gewährt, was gemäß der Berechnungsvorschrift des § 339 Satz 1 SGB III einer Dauer von 450 Tagen entspricht. Denn der 1966 geborene Kläger hat zu Beginn des mit bestandskräftigem Bescheid vom 13.09.2019 bewilligten Alg für die Zeit ab 01.10.2019 das 50. Lebensjahr vollendet und ist unmittelbar vor Beginn des Leistungsbezugs mehr als 77 Monate – vom 15.04.2013 bis 30.09.2019 – ununterbrochen versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Dies ergibt sich aus den Angaben des Klägers im Antrag vom 25.07.2019.

Der Anspruch auf Alg ist mit Ablauf des 07.01.2021 erfüllt. Der 450. und damit letzte Tag, für den ein Alg-Anspruch des Klägers bestand, hat sich vom 30.12.2020 (vgl. bestandskräftiger Bescheid vom 13.09.2019) um 8 Tage auf den 07.01.2021 verschoben (vgl. bestandskräftiger Änderungsbescheid vom 07.01.2020), weil der Alg-Anspruch 8 Tage lang geruht hat. Gemäß § 157 Abs. 1 SGB III ruht der Anspruch auf Alg während der Zeit, für die der Arbeitslose Arbeitsentgelt erhält oder zu beanspruchen hat. Nach diesem Maßstab hat der Anspruch des Klägers auf Alg in den Zeiträumen vom 20.01.2020 bis 23.01.2020 sowie vom 27.01.2020 bis 30.01.2020 kraft Gesetzes geruht, weil der Kläger in diesen Zeiträumen – insgesamt 8 Tage lang – für eine befristete Beschäftigung als Vertreter eines anderen Zahnarztes Arbeitsentgelt erhalten oder zu beanspruchen hat. Die Ruhenswirkung begründet freilich nur ein Leistungsverweigerungsrecht der Beklagten (vgl. BSG, Urteil vom 18.12.2003 – B 11 AL 25/03 R – juris, Rn. 18). D
ie Dauer des Anspruchs auf Alg verkürzt sich während der Dauer des zum Ruhen führenden Beschäftigungsverhältnisses oder während des Bezuges der anderen zum Ruhen führenden Leistung jedoch grundsätzlich nicht (vgl. BSG, Urteil vom 24.05.1984 – 7 Rar 97/83 – juris, Rn. 23). Demnach ist der Anspruch des Klägers auf Alg nach insgesamt 8-tägigem Ruhen auch 8 Tage später – am 07.01.2021 statt am 30.12.2020 – erfüllt worden.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Alg für die Zeit vom 08.01.2021 bis 07.04.2021. Eine Rechtsgrundlage hierfür ist nicht ersichtlich. Insbesondere sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 421d Abs. 1 SGB III für die einmalige Verlängerung der Anspruchsdauer um 3 Monate nicht erfüllt.

§ 421d Abs. 1 SGB III in der seit 10.12.2020 geltenden Normfassung des Beschäftigungssicherungsgesetzes vom 03.12.2020 (BGBl. I, S. 2691, 2692) hat ebenso wie die zuvor am 29.05.2020 in Kraft getretene und bis 09.12.2020 geltende Vorschrift des § 421d SGB III in der Normfassung des Sozialschutz-Pakets II vom 20.05.2020 (BGBl. I, S. 1055) folgenden Wortlaut: Für Personen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld sich in der Zeit vom 01.05.2020 bis zum 31.12.2020 auf einen Tag gemindert hat, verlängert sich die Anspruchsdauer einmalig um drei Monate.

Diese Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Sein Anspruch auf Alg hat sich – wie vorstehend dargelegt – erst am 07.01.2021 auf einen Tag gemindert (§ 148 Abs. 1 Nr. 1 SGB III).

Eine analoge Anwendung des § 421d Abs. 1 SGB III kommt nicht in Betracht (ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 12, dazu auch im Folgenden; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.01.2022 – L 18 AL 45/21 – juris, Rn. 14). Eine Analogie ist die Übertragung der Rechtsfolge eines geregelten Tatbestands auf einen ihm ähnlichen, allerdings ungeregelten Sachverhalt. Sie setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, er wäre im Zuge einer Interessenabwägung, bei der er sich von denselben Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2014 – B 12 P 1/12 R – juris, Rn. 21 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke im Gesetz, so dass es auf die vom Kläger angeführte Vergleichbarkeit der tatsächlichen Situation in der Zeit ab 01.01.2021 nicht entscheidungserheblich ankommt (Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 12).

Mit der Schaffung des § 421d SGB III hat der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, die soziale Absicherung im Versicherungssystem für eine von den wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie absehbar besonders betroffene Gruppe von Arbeitslosengeldbeziehern für eine bestimmte Zeit aufrechtzuerhalten, damit sie noch nicht aus dem Schutz der Arbeitslosenversicherung herausfallen (Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 13, dazu auch im Folgenden). In der Phase, in der die Möglichkeiten und Chancen, eine neue Beschäftigung zu finden und aufzunehmen, in gravierender Weise eingeschränkt waren, sollten die Betroffenen nicht unmittelbar auf das Leistungssystem der Grundsicherung für Arbeitsuchende verwiesen werden (BT-Drs. 19/18966 S. 29 zu Nr. 3). Diese Begünstigung war von vornherein auf die Monate Mai bis Dezember 2020 befristet (Hessisches LSG, a.a.O.). Folgerichtig hat der Gesetzgeber die Regelung nicht im gesetzessystematischen Kontext der Dauer des Arbeitslosengeldanspruchs (§ 147 SGB III) eingefügt, sondern im Abschnitt über „Ergänzungen für übergangsweise mögliche Leistungen und zeitweilige Aufgaben“ (§§ 417 ff. SGB III). Dass die Begrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Sonderregelung auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruht, lässt auch die weitere Rechtsentwicklung unzweifelhaft erkennen. Denn durch das Gesetz zur Beschäftigungssicherung infolge der COVID-19-Pandemie (Beschäftigungssicherungsgesetz) vom 03.12.2020 (BGBl. I, S. 2691) sind andere befristete Vorschriften, die auf das Sozialschutz-Paket II zurückgehen, verlängert worden, insbesondere die Sonderregelungen beim Kurzarbeitergeld. Im Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens ist auch über den Antrag verschiedener Abgeordneter des Deutschen Bundestags und der Fraktion DIE LINKE beraten und entschieden worden, „auch die vorübergehende Sonderregelung zum Arbeitslosengeld (§ 421d SGB III) zu verlängern“ (BT-Drs. 19/23169). Obgleich dieser Vorschlag auch bei der Anhörung von Sachverständigen teilweise befürwortet worden ist (vgl. die Materialzusammenstellung in der Ausschussdrucksache 19(11)864), hat der Gesetzgeber ihn entsprechend der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (BT-Drs. 19/24481) letztlich abgelehnt (Plenarprotokoll 19/193 des Deutschen Bundestags vom 20.11.2020). Zugleich ist § 421d SGB III mit Wirkung vom 10.12.2020 unter Neufassung seiner amtlichen Überschrift um zwei Absätze erweitert worden, ohne dass der nunmehr als Absatz 1 der Norm gefasste Wortlaut der Vorschrift geändert wurde.

Diese klare und eindeutige einfachrechtliche Situation verletzt aus Sicht des Senats auch nicht höherrangiges Recht (ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 14, dazu auch im Folgenden; sich diesem anschließend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.01.2022 – L 18 AL 45/21 – juris, Rn. 16-25). Entgegen der Ansicht des Klägers verstößt die zeitliche Beschränkung des § 421d Abs. 1 SGB III insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.06.2012 – 2 BvR 1397/09 – juris, Rn. 56 m.w.N.). Bei der Überprüfung eines Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit dem Gleichheitsgrundsatz ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat (BVerfG, Beschluss vom 15.01.2014 – 1 BvR 1656/09 – juris, Rn. 70 m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 08.06.2004 – 2 BvL 5/00 – juris, Rn. 73). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (BVerfG, Beschluss vom 28.06.2022 – 2 BvL 9/14, 2 BvL 10/14, 2 BvL 13/14, 2 BvL 14/14 – juris, Rn. 73 m.w.N.). Dem Gesetzgeber ist es durch Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtagsregelungen einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidbar gewisse Härten mit sich bringt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.04.2011 – 1 BvR 1811/08 – juris, Rn. 7; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 05.02.2009 – 1 BvR 1631/04 – juris, Rn. 31). So liegt der Fall auch bei der Einführung von neuen Vorschriften wie § 421d SGB III, durch die einzelne Personengruppen wegen des Stichtags („bis zum 31.12.2020 auf einen Tag gemindert“) begünstigt, andere hingegen hiervon ausgenommen werden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Gesetzgeber den ihm bei der Stichtagsregelung zukommenden Gestaltungsfreiraum in sachgerechter Weise genutzt hat, er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und sich die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt und nicht als willkürlich erscheint (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 05.02.2009 – 1 BvR 1631/04 – juris, Rn. 31).

Mit der Anknüpfung an den letzten regulären „Anspruchstag“ hat der Gesetzgeber zwar ein Merkmal gewählt, das von gewissen Zufälligkeiten abhängig ist und sich auch durch den Arbeitslosen selbst beeinflussen lässt (Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 16, dazu auch im Folgenden). Denn die Minderung der Anspruchsdauer hängt nicht nur vom Lauf von Sperrzeiten und anderen Ruhenszeiträumen ab, sondern auch von Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder den Wegfall der Verfügbarkeit aus anderen Gründen (Hessisches LSG, a.a.O.). Allerdings wird der Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch den allgemeinen Gleichheitssatz nicht verpflichtet, stets die zweckmäßigste und gerechteste Lösung zu finden (s.o.). Gerichte sind nicht befugt, ihre Einschätzung, welcher Weg sinnvoller und sachgerechter wäre, an die Stelle der Gesetzgebung zu setzen. Zudem ist der gewählte Anknüpfungspunkt auch nicht offensichtlich zweckwidrig (Hessisches LSG, a.a.O.). Denn der letzte Tag des Arbeitslosengeldbezugs ist ein aussagekräftiges Indiz für den drohenden Wechsel in das System der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Diesen möglichst zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern, stellt aber ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien ein ausdrückliches Ziel der Novellierung dar (Hessisches LSG, a.a.O.).

Auch die gesetzgeberische Entscheidung, die Sonderregelung des § 421d SGB III auf den Zeitraum bis zum 31.12.2020 zu befristen, erscheint dem Senat nicht willkürlich. Zwar hat nach Feststellung des Deutschen Bundestags auch über den 31.12.2020 hinaus eine epidemische Lage von nationaler Tragweite vorgelegen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz) und sind zahlreiche andere Ausnahmevorschriften der sog. COVID-19-Gesetzgebung dementsprechend verlängert worden. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass jede in Ansehung der Pandemie eingeführte Begünstigung zwingend fortgeführt werden müsste (Hessisches LSG, a.a.O., Rn. 17). Im Fall der dreimonatigen Verlängerung des Arbeitslosengeldanspruchs finden sich Sachgründe von hinreichendem Gewicht, die das Auslaufen der Sonderregelung zum Jahresende 2020 vertretbar erscheinen lassen. Im Vordergrund stehen dabei wohl fiskalische Erwägungen. Das Ziel, die Finanzierung der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu sichern und damit die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Sozialversicherungssystems im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern und den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Belang des öffentlichen Interesses anerkannt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 05.02.2009 – 1 BvR 1631/04 – juris, Rn. 15 m.w.N.). Bei der Einführung des § 421d SGB III wurden die mit dieser Ausnahmevorschrift verbundenen zusätzlichen Kosten immerhin auf etwa 2 Mrd. Euro geschätzt (vgl. BT-Drs. 19/18966, S. 6). Ausgaben in dieser Größenordnung sind potentiell beitragssatzrelevant. Der Gesetzgeber durfte daraus entstehende nachteilige Folgen für Beitragszahler, Wirtschaft und Arbeitsmarkt als gewichtig bewerten (vgl. BT-Drs. 19/18966, S. 29: „Aufgrund der begrenzt zur Verfügung stehenden Beitragsmittel ist die Regelung auf Sachverhalte beschränkt, in denen sich der Anspruch in der Zeit vom 01.05.2020 bis 31.12.2020 tatsächlich erschöpft“). Das legitime Ziel, die entstehenden Kosten zu begrenzen, wird durch die in § 421d SGB III enthaltene Stichtagsregelung in verhältnismäßiger Weise verwirklicht (Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 17, dazu auch im Folgenden). Daneben ist die Einschätzung des Gesetzgebers nicht zu beanstanden, dass zu Beginn der pandemischen Notlage die Auswirkungen der vorher nicht gekannten Situation auf die Verwaltungstätigkeit der Antragsgegnerin am stärksten sein werden. Es erscheint plausibel, dass in der Zeit von Mai bis Dezember 2020 die Stellensuche stärker als davor und danach behindert war, weil die Bundesagentur für Arbeit ihre Dienstleistungen der Beratung und Vermittlung zunächst nur eingeschränkt erbringen und auch weitere Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nur unter besonderen Schwierigkeiten gewähren konnte. Schließlich durfte sich der Gesetzgeber bei seiner Ablehnung einer Verlängerung des § 421d SGB III davon leiten lassen, dass in der Expertenanhörung im Gesetzgebungsverfahren auf die Gefahr hingewiesen worden ist, ein längerer Arbeitslosengeldanspruch könnte zu einer verzögerten Beschäftigungsaufnahme führen (vgl. Ausschussdrucksache 19(11)864 S. 8, 23).

Die Regelung des § 421d Abs. 1 SGB III verletzt den Kläger auch nicht in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 18, dazu auch im Folgenden). Den Schutz der Eigentumsfreiheit genießen Ansprüche und Anwartschaften, deren Umfang durch die persönliche Leistung des Versicherten – typischerweise in Form von Beitragszahlungen – mitbestimmt wird (vgl. BVerfG, Urteil vom 28.02.1980 – 1 BvL 17/77, 1 BvL 7/78 u.a. – juris, Rn. 146-148; Urteil vom 28.04.1999 – 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95 – juris, Rn. 111-114). Nicht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unterfallen dagegen Ansprüche auf Sozialleistungen, die ausschließlich darauf beruhen, dass der Staat sie in Erfüllung seiner Fürsorgepflicht durch Gesetz eingeräumt hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 16.07.1985 – 1 BvL 5/80, 1 BvR 1023/83, 1 BvR 1052/83, 1 BvR 1227/84 – juris, Rn. 108). Die im vorliegenden Fall vom Kläger begehrte dreimonatige Verlängerung des Alg ist jedoch nicht Äquivalent eigener Leistung (Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 18). Sie ist vom Gesetzgeber nicht als „Gegenleistung“ für eine bestimmte Vorleistung als Beitragszahler konzipiert worden. Das zeigt sich gerade an der Pauschalität des § 421d Abs. 1 SGB III, die in augenfälligem Gegensatz zu den genauestens differenzierenden Bestimmungen zur Anspruchsdauer gemäß § 147 Abs. 2 und 3 SGB III steht. Der Umfang der Vorleistung des Arbeitslosen im System der Arbeitslosenversicherung spielt für die Anspruchsverlängerung keine Rolle. Es handelt sich auch nach der oben angeführten Gesetzesbegründung um eine bloße soziale Wohltat zum Ausgleich von (unterstellten) pandemiebedingten Nachteilen (Hessisches LSG, a.a.O.).

Die Ausgestaltung des § 421d SGB III verletzt den Kläger nicht in seiner Eigentumsfreiheit. Denn die konkrete Reichweite des Schutzes durch die Eigentumsgarantie ergibt sich erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Sache des Gesetzgebers ist. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung sozialversicherungsrechtlicher Positionen eine weite Gestaltungsmöglichkeit zukommt. Dies schließt die Befugnis des Gesetzgebers ein, bestehende Ansprüche auf Arbeitslosengeld zu beschränken. Dabei ist er an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.02.1987 – 1 BvL 15/83 – juris, Rn. 38 f.). Diese Schranken hat der Gesetzgeber nach dem vorstehend Dargelegten bei der Beschränkung des zeitlichen Anwendungsbereichs von § 421d SGB III beachtet (Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 19).

Keine andere verfassungsrechtliche Beurteilung ergibt sich aus den mit der befristeten dreimonatigen Verlängerung des Arbeitslosengeldanspruchs verbundenen Abweichungen vom Äquivalenzprinzip, das grundrechtsdogmatisch auf dem Eigentumsgrundrecht und dem allgemeinen Gleichheitssatz beruht (Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 20, dazu auch im Folgenden). Danach müssen sich bei einer Versicherung die Vorleistungen der Versicherten in adäquaten Leistungsanrechten widerspiegeln. Gleichwohl besteht verfassungsrechtlich kein Anspruch auf Beibehaltung jeder Einzelleistung im System der Sozialversicherung. Vielmehr enthält das Äquivalenzprinzip lediglich das Anrecht auf eine adäquate Teilhabe an den Leistungen der Versicherung insgesamt, nicht aber auf konkrete Einzelleistungen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 07.10.2008 – 1 BvR 2995/06 – juris, Rn. 23). Zudem kommt der Äquivalenzgedanke als vorrangiger Maßstab für die Bemessung des Arbeitslosengeldes angesichts der für die Arbeitslosenversicherung typischen kurzen Anwartschaften, des kurzen Bemessungszeitraums und der häufig nur kurzen Leistungsbezugszeit nicht in Betracht (BVerfG, Beschluss vom 12.02.1986 – 1 BvL 39/83 – juris, Rn. 39 m.w.N.). Allerdings liegt ein Verfassungsverstoß jedenfalls dann vor, wenn für Äquivalenzabweichungen bei Versichertengruppen mit gleicher Beitragsleistung ein hinreichender sachlicher Grund nicht ersichtlich ist (BVerfG, Beschluss vom 11.01.1995 – 1 BvR 892/88 – juris, Rn. 57).

Soweit sich der Kläger mit einem gleichaltrigen Beitragszahler vergleicht, der nur 24 Monate lang Beiträge gezahlt und während des Leistungsbezugs nicht gearbeitet hat, belegt dieser Vergleich nicht, dass eine geringere Vorleistung zu einer höheren Anspruchsdauer führt. Bei Anspruchsbeginn am 01.10.2019 (wie im Fall des Klägers) erstreckte sich der Arbeitslosengeldanspruch des gleichaltrigen Versicherten mit 24-monatiger Vorversicherungszeit gemäß § 147 Abs. 2 SGB III über die Dauer von 12 Monaten bis zum 30.09.2020. Bei fortlaufendem Leistungsbezug wäre der Arbeitslose in den Genuss der Sonderregelung des § 421d SGB III gekommen, so dass sich sein Anspruch im Ergebnis um 3 Monate bis zum 30.12.2020 verlängert hätte. Demgegenüber endete der Alg-Anspruch des Klägers erst am 07.01.2021 (s.o.). Zutreffend geht der Kläger davon aus, dass er in den Genuss der 3-monatigen Verlängerung seines Alg-Anspruchs gekommen wäre, wenn er nicht im Januar 2020 an insgesamt 8 Tagen in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis als Praxisvertreter gestanden hätte. Allerdings stellt diese im Januar 2020 – nach Beginn des Leistungsbezugs – verrichtete Erwerbstätigkeit keine Vorleistung für das dem Kläger seit dem 01.10.2019 gewährte Alg dar, weil Bestand, Dauer (450 Tage) und Höhe (22,91 € täglich) des Alg-Anspruchs hiervon unberührt bleiben.

Selbst wenn man in der gleichen Dauer (im Ergebnis jeweils 15 Monate) des Alg-Anspruchs des Klägers und eines gleichaltrigen Beitragszahlers, der nur 24 Monate lang Beiträge gezahlt und während des Leistungsbezugs nicht gearbeitet hat, aufgrund des fehlenden Abstands eine Abweichung vom Äquivalenzprinzip sehen wollte, wäre diese – im Anwendungsbereich des § 421d Abs. 1 SGB III nur vorübergehende – Abweichung durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt (s.o.). Hinzu kommt, dass das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht nicht in Reinform gilt. Vielmehr beruht die Sozialversicherung auch auf dem Prinzip des solidarischen Ausgleichs. Die Gesamtleistung des Alg wird oft weniger durch eigene und vom Arbeitgeber für den Berechtigten geleistete Beiträge, sondern durch die solidarisch von allen Versicherten getragenen Gesamtbeiträge aufgebracht (BVerfG, Beschluss vom 12.02.1986 – 1 BvL 39/83 – juris, Rn. 39). Ein solches Element des solidarischen Ausgleichs stellt auch die dreimonatige Anspruchsverlängerung nach § 421d Abs. 1 SGB III dar (Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 21, dazu auch im Folgenden). Das zeigt sich besonders deutlich an der ausdrücklichen Zweckbestimmung der Ausnahmevorschrift, dass die von ihr Begünstigten in der Zeit von Mai bis Dezember 2020 nicht unmittelbar auf das Leistungssystem der Grundsicherung für Arbeitsuchende verwiesen werden sollten. Vielmehr sollten die pandemiebedingten Schwierigkeiten bei der Stellensuche in diesem Zeitraum durch eine längere Bezugsdauer der nicht bedürftigkeitsabhängigen Versicherungsleistung ausgeglichen werden. Angesichts dieser Zielsetzung hat der Gesetzgeber seinen weiten Gestaltungsspielraum bei der Konkretisierung der sozialversicherungsrechtlichen Anwartschaft nicht überschritten (Hessisches LSG, a.a.O.).

Schließlich wird das Grundrecht des Klägers auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) durch die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ausreichend gewahrt (Hessisches LSG, Beschluss vom 14.04.2021 – L 7 AL 42/21 B ER – juris, Rn. 22).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.




 

Rechtskraft
Aus
Saved