Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 2156/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 5354/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 25.10.2010 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe einer Verletztenrente im Streit.
Der 1955 geborene Kläger wurde am 07.03.2006 während seiner Arbeit als Bauarbeiter bei Abrissarbeiten verletzt, als eine ca. 2 m hohe Mauer einstürzte und auf seinen Unterbauch, sein Becken und beide Beine fiel. Der Kläger wurde notfallärztlich versorgt und ins Klinikum M. gebracht.
Im ersten Zwischenbericht vom 26.04.2006 gaben die Chirurgen Prof. Dr. O., Dr. D.-E. und Dr. R. als Diagnosen an: Polytrauma mit instabiler Beckenringfraktur, Fraktur des Dornfortsatzes LWK 2, Querfortsatzfraktur LWK 4, 2° offene Unterschenkelfraktur links, Fußquetschung rechts mit III° offener Fraktur beider Malleolen, III° offene Talusfraktur und III° offene Calcaneusfraktur, multiple III° offene Metatarsalefrakturen, ausgedehntes Decollement sakral.
Im ersten Rentengutachten vom 15.03.2007 gab Prof. Dr. O. folgende Diagnosen an: Polytrauma, Sitz- und Schambeinfraktur bds., Acetabulumfraktur bds. ohne Gelenkbeteiligung, Sacrumfraktur bds. mit Beteiligung der Iliosakralgelenke (transalar/transsakral links, transsakral rechts), Hämatom M. iliopsoas links und im kleinen Becken, Dornfortsatzfraktur LWK 2, Querfortsatzfraktur LWK 4, Morel-Lavallee-Decollement der LWS und Beckenregion, Unterschenkelfraktur links (II° offen), Fußzerquetschung, Malleolarfraktur bds. III° offen, Talusfraktur rechts III° offen, Calcaneusfraktur rechts III° offen, Luxation im Chopart- und Lisfranc-Gelenk rechts, Fraktur Metatarsale 1/2/3/4/5 (rechts III° offen), Fraktur Os naviculare rechts (III° offen). Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei zum 14.12.2006 eingetreten. Dem Kläger seien noch körperlich leichte und sitzende Tätigkeiten vollschichtig zumutbar. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage dauerhaft 40 von Hundert (v. H.).
In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.03.2007 vertrat Dr. L. die Auffassung, das eine MdE um 40 v. H. dem Verlust eines Beines entspreche, weswegen vorliegend lediglich eine MdE um 30 v. H. anzunehmen sei.
Mit Bescheid vom 08.01.2007, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 26.04.2007, hatte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld nach dem 28.12.2006 eingestellt.
Mit Bescheid vom 25.06.2007 anerkannte die Beklagte das Geschehen vom 07.03.2006 als Arbeitsunfall und gewährte eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 30 v. H. ab dem 29.12.2006 bis auf Weiteres. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: Bewegungseinschränkung des rechten unteren Sprunggelenks (USG), posttraumatische Arthrose des oberen und unteren Sprunggelenkes rechts, Pseudarthrose des IV. Mittelfußknochens rechts sowie in Abweichung verheilte Frakturen der Mittelfußknochen III und V rechts und hierdurch eingeschränkte Geh- und Stehfähigkeit, Versteifung der Zehen 2-5 rechts, eingeschränkte Kniebeugung rechts, einliegendes Osteosynthesematerial iliosakral (Schrauben) rechts sowie im Bereich des linken USG (Tibianagel, Fibulaplatte) mit lokaler Irritation der Weichteile.
Aufgrund der Entscheidung des Sozialgerichts Mannheim (SG) vom 26.11.2007 (Az.: S 10 U 1892/07) verlängerte die Beklagte mit Bescheid vom 15.05.2008 die Verletztengeldzahlung bis zum 03.09.2007 und änderte den Rentenbeginn auf den 04.09.2007 ab.
Im zweiten Rentengutachten durch Prof. Dr. O. vom 30.10.2008 bekräftigte dieser seine Auffassung, dass eine MdE um 40 v. H. vorliege, woraufhin Dr. L. mit beratungsärztlicher Stellungnahme vom 04.12.2008 erneut eine MdE um lediglich 30 v. H. vertrat.
Mit Bescheid vom 15.12.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die bisher als vorläufige Entschädigung gewährte Rente nunmehr auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v. H. festgestellt werde. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: Wackelsteife im USG rechts bei Arthrose in den Sprunggelenken rechts, in Fehlstellung abgeheilte Brüche der Mittelfußknochen III-V. rechts, Bewegungseinschränkung in den Grundgelenken der Zehen II-V. rechts mit eingeschränkter Geh- und Stehfähigkeit, Beugeeinschränkung des linken Kniegelenks, mit geringer Achsabweichung knöchern verheilter Bruch des linken Schienbeins mit reizlos einliegendem Osteosynthesematerial.
Den deswegen am 13.01.2009 erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2009 zurück.
Der Kläger hat am 30.06.2009 Klage beim SG erhoben, mit der er sich auf die MdE-Bewertung in den beiden Rentengutachten stützt. Im Auftrag des SG hat der Orthopäde und Unfallchirurg Dr. P. am 13.04.2010 ein Sachverständigengutachten erstellt. Als Unfallfolgen sind hierin angegeben: Unter Fehlstellung abgeheilte Beckenringfraktur mit zwischenzeitlich erfolgter Verknöcherung des linken Kreuzdarmbeingelenkes und knochennarbigen Veränderungen an beiden Sitz- und Schambeinen, initiale Coxarthrose bds., leichte, posttraumatische Arthrose des rechten USG mit geringer Funktionseinschränkung; posttraumatische Einsteifung des USG rechts, komplexe Fußdeformität rechts nach multiplen Verletzungen der Fußwurzel und teilweise in erheblicher Fehlstellung verheilter Mittelfußfrakturen; Fehlstellung der 2. Zehe rechts, Abflachung des Tubergelenkwinkels rechts i. S. eines posttraumatischen Plattfußes, endgradige Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks ohne vorzeitige Verschleißveränderungen bei Zustand nach Marknagelung der Tibia, initiale Arthrose des OSG links bei Zustand nach in leichter Fehlstellung verheilter distaler Tibiafraktur, Empfindungsstörungen im Bereich des lumbosakralen Übergangs und der linken Gesäßhälfte sowie des rechten Fußes, multiple Narben nach Décollement in der Lumbalregion und mehrfachen operativen Eingriffen, Notwendigkeit des Tragens orthopädischer Schuhe. Der Befund an der Wirbelsäule und die Empfindungsstörung der rechten Körperhälfte stünden eindeutig nicht mit dem Unfall im Zusammenhang. Beim Kläger liege seit dem 29.12.2006 durchgängig eine MdE um 30 v. H. vor (mit Hinweis auf Mehrhoff/Meindl/Muhr, 11. Aufl. 2006 S. 167 ff. und Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 579, 584 f., 654 f. und 678 f.). Maßgeblich für diese Einschätzung sei die Heilung der Beckenfraktur ohne Erweiterung der Schoßfugen und ohne Verbleib einer Instabilität. Es liege beim Kläger kein einem Verlust des Unterschenkels oder einer weitgehend belastungsunfähigen unteren Extremität vergleichbarer Zustand vor, welcher mit einer MdE um 40 v. H. zu bewerten wäre. Zwar seien posttraumatische arthrotische Veränderungen an beiden OSG nachgewiesen, diese seien jedoch nur gering ausgeprägt und könnten nicht zu einer höheren Einschätzung der MdE führen.
Mit Urteil vom 25.10.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und sich hierbei insbesondere auf das Gutachten des Dr. P. vom 13.04.2010 gestützt. Angesichts dieses aktuellen Gutachtens, welches schlüssig und nachvollziehbar sei, könne die von Prof. Dr. O. angenommene höhere MdE um 40. v. H. nicht als nachgewiesen gelten. Ausschlaggebend sei insoweit insbesondere auch der von der Beklagten vorgebrachte Einwand, dass die Gesundheitsstörungen beim Kläger nicht die Qualität erreichten, die etwa dem Verlust eines Unterschenkels gleichkämen. Je nach Fallgestaltung werde der Verlust eines Unterschenkels jedoch grundsätzlich mit einer MdE um 40. v. H. oder höher bewertet (mit Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 692). Die Tatsache, dass die Beckenfraktur beim Kläger ohne Erweiterung der Schoßfugen (mit Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 579, die insoweit eine MdE um 0 v. H. ansetzten) und ohne Verbleib einer Instabilität vollständig verheilt sei, und dass die Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks insgesamt gering ausgeprägt sei, könne nicht bewertet werden, ohne sie zu anderen Unfallfolgen in Beziehung zu setzen. Insgesamt seien die vorliegenden Gesundheitsstörungen von einer Bewertung mit einer MdE um 40 v. H. entsprechend dem von Dr. P. zitierten Vergleichsfall noch qualitativ deutlich entfernt. Dies müsse letztlich auch in eine entsprechenden Abstufung der MdE zum Ausdruck kommen. Das Urteil des SG ist dem Bevollmächtigten des Klägers am 02.11.2010 zugestellt worden.
Am 09.11.2010 haben die Bevollmächtigten des Klägers beim SG Berufung eingelegt. Der Auffassung, beim Kläger liege lediglich eine MdE um 30. v. H. vor, könne nicht gefolgt werden. Entgegen dem vom SG eingeholten Gutachten sei von Prof. Dr. O. in zwei Rentengutachten eine MdE um 40. v. H. bestätigt worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 25.10.2010 aufzuheben und die Be-klagte unter Abänderung ihres Bescheids vom 15.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.06.2009 zu verurteilen, ihm aufgrund seines Arbeitsunfalls vom 07.03.2006 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässig Berufung ist unbegründet. Der Senat hat über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG durch Beschluss entschieden, weil er das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Im Anhörungsverfahren (vgl. Hinweis vom 03.03.2011) haben sich keine Gesichtspunkte ergeben, von dieser Verfahrensform abzuweichen.
Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung einer höheren Verletztenrente als einer solchen nach einer MdE um 30 v. H. abgelehnt. Gem. § 26 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Entschädigungsleistungen u. a. in Form von Heilbehandlung (§ 27 SGB VII) oder Geldleistungen (Verletztengeld § 45 SGB VII und Rente § 56 SGB VII ). Insbesondere nach § 56 Abs. 1 SGB VII erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, eine Rente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB VII).
Erforderlich ist, dass sowohl ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden besteht. Diese so genannte doppelte Kausalität wird nach herkömmlicher Dogmatik bezeichnet als die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität. Für beide Bereiche der Kausalität gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung sowie der Beweismaßstab der - überwiegenden - Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R - , SozR 4-2700 § 8 Nr. 12).
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22).
Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urt. vom 26.06.1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urt. vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Folgen des Arbeitsunfalls beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22.08.1989 - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.
Das SG hat nach diesen Grundsätzen zutreffend entschieden, dass auf Grund der Folgen des Arbeitsunfalls keine höhere MdE als 30 v. H. angenommen werden kann. Der Gutachter Dr. P. hat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass beim Kläger auch angesichts der Vielzahl gestellter unfallbedingter Diagnosen die hieraus folgenden Leistungseinschränkungen, welche für die Bewertung der MdE maßgeblich sind, keine schwerwiegenden Beeinträchtigungen im Sinne einer MdE um 40 v. H. verursachen. Nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des Gutachters Dr. P. ist der Kläger unter Benutzung seiner orthopädischen Schuhe in der Lage, sich ohne Zuhilfenahme einer Gehstütze zügig fortzubewegen. Die vom Gutachter festgestellte relativ geringe rechtsseitige Muskelminderung deutet darauf hin, dass keine schwerwiegende Minderbelastbarkeit des rechten Beines vorliegt. Insoweit ist in diesem Bereich keine Funktionseinschränkung vorhanden, die einem Verlust des unteren rechten Beines, wofür eine MdE um 40 v.H. anzunehmen wäre (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 692), vergleichbar wäre. Da das versteifte rechte USG nur eine geringe Funktionseinschränkung aufweist und der Kläger sich in seinen orthopädischen Schuhen flüssig fortbewegen kann, ist insoweit - bei Berücksichtigung der weiteren Funktionseinschränkungen im rechten Vorfuß - lediglich eine MdE um 25 v. H. anzunehmen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 678 f.).
Die Verletzungen im Bereich der linken unteren Extremität (endgradige Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks ohne vorzeitige Verschleißveränderungen bei Zustand nach Marknagelung der Tibia, initiale Arthrose des OSG links bei Zustand nach in leichter Fehlstellung verheilter distaler Tibiafraktur; das linke USG des Klägers ist unverletzt) rechtfertigen insoweit nur die Annahme einer Teil-MdE um 10 v. H ... Denn die Bewegungseinschränkung des Kniegelenks ist nur endgradig, was durch den von Prof. Dr. O. gemessenen Bewegungsradius (0-0-100 links gegenüber 0-0-130 rechts; nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 654 f. können mit einer Beweglichkeit von 0-0-90 noch die meisten beruflichen - auch körperlichen - Tätigkeiten ausgeführt werden) bestätigt wird.
Für die Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich seiner verletzten Hüfte kann keine wesentliche MdE um wenigstens 5 v. H. angenommen werden, weil die Beckenfraktur ohne Erweiterung der Schoßfugen und ohne Instabilität vollständig verheilt ist, (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 579, 584 f.); insoweit hat Dr. P. zu Recht eine MdE um 0 v. H. angenommen.
Betreffen die Unfallfolgen mehrere Körperteile und Organe, so ist das Gesamtbild aller Funktionseinschränkungen mit einem MdE-Wert im Ganzen zu würdigen, d. h. eine Gesamt-MdE zu bilden. Dabei dürfen die einzelnen MdE-Ansätze nicht schematisch zusammengerechnet werden. Entscheidend ist eine integrierende "Gesamtschau der Gesamteinwirkungen" aller Funktionseinschränkungen auf die Erwerbsfähigkeit (vgl. BSGE 48, 82; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 103). Bei der integrierenden Gesamtschau ist der Grad der MdE in aller Regel niedriger als die Summe der Einzelschäden (Einzel-MdE-Grade). Auch sich überlagernde oder überschneidende Funktionseinschränkungen bemessen die Gesamt-MdE geringer als die Summe der einzelnen MdE-Werte (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08.03.2006 - L 17 U 178/04 - UV-Recht Aktuell 2007, 692). Andererseits kann auch eine mehrfache Addition zulässig sein und gar eine höhere Gesamt-MdE als das bloße Additionsergebnis, wenn die einzelnen Funktionseinschränkungen sich gegenseitig verstärken (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 159; vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 07.09.2010 - L 1 U 260/09 -).
Die beiden Teil-MdE der beiden unteren Extremitäten des Klägers um 25 v. H. (rechts) und 10 v.H. (links) sind in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Dr. P. mit einer Gesamt-MdE um 30 v.H. zu bewerten, da die maßgeblichen Funktionseinschränkungen hieraus sich auf das Geh- und Stehvermögen des Klägers beziehen und insoweit eine Überschneidung bzw. Überlagerung der beiden messbaren Teil-MdE besteht. Angesichts des - unter Berücksichtigung des Tragens von orthopädischem Schuhwerk - verbliebenen Geh- und Stehvermögens erscheint danach eine höhere Gesamt-MdE als eine solche um 30 v. H. nicht gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe einer Verletztenrente im Streit.
Der 1955 geborene Kläger wurde am 07.03.2006 während seiner Arbeit als Bauarbeiter bei Abrissarbeiten verletzt, als eine ca. 2 m hohe Mauer einstürzte und auf seinen Unterbauch, sein Becken und beide Beine fiel. Der Kläger wurde notfallärztlich versorgt und ins Klinikum M. gebracht.
Im ersten Zwischenbericht vom 26.04.2006 gaben die Chirurgen Prof. Dr. O., Dr. D.-E. und Dr. R. als Diagnosen an: Polytrauma mit instabiler Beckenringfraktur, Fraktur des Dornfortsatzes LWK 2, Querfortsatzfraktur LWK 4, 2° offene Unterschenkelfraktur links, Fußquetschung rechts mit III° offener Fraktur beider Malleolen, III° offene Talusfraktur und III° offene Calcaneusfraktur, multiple III° offene Metatarsalefrakturen, ausgedehntes Decollement sakral.
Im ersten Rentengutachten vom 15.03.2007 gab Prof. Dr. O. folgende Diagnosen an: Polytrauma, Sitz- und Schambeinfraktur bds., Acetabulumfraktur bds. ohne Gelenkbeteiligung, Sacrumfraktur bds. mit Beteiligung der Iliosakralgelenke (transalar/transsakral links, transsakral rechts), Hämatom M. iliopsoas links und im kleinen Becken, Dornfortsatzfraktur LWK 2, Querfortsatzfraktur LWK 4, Morel-Lavallee-Decollement der LWS und Beckenregion, Unterschenkelfraktur links (II° offen), Fußzerquetschung, Malleolarfraktur bds. III° offen, Talusfraktur rechts III° offen, Calcaneusfraktur rechts III° offen, Luxation im Chopart- und Lisfranc-Gelenk rechts, Fraktur Metatarsale 1/2/3/4/5 (rechts III° offen), Fraktur Os naviculare rechts (III° offen). Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei zum 14.12.2006 eingetreten. Dem Kläger seien noch körperlich leichte und sitzende Tätigkeiten vollschichtig zumutbar. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage dauerhaft 40 von Hundert (v. H.).
In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.03.2007 vertrat Dr. L. die Auffassung, das eine MdE um 40 v. H. dem Verlust eines Beines entspreche, weswegen vorliegend lediglich eine MdE um 30 v. H. anzunehmen sei.
Mit Bescheid vom 08.01.2007, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 26.04.2007, hatte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld nach dem 28.12.2006 eingestellt.
Mit Bescheid vom 25.06.2007 anerkannte die Beklagte das Geschehen vom 07.03.2006 als Arbeitsunfall und gewährte eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 30 v. H. ab dem 29.12.2006 bis auf Weiteres. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: Bewegungseinschränkung des rechten unteren Sprunggelenks (USG), posttraumatische Arthrose des oberen und unteren Sprunggelenkes rechts, Pseudarthrose des IV. Mittelfußknochens rechts sowie in Abweichung verheilte Frakturen der Mittelfußknochen III und V rechts und hierdurch eingeschränkte Geh- und Stehfähigkeit, Versteifung der Zehen 2-5 rechts, eingeschränkte Kniebeugung rechts, einliegendes Osteosynthesematerial iliosakral (Schrauben) rechts sowie im Bereich des linken USG (Tibianagel, Fibulaplatte) mit lokaler Irritation der Weichteile.
Aufgrund der Entscheidung des Sozialgerichts Mannheim (SG) vom 26.11.2007 (Az.: S 10 U 1892/07) verlängerte die Beklagte mit Bescheid vom 15.05.2008 die Verletztengeldzahlung bis zum 03.09.2007 und änderte den Rentenbeginn auf den 04.09.2007 ab.
Im zweiten Rentengutachten durch Prof. Dr. O. vom 30.10.2008 bekräftigte dieser seine Auffassung, dass eine MdE um 40 v. H. vorliege, woraufhin Dr. L. mit beratungsärztlicher Stellungnahme vom 04.12.2008 erneut eine MdE um lediglich 30 v. H. vertrat.
Mit Bescheid vom 15.12.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die bisher als vorläufige Entschädigung gewährte Rente nunmehr auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 30 v. H. festgestellt werde. Als Unfallfolgen wurden anerkannt: Wackelsteife im USG rechts bei Arthrose in den Sprunggelenken rechts, in Fehlstellung abgeheilte Brüche der Mittelfußknochen III-V. rechts, Bewegungseinschränkung in den Grundgelenken der Zehen II-V. rechts mit eingeschränkter Geh- und Stehfähigkeit, Beugeeinschränkung des linken Kniegelenks, mit geringer Achsabweichung knöchern verheilter Bruch des linken Schienbeins mit reizlos einliegendem Osteosynthesematerial.
Den deswegen am 13.01.2009 erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.06.2009 zurück.
Der Kläger hat am 30.06.2009 Klage beim SG erhoben, mit der er sich auf die MdE-Bewertung in den beiden Rentengutachten stützt. Im Auftrag des SG hat der Orthopäde und Unfallchirurg Dr. P. am 13.04.2010 ein Sachverständigengutachten erstellt. Als Unfallfolgen sind hierin angegeben: Unter Fehlstellung abgeheilte Beckenringfraktur mit zwischenzeitlich erfolgter Verknöcherung des linken Kreuzdarmbeingelenkes und knochennarbigen Veränderungen an beiden Sitz- und Schambeinen, initiale Coxarthrose bds., leichte, posttraumatische Arthrose des rechten USG mit geringer Funktionseinschränkung; posttraumatische Einsteifung des USG rechts, komplexe Fußdeformität rechts nach multiplen Verletzungen der Fußwurzel und teilweise in erheblicher Fehlstellung verheilter Mittelfußfrakturen; Fehlstellung der 2. Zehe rechts, Abflachung des Tubergelenkwinkels rechts i. S. eines posttraumatischen Plattfußes, endgradige Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks ohne vorzeitige Verschleißveränderungen bei Zustand nach Marknagelung der Tibia, initiale Arthrose des OSG links bei Zustand nach in leichter Fehlstellung verheilter distaler Tibiafraktur, Empfindungsstörungen im Bereich des lumbosakralen Übergangs und der linken Gesäßhälfte sowie des rechten Fußes, multiple Narben nach Décollement in der Lumbalregion und mehrfachen operativen Eingriffen, Notwendigkeit des Tragens orthopädischer Schuhe. Der Befund an der Wirbelsäule und die Empfindungsstörung der rechten Körperhälfte stünden eindeutig nicht mit dem Unfall im Zusammenhang. Beim Kläger liege seit dem 29.12.2006 durchgängig eine MdE um 30 v. H. vor (mit Hinweis auf Mehrhoff/Meindl/Muhr, 11. Aufl. 2006 S. 167 ff. und Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 579, 584 f., 654 f. und 678 f.). Maßgeblich für diese Einschätzung sei die Heilung der Beckenfraktur ohne Erweiterung der Schoßfugen und ohne Verbleib einer Instabilität. Es liege beim Kläger kein einem Verlust des Unterschenkels oder einer weitgehend belastungsunfähigen unteren Extremität vergleichbarer Zustand vor, welcher mit einer MdE um 40 v. H. zu bewerten wäre. Zwar seien posttraumatische arthrotische Veränderungen an beiden OSG nachgewiesen, diese seien jedoch nur gering ausgeprägt und könnten nicht zu einer höheren Einschätzung der MdE führen.
Mit Urteil vom 25.10.2010 hat das SG die Klage abgewiesen und sich hierbei insbesondere auf das Gutachten des Dr. P. vom 13.04.2010 gestützt. Angesichts dieses aktuellen Gutachtens, welches schlüssig und nachvollziehbar sei, könne die von Prof. Dr. O. angenommene höhere MdE um 40. v. H. nicht als nachgewiesen gelten. Ausschlaggebend sei insoweit insbesondere auch der von der Beklagten vorgebrachte Einwand, dass die Gesundheitsstörungen beim Kläger nicht die Qualität erreichten, die etwa dem Verlust eines Unterschenkels gleichkämen. Je nach Fallgestaltung werde der Verlust eines Unterschenkels jedoch grundsätzlich mit einer MdE um 40. v. H. oder höher bewertet (mit Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 692). Die Tatsache, dass die Beckenfraktur beim Kläger ohne Erweiterung der Schoßfugen (mit Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 579, die insoweit eine MdE um 0 v. H. ansetzten) und ohne Verbleib einer Instabilität vollständig verheilt sei, und dass die Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks insgesamt gering ausgeprägt sei, könne nicht bewertet werden, ohne sie zu anderen Unfallfolgen in Beziehung zu setzen. Insgesamt seien die vorliegenden Gesundheitsstörungen von einer Bewertung mit einer MdE um 40 v. H. entsprechend dem von Dr. P. zitierten Vergleichsfall noch qualitativ deutlich entfernt. Dies müsse letztlich auch in eine entsprechenden Abstufung der MdE zum Ausdruck kommen. Das Urteil des SG ist dem Bevollmächtigten des Klägers am 02.11.2010 zugestellt worden.
Am 09.11.2010 haben die Bevollmächtigten des Klägers beim SG Berufung eingelegt. Der Auffassung, beim Kläger liege lediglich eine MdE um 30. v. H. vor, könne nicht gefolgt werden. Entgegen dem vom SG eingeholten Gutachten sei von Prof. Dr. O. in zwei Rentengutachten eine MdE um 40. v. H. bestätigt worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 25.10.2010 aufzuheben und die Be-klagte unter Abänderung ihres Bescheids vom 15.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.06.2009 zu verurteilen, ihm aufgrund seines Arbeitsunfalls vom 07.03.2006 eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakten, die Akten des SG sowie die Akten des Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach den §§ 143 f. und 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässig Berufung ist unbegründet. Der Senat hat über die Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG durch Beschluss entschieden, weil er das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Im Anhörungsverfahren (vgl. Hinweis vom 03.03.2011) haben sich keine Gesichtspunkte ergeben, von dieser Verfahrensform abzuweichen.
Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung einer höheren Verletztenrente als einer solchen nach einer MdE um 30 v. H. abgelehnt. Gem. § 26 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Entschädigungsleistungen u. a. in Form von Heilbehandlung (§ 27 SGB VII) oder Geldleistungen (Verletztengeld § 45 SGB VII und Rente § 56 SGB VII ). Insbesondere nach § 56 Abs. 1 SGB VII erhalten Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, eine Rente. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 SGB VII).
Erforderlich ist, dass sowohl ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden besteht. Diese so genannte doppelte Kausalität wird nach herkömmlicher Dogmatik bezeichnet als die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität. Für beide Bereiche der Kausalität gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung sowie der Beweismaßstab der - überwiegenden - Wahrscheinlichkeit (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R - , SozR 4-2700 § 8 Nr. 12).
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII), d.h. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (BSGE 1, 174, 178; BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22).
Für die Bewertung einer unfallbedingten MdE kommt es auf die gesamten Umstände des Einzelfalles an. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet (BSG, Urt. vom 26.06.1985 - 2 RU 60/84 -, in: SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23 m.w.N.; BSG, Urt. vom 19.12.2000 - B 2 U 49/99 R -, in: HVBG-Info 2001, 499). Die Sachkunde des ärztlichen Sachverständigen bezieht sich in erster Linie darauf, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Folgen des Arbeitsunfalls beeinträchtigt sind. Schlüssige ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind zwar bedeutsame Anhaltspunkte, besitzen aber keine bindende Wirkung, auch wenn sie eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE darstellen (BSG, Beschluss vom 22.08.1989 - 2 BU 101/89 -, in: HVBG-Info 1989 S. 2268). Bei der Bewertung der MdE sind schließlich auch die in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen oder versicherungsmedizinischen Schrifttum ausgearbeiteten Erfahrungssätze zu beachten, um eine gerechte und gleiche Bewertung der zahlreichen Parallelfälle der täglichen Praxis zu gewährleisten.
Das SG hat nach diesen Grundsätzen zutreffend entschieden, dass auf Grund der Folgen des Arbeitsunfalls keine höhere MdE als 30 v. H. angenommen werden kann. Der Gutachter Dr. P. hat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass beim Kläger auch angesichts der Vielzahl gestellter unfallbedingter Diagnosen die hieraus folgenden Leistungseinschränkungen, welche für die Bewertung der MdE maßgeblich sind, keine schwerwiegenden Beeinträchtigungen im Sinne einer MdE um 40 v. H. verursachen. Nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des Gutachters Dr. P. ist der Kläger unter Benutzung seiner orthopädischen Schuhe in der Lage, sich ohne Zuhilfenahme einer Gehstütze zügig fortzubewegen. Die vom Gutachter festgestellte relativ geringe rechtsseitige Muskelminderung deutet darauf hin, dass keine schwerwiegende Minderbelastbarkeit des rechten Beines vorliegt. Insoweit ist in diesem Bereich keine Funktionseinschränkung vorhanden, die einem Verlust des unteren rechten Beines, wofür eine MdE um 40 v.H. anzunehmen wäre (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 692), vergleichbar wäre. Da das versteifte rechte USG nur eine geringe Funktionseinschränkung aufweist und der Kläger sich in seinen orthopädischen Schuhen flüssig fortbewegen kann, ist insoweit - bei Berücksichtigung der weiteren Funktionseinschränkungen im rechten Vorfuß - lediglich eine MdE um 25 v. H. anzunehmen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 678 f.).
Die Verletzungen im Bereich der linken unteren Extremität (endgradige Funktionseinschränkung des linken Kniegelenks ohne vorzeitige Verschleißveränderungen bei Zustand nach Marknagelung der Tibia, initiale Arthrose des OSG links bei Zustand nach in leichter Fehlstellung verheilter distaler Tibiafraktur; das linke USG des Klägers ist unverletzt) rechtfertigen insoweit nur die Annahme einer Teil-MdE um 10 v. H ... Denn die Bewegungseinschränkung des Kniegelenks ist nur endgradig, was durch den von Prof. Dr. O. gemessenen Bewegungsradius (0-0-100 links gegenüber 0-0-130 rechts; nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 654 f. können mit einer Beweglichkeit von 0-0-90 noch die meisten beruflichen - auch körperlichen - Tätigkeiten ausgeführt werden) bestätigt wird.
Für die Beeinträchtigungen des Klägers im Bereich seiner verletzten Hüfte kann keine wesentliche MdE um wenigstens 5 v. H. angenommen werden, weil die Beckenfraktur ohne Erweiterung der Schoßfugen und ohne Instabilität vollständig verheilt ist, (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 579, 584 f.); insoweit hat Dr. P. zu Recht eine MdE um 0 v. H. angenommen.
Betreffen die Unfallfolgen mehrere Körperteile und Organe, so ist das Gesamtbild aller Funktionseinschränkungen mit einem MdE-Wert im Ganzen zu würdigen, d. h. eine Gesamt-MdE zu bilden. Dabei dürfen die einzelnen MdE-Ansätze nicht schematisch zusammengerechnet werden. Entscheidend ist eine integrierende "Gesamtschau der Gesamteinwirkungen" aller Funktionseinschränkungen auf die Erwerbsfähigkeit (vgl. BSGE 48, 82; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 103). Bei der integrierenden Gesamtschau ist der Grad der MdE in aller Regel niedriger als die Summe der Einzelschäden (Einzel-MdE-Grade). Auch sich überlagernde oder überschneidende Funktionseinschränkungen bemessen die Gesamt-MdE geringer als die Summe der einzelnen MdE-Werte (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08.03.2006 - L 17 U 178/04 - UV-Recht Aktuell 2007, 692). Andererseits kann auch eine mehrfache Addition zulässig sein und gar eine höhere Gesamt-MdE als das bloße Additionsergebnis, wenn die einzelnen Funktionseinschränkungen sich gegenseitig verstärken (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 159; vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 07.09.2010 - L 1 U 260/09 -).
Die beiden Teil-MdE der beiden unteren Extremitäten des Klägers um 25 v. H. (rechts) und 10 v.H. (links) sind in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Dr. P. mit einer Gesamt-MdE um 30 v.H. zu bewerten, da die maßgeblichen Funktionseinschränkungen hieraus sich auf das Geh- und Stehvermögen des Klägers beziehen und insoweit eine Überschneidung bzw. Überlagerung der beiden messbaren Teil-MdE besteht. Angesichts des - unter Berücksichtigung des Tragens von orthopädischem Schuhwerk - verbliebenen Geh- und Stehvermögens erscheint danach eine höhere Gesamt-MdE als eine solche um 30 v. H. nicht gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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