Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
26
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 26 R 1338/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 32/11 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
1.Die Klage wird abgewiesen. 2.Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. 3.Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die rentensteigernde Berücksichtigung einer weiteren Ghetto-Beitragszeit bei seiner nach dem ZRBG gewährten Altersrente, gegebenenfalls mit einer Neufeststellung der Rente wegen dieser weiteren Zeit auch schon rückwirkend seit dem 01.07.1997.
Der Kläger ist am 00.00.1913 geboren und israelischer Staatsangehöriger. Er beantragte erstmals 1999 eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung und gab damals an, im Ghetto von Kaunas als jüdischer Arbeiter gearbeitet zu haben. Der damalige Antrag wurde mit Bescheid vom 08.11.1999 bestandskräftig abgelehnt, weil der Kläger diverse Antragsunterlagen nicht eingereicht hatte und nach Aktenlage Zeiten noch nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden seien.
Am 30.10.2002 beantragte der Kläger erneut eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung auch des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Mit diversen Schreiben bzw. Mitteilungen, die zum Teil als Bescheide qualifiziert wurden von den Beteiligten, und dem Widerspruchsbescheid vom 08.09.2005 regelte die Beklagte, unter welchen Voraussetzungen ihrer Auffassung nach eine Rentengewährung nur und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt in Betracht käme. Zwar sei inzwischen nach dem ZRBG eine Ghetto-Beitragszeit anzuerkennen, aber nach Aktenlage nur für die Zeit vom 01.02.1943 bis 30.09.1944 (und nicht weitergehende Zeiträume). Damit und auch mit den Ersatzzeiten sei hier aber die Wartezeit bisher noch nicht erfüllt, ohne weitere - freiwillige - Beiträge.
In der Folgezeit stritten die Beteiligten gerichtlich darum, ob die Zugangsbedingungen doch als erfüllt anzusehen seien, insbesondere darum, ob es im Fall der Entrichtung weiterer - freiwilliger - Beiträge zu einer Rentenzahlung schon ab dem 01.10.1998 kommen könne oder erst ab einem späteren Zeitpunkt, eventuell erst ab Juni 2002 mit der Verkündung des ZRBG. Im Vorprozess S 10 R 423/05, den das Sozialgericht Düsseldorf jetzt beigezogen hat, erklärte die Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 02.05.2006: "Unter Hinweis auf den Widerspruchsbescheid ... wird um die weitere Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten von Oktober 1941 bis Januar 1943 (16 Monate) gestritten ... Da die streitige Ghetto-Zeit von Oktober 1941 bis 31.01.1943 voll mit Ersatzzeiten belegt ist, kann auf diese Zeit als Beitragszeit verzichtet werden, zumal durch diese Zeiten keine weiteren Monate auf die Wartezeit anrechenbar werden ..." (Bl. 13 der Vorprozessakte).
Das Sozialgericht Düsseldorf gab der damaligen Klage mit Urteil vom 05.12.2006 statt mit der Maßgabe, dass im Fall der Entrichtung freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente bereits ab 01.10.1998 beginnen könne.
Dagegen legten die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlussberufung ein.
Das LSG NRW wies mit Urteil vom 23.05.2007 die Klage teilweise ab, fasste den Urteilstenor teilweise neu und die Berufung der Beklagten teilweise zurück und verwarf die Anschlussberufung als unzulässig. Es sei bisher gar keine Rente abgelehnt worden, sondern nur bezüglich der Zugangsbedingungen zur Rente die Beklagte bisher von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen. So heißt es im Urteil unter anderem, der Kläger sei berechtigt, für die Zeit von Januar 1997 bis September 1998 21 freiwillige Beiträge zu entrichten, um die Regelaltersrente bereits ab dem 01.10.1998 erhalten zu können.
Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht ein, auf die hin das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 21.01.2009 (B 12 R 25/07 B) die Revision zuließ. Im Rahmen des daraufhin durchgeführten Revisionsverfahrens erkannte die Beklagte nun weitere Ersatzzeiten bis Dezember 1949 an, vor dem Hintergrund diverser Entscheidungen des Bundessozialgerichs vom Mai 2009. Dementsprechend unterbreitete die Beklagte mit Schriftsatz vom 15.10.2009 über das Bundessozialgericht einen Vergleichsvorschlag, in dem es heißt: "Die Beklagte erkennt unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19.05.2009 weitere Verfolgungsersatzzeiten von Oktober 1944 bis Dezember 1949 an. Sie wird dem Kläger Altersrente aus diesen und den bereits anerkannten Versicherungszeiten für die Zeit ab dem 01.07.1997 gewähren. Die Beklage übernimmt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren zu 2/3. Der Kläger leitet aus den Urteilen des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.12.2006 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23.05.2007 keine weitergehende Rechte her und erklärt den Rechtsstreit insgesamt für erledigt."
Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 22.12.2009 den Vergleichsvorschlag noch dahingehend erweiterte, dass sie auch mit der Übernahme von 3/4 der Kosten einverstanden wäre, stimmte die Bevollmächtigte des Klägers nunmehr der Kostenregelung zu und erklärte damit den Rechtsstreit insgesamt für erledigt.
Die Beklagte erteilte dann zur Ausführung des Vergleichs den Rentenbescheid vom 23.02.2010, mit dem sie Rente - ab 01.07.1997 - gewährt in Höhe von monatlich nun 378,60 EUR. In der Rechtsbehelfsbelehrung dieses Bescheides heißt es: "Dieser Bescheid ergeht aufgrund des Vergleichs vom 15.10.2009. Der Rechtsbehelf gegen diesen Bescheid ist nur zulässig, soweit er sich gegen die Ausführung des Vergleichs richtet."
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 03.03.2010 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Beklagte habe eine ZRBG-Beitragszeit auf dem Flugplatz von Kaunas noch nicht berücksichtigt. Das müsse auch bei einer vergleichsweisen Beendigung des Verfahrens von Amts wegen nochmal geprüft und berücksichtigt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.05.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dieser sei schon unzulässig, und deshalb in der Sache nicht weiter zu prüfen. Dazu führte die Beklagte noch ergänzend aus, dass der Kläger sich auf den Vergleichsvorschlag der Beklagten vom 15.10.2009 eingelassen habe und diesen angenommen habe. Diesen Vergleich habe sie korrekt ausgeführt, sodass ein weitergehendes Begehren im Rahmen eines jetzigen Widerspruchsverfahrens nicht zulässig sei. Das Widerspruchsschreiben vom 03.03.2010 könnte somit nur als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X angesehen werden, über den die Beklagte noch zu gegebener Zeit entscheiden werde.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 10.06.2010 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Zur Begründung nimmt der Kläger Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Insbesondere sei er - wegen seines behaupteten Anspruchs auf Anerkennung weiterer rentensteigernder Ghetto-Beitragszeiten - nicht durch den abgeschlossenen Vergleich beim Bundessozialgericht in der Fassung des Schriftsatzes der Beklagten vom 15.10.2009 von Einwänden bzw. Widerspruchsrechten ausgeschlossen. Er müsse sich nicht auf ein nachfolgendes Überprüfungsverfahren (mit einem potenziell erst späteren Beginn der Leistungs-Erhöhung erst nach Juli 1997) verweisen lassen bzw. einlassen. Der im Vorprozess erklärte Verzicht vom 02.05.2006 sei nur vor dem Hintergrund zu sehen, dass es damals für die entscheidende Wartezeiterfüllung ohnehin nicht auf weitere Ghetto-Zeiten angekommen wäre, weil sich mit diesen die Wartezeit noch nicht hätte erfüllen lassen. Der Verzicht sei nicht als Verzicht auf auch potenziell steigernde Ghetto-Zeiten anzusehen.
Insbesondere wird auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 14.09.2010 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.02.2010 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010 zu verurteilen, ihm - dem Kläger - unter Anerkennung weiterer Ghetto-Beitragszeiten - vom 01.07.1941 bis 31.01.1943 - die ihm gewährte Regelaltersrente neu zu berechnen und neu festzustellen, und die daraus resultierende Rente bereits ab 01.07.1997 auszuzahlen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und hält diese für weiterhin zutreffend. Danach habe sie im Rahmen der Ausführung des Vergleiches und der Erteilung des Rentenbescheides in der Sache nicht über den Widerspruch entscheiden können und dürfen, weshalb auch im Klageverfahren keine sachliche Auseinandersetzung mit dem Begehren nach einer weiteren Ghetto-Zeit erfolgt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 23.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010, sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil die Beklagte mit diesen Bescheiden die Regelaltersrente des Klägers zu Recht nur nach Maßgabe des im Vorprozess geschlossenen Vergleiches berechnet hat, ohne über die im Vorprozess und im früheren Verwaltungsverfahren schon anerkannten Zeiträume, wie sie sich aus dem Versicherungsverlauf vom 21.11.2003 (Bl. 72 der Verwaltungsakte) ergeben, und ohne über die im Vergleichsvorschlag anerkannten weiteren Ersatzzeiten hinaus noch weitere Versicherungszeiten zu berücksichtigen, bevor ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X durchgeführt ist.
Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Ergänzend führt das Sozialgericht Düsseldorf noch folgendes aus: Das Sozialgericht Düsseldorf stimmt der Auffassung der Beklagten zu, dass durch das Eintreten der Wirksamkeit des über das Bundessozialgericht geschlossenen außergerichtlichen Vergleiches, so wie er mit Schriftsatz vom 15.10.2009 und ergänzendem Schriftsatz vom 22.12.2009 fixiert wurde, der Vergleich für die Beteiligten bindend geworden ist mit der Folge, dass nur die im Versicherungsverlauf vom 21.11.2003 schon anerkannten Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind sowie die im Vergleich vom 15.11.2009 fixierten weiteren Ersatzzeiten, und weitere Beitragszeiten aus Ghetto-Zeiten - die ursprünglich noch geltend gemacht wurden - nicht mehr bzw. nicht erneut zu prüfen waren. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass mit dem Schriftsatz vom 02.05.2006 ausdrücklich auf die jetzt streitbefangenen Zeiten von Oktober 1941 bis Januar 1943 "als Beitragszeit verzichtet" wurden. Die Beklagte darf sich bei der Unterbreitung eines Vergleichsvorschlages, wenn er angenommen wird, nämlich darauf verlassen, dass jetzt nur noch die zuletzt geltend gemachten Zeiten im Streit waren. Das Gericht sieht sich bestätigt z. B. durch die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.03.2010 - L 3 R 515/06 -, wonach bei Annahme einer vergleichsweisen Regelung - quasi im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrags - gleichzeitig auf die Geltendmachung weiterer Rechte verzichtet wird. Wäre es anders, bliebe nämlich bei jedem Vergleichsvorschlag unklar, was noch bzw. weiterhin geltend gemacht wird, und die Unterbreitung von Vergleichsvorschlägen würde keinen Sinn machen, wenn dadurch nicht Rechtssicherheit zwischen den Beteiligten geschaffen würde. Es kann schließlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte möglicherweise den Vergleichsvorschlag vom 15.10.2009 nicht so gemacht hätte bzw. nicht in dieser Form gemacht hätte, wenn jetzt noch weitere Punkte offen sein sollten. Schließlich würde es auch gegen den Grundgedanken des Verbotes widersprüchlichen Prozessverhaltens ("venire contra factum proprium") verstoßen, wenn schon in einem ganz frühen Stadium des Vorprozesses - hier mit Schriftsatz vom 02.05.2006 - auf die Anerkennung weiterer Ghetto-Zeiten verzichtet würde, und diese hinterher doch bei Ausführung des Vergleiches wieder geltend gemacht würden, ohne dass dies - wenigstens in engem zeitlichem Zusammenhang um dem Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses herum - wieder deutlich gemacht würde. Deshalb tritt die Kammer im hier entschiedenen Streitfall der Auffassung der Beklagten bei, dass weitere Versicherungszeiten nicht im Wege eines Widerspruchs gegen den Ausführungsbescheid geltend gemacht werden können, jedenfalls dann, wenn auf die nun wieder begehrten Zeiten schon im Vorprozess verzichtet wurde. Dabei macht es nach Auffassung der Kammer auch keinen Unterschied, vor welchem Hintergrund der Verzicht erklärt wurde; sei es ein Verzicht nur deshalb gewesen, weil weitere Versicherungszeiten für die Wartezeit irrelevant waren, oder sei es ein Verzicht auch auf Rentensteigerung gewesen, denn ein einmal erklärter Verzicht ist eine Prozesserklärung und kann nicht je nach Prozessentwicklung wieder in Frage gestellt werden nur abhängig von den inneren Motiven. Ein eventueller Motivirrtum muss deshalb hier unbeachtlich bleiben.
Die Beklagte mag deshalb den im Widerspruchsschreiben liegenden hilfsweisen Überprüfungsantrag zu gegebener Zeit bescheiden und im Falle der Stattgabe prüfen, ob dieser ggf. auch zu einer rückwirkenden Rentensteigerung schon seit 01.07.1997 führen könnte oder nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Die Kammer hat hier nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Berufung zugelassen, weil sie grundsätzliche Bedeutung bejaht bezüglich der streitigen Rechtsfrage, ob bei Ausführung eines Vergleiches schon einmal streitig gewesene Versicherungszeiten erneut zu prüfen sind im Rahmen der Ausführung bzw. im Rahmen der Widerspruchseinlegung gegen einen Ausführungsbescheid. Grundsätzliche Bedeutung kann auch deshalb bejaht werden, weil beim Sozialgericht Düsseldorf bereits zahlreiche Rechtsfälle in ZRBG-Verfahren anhängig sind, in denen darum gestritten wird, inwieweit früher einmal streitig gewesene Zeiten nach dem ZRBG erneut zu prüfen sind, im Rahmen eines Widerspruchs oder im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die rentensteigernde Berücksichtigung einer weiteren Ghetto-Beitragszeit bei seiner nach dem ZRBG gewährten Altersrente, gegebenenfalls mit einer Neufeststellung der Rente wegen dieser weiteren Zeit auch schon rückwirkend seit dem 01.07.1997.
Der Kläger ist am 00.00.1913 geboren und israelischer Staatsangehöriger. Er beantragte erstmals 1999 eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung und gab damals an, im Ghetto von Kaunas als jüdischer Arbeiter gearbeitet zu haben. Der damalige Antrag wurde mit Bescheid vom 08.11.1999 bestandskräftig abgelehnt, weil der Kläger diverse Antragsunterlagen nicht eingereicht hatte und nach Aktenlage Zeiten noch nicht ausreichend glaubhaft gemacht worden seien.
Am 30.10.2002 beantragte der Kläger erneut eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung, nun unter Berücksichtigung auch des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Mit diversen Schreiben bzw. Mitteilungen, die zum Teil als Bescheide qualifiziert wurden von den Beteiligten, und dem Widerspruchsbescheid vom 08.09.2005 regelte die Beklagte, unter welchen Voraussetzungen ihrer Auffassung nach eine Rentengewährung nur und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt in Betracht käme. Zwar sei inzwischen nach dem ZRBG eine Ghetto-Beitragszeit anzuerkennen, aber nach Aktenlage nur für die Zeit vom 01.02.1943 bis 30.09.1944 (und nicht weitergehende Zeiträume). Damit und auch mit den Ersatzzeiten sei hier aber die Wartezeit bisher noch nicht erfüllt, ohne weitere - freiwillige - Beiträge.
In der Folgezeit stritten die Beteiligten gerichtlich darum, ob die Zugangsbedingungen doch als erfüllt anzusehen seien, insbesondere darum, ob es im Fall der Entrichtung weiterer - freiwilliger - Beiträge zu einer Rentenzahlung schon ab dem 01.10.1998 kommen könne oder erst ab einem späteren Zeitpunkt, eventuell erst ab Juni 2002 mit der Verkündung des ZRBG. Im Vorprozess S 10 R 423/05, den das Sozialgericht Düsseldorf jetzt beigezogen hat, erklärte die Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 02.05.2006: "Unter Hinweis auf den Widerspruchsbescheid ... wird um die weitere Anerkennung von Ghetto-Beitragszeiten von Oktober 1941 bis Januar 1943 (16 Monate) gestritten ... Da die streitige Ghetto-Zeit von Oktober 1941 bis 31.01.1943 voll mit Ersatzzeiten belegt ist, kann auf diese Zeit als Beitragszeit verzichtet werden, zumal durch diese Zeiten keine weiteren Monate auf die Wartezeit anrechenbar werden ..." (Bl. 13 der Vorprozessakte).
Das Sozialgericht Düsseldorf gab der damaligen Klage mit Urteil vom 05.12.2006 statt mit der Maßgabe, dass im Fall der Entrichtung freiwilliger Beiträge eine Regelaltersrente bereits ab 01.10.1998 beginnen könne.
Dagegen legten die Beklagte Berufung und der Kläger Anschlussberufung ein.
Das LSG NRW wies mit Urteil vom 23.05.2007 die Klage teilweise ab, fasste den Urteilstenor teilweise neu und die Berufung der Beklagten teilweise zurück und verwarf die Anschlussberufung als unzulässig. Es sei bisher gar keine Rente abgelehnt worden, sondern nur bezüglich der Zugangsbedingungen zur Rente die Beklagte bisher von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen. So heißt es im Urteil unter anderem, der Kläger sei berechtigt, für die Zeit von Januar 1997 bis September 1998 21 freiwillige Beiträge zu entrichten, um die Regelaltersrente bereits ab dem 01.10.1998 erhalten zu können.
Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundessozialgericht ein, auf die hin das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 21.01.2009 (B 12 R 25/07 B) die Revision zuließ. Im Rahmen des daraufhin durchgeführten Revisionsverfahrens erkannte die Beklagte nun weitere Ersatzzeiten bis Dezember 1949 an, vor dem Hintergrund diverser Entscheidungen des Bundessozialgerichs vom Mai 2009. Dementsprechend unterbreitete die Beklagte mit Schriftsatz vom 15.10.2009 über das Bundessozialgericht einen Vergleichsvorschlag, in dem es heißt: "Die Beklagte erkennt unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19.05.2009 weitere Verfolgungsersatzzeiten von Oktober 1944 bis Dezember 1949 an. Sie wird dem Kläger Altersrente aus diesen und den bereits anerkannten Versicherungszeiten für die Zeit ab dem 01.07.1997 gewähren. Die Beklage übernimmt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren zu 2/3. Der Kläger leitet aus den Urteilen des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.12.2006 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23.05.2007 keine weitergehende Rechte her und erklärt den Rechtsstreit insgesamt für erledigt."
Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 22.12.2009 den Vergleichsvorschlag noch dahingehend erweiterte, dass sie auch mit der Übernahme von 3/4 der Kosten einverstanden wäre, stimmte die Bevollmächtigte des Klägers nunmehr der Kostenregelung zu und erklärte damit den Rechtsstreit insgesamt für erledigt.
Die Beklagte erteilte dann zur Ausführung des Vergleichs den Rentenbescheid vom 23.02.2010, mit dem sie Rente - ab 01.07.1997 - gewährt in Höhe von monatlich nun 378,60 EUR. In der Rechtsbehelfsbelehrung dieses Bescheides heißt es: "Dieser Bescheid ergeht aufgrund des Vergleichs vom 15.10.2009. Der Rechtsbehelf gegen diesen Bescheid ist nur zulässig, soweit er sich gegen die Ausführung des Vergleichs richtet."
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 03.03.2010 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, die Beklagte habe eine ZRBG-Beitragszeit auf dem Flugplatz von Kaunas noch nicht berücksichtigt. Das müsse auch bei einer vergleichsweisen Beendigung des Verfahrens von Amts wegen nochmal geprüft und berücksichtigt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.05.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dieser sei schon unzulässig, und deshalb in der Sache nicht weiter zu prüfen. Dazu führte die Beklagte noch ergänzend aus, dass der Kläger sich auf den Vergleichsvorschlag der Beklagten vom 15.10.2009 eingelassen habe und diesen angenommen habe. Diesen Vergleich habe sie korrekt ausgeführt, sodass ein weitergehendes Begehren im Rahmen eines jetzigen Widerspruchsverfahrens nicht zulässig sei. Das Widerspruchsschreiben vom 03.03.2010 könnte somit nur als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X angesehen werden, über den die Beklagte noch zu gegebener Zeit entscheiden werde.
Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 10.06.2010 Klage zum Sozialgericht Düsseldorf erhoben.
Zur Begründung nimmt der Kläger Bezug auf sein bisheriges Vorbringen und vertieft dieses. Insbesondere sei er - wegen seines behaupteten Anspruchs auf Anerkennung weiterer rentensteigernder Ghetto-Beitragszeiten - nicht durch den abgeschlossenen Vergleich beim Bundessozialgericht in der Fassung des Schriftsatzes der Beklagten vom 15.10.2009 von Einwänden bzw. Widerspruchsrechten ausgeschlossen. Er müsse sich nicht auf ein nachfolgendes Überprüfungsverfahren (mit einem potenziell erst späteren Beginn der Leistungs-Erhöhung erst nach Juli 1997) verweisen lassen bzw. einlassen. Der im Vorprozess erklärte Verzicht vom 02.05.2006 sei nur vor dem Hintergrund zu sehen, dass es damals für die entscheidende Wartezeiterfüllung ohnehin nicht auf weitere Ghetto-Zeiten angekommen wäre, weil sich mit diesen die Wartezeit noch nicht hätte erfüllen lassen. Der Verzicht sei nicht als Verzicht auf auch potenziell steigernde Ghetto-Zeiten anzusehen.
Insbesondere wird auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 14.09.2010 Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.02.2010 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010 zu verurteilen, ihm - dem Kläger - unter Anerkennung weiterer Ghetto-Beitragszeiten - vom 01.07.1941 bis 31.01.1943 - die ihm gewährte Regelaltersrente neu zu berechnen und neu festzustellen, und die daraus resultierende Rente bereits ab 01.07.1997 auszuzahlen, hilfsweise die Sprungrevision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte nimmt Bezug auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und hält diese für weiterhin zutreffend. Danach habe sie im Rahmen der Ausführung des Vergleiches und der Erteilung des Rentenbescheides in der Sache nicht über den Widerspruch entscheiden können und dürfen, weshalb auch im Klageverfahren keine sachliche Auseinandersetzung mit dem Begehren nach einer weiteren Ghetto-Zeit erfolgt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom 23.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.05.2010, sind nicht rechtswidrig und beschweren den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil die Beklagte mit diesen Bescheiden die Regelaltersrente des Klägers zu Recht nur nach Maßgabe des im Vorprozess geschlossenen Vergleiches berechnet hat, ohne über die im Vorprozess und im früheren Verwaltungsverfahren schon anerkannten Zeiträume, wie sie sich aus dem Versicherungsverlauf vom 21.11.2003 (Bl. 72 der Verwaltungsakte) ergeben, und ohne über die im Vergleichsvorschlag anerkannten weiteren Ersatzzeiten hinaus noch weitere Versicherungszeiten zu berücksichtigen, bevor ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X durchgeführt ist.
Zur Meidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Sozialgericht Düsseldorf gemäß § 136 Abs. 3 SGG Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden, erklärt sie für richtig und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Ergänzend führt das Sozialgericht Düsseldorf noch folgendes aus: Das Sozialgericht Düsseldorf stimmt der Auffassung der Beklagten zu, dass durch das Eintreten der Wirksamkeit des über das Bundessozialgericht geschlossenen außergerichtlichen Vergleiches, so wie er mit Schriftsatz vom 15.10.2009 und ergänzendem Schriftsatz vom 22.12.2009 fixiert wurde, der Vergleich für die Beteiligten bindend geworden ist mit der Folge, dass nur die im Versicherungsverlauf vom 21.11.2003 schon anerkannten Versicherungszeiten zu berücksichtigen sind sowie die im Vergleich vom 15.11.2009 fixierten weiteren Ersatzzeiten, und weitere Beitragszeiten aus Ghetto-Zeiten - die ursprünglich noch geltend gemacht wurden - nicht mehr bzw. nicht erneut zu prüfen waren. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass mit dem Schriftsatz vom 02.05.2006 ausdrücklich auf die jetzt streitbefangenen Zeiten von Oktober 1941 bis Januar 1943 "als Beitragszeit verzichtet" wurden. Die Beklagte darf sich bei der Unterbreitung eines Vergleichsvorschlages, wenn er angenommen wird, nämlich darauf verlassen, dass jetzt nur noch die zuletzt geltend gemachten Zeiten im Streit waren. Das Gericht sieht sich bestätigt z. B. durch die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.03.2010 - L 3 R 515/06 -, wonach bei Annahme einer vergleichsweisen Regelung - quasi im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrags - gleichzeitig auf die Geltendmachung weiterer Rechte verzichtet wird. Wäre es anders, bliebe nämlich bei jedem Vergleichsvorschlag unklar, was noch bzw. weiterhin geltend gemacht wird, und die Unterbreitung von Vergleichsvorschlägen würde keinen Sinn machen, wenn dadurch nicht Rechtssicherheit zwischen den Beteiligten geschaffen würde. Es kann schließlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte möglicherweise den Vergleichsvorschlag vom 15.10.2009 nicht so gemacht hätte bzw. nicht in dieser Form gemacht hätte, wenn jetzt noch weitere Punkte offen sein sollten. Schließlich würde es auch gegen den Grundgedanken des Verbotes widersprüchlichen Prozessverhaltens ("venire contra factum proprium") verstoßen, wenn schon in einem ganz frühen Stadium des Vorprozesses - hier mit Schriftsatz vom 02.05.2006 - auf die Anerkennung weiterer Ghetto-Zeiten verzichtet würde, und diese hinterher doch bei Ausführung des Vergleiches wieder geltend gemacht würden, ohne dass dies - wenigstens in engem zeitlichem Zusammenhang um dem Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses herum - wieder deutlich gemacht würde. Deshalb tritt die Kammer im hier entschiedenen Streitfall der Auffassung der Beklagten bei, dass weitere Versicherungszeiten nicht im Wege eines Widerspruchs gegen den Ausführungsbescheid geltend gemacht werden können, jedenfalls dann, wenn auf die nun wieder begehrten Zeiten schon im Vorprozess verzichtet wurde. Dabei macht es nach Auffassung der Kammer auch keinen Unterschied, vor welchem Hintergrund der Verzicht erklärt wurde; sei es ein Verzicht nur deshalb gewesen, weil weitere Versicherungszeiten für die Wartezeit irrelevant waren, oder sei es ein Verzicht auch auf Rentensteigerung gewesen, denn ein einmal erklärter Verzicht ist eine Prozesserklärung und kann nicht je nach Prozessentwicklung wieder in Frage gestellt werden nur abhängig von den inneren Motiven. Ein eventueller Motivirrtum muss deshalb hier unbeachtlich bleiben.
Die Beklagte mag deshalb den im Widerspruchsschreiben liegenden hilfsweisen Überprüfungsantrag zu gegebener Zeit bescheiden und im Falle der Stattgabe prüfen, ob dieser ggf. auch zu einer rückwirkenden Rentensteigerung schon seit 01.07.1997 führen könnte oder nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, 4 SGG.
Die Kammer hat hier nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Berufung zugelassen, weil sie grundsätzliche Bedeutung bejaht bezüglich der streitigen Rechtsfrage, ob bei Ausführung eines Vergleiches schon einmal streitig gewesene Versicherungszeiten erneut zu prüfen sind im Rahmen der Ausführung bzw. im Rahmen der Widerspruchseinlegung gegen einen Ausführungsbescheid. Grundsätzliche Bedeutung kann auch deshalb bejaht werden, weil beim Sozialgericht Düsseldorf bereits zahlreiche Rechtsfälle in ZRBG-Verfahren anhängig sind, in denen darum gestritten wird, inwieweit früher einmal streitig gewesene Zeiten nach dem ZRBG erneut zu prüfen sind, im Rahmen eines Widerspruchs oder im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens.
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