Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 24 AS 3546/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 345/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 18. Juli 2011 wird aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Entziehungsbescheid des Antragsgegners vom 18. Mai 2011 wird angeordnet.
Der Antragsgegner ist verpflichtet, dem Antragssteller für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis zum 30. September 2011 entsprechend der vorläufigen Bewilligung vom 29. März 2011 monatliche Leistungen in Höhe von 411,73 EUR zu gewähren.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Entziehung vorläufig bewilligter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der Antragsgegner ist seit dem 1. Januar 2011 als Rechtsnachfolger der Arbeitsgemeinschaft SGB II S. (Arge) der für die Erbringung von Grundsicherungsleistungen für den Antragsteller zuständige Leistungsträger.
Der am 1959 geborene Antragsteller lebt alleine in einem Eigenheim; er ist selbständig und betreibt ein Gewerbe mit dem Geschäftsbereich Wassertechnik und Wasseraufbereitung. Erstmals für die Zeit vom 19. Januar 2006 bis zum 31. Juli 2006 bewilligte die Arge dem Antragsteller Arbeitslosengeld II (Alg II) als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. In der Folgezeit kam es zwischen den Beteiligten immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zur Höhe des dem Antragsteller zustehenden Anspruchs und darüber, ob Leistungen von der Arge bzw. dem Antragsgegner zu Recht wegen fehlender Mitwirkung versagt worden waren.
Für den Zeitraum ab dem 1. April 2011 beantragte der Antragsteller am 25. März 2011 beim Antragsgegner eine Weiterbewilligung der Leistungen. Dabei gab er im Wesentlichen an, die dem Antragsgegner bekannten Verhältnisse hätten sich nicht geändert. Der Antragsgegner bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 29. März 2011 für den Leistungszeitraum vom 1. April 2011 bis 30. September 2011 vorläufig Leistungen in einer Höhe von 411,73 EUR monatlich. Als Rechtsgrundlage für die vorläufige Bewilligung war § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches – Arbeitsförderung (SGB III) angegeben. Im Bescheid führte der Antragsgegner aus, eine abschließende Entscheidung sei erst möglich, wenn die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum feststünden. Der Antragsteller werde gebeten, für die hierzu erforderlichen Angaben den Vordruck "Abschließende Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft nach Ablauf des Bewilligungszeitraums" zu verwenden. Würden Einnahmen und Ausgaben nicht innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach dem Ende des Bewilligungszeitraums nachgewiesen, könne der Grundsicherungsträger das Einkommen im Bewilligungszeitraum für die abschließende Entscheidung schätzen. Der Antragsteller werde deshalb - in seinem eigenen Interesse – gebeten, unverzüglich nach dem Ende des Bewilligungszeitraums die erforderlichen Unterlagen einzureichen. Mit einem Schreiben vom 13. April 2011 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, die vorläufige EKS (gemeint ist das Formular für die Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft) für den Zeitraum vom 1. April 2011 bis zum 30. September 2011 vorzulegen und weiter seinen Personalausweises (Vor- und Rückseite) vorzulegen sowie "lückenlose" von der Bank erstellte Kontoauszüge für die Zeit ab 1. August 2010 bis laufend einzureichen. Als Abgabetermin wurde der 30. April 2011 genannt. Das Schreiben war mit einem Hinweis versehen: "Haben Sie bis zu dem genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie keine Leistungen erhalten." Mit einem Bescheid vom 18. Mai 2011 stellte der Antragsgegner dann gegenüber dem Antragsteller fest, die vorläufig bewilligten Leistungen würden ihm für die Zeit vom 1. Juni 2011 ab "ganz entzogen". Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe die fehlenden "Unterlagen/Nachweise EKS für den Zeitraum 1.4.2011 bis 30.09.2011" bisher nicht vorgelegt. Er habe damit die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Es seien keine Ermessensgesichtspunkte erkennbar, die zu seinen Gunsten hätten berücksichtigt werden können.
Mit einem Schreiben vom 30. Mai 2011 übersandte der Antragsteller dem Antragsgegner ein nur teilweise ausgefülltes Formular EKS. Dazu gab der Antragsteller an, er habe bis zum heutigen Zeitpunkt keine Ausfüllhinweise erhalten, ohne die das Formular für ihn unverständlich sei. Weiter beigefügt waren dem Schreiben mehrere Seiten mit einer betriebswirtschaftlichen Auswertung für die Zeit von August 2010 bis Dezember 2010 und einer vorläufigen Gewinnermittlung bzw. einer vorläufigen betriebswirtschaftlichen Auswertung für die Zeit von Januar bis März 2011, wobei für das 1. Quartal 2011 ein Gewinn von (nur) 242,89 EUR ausgewiesen wurde. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die in Kopie übermittelten Verwaltungsakten – insoweit ohne Blattzahlen – verwiesen.
Gegen den Bescheid vom 18. Mai 2011 erhob der Antragsteller am 27. Juni 2011 Widerspruch. Zur Begründung führte er sinngemäß aus, ihm seien bisher keine Formularvordrucke EKS nebst Ausfüllhilfen übermittelt worden. Darauf habe er auch schon mehrfach telefonisch hingewiesen. Ihm könne deshalb keine fehlende Mitwirkung vorgeworfen werden, denn die Erfüllung der an ihn gestellten Forderung sei ihm wegen der fehlenden Formulare unmöglich gewesen. Zudem habe der Antragsgegner bei der Aufhebung der vorläufigen Bewilligung kein Ermessen ausgeübt. Er habe nicht berücksichtigt, dass es sich nur um eine vorläufige Leistungsbewilligung handele, die unter dem Vorbehalt der Rückforderung stehe.
Der Antragsteller hat am 30. Juni 2011 beim Sozialgericht Halle (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren gestellt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. April 2011 bis zum 30. September 2011 vorläufig die ihm zustehenden Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 18. Juli 2011 als unzulässig abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Das für eine gerichtliche Entscheidung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis sei nicht ersichtlich. Die Anforderung von für die Prüfung des Leistungsanspruchs erforderlichen Unterlagen durch den Leistungsträger sei zulässig und es bestünden im konkreten Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner sein Begehren nicht mit dem Antragsgegner klären könne.
Gegen den ihm am 20. Juli 2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 20. August 2011 Beschwerde eingelegt. In einem vom Berichterstatter durchgeführten Erörterungstermin am 15. September 2011 mit den Beteiligten hat der Antragsteller sein Begehren beschränkt bzw. klargestellt.
Er beantragt demnach nunmehr,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 18. Juli 2011 aufzuheben und den Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung in diesem Verfahren zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis zum 30. September 2011 entsprechend der vorläufigen Bewilligung unter Aufhebung des zwischenzeitlichen Versagungsbescheides monatliche Leistungen in Höhe von 411,73 EUR zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält die Versagungsentscheidung für rechtmäßig und meint, der Antragsteller wolle offensichtlich Leistungen beziehen, ohne die erforderlichen Unterlagen vorzulegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie gemäß § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Der Ausschluss der Beschwerde nach § 172 SGG greift nicht ein, weil das Begehren des Antragsstellers letztlich auf einen Leistungsbetrag gerichtet ist, der über dem für die Zulässigkeit einer Berufung erforderlichen Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,00 EUR liegt.
Die Beschwerde ist im sich nunmehr aus den im Erörterungstermin vom 15. September 2011 gestellten Anträgen ergebenden Umfang auch begründet. Das SG hat zu Unrecht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Das Begehren des Antragstellers ist als Antrag nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG auszulegen, der auf die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 18. Mai 2011 gerichtet ist. Mit diesem Bescheid hat der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller die diesem mit Bescheid vom 29. März 2011 bewilligten vorläufigen Leistungen für die Zeit ab dem 1. Juni 2011 vollständig entzogen. Widerspruch und Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung, weil diese gesetzlich durch § 39 SGB II ausgeschlossen ist. Insofern ist der Rechtsschutzantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht gerichtet. Die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ist Voraussetzung dafür, die vom Antragsteller letztlich begehrte Leistungsbewilligung zu erreichen. Wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Entziehungsbescheid festgestellt, so hat der Antragsgegner die mit Bescheid vom 29. März 2011 vorläufig bewilligten Leistungen zu erbringen. Einer besonderen Verpflichtung des Leistungsträgers hierzu bedarf es nicht; sie kann aber wie geschehen vom Gericht klarstellend festgestellt werden.
Über den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung entscheidet das angerufene Gericht aufgrund einer Interessenabwägung. Dabei kommt der summarischen Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides eine entscheidende Rolle zu. Denn an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich oder nach summarischer Prüfung mit hoher Gewissheit rechtswidrigen Bescheides kann kein berechtigtes Interesse bestehen. Hier ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass der angefochtene Versagungsbescheid vom 18. Mai 2011 rechtswidrig ist. Der Antragsgegner hat die Leistungsversagung auf § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) gestützt. Diese Vorschrift ermächtigt den Leistungsträger im Rahmen einer Ermessensentscheidung auch dazu, eine bereits bewilligte Sozialleistung zu entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn der Leistungsempfänger den ihm nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I obliegenden Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und dadurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Die Entziehung setzt nach § 66 Abs. 3 SGB I voraus, dass der Leistungsberechtigte unter Setzung einer angemessenen Frist schriftlich auf die Rechtsfolgen der fehlenden Mitwirkung hingewiesen worden ist. Dabei sind an die Hinweispflicht hohe Anforderungen gestellt. Dem Betroffenen muss im konkreten Fall deutlich werden, warum im konkreten Umfang von ihm die Mitwirkung verlangt wird (Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 25. Oktober 1988 - 7 RAr 70/87 –SozR 1200 § 66 Nr. 13).
Der Senat sieht ihm Rahmen der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung davon ab, im Einzelnen zu prüfen, welche Mitwirkungspflichten dem Antragsteller oblagen und ob er diesen nicht nachgekommen ist. Denn es spricht jedenfalls viel dafür, dass der dem Antragsteller im Schreiben vom 13. April 2011 gegebene Hinweis unzureichend war. Dem Antragsteller waren mit Bescheid vom 29. März 2011 Leistungen für die Zeit vom 1. April 2011 bis zum 30. September 2011 vorläufig bewilligt worden, obwohl er im Leistungsantrag keine Angaben zu den erwarteten Einkünften aus seinem Gewerbe gemacht hatte und auch sonst keine Unterlagen beigefügt hatte. Nach den Ausführungen in dem Bewilligungsbescheid musste der Antragsteller davon ausgehen, er habe innerhalb eines Zeitraum von bis zu zwei Monaten nach Ende des Bewilligungszeitraums für eine Überprüfung der Leistungshöhe seine im Bewilligungszeitraum erzielten Einnahmen anzugeben und nachzuweisen. Dies musste er als "Verzicht" des Leistungsträgers auf vorläufige Angaben als Grundlage für die vorläufige Bewilligung verstehen. Es wird im Schreiben vom 13. April 2011 nicht deutlich, aus welchen Gründen der Antragsgegner nunmehr während des Zeitraums, für den vorläufig Leistungen bewilligt worden waren, doch noch Unterlagen und Angaben forderte. Insofern fehlt es an einer Darlegung des Grundes für die Mitwirkung. Der Grund konnte für den Antragsteller auch nicht ohne weiteres deutlich werden. Die abgeforderten vorläufigen Angaben zum Einkommen für den noch laufenden Bewilligungsabschnitt konnten nicht für eine endgültige Bestimmung des Leistungsanspruchs dienen. Denkbar ist, dass die Beklagte im Nachhinein an den Voraussetzungen für eine vorläufige Leistungsbewilligung auf der Grundlage der von ihr für die Bewilligung vom 29. März 2011 getroffenen Prognose zur Einkommensentwicklung zweifelte. Dies wurde aber in dem Aufforderungs- und Hinweisschreiben vom 13. April 2011 nicht offengelegt.
Desweiteren spricht auch viel dafür, dass die von dem Antragsgegner getroffene Ermessensausübung rechtfehlerhaft ist. Ausgeführt wird lediglich, für den Antragsteller sprechende Gesichtspunkte seien nicht erkennbar. Dabei wird aber verkannt, dass mit dem Bewilligungsbescheid vom 29. März 2011 bei dem Antragsteller ein Vertrauen darauf begründet worden war, auch ohne weitere Angaben seien die Voraussetzungen für eine vorläufige Leistungsbewilligung für den beschiedenen Zeitraum gegeben. Auf den Bestand dieser vorläufigen Bewilligung konnte der Antragsteller jedenfalls solange vertrauen, solange sich die der Prognose für die Bewilligung vorläufiger Leistungen zugrunde liegenden Umstände nicht geändert hatte oder dem Antragsgegner bei seiner Entscheidung nicht bekannte Umstände bekannt geworden waren. Dafür, dass ein solcher Fall vorlag ergeben sich aus den Akten und dem Vorbringen der Beteiligten keine Hinweise. Es hätte im Rahmen der Ermessensausübung somit zumindest abgewogen werden sollen, ob beim Unterlassen einer bei an sich unveränderten Umständen nach Bewilligung abgeforderten Mitwirkung die schwerwiegende Rechtsfolge einer vollständigen Entziehung der Leistungen und demzufolge das Entfallen des Versicherungsschutzes als Leistungsbezieher insbesondere in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) gerechtfertigt und angemessen ist.
Die Kostenentscheidung erfolgt entsprechend § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Der Antragsgegner ist verpflichtet, dem Antragssteller für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis zum 30. September 2011 entsprechend der vorläufigen Bewilligung vom 29. März 2011 monatliche Leistungen in Höhe von 411,73 EUR zu gewähren.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Entziehung vorläufig bewilligter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der Antragsgegner ist seit dem 1. Januar 2011 als Rechtsnachfolger der Arbeitsgemeinschaft SGB II S. (Arge) der für die Erbringung von Grundsicherungsleistungen für den Antragsteller zuständige Leistungsträger.
Der am 1959 geborene Antragsteller lebt alleine in einem Eigenheim; er ist selbständig und betreibt ein Gewerbe mit dem Geschäftsbereich Wassertechnik und Wasseraufbereitung. Erstmals für die Zeit vom 19. Januar 2006 bis zum 31. Juli 2006 bewilligte die Arge dem Antragsteller Arbeitslosengeld II (Alg II) als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. In der Folgezeit kam es zwischen den Beteiligten immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zur Höhe des dem Antragsteller zustehenden Anspruchs und darüber, ob Leistungen von der Arge bzw. dem Antragsgegner zu Recht wegen fehlender Mitwirkung versagt worden waren.
Für den Zeitraum ab dem 1. April 2011 beantragte der Antragsteller am 25. März 2011 beim Antragsgegner eine Weiterbewilligung der Leistungen. Dabei gab er im Wesentlichen an, die dem Antragsgegner bekannten Verhältnisse hätten sich nicht geändert. Der Antragsgegner bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 29. März 2011 für den Leistungszeitraum vom 1. April 2011 bis 30. September 2011 vorläufig Leistungen in einer Höhe von 411,73 EUR monatlich. Als Rechtsgrundlage für die vorläufige Bewilligung war § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches – Arbeitsförderung (SGB III) angegeben. Im Bescheid führte der Antragsgegner aus, eine abschließende Entscheidung sei erst möglich, wenn die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum feststünden. Der Antragsteller werde gebeten, für die hierzu erforderlichen Angaben den Vordruck "Abschließende Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft nach Ablauf des Bewilligungszeitraums" zu verwenden. Würden Einnahmen und Ausgaben nicht innerhalb eines Zeitraums von zwei Monaten nach dem Ende des Bewilligungszeitraums nachgewiesen, könne der Grundsicherungsträger das Einkommen im Bewilligungszeitraum für die abschließende Entscheidung schätzen. Der Antragsteller werde deshalb - in seinem eigenen Interesse – gebeten, unverzüglich nach dem Ende des Bewilligungszeitraums die erforderlichen Unterlagen einzureichen. Mit einem Schreiben vom 13. April 2011 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, die vorläufige EKS (gemeint ist das Formular für die Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft) für den Zeitraum vom 1. April 2011 bis zum 30. September 2011 vorzulegen und weiter seinen Personalausweises (Vor- und Rückseite) vorzulegen sowie "lückenlose" von der Bank erstellte Kontoauszüge für die Zeit ab 1. August 2010 bis laufend einzureichen. Als Abgabetermin wurde der 30. April 2011 genannt. Das Schreiben war mit einem Hinweis versehen: "Haben Sie bis zu dem genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, können die Geldleistungen ganz versagt werden, bis Sie die Mitwirkung nachholen (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeutet, dass Sie keine Leistungen erhalten." Mit einem Bescheid vom 18. Mai 2011 stellte der Antragsgegner dann gegenüber dem Antragsteller fest, die vorläufig bewilligten Leistungen würden ihm für die Zeit vom 1. Juni 2011 ab "ganz entzogen". Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe die fehlenden "Unterlagen/Nachweise EKS für den Zeitraum 1.4.2011 bis 30.09.2011" bisher nicht vorgelegt. Er habe damit die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Es seien keine Ermessensgesichtspunkte erkennbar, die zu seinen Gunsten hätten berücksichtigt werden können.
Mit einem Schreiben vom 30. Mai 2011 übersandte der Antragsteller dem Antragsgegner ein nur teilweise ausgefülltes Formular EKS. Dazu gab der Antragsteller an, er habe bis zum heutigen Zeitpunkt keine Ausfüllhinweise erhalten, ohne die das Formular für ihn unverständlich sei. Weiter beigefügt waren dem Schreiben mehrere Seiten mit einer betriebswirtschaftlichen Auswertung für die Zeit von August 2010 bis Dezember 2010 und einer vorläufigen Gewinnermittlung bzw. einer vorläufigen betriebswirtschaftlichen Auswertung für die Zeit von Januar bis März 2011, wobei für das 1. Quartal 2011 ein Gewinn von (nur) 242,89 EUR ausgewiesen wurde. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die in Kopie übermittelten Verwaltungsakten – insoweit ohne Blattzahlen – verwiesen.
Gegen den Bescheid vom 18. Mai 2011 erhob der Antragsteller am 27. Juni 2011 Widerspruch. Zur Begründung führte er sinngemäß aus, ihm seien bisher keine Formularvordrucke EKS nebst Ausfüllhilfen übermittelt worden. Darauf habe er auch schon mehrfach telefonisch hingewiesen. Ihm könne deshalb keine fehlende Mitwirkung vorgeworfen werden, denn die Erfüllung der an ihn gestellten Forderung sei ihm wegen der fehlenden Formulare unmöglich gewesen. Zudem habe der Antragsgegner bei der Aufhebung der vorläufigen Bewilligung kein Ermessen ausgeübt. Er habe nicht berücksichtigt, dass es sich nur um eine vorläufige Leistungsbewilligung handele, die unter dem Vorbehalt der Rückforderung stehe.
Der Antragsteller hat am 30. Juni 2011 beim Sozialgericht Halle (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren gestellt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. April 2011 bis zum 30. September 2011 vorläufig die ihm zustehenden Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 18. Juli 2011 als unzulässig abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Das für eine gerichtliche Entscheidung erforderliche Rechtsschutzbedürfnis sei nicht ersichtlich. Die Anforderung von für die Prüfung des Leistungsanspruchs erforderlichen Unterlagen durch den Leistungsträger sei zulässig und es bestünden im konkreten Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner sein Begehren nicht mit dem Antragsgegner klären könne.
Gegen den ihm am 20. Juli 2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 20. August 2011 Beschwerde eingelegt. In einem vom Berichterstatter durchgeführten Erörterungstermin am 15. September 2011 mit den Beteiligten hat der Antragsteller sein Begehren beschränkt bzw. klargestellt.
Er beantragt demnach nunmehr,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 18. Juli 2011 aufzuheben und den Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung in diesem Verfahren zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis zum 30. September 2011 entsprechend der vorläufigen Bewilligung unter Aufhebung des zwischenzeitlichen Versagungsbescheides monatliche Leistungen in Höhe von 411,73 EUR zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält die Versagungsentscheidung für rechtmäßig und meint, der Antragsteller wolle offensichtlich Leistungen beziehen, ohne die erforderlichen Unterlagen vorzulegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie gemäß § 172 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft und gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Der Ausschluss der Beschwerde nach § 172 SGG greift nicht ein, weil das Begehren des Antragsstellers letztlich auf einen Leistungsbetrag gerichtet ist, der über dem für die Zulässigkeit einer Berufung erforderlichen Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,00 EUR liegt.
Die Beschwerde ist im sich nunmehr aus den im Erörterungstermin vom 15. September 2011 gestellten Anträgen ergebenden Umfang auch begründet. Das SG hat zu Unrecht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Das Begehren des Antragstellers ist als Antrag nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG auszulegen, der auf die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 18. Mai 2011 gerichtet ist. Mit diesem Bescheid hat der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller die diesem mit Bescheid vom 29. März 2011 bewilligten vorläufigen Leistungen für die Zeit ab dem 1. Juni 2011 vollständig entzogen. Widerspruch und Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung, weil diese gesetzlich durch § 39 SGB II ausgeschlossen ist. Insofern ist der Rechtsschutzantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht gerichtet. Die Herstellung der aufschiebenden Wirkung ist Voraussetzung dafür, die vom Antragsteller letztlich begehrte Leistungsbewilligung zu erreichen. Wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Entziehungsbescheid festgestellt, so hat der Antragsgegner die mit Bescheid vom 29. März 2011 vorläufig bewilligten Leistungen zu erbringen. Einer besonderen Verpflichtung des Leistungsträgers hierzu bedarf es nicht; sie kann aber wie geschehen vom Gericht klarstellend festgestellt werden.
Über den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung entscheidet das angerufene Gericht aufgrund einer Interessenabwägung. Dabei kommt der summarischen Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides eine entscheidende Rolle zu. Denn an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich oder nach summarischer Prüfung mit hoher Gewissheit rechtswidrigen Bescheides kann kein berechtigtes Interesse bestehen. Hier ist nach summarischer Prüfung davon auszugehen, dass der angefochtene Versagungsbescheid vom 18. Mai 2011 rechtswidrig ist. Der Antragsgegner hat die Leistungsversagung auf § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) gestützt. Diese Vorschrift ermächtigt den Leistungsträger im Rahmen einer Ermessensentscheidung auch dazu, eine bereits bewilligte Sozialleistung zu entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind, wenn der Leistungsempfänger den ihm nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I obliegenden Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und dadurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Die Entziehung setzt nach § 66 Abs. 3 SGB I voraus, dass der Leistungsberechtigte unter Setzung einer angemessenen Frist schriftlich auf die Rechtsfolgen der fehlenden Mitwirkung hingewiesen worden ist. Dabei sind an die Hinweispflicht hohe Anforderungen gestellt. Dem Betroffenen muss im konkreten Fall deutlich werden, warum im konkreten Umfang von ihm die Mitwirkung verlangt wird (Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 25. Oktober 1988 - 7 RAr 70/87 –SozR 1200 § 66 Nr. 13).
Der Senat sieht ihm Rahmen der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung davon ab, im Einzelnen zu prüfen, welche Mitwirkungspflichten dem Antragsteller oblagen und ob er diesen nicht nachgekommen ist. Denn es spricht jedenfalls viel dafür, dass der dem Antragsteller im Schreiben vom 13. April 2011 gegebene Hinweis unzureichend war. Dem Antragsteller waren mit Bescheid vom 29. März 2011 Leistungen für die Zeit vom 1. April 2011 bis zum 30. September 2011 vorläufig bewilligt worden, obwohl er im Leistungsantrag keine Angaben zu den erwarteten Einkünften aus seinem Gewerbe gemacht hatte und auch sonst keine Unterlagen beigefügt hatte. Nach den Ausführungen in dem Bewilligungsbescheid musste der Antragsteller davon ausgehen, er habe innerhalb eines Zeitraum von bis zu zwei Monaten nach Ende des Bewilligungszeitraums für eine Überprüfung der Leistungshöhe seine im Bewilligungszeitraum erzielten Einnahmen anzugeben und nachzuweisen. Dies musste er als "Verzicht" des Leistungsträgers auf vorläufige Angaben als Grundlage für die vorläufige Bewilligung verstehen. Es wird im Schreiben vom 13. April 2011 nicht deutlich, aus welchen Gründen der Antragsgegner nunmehr während des Zeitraums, für den vorläufig Leistungen bewilligt worden waren, doch noch Unterlagen und Angaben forderte. Insofern fehlt es an einer Darlegung des Grundes für die Mitwirkung. Der Grund konnte für den Antragsteller auch nicht ohne weiteres deutlich werden. Die abgeforderten vorläufigen Angaben zum Einkommen für den noch laufenden Bewilligungsabschnitt konnten nicht für eine endgültige Bestimmung des Leistungsanspruchs dienen. Denkbar ist, dass die Beklagte im Nachhinein an den Voraussetzungen für eine vorläufige Leistungsbewilligung auf der Grundlage der von ihr für die Bewilligung vom 29. März 2011 getroffenen Prognose zur Einkommensentwicklung zweifelte. Dies wurde aber in dem Aufforderungs- und Hinweisschreiben vom 13. April 2011 nicht offengelegt.
Desweiteren spricht auch viel dafür, dass die von dem Antragsgegner getroffene Ermessensausübung rechtfehlerhaft ist. Ausgeführt wird lediglich, für den Antragsteller sprechende Gesichtspunkte seien nicht erkennbar. Dabei wird aber verkannt, dass mit dem Bewilligungsbescheid vom 29. März 2011 bei dem Antragsteller ein Vertrauen darauf begründet worden war, auch ohne weitere Angaben seien die Voraussetzungen für eine vorläufige Leistungsbewilligung für den beschiedenen Zeitraum gegeben. Auf den Bestand dieser vorläufigen Bewilligung konnte der Antragsteller jedenfalls solange vertrauen, solange sich die der Prognose für die Bewilligung vorläufiger Leistungen zugrunde liegenden Umstände nicht geändert hatte oder dem Antragsgegner bei seiner Entscheidung nicht bekannte Umstände bekannt geworden waren. Dafür, dass ein solcher Fall vorlag ergeben sich aus den Akten und dem Vorbringen der Beteiligten keine Hinweise. Es hätte im Rahmen der Ermessensausübung somit zumindest abgewogen werden sollen, ob beim Unterlassen einer bei an sich unveränderten Umständen nach Bewilligung abgeforderten Mitwirkung die schwerwiegende Rechtsfolge einer vollständigen Entziehung der Leistungen und demzufolge das Entfallen des Versicherungsschutzes als Leistungsbezieher insbesondere in der Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) gerechtfertigt und angemessen ist.
Die Kostenentscheidung erfolgt entsprechend § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
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