Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 102/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3452/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung und die Klage der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Juni 2010 aufgehoben und der Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 10. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2008 und des Ausführungsbescheids vom 05. Juli 2010 verpflichtet, bei der Klägerin ab dem 02. November 2007 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.
2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligen ist der Grad der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.
Bei der am 08.02.1950 geborenen Klägerin, die türkische Staatsangehörige mit unbefristetem Aufenthaltsrecht in Deutschland ist, wurde mit Bescheid vom 19.05.1999 ein GdB von 30 sei dem 23.03.1999 festgestellt. Dieser Einstufung lagen eine neurotische Depression (Einzel-GdB 30), ein Hautleiden, ein cervicaler Kopfschmerz, Migräne und Struma zu Grunde. Ein am 04.11.2002 gestellter Verschlimmerungsantrag wurde mit Bescheid vom 16.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2003 abgelehnt. In der zugrundeliegen¬den versorgungsärztlichen Beurteilung vom 30.06.2003 hatte Dr. A u. a. ausgeführt, die Be-schwerden an der Wirbelsäule und den Gliedmaßen müssten im Zusammenhang mit der neurotischen Depression gesehen werden und könnten nicht doppelt bewertet werden. Zusätzlich wurden ein Bluthochdruck und degenerativ bedingte Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule einschließlich Nervenwurzelreizerscheinungen angenommen.
Am 02.11.2007 beantragte die Klägerin die Neufestsetzung des GdB. Der Beklagte forderte hie-rauf beim Allgemeinmediziner Dr. B. die dortigen Befundunterlagen an. Des Weiteren wurden Befundberichte des Psychiaters Dr. E. vom 08.10.2007 und des Orthopäden Dr. C. vom 22.05.2007 angefordert. In der versor¬gungsärztlichen Stellungnahme vom 28.12.2007 verneinte Dr. D. eine wesentliche Änderung. Das Kniegelenk sei frei beweglich. Neurologische Ausfälle seitens der Wirbelsäule lägen nicht vor. Im Übrigen sei ein Teil des orthopädisch bedingten Schmerzbildes unter dem neurologisch-psychiatrischen Befundkomplex berücksichtigt. Konkrete Angaben zu Hüftfunktionsstörungen fehlten, ein GdB hierfür sei mit unter 10 anzusetzen. Gestützt hierauf lehnte das zuständige Versorgungsamt den Antrag mit Bescheid vom 10.01.2008 ab.
Im Widerspruchsverfahren wurden weitere Unterlagen eingeholt, darunter die Befundberichte von Dr. E. vom 15.07.2008 (Bewusstsein klar, Orientierung unauffällig, Affektivität depressiv, Motivation und Antrieb unauffällig, Wahrnehmung und Denken unauffällig, Kontaktverhalten unauffällig, Schwingungsfähigkeit reduziert, hieraus folgend: schwere depressive Episode) und des Orthopäden Dr. F. vom 16.09.2008 (therapieresistente Lumboischialgie rechts bei gesicherter Bandscheibenprotusion L3/5; an den Knien permanente Synovialitis rechts und Chondromalazie bds; Coxarthrose II-III; Adipositas.). Gestützt auf Dr. G.s versorgungsärztliche Stellungnahme vom 14.11.2008 (linkes Kniegelenk frei beweglich, keine neurologischen Ausfälle seitens der Wirbelsäule, keine korrekten Angaben zu Hüftfunktionsstörungen) wies das Landesversorgungsamt des beklagten Landes den Widerspruch unter dem 12.12.2008 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 09.01.2009 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung der Klage hat sie vorgetragen, die orthopädischen Beschwerden seien nicht korrekt bewertet. Die therapieresistenten Lumboischialgien bei Bandscheibenprotrusion führten zu ständigen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Die Coxarthrose bedinge eine eingeschränkte Hüftbeuge- und Innenrotationsfähigkeit. Ferner leide sie an einem Fibromyalgiesyndrom. Dieses und die Kopfschmerzen müssten zusätzlich bewertet werden. Sie werde bei Dr. E. regelmäßige wegen depressiver Störung behandelt. Hierzu hat die Klägerin einen Arztbrief von Dr. E. vom 06.03.2009 vorgelegt, der für die psychiatrische Störung einen Einzel-GdB von 30 und unter Berücksichtigung der arteriellen Hypertonie, Schmerzsymptomatik und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 40) einen Gesamt-GdB von 60 vorschlägt.
Das SG hat zunächst Dr. F. als sachverständigen Zeugen vernommen. Dieser hat unter dem 30.03.2009 auf orthopädischem Gebiet einen GdB von 40 für angemessen erachtet.
Sodann hat das SG von Amts wegen die Klägerin bei dem Orthopäden Dr. von H. begutachten lassen. Dieser Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 26.09.2009 mitgeteilt, bei der Klägerin lägen ein HWS-Syndrom mit bandscheibendegenerativ bedingter Gefügelockerung und intermittierender Nervenwurzelreizung C7 rechts; ein degeneratives LWS-Syndrom mit akzentuierter rechtskonvexer Lumbalskoliose, beginnendem Drehgleiten L3/4 sowie hochgradiger Bandscheibendegeneration L3/4 und L4/5 und einer Spondylarthrose der unteren LWS mit intermittierenden Nervenwurzelreizungen L5 rechts; eine beginnende Coxarthrose bds. mit belastungsabhängigen Schmerzen rechts ohne signifikante Bewegungseinschränkung; eine Varusgonarthrose li. mehr als re. mit belastungsabhängigen Schmerzen beim Treppensteigen, bisher ohne signifikante Bewegungseinschränkung sowie eine beginnende Polyarthrose an den Mittel- und Endgliedern der Langfinger beider Hände vor. Es seien Einzel-GdB von je 20 für die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule und der beiden Knie sowie von 10 für die Polyarthrose der Hände angemessen. Unter Einbeziehung der neurotischen Depression in Form einer somatoformen Schmerzstörung, die die orthopädischen Befunde überlagere, sei ein Gesamt-GdB von 40 ab Oktober 2007 anzusetzen.
Auf ein Vergleichsangebot des Beklagten hin haben die Beteiligten in mündlicher Verhandlung vor dem SG am 10.06.2010 einen Teil-Vergleich dahin geschlossen, dass ab dem 31.10.2007 ein GdB von 40 bestehe. Hierzu hatte die Klägerin noch einen Befundbericht der Internistin und Rheumatologin Dr. J. vom 05.08.2009 vorgelegt, wonach im Vordergrund eine Fibromy¬al¬gie mit Schlafstörungen ohne vegetative Symptomatik stehe.
Mit Urteil vom 10.06.2010 hat das SG die weitergehende Klage der Klägerin, den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 50 zu verpflichten, abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Klage könne nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nur Erfolg haben, wenn sich die aus den gesundheitlichen Beeinträchtigungen folgenden Funktionsbehinderungen der Klägerin seit der letzten Feststellung eines GdB durch den Beklagten verschlimmert hätten. Der Feststellung des GdB der Klägerin nach § 69 Abs. 1 SGB IX, § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) seien die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) in Anl. zu § 2 der nach § 30 Abs. 17 BVG erlassen, ab dem 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 zu Grunde zu legen. In der Sache stehe fest, dass in den dem Bescheid vom 19.05.1999 zugrundeliegenden Funktionsbeeinträchtigungen keine weiterge¬hende Verschlimmerung eingetreten sei, die jetzt einen GdB von 50 bedinge. Die Klägerin habe mehrfach, auch gegenüber Dr. von H., ausgeführt, dass bereits seit Ende der 1990-er Jah¬re rezidivierende Schmerzen der LWS vorhanden seien und seit 10 Jahren auch begleitend Ausstrahlungen ins rechte Bein. Seit den 1980-er Jahren seien auch rezidivierende Schmerzen im oberen Nackenbereich mit Spannungskopfschmerzen sowie Migräneanfällen vorhanden. Ebenfalls seit 1999 beständen rezidivierende Knieschmerzen mit hierdurch bedingten Einschränkungen. Dr. J. habe unter dem 05.08.2009 ebenfalls darüber berichtet, dass "seit etwa 15 Jahren rezidivierende Schmerzen überall in allen Gelenken, besonders an den Kniegelenken, der Wirbelsäule, Schultern und Armen" vorhanden seien. Hiernach lasse sich eine Verschlimmerung nicht nachweisen. Dies bestätige das Gutachten von Dr. v. H ... Dieser habe die Klägerin nach den Regeln der ärztlichen Kunst einge¬hend untersucht und begutachtet. Nach seinen Vorschlägen seien die orthopä¬dischen Befunde höher bewertet worden. Für das neurologisch-psychiatrische Fachgebiet habe Dr. E. in der Bescheinigung vom 06.03.2003 einen Einzel-GdB von 30 angenommen. Dieser sei jedoch auf Grund des zutreffenden GdB von 20 für die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule einschließlich der Polyarthrose der Finger nicht zu erhöhen. Auch leichtere weitere Funktionsbehinderungen mit einem GdB von 20 ließen vielfach nicht auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung schließen. Die Einzel-GdB von 30 für die psychiatrische und von 20 für die Wirbelsäule seien jedoch nicht getrennt, sondern als Einheit zu bewerten.
Mit Ausführungsbescheid vom 05.07.2010 hat das Versorgungsamt den Teil-Vergleich umgesetzt und bei der Klägerin ab dem 30.10.2007 einen GdB von 40 festgestellt.
Gegen das Urteil des SG, das ihren Prozessbevollmächtigten am 22.06.2010 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 22.07.2010 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie trägt vor, die Begründung des SG überzeuge schon deswegen nicht, weil Dr. v. H. auf orthopädischem Gebiet einen weiteren GdB von 20 festgestellt habe, den das SG nicht berücksichtige. Ebenso sei ein höherer Gesamt-GdB zu bilden, weil die bei der Klägerin angenommene Depression schon allein einen Einzel-GdB von 30 bedinge. Depression und Fibromyalgie seien zumindest in ihren Auswirkungen getrennt zu sehen. Ferner leide sie - die Klägerin - an einem Tinnitus und einer Schwerhörigkeit.
Die Klägerin hat im Berufungsverfahren das psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. K. vom 06.09.2006 vorgelegt, das in einem Rentenstreitverfahren vor dem LSG Baden-Württemberg (L 7 R 5509/04) eingeholt worden war. Darin waren eine rezidivierende depressive Störung mit psychotischen Symptomen (optische Halluzinationen, Verfolgungsgefühle), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Agoraphobie mit Panikstörung, eine Migräne mit Aura und Adipositas diagnostiziert und der Klägerin nur noch ein drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte und nervlich nicht belastende Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bescheinigt worden. Zur Frage der Anwendbarkeit der Dritten Verordnung zur Änderung der VG (3. VersMedV-ÄndV) vom 17.12.2010, mit der u. a. die Bewertungen von Kniebehinderungen abgesenkt worden sind, trägt die Klägerin ergänzend vor, diese Änderung sei hier nicht anzuwenden, nachdem Dr. v. H. den GdB für die Kniebehinderung bereits im Oktober 2007, also noch unter alter Rechtslage, festgestellt habe. Im Übrigen griffe die Änderung hier ohnehin nicht ein, da sie nur Beeinträchtigungen nach einer Totalendoprothese des Kniegelenks regle, die Klägerin aber eine solche Totalendoprothese noch nicht erhalten habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Juni 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 10. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2008 und des Ausführungsbescheids vom 05. Juli 2010 abzuändern und einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurück- und die Klage gegen den Bescheid vom 05. Juli 2010 abzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und seine Entscheidungen. Er trägt unter Berufung auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. L. vom 26.10.2011 vor, die Beeinträchtigungen an den Knien, die bislang mit unter die Polyarthrose subsumiert worden seien, könnten auch nach den Änderungen der VG durch die 3. VersMedV-ÄndV, wo mittlerweile selbst bei einseitiger Totalendoprothese des Kniegelenks nur noch ein GdB von 20 angenommen werde, nicht höher als mit 10 bewertet werden. Zur Frage der ggfs. rückwirkenden Anwendbarkeit der Änderungen durch die 3. VersMedV-ÄndV hat der Beklagte die Dienstanweisung seines Landesversorgungsamts an die Versorgungsämter vom 11.01.2011 vorgelegt, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird.
Der Senat hat zunächst behandelnde Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen vernommen. Der HNO-Arzt Dr. Eckardt hat unter dem 25.10.2010 mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe eine geringe, linksbetonte Hörminderung bei jedoch störendem Ohrgeräusch links bei 6000 Hz und 25 dB; am 04.04.2010 sei eine Hörhilfe verordnet worden. Dr. Eckardt hat auch das Tonaudiogramm vom 14.04.2010 vorgelegt. Dr. E. hat unter dem 04.04.2011 ergänzend bekundet, die gelegentliche psychotische Symptomatik der Klägerin habe bis zum 03.09.2007 gedauert, eine zusätzliche psychotherapeutische Behandlung der Klägerin seit 2007 sei ihm nicht bekannt, die Klägerin arbeite seit 1990 nicht mehr, lebe mit dem Ehemann zusammen, habe eine Tendenz zu weniger sozialen Kontakten, der letzte Urlaub habe im Juni 2010 stattgefunden.
Auf Nachfrage des Senats hat Dr. v. H. am 14.05.2011 ergänzend mitgeteilt, der isolierte GdB allein auf orthopädischem Gebiet wegen der Wirbelsäulen-, Hüft- und Handbeschwerden sei mit 30 anzusetzen. Dies beruhe vor allem auf der mangelnden Kompensierbarkeit der Knieschmerzen durch Ausweichbewegungen der LWS wegen deren Schädigungen. Wenn der psychiatrische GdB mit 30 zutreffend bewertet sei, sei ein Gesamt-GdB von 50 zulässig und zu empfehlen. Die degenerativen Veränderungen würden sich eher verschlechtern denn bessern. Gleichwohl akzentuierten die psychiatrischen Behinderungen das Empfinden der orthopädischen Schäden.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis beider Beteiligter nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig und auch begründet. Dies gilt auch, soweit sie den Ausführungsbescheid des Beklagten vom 05.07.2010 angreift, der nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Gerichtsverfahrens geworden ist und über den der Senat daher auf Klage entscheidet. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist zulässig und begründet. Bei der Klägerin ist ein GdB von 50 ab Antragstellung festzustellen. Insoweit sind die ablehnenden Bescheide des Beklagten rechtswidrig und werden abgeändert.
a) Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Grades der Behinderung nach § 69 Abs. 1 SGB IX, § 30 Abs. 1 BVG und auch die die medizinischen Vorgaben für die Bewertung krankheitsbedingter Behinderungen nach den VG hat das SG in dem angegriffenen Urteil zutreffend dargelegt. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass für die Bewertung der Behinderungen der Klägerin in dem ersten Teil des hier streitigen Zeitraums bis Ende 2008 noch die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht, Ausgabe 2008 (AHP) zu Grunde zu legen sind, nachdem die Klägerin ihren Verschlimmerungsantrag bereits November 2007 gestellt hatte, die VersMedV aber erst zum 01.01.2009 in Kraft getreten ist.
b) Zunächst ist festzuhalten, dass die Fibromyalgie bzw. somatoforme Schmerzstörung und die psychischen Erkrankungen der Klägerin getrennte Krankheitsbilder darstellen, die jeweils für sich Einzel-GdB bedingen und die nicht zu einem einheitlichen GdB zusammengefasst werden dürfen, wobei eine etwaige Überschneidung ihrer Auswirkungen bei der Bildung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden kann.
Es trifft zwar zu, dass die Fibromyalgie (ebenso wie das chronische Müdigkeitssyndrom und die multiple Chemikalienunverträglichkeit) nach Nr. 26.18 AHP und zunächst auch noch nach Teil B Nr. 18.4 VG als "Somatisierungssyndrome" eingestuft worden waren. Bereits damals schrieben die AHP bzw. die VG aber vor, dass diese Syndrome nach ihren "funktionellen" Auswirkungen zu beurteilen seien und nicht etwa nur nach ihren psychischen. Zu den funktionellen Auswirkungen gehören und gehörten auch nach den früheren Regelungen auch körperliche Beschwerden. Dies ist insbesondere für die Fibromyalgie augenfällig. Bei ihr handelt es sich um ein generalisiertes Schmerzsyndrom (vgl. Rohr/Sträßer/Dahm, BVG, Bd. III, Kommentierung zur VersMedV, Teil B, S. 108 [Stand Oktober 2010]), also eine Krankheit mit im Wesentlichen körperlichen Auswirkungen. Schmerzen und andere körperliche Symptome werden aber von den GdB-Werten für psychische Erkrankungen (heute Nr. B 3.7. VMG) nur insoweit erfasst, als sie Begleiterscheinungen sind und keinen eigenen Krankheitswert besitzen (vgl. Teil A Nr. 2 lit. i VG). Dies ist bei der Fibromyalgie nicht der Fall. Sie ist eine eigenständige Krankheit. Dies entspricht auch der international gebräuchlichen Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die depressive Erkrankungen als affektive Störungen einstuft (ICD-10 F32, F33), während sie somatoforme Störungen - deutlich getrennt von affektiven Störungen - mit den neurotischen Krankheiten zusammenfasst (ICD-10 F45). Auch um die Selbstständigkeit der Schmerzerkrankungen zu betonen, wurde durch Art. 1 Nr. 2 lit. d der Ersten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (1. VersMedV-ÄndV) vom 01.03.2010 (BGBl I S. 249) die Bezeichnung als "Somatisierungs-Syndrome" in Teil B Nr. 18.4 VG gestrichen. Mit dieser Änderung sollte unter anderem deutlich gemacht werden, dass das Fibromyalgie-Syndrom eine rheumatische und keine psychische Krankheit sei (BR-Drs. 891/09 S. 5). Nachdem diese Änderung der VG nach der Ansicht des Verordnungsgebers nur eine "Klarstellung" sein sollte, hat der Senat keine Bedenken, auch schon die früheren Regelungen in den AHP 2008 und der ersten Fassung der VG - ihrem damaligen Wortlaut entsprechend - so auszulegen, dass jedenfalls nicht nur die psychischen Beeinträchtigungen zu berücksichtigen sind.
Da die VG - ebenso wie schon die AHP 2008 - aber nach wie vor keine eigenen GdB-Werte vorgeben, kann es dabei verbleiben, dass für die Bewertung der Fibromyalgie grundsätzlich die GdB-Werte für psychische Störungen analog herangezogen werden können (vgl. im Einzelnen Rohr/Sträßer/Dahm, a.a.O., S. 109 f.). Dies heißt aber nicht, wie ausgeführt, dass eine eventuell daneben bestehende psychische Erkrankung keinen weiteren Einzel-GdB bedingen kann. Ebenso sind stärker körperbezogene Folgen der Fibromyal¬gie analog anderer GdB-Werte der VG zu beurteilen. So können durch die Fibromyalgie ausgelöste degenerative Veränderungen an den Muskeln nach Teil B Nr. 18.6 VG und an Gelenken nach Teil B Nrn. 18.9 ff. VG bewertet werden.
Vor diesem Hintergrund kann die depressive Erkrankung der Klägerin nicht mit der Schmerzerkrankung zusammengefasst werden, sondern muss gesondert beurteilt werden. Entsprechend haben auch Prof. Dr. K. und Dr. M. in dem im Rentenstreitverfahren eingeholten Gutachten vom 06.09.2006 die Schmerzkrankheit als eigenständig Diagnose neben die rezidivierende depressive Störung gesetzt.
c) Die depressive Erkrankung der Klägerin kann bereits ohne die Einbeziehung der Schmerzerkrankung mit dem bisher angesetzten GdB von 30 beurteilt werden.
Prof. Dr. K. und Dr. M. haben in dem Gutachten vom 06.09.2006 ausgeführt, die depressive Erkrankung sei, wiewohl rezidivierend, erheblich. Es bestehe eine erhebliche Angstkomponente. Die Klägerin verlasse nur wenig und nie allein das Haus und könne sich weder in geschlossenen Räumen noch auf belebten Plätzen (Agora- und Klaustrophobie) bewegen. Dies bedingt eine erhebliche Einschränkung der sozialen Kontakte. Dem entspricht, dass die Klägerin nach ihren Angaben bei den beiden Sachverständigen die Hausarbeit weitgehend ihrem Ehemann überlasse, seit 1968 keinen Kontakt zu ihrer Gemeinde habe und niemanden besuche. Sie könne sich nur noch um die Blumen kümmern, ansonsten müsse sie allein sein. Dass die Klägerin in diesem Sinne in ihrem Kontaktverhalten eingeschränkt ist, hat auch Dr. E. in seiner ergänzenden Zeugenaussage gegenüber dem Senat vom 04.04.2011 bestätigt. Ferner ist die psychische Leidenskomponente der depressiven Erkrankung ausgeprägt. Dr. E. hat in seinen Arztbriefen vom 15.07.2008 und vom 06.03.2009 jeweils eine depressive Herabgestimmtheit, eine Verminderung der Merk- und Konzentrationsfähigkeit und einen verringerten Antrieb beschrieben und hierzu jeweils schwere depressive Episoden diagnostiziert. Auch der Orthopäde Dr. v. H. hat in seinem Gutachten vom 05.10.2009 eine depressive Stimmungslage feststellen können. Auch wenn vor diesem Hintergrund Dr. E.s Einstufung eventuell zu hoch erscheint, so liegen doch erhebliche Auswirkungen vor. Zu diesen gehört auch die Einschlafstörung, auf die auch zuletzt Dr. J. unter dem 05.08.2009 hingewiesen hat. Zu berücksichtigen ist ferner, dass zumindest früher neben den depressiven und angstgeprägten Elementen auch psychotische Symptome vorlagen, auch wenn diese nach den Angaben von Dr. E. unter dem 04.04.2011 inzwischen abgeklungen sind. Die Klägerin befindet sich wegen ihrer depressiven Erkrankung auch in Behandlung, wenngleich diese nicht durchgängig durchgeführt wird. Dies hat zuletzt Dr. J. in ihrem Arztbrief vom 05.08.2009 ausgeführt.
Es erscheint daher angemessen, hier einen Einzel-GdB von 30 anzusetzen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass dieser Wert nach Teil B Nr. 3.7 VMG (ebenso nach Nr. 26.3 AHP) lediglich die untere Stufe für stärker behindernde psychische Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit darstellt.
d) Wie ausgeführt, ist die Schmerzerkrankung der Klägerin getrennt davon zu bewerten, wenngleich es starke Überschneidungen der jeweiligen Funktionsbeeinträchtigungen gibt, weil auch die Auswirkungen einer psychiatrischen Erkrankung zum Teil über die physische Leidenskomponente bewertet werden.
Die Schmerzerkrankung, die Dr. J. unter dem 05.08.2009 als Fibromyalgie eingestuft hat, ist erheblich. Wie Prof. Dr. K. und Dr. M. und zuletzt auch der Orthopäde Dr. v. H. in seinem Gutachten vom 05.10.2009 festgestellt haben, klagt die Klägerin seit Jahren über erhebliche Schmerzentfaltungen an der Wirbelsäule mit Ausstrahlungen in die Beine, vor allem an Schmerzen der Knie sowie an häufigem Kopfschmerz, der zum Teil als Migräne mit Aura diagnostiziert worden ist. Wie Dr. v. H. ausgeführt hat, sind diese Schmerzerfahrungen durch die orthopädischen Beeinträchtigungen nicht vollständig erklärbar. Auch er hat aber darauf hingewiesen, dass die Behinderungen der Klägerin bislang weder vollständig erfasst noch in ihrem Schweregrad ausreichend gewürdigt worden seien.
Da die Schmerzerkrankung der Klägerin nicht vollständig organisch bedingt ist, jedenfalls nicht mit den Kategorien der VG für orthopädische oder sonstige Beeinträchtigungen erfasst werden kann, bietet es sich, wie ausgeführt, an, die Regelungen der VG für neurotische Erkrankungen analog heranzuziehen.
Ob vor diesem Hintergrund die Schmerzkrankheit allein mit einem GdB von 20 oder ebenfalls von 30, was bereits einer stärker behindernden Störung entspricht, bewertet werden muss, kann an dieser Stelle offen bleiben. Bei der gegebenen starken Überlappung der depressiven Erkrankung im engeren Sinne und der Schmerzerkrankung ergibt sich für beide Krankheitsfelder zusammen nur ein GdB von 40. Dieser ist allerdings gerechtfertigt, nachdem - wie ausgeführt - bereits die Bewertung der depressiven Erkrankung im unteren Bereich der dafür vorgesehenen Spanne verbleibt. Andererseits ist die Migräne der Klägerin von dieser Bewertung mit umfasst, da sie neben der Fibromyalgie, die ein den ganzen Körper umfassendes Schmerzsyndrom darstellt, keine eigenständigen Einschränkungen bedingt.
e) Auf orthopädischem Gebiet legt der Senat insgesamt einen GdB von 20 zu Grunde. Zwar hatte Dr. v. H. in seinem Gutachten vom 05.10.2009 jeweils einen GdB von 20 für die Wirbelsäulenerkrankung (vgl. Teil B Nr. 18.9 VG) und die degenerativen Veränderungen beider Kniegelenke (vgl. Teil B Nr. 18.14 VG) angenommen und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.05.2011 ausgeführt, diese Werte zusammengefasst ergäben auf orthopädischem Gebiet einen GdB von 30. Bei der Bewertung der orthopädischen Beeinträchtigungen hat Dr. v. H. aber auch die Schmerzausstrahlungen der Wirbelsäulenschädigungen in die Beine mit berücksichtigt. Wenn diese, wie geschehen, im Rahmen der Schmerzerkrankung berücksichtigt werden, können sie nicht - nochmals - den GdB für die orthopädischen Beeinträchtigungen erhöhen. Die verbleibenden Bewegungseinschränkungen allein lassen einen GdB von 20 insgesamt angemes-sen erscheinen:
Dr. v. H. hat eine norma¬le Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule bei nur endgradiger schmerzhafter Einschränkung und eine mäßige Muskelverspannung der Halswirbelsäule mit Druckschmerzen bei uneingeschränkter Beweglichkeit, dafür aber mit deutlichen Veränderungen und einer Gefügelockerung festgestellt. Dies rechtfertigt es, im Sinne von Teil B Nr. 18.9 VG von Beeinträchtigungen an zwei Wirbelsäulenabschnitten auszugehen, die aber jeweils nur geringe funktionelle Auswirkungen haben, sodass ein GdB von knapp 20 vertretbar erscheint.
Die Beeinträchtigungen der Kniegelenke sind nach Teil B Nr. 18.14 VG zu beurteilen. Diese Vor¬schrift ist durch die 3. VersMedV-ÄndV nicht geändert worden. Jene Veränderung betraf nur die Bewertung der verbleibenden Einbußen nach der Implantation von Totalendoprothesen der Hüft- oder Kniegelenke in Nr. B 18.12 VG. Die Klägerin hat eine solche Prothese jedoch noch nicht erhalten. Es kommt daher nicht auf die zwischen den Beteiligten diskutierte Frage an, ob die Änderung der VG durch die 3. VersMedV-ÄndV eine Rückwirkung entfaltet oder zeitlich gestaffelt unterschiedliche GdB-Bewertungen erzwingt. Konkret anzuwenden sind hier nicht die GdB-Werte für Bewegungseinschränkungen der Kniegelenke, denn solche liegen bei der Klägerin noch nicht vor. Die vorhandenen belastungsabhängigen Schmerzen bei erheblichen denerativen Veränderungen an beiden Kniegelenken können mit einem GdB von 10 angenommen werden, nachdem nach Nr. B 18.14 VG - erst - ausgeprägte Knorpelschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen ohne Bewegungseinschränkungen bei einem Knie einen GdB von 10 bis 30 und entsprechend bei beiden Knien einen solchen von 20 bis 40 bedingen.
f) Die weiteren Behinderungen der Klägerin bedingen jeweils keinen GdB von mehr als 10 und können daher grundsätzlich nicht zur Erhöhung des Gesamt-GdB beitragen. Insbesondere liegt keine Hörbehinderung im Rechtssinne vor. Nach dem von Dr. N. vorgelegten Tonaudiogramm vom 14.04.2010 ergeben sich bei der Klägerin am - insoweit stärker betroffenen - linken Ohr Tonverluste von 10 dB bei einer Frequenz von 1 kHz, von 20 dB bei 2 kHz und von 30 dB bei 3 kHz (Summe bei 2 und 3 kHz: 50 dB). Hieraus folgt nach Teil B Nr. 5.2.3 VG (3-Fre¬quenz-Tabelle nach Röser) ein Tonverlust von 0 % und in der Folge - da das Hörvermögen rechts noch besser ist - nach Teil B Nr. 5.2.4 VG entsprechend kein GdB. Soweit bei der Klägerin noch ein Tinnitus dazu kommt, ist dieser zwar gesondert zu bewerten (vgl. Einleitung zu Nr. B 5 VG), würde aber den GdB für die Hörbehinderung insgesamt nur auf 10 erhöhen, nachdem der Tinnitus nach der Aussage Dr. N.s erst bei 6000 Hz, also im absoluten Hochtonbereich, auftritt.
g) Insgesamt jedoch sind die genannten Einzel-GdB für die depressive Erkrankung, die Schmerzerkrankung und die orthopädischen Beeinträchtigungen auf den GdB von 50 zusammenzuziehen, den allein die Klägerin beantragt hat (vgl. Teil A Nr. 3 lit. a VG). Eine niedrigere Bewertung erscheint angesichts der doch erheblichen Auswirkungen der psychischen Erkrankung bereits ohne die Schmerzerkrankung nicht mehr angemessen. Auch Dr. v. H. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.05.2011 einen Gesamt-GdB von 50 vorgeschlagen, wobei er sogar die psychische und die Schmerzerkrankung der Klägerin zusammen mit einem GdB von 30 bewertet hat, während der Senat insoweit von einem GdB von 40 ausgeht.
h) Die Klägerin kann auch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine Neufeststellung dieses GdB ab Antragstellung begehren. Anders als das SG meint, ist von wesentlichen Veränderungen im Gesundheitszustand der Klägerin seit der letzten bindenden Feststellung in dem Widerspruchsbescheid vom 27.08.2003 auszugehen. Dr. v. H. hat zumindest auf orthopädischem Gebiet von einem Voranschreiten der degenerativen Veränderungen und der damit verbundenen Funktionseinbußen berichtet. Hinzu kommt, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Beklagte die Behinderungen der Klägerin im Jahre 2003 unzutreffend hoch eingeschätzt hat. Vielmehr ist in solchen Fällen die allgemeine Erfahrung zu beachten, dass die Verwaltung die wirklichen Auswirkungen eines regelwidrigen Zustandes auch dann zutreffend misst und bewertet, wenn sie z.B. die zu Grunde liegende Krankheit falsch einstuft (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 11.10.1994 (9 RVs 9/93, Juris Rn. 10).
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat das Verfahren keine grundsätzliche rechtliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die einzige in diesem Sinne bedeutsame Frage nach der rückwirkenden Anwendbarkeit von Änderungen der VG muss in diesem Verfahren nicht beantwortet werden.
2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Berufungsverfahren.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligen ist der Grad der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) streitig.
Bei der am 08.02.1950 geborenen Klägerin, die türkische Staatsangehörige mit unbefristetem Aufenthaltsrecht in Deutschland ist, wurde mit Bescheid vom 19.05.1999 ein GdB von 30 sei dem 23.03.1999 festgestellt. Dieser Einstufung lagen eine neurotische Depression (Einzel-GdB 30), ein Hautleiden, ein cervicaler Kopfschmerz, Migräne und Struma zu Grunde. Ein am 04.11.2002 gestellter Verschlimmerungsantrag wurde mit Bescheid vom 16.12.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2003 abgelehnt. In der zugrundeliegen¬den versorgungsärztlichen Beurteilung vom 30.06.2003 hatte Dr. A u. a. ausgeführt, die Be-schwerden an der Wirbelsäule und den Gliedmaßen müssten im Zusammenhang mit der neurotischen Depression gesehen werden und könnten nicht doppelt bewertet werden. Zusätzlich wurden ein Bluthochdruck und degenerativ bedingte Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule einschließlich Nervenwurzelreizerscheinungen angenommen.
Am 02.11.2007 beantragte die Klägerin die Neufestsetzung des GdB. Der Beklagte forderte hie-rauf beim Allgemeinmediziner Dr. B. die dortigen Befundunterlagen an. Des Weiteren wurden Befundberichte des Psychiaters Dr. E. vom 08.10.2007 und des Orthopäden Dr. C. vom 22.05.2007 angefordert. In der versor¬gungsärztlichen Stellungnahme vom 28.12.2007 verneinte Dr. D. eine wesentliche Änderung. Das Kniegelenk sei frei beweglich. Neurologische Ausfälle seitens der Wirbelsäule lägen nicht vor. Im Übrigen sei ein Teil des orthopädisch bedingten Schmerzbildes unter dem neurologisch-psychiatrischen Befundkomplex berücksichtigt. Konkrete Angaben zu Hüftfunktionsstörungen fehlten, ein GdB hierfür sei mit unter 10 anzusetzen. Gestützt hierauf lehnte das zuständige Versorgungsamt den Antrag mit Bescheid vom 10.01.2008 ab.
Im Widerspruchsverfahren wurden weitere Unterlagen eingeholt, darunter die Befundberichte von Dr. E. vom 15.07.2008 (Bewusstsein klar, Orientierung unauffällig, Affektivität depressiv, Motivation und Antrieb unauffällig, Wahrnehmung und Denken unauffällig, Kontaktverhalten unauffällig, Schwingungsfähigkeit reduziert, hieraus folgend: schwere depressive Episode) und des Orthopäden Dr. F. vom 16.09.2008 (therapieresistente Lumboischialgie rechts bei gesicherter Bandscheibenprotusion L3/5; an den Knien permanente Synovialitis rechts und Chondromalazie bds; Coxarthrose II-III; Adipositas.). Gestützt auf Dr. G.s versorgungsärztliche Stellungnahme vom 14.11.2008 (linkes Kniegelenk frei beweglich, keine neurologischen Ausfälle seitens der Wirbelsäule, keine korrekten Angaben zu Hüftfunktionsstörungen) wies das Landesversorgungsamt des beklagten Landes den Widerspruch unter dem 12.12.2008 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 09.01.2009 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung der Klage hat sie vorgetragen, die orthopädischen Beschwerden seien nicht korrekt bewertet. Die therapieresistenten Lumboischialgien bei Bandscheibenprotrusion führten zu ständigen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Die Coxarthrose bedinge eine eingeschränkte Hüftbeuge- und Innenrotationsfähigkeit. Ferner leide sie an einem Fibromyalgiesyndrom. Dieses und die Kopfschmerzen müssten zusätzlich bewertet werden. Sie werde bei Dr. E. regelmäßige wegen depressiver Störung behandelt. Hierzu hat die Klägerin einen Arztbrief von Dr. E. vom 06.03.2009 vorgelegt, der für die psychiatrische Störung einen Einzel-GdB von 30 und unter Berücksichtigung der arteriellen Hypertonie, Schmerzsymptomatik und Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 40) einen Gesamt-GdB von 60 vorschlägt.
Das SG hat zunächst Dr. F. als sachverständigen Zeugen vernommen. Dieser hat unter dem 30.03.2009 auf orthopädischem Gebiet einen GdB von 40 für angemessen erachtet.
Sodann hat das SG von Amts wegen die Klägerin bei dem Orthopäden Dr. von H. begutachten lassen. Dieser Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 26.09.2009 mitgeteilt, bei der Klägerin lägen ein HWS-Syndrom mit bandscheibendegenerativ bedingter Gefügelockerung und intermittierender Nervenwurzelreizung C7 rechts; ein degeneratives LWS-Syndrom mit akzentuierter rechtskonvexer Lumbalskoliose, beginnendem Drehgleiten L3/4 sowie hochgradiger Bandscheibendegeneration L3/4 und L4/5 und einer Spondylarthrose der unteren LWS mit intermittierenden Nervenwurzelreizungen L5 rechts; eine beginnende Coxarthrose bds. mit belastungsabhängigen Schmerzen rechts ohne signifikante Bewegungseinschränkung; eine Varusgonarthrose li. mehr als re. mit belastungsabhängigen Schmerzen beim Treppensteigen, bisher ohne signifikante Bewegungseinschränkung sowie eine beginnende Polyarthrose an den Mittel- und Endgliedern der Langfinger beider Hände vor. Es seien Einzel-GdB von je 20 für die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule und der beiden Knie sowie von 10 für die Polyarthrose der Hände angemessen. Unter Einbeziehung der neurotischen Depression in Form einer somatoformen Schmerzstörung, die die orthopädischen Befunde überlagere, sei ein Gesamt-GdB von 40 ab Oktober 2007 anzusetzen.
Auf ein Vergleichsangebot des Beklagten hin haben die Beteiligten in mündlicher Verhandlung vor dem SG am 10.06.2010 einen Teil-Vergleich dahin geschlossen, dass ab dem 31.10.2007 ein GdB von 40 bestehe. Hierzu hatte die Klägerin noch einen Befundbericht der Internistin und Rheumatologin Dr. J. vom 05.08.2009 vorgelegt, wonach im Vordergrund eine Fibromy¬al¬gie mit Schlafstörungen ohne vegetative Symptomatik stehe.
Mit Urteil vom 10.06.2010 hat das SG die weitergehende Klage der Klägerin, den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 50 zu verpflichten, abgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Klage könne nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nur Erfolg haben, wenn sich die aus den gesundheitlichen Beeinträchtigungen folgenden Funktionsbehinderungen der Klägerin seit der letzten Feststellung eines GdB durch den Beklagten verschlimmert hätten. Der Feststellung des GdB der Klägerin nach § 69 Abs. 1 SGB IX, § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) seien die Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) in Anl. zu § 2 der nach § 30 Abs. 17 BVG erlassen, ab dem 01.01.2009 geltenden Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 zu Grunde zu legen. In der Sache stehe fest, dass in den dem Bescheid vom 19.05.1999 zugrundeliegenden Funktionsbeeinträchtigungen keine weiterge¬hende Verschlimmerung eingetreten sei, die jetzt einen GdB von 50 bedinge. Die Klägerin habe mehrfach, auch gegenüber Dr. von H., ausgeführt, dass bereits seit Ende der 1990-er Jah¬re rezidivierende Schmerzen der LWS vorhanden seien und seit 10 Jahren auch begleitend Ausstrahlungen ins rechte Bein. Seit den 1980-er Jahren seien auch rezidivierende Schmerzen im oberen Nackenbereich mit Spannungskopfschmerzen sowie Migräneanfällen vorhanden. Ebenfalls seit 1999 beständen rezidivierende Knieschmerzen mit hierdurch bedingten Einschränkungen. Dr. J. habe unter dem 05.08.2009 ebenfalls darüber berichtet, dass "seit etwa 15 Jahren rezidivierende Schmerzen überall in allen Gelenken, besonders an den Kniegelenken, der Wirbelsäule, Schultern und Armen" vorhanden seien. Hiernach lasse sich eine Verschlimmerung nicht nachweisen. Dies bestätige das Gutachten von Dr. v. H ... Dieser habe die Klägerin nach den Regeln der ärztlichen Kunst einge¬hend untersucht und begutachtet. Nach seinen Vorschlägen seien die orthopä¬dischen Befunde höher bewertet worden. Für das neurologisch-psychiatrische Fachgebiet habe Dr. E. in der Bescheinigung vom 06.03.2003 einen Einzel-GdB von 30 angenommen. Dieser sei jedoch auf Grund des zutreffenden GdB von 20 für die Beeinträchtigungen der Wirbelsäule einschließlich der Polyarthrose der Finger nicht zu erhöhen. Auch leichtere weitere Funktionsbehinderungen mit einem GdB von 20 ließen vielfach nicht auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung schließen. Die Einzel-GdB von 30 für die psychiatrische und von 20 für die Wirbelsäule seien jedoch nicht getrennt, sondern als Einheit zu bewerten.
Mit Ausführungsbescheid vom 05.07.2010 hat das Versorgungsamt den Teil-Vergleich umgesetzt und bei der Klägerin ab dem 30.10.2007 einen GdB von 40 festgestellt.
Gegen das Urteil des SG, das ihren Prozessbevollmächtigten am 22.06.2010 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 22.07.2010 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Sie trägt vor, die Begründung des SG überzeuge schon deswegen nicht, weil Dr. v. H. auf orthopädischem Gebiet einen weiteren GdB von 20 festgestellt habe, den das SG nicht berücksichtige. Ebenso sei ein höherer Gesamt-GdB zu bilden, weil die bei der Klägerin angenommene Depression schon allein einen Einzel-GdB von 30 bedinge. Depression und Fibromyalgie seien zumindest in ihren Auswirkungen getrennt zu sehen. Ferner leide sie - die Klägerin - an einem Tinnitus und einer Schwerhörigkeit.
Die Klägerin hat im Berufungsverfahren das psychiatrische Gutachten von Prof. Dr. K. vom 06.09.2006 vorgelegt, das in einem Rentenstreitverfahren vor dem LSG Baden-Württemberg (L 7 R 5509/04) eingeholt worden war. Darin waren eine rezidivierende depressive Störung mit psychotischen Symptomen (optische Halluzinationen, Verfolgungsgefühle), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Agoraphobie mit Panikstörung, eine Migräne mit Aura und Adipositas diagnostiziert und der Klägerin nur noch ein drei- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte und nervlich nicht belastende Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bescheinigt worden. Zur Frage der Anwendbarkeit der Dritten Verordnung zur Änderung der VG (3. VersMedV-ÄndV) vom 17.12.2010, mit der u. a. die Bewertungen von Kniebehinderungen abgesenkt worden sind, trägt die Klägerin ergänzend vor, diese Änderung sei hier nicht anzuwenden, nachdem Dr. v. H. den GdB für die Kniebehinderung bereits im Oktober 2007, also noch unter alter Rechtslage, festgestellt habe. Im Übrigen griffe die Änderung hier ohnehin nicht ein, da sie nur Beeinträchtigungen nach einer Totalendoprothese des Kniegelenks regle, die Klägerin aber eine solche Totalendoprothese noch nicht erhalten habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 10. Juni 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 10. Januar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 2008 und des Ausführungsbescheids vom 05. Juli 2010 abzuändern und einen GdB von 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurück- und die Klage gegen den Bescheid vom 05. Juli 2010 abzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und seine Entscheidungen. Er trägt unter Berufung auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. L. vom 26.10.2011 vor, die Beeinträchtigungen an den Knien, die bislang mit unter die Polyarthrose subsumiert worden seien, könnten auch nach den Änderungen der VG durch die 3. VersMedV-ÄndV, wo mittlerweile selbst bei einseitiger Totalendoprothese des Kniegelenks nur noch ein GdB von 20 angenommen werde, nicht höher als mit 10 bewertet werden. Zur Frage der ggfs. rückwirkenden Anwendbarkeit der Änderungen durch die 3. VersMedV-ÄndV hat der Beklagte die Dienstanweisung seines Landesversorgungsamts an die Versorgungsämter vom 11.01.2011 vorgelegt, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird.
Der Senat hat zunächst behandelnde Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen vernommen. Der HNO-Arzt Dr. Eckardt hat unter dem 25.10.2010 mitgeteilt, bei der Klägerin bestehe eine geringe, linksbetonte Hörminderung bei jedoch störendem Ohrgeräusch links bei 6000 Hz und 25 dB; am 04.04.2010 sei eine Hörhilfe verordnet worden. Dr. Eckardt hat auch das Tonaudiogramm vom 14.04.2010 vorgelegt. Dr. E. hat unter dem 04.04.2011 ergänzend bekundet, die gelegentliche psychotische Symptomatik der Klägerin habe bis zum 03.09.2007 gedauert, eine zusätzliche psychotherapeutische Behandlung der Klägerin seit 2007 sei ihm nicht bekannt, die Klägerin arbeite seit 1990 nicht mehr, lebe mit dem Ehemann zusammen, habe eine Tendenz zu weniger sozialen Kontakten, der letzte Urlaub habe im Juni 2010 stattgefunden.
Auf Nachfrage des Senats hat Dr. v. H. am 14.05.2011 ergänzend mitgeteilt, der isolierte GdB allein auf orthopädischem Gebiet wegen der Wirbelsäulen-, Hüft- und Handbeschwerden sei mit 30 anzusetzen. Dies beruhe vor allem auf der mangelnden Kompensierbarkeit der Knieschmerzen durch Ausweichbewegungen der LWS wegen deren Schädigungen. Wenn der psychiatrische GdB mit 30 zutreffend bewertet sei, sei ein Gesamt-GdB von 50 zulässig und zu empfehlen. Die degenerativen Veränderungen würden sich eher verschlechtern denn bessern. Gleichwohl akzentuierten die psychiatrischen Behinderungen das Empfinden der orthopädischen Schäden.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis beider Beteiligter nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig und auch begründet. Dies gilt auch, soweit sie den Ausführungsbescheid des Beklagten vom 05.07.2010 angreift, der nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Gerichtsverfahrens geworden ist und über den der Senat daher auf Klage entscheidet. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) ist zulässig und begründet. Bei der Klägerin ist ein GdB von 50 ab Antragstellung festzustellen. Insoweit sind die ablehnenden Bescheide des Beklagten rechtswidrig und werden abgeändert.
a) Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Grades der Behinderung nach § 69 Abs. 1 SGB IX, § 30 Abs. 1 BVG und auch die die medizinischen Vorgaben für die Bewertung krankheitsbedingter Behinderungen nach den VG hat das SG in dem angegriffenen Urteil zutreffend dargelegt. Darauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen. Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass für die Bewertung der Behinderungen der Klägerin in dem ersten Teil des hier streitigen Zeitraums bis Ende 2008 noch die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht, Ausgabe 2008 (AHP) zu Grunde zu legen sind, nachdem die Klägerin ihren Verschlimmerungsantrag bereits November 2007 gestellt hatte, die VersMedV aber erst zum 01.01.2009 in Kraft getreten ist.
b) Zunächst ist festzuhalten, dass die Fibromyalgie bzw. somatoforme Schmerzstörung und die psychischen Erkrankungen der Klägerin getrennte Krankheitsbilder darstellen, die jeweils für sich Einzel-GdB bedingen und die nicht zu einem einheitlichen GdB zusammengefasst werden dürfen, wobei eine etwaige Überschneidung ihrer Auswirkungen bei der Bildung des Gesamt-GdB berücksichtigt werden kann.
Es trifft zwar zu, dass die Fibromyalgie (ebenso wie das chronische Müdigkeitssyndrom und die multiple Chemikalienunverträglichkeit) nach Nr. 26.18 AHP und zunächst auch noch nach Teil B Nr. 18.4 VG als "Somatisierungssyndrome" eingestuft worden waren. Bereits damals schrieben die AHP bzw. die VG aber vor, dass diese Syndrome nach ihren "funktionellen" Auswirkungen zu beurteilen seien und nicht etwa nur nach ihren psychischen. Zu den funktionellen Auswirkungen gehören und gehörten auch nach den früheren Regelungen auch körperliche Beschwerden. Dies ist insbesondere für die Fibromyalgie augenfällig. Bei ihr handelt es sich um ein generalisiertes Schmerzsyndrom (vgl. Rohr/Sträßer/Dahm, BVG, Bd. III, Kommentierung zur VersMedV, Teil B, S. 108 [Stand Oktober 2010]), also eine Krankheit mit im Wesentlichen körperlichen Auswirkungen. Schmerzen und andere körperliche Symptome werden aber von den GdB-Werten für psychische Erkrankungen (heute Nr. B 3.7. VMG) nur insoweit erfasst, als sie Begleiterscheinungen sind und keinen eigenen Krankheitswert besitzen (vgl. Teil A Nr. 2 lit. i VG). Dies ist bei der Fibromyalgie nicht der Fall. Sie ist eine eigenständige Krankheit. Dies entspricht auch der international gebräuchlichen Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die depressive Erkrankungen als affektive Störungen einstuft (ICD-10 F32, F33), während sie somatoforme Störungen - deutlich getrennt von affektiven Störungen - mit den neurotischen Krankheiten zusammenfasst (ICD-10 F45). Auch um die Selbstständigkeit der Schmerzerkrankungen zu betonen, wurde durch Art. 1 Nr. 2 lit. d der Ersten Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung (1. VersMedV-ÄndV) vom 01.03.2010 (BGBl I S. 249) die Bezeichnung als "Somatisierungs-Syndrome" in Teil B Nr. 18.4 VG gestrichen. Mit dieser Änderung sollte unter anderem deutlich gemacht werden, dass das Fibromyalgie-Syndrom eine rheumatische und keine psychische Krankheit sei (BR-Drs. 891/09 S. 5). Nachdem diese Änderung der VG nach der Ansicht des Verordnungsgebers nur eine "Klarstellung" sein sollte, hat der Senat keine Bedenken, auch schon die früheren Regelungen in den AHP 2008 und der ersten Fassung der VG - ihrem damaligen Wortlaut entsprechend - so auszulegen, dass jedenfalls nicht nur die psychischen Beeinträchtigungen zu berücksichtigen sind.
Da die VG - ebenso wie schon die AHP 2008 - aber nach wie vor keine eigenen GdB-Werte vorgeben, kann es dabei verbleiben, dass für die Bewertung der Fibromyalgie grundsätzlich die GdB-Werte für psychische Störungen analog herangezogen werden können (vgl. im Einzelnen Rohr/Sträßer/Dahm, a.a.O., S. 109 f.). Dies heißt aber nicht, wie ausgeführt, dass eine eventuell daneben bestehende psychische Erkrankung keinen weiteren Einzel-GdB bedingen kann. Ebenso sind stärker körperbezogene Folgen der Fibromyal¬gie analog anderer GdB-Werte der VG zu beurteilen. So können durch die Fibromyalgie ausgelöste degenerative Veränderungen an den Muskeln nach Teil B Nr. 18.6 VG und an Gelenken nach Teil B Nrn. 18.9 ff. VG bewertet werden.
Vor diesem Hintergrund kann die depressive Erkrankung der Klägerin nicht mit der Schmerzerkrankung zusammengefasst werden, sondern muss gesondert beurteilt werden. Entsprechend haben auch Prof. Dr. K. und Dr. M. in dem im Rentenstreitverfahren eingeholten Gutachten vom 06.09.2006 die Schmerzkrankheit als eigenständig Diagnose neben die rezidivierende depressive Störung gesetzt.
c) Die depressive Erkrankung der Klägerin kann bereits ohne die Einbeziehung der Schmerzerkrankung mit dem bisher angesetzten GdB von 30 beurteilt werden.
Prof. Dr. K. und Dr. M. haben in dem Gutachten vom 06.09.2006 ausgeführt, die depressive Erkrankung sei, wiewohl rezidivierend, erheblich. Es bestehe eine erhebliche Angstkomponente. Die Klägerin verlasse nur wenig und nie allein das Haus und könne sich weder in geschlossenen Räumen noch auf belebten Plätzen (Agora- und Klaustrophobie) bewegen. Dies bedingt eine erhebliche Einschränkung der sozialen Kontakte. Dem entspricht, dass die Klägerin nach ihren Angaben bei den beiden Sachverständigen die Hausarbeit weitgehend ihrem Ehemann überlasse, seit 1968 keinen Kontakt zu ihrer Gemeinde habe und niemanden besuche. Sie könne sich nur noch um die Blumen kümmern, ansonsten müsse sie allein sein. Dass die Klägerin in diesem Sinne in ihrem Kontaktverhalten eingeschränkt ist, hat auch Dr. E. in seiner ergänzenden Zeugenaussage gegenüber dem Senat vom 04.04.2011 bestätigt. Ferner ist die psychische Leidenskomponente der depressiven Erkrankung ausgeprägt. Dr. E. hat in seinen Arztbriefen vom 15.07.2008 und vom 06.03.2009 jeweils eine depressive Herabgestimmtheit, eine Verminderung der Merk- und Konzentrationsfähigkeit und einen verringerten Antrieb beschrieben und hierzu jeweils schwere depressive Episoden diagnostiziert. Auch der Orthopäde Dr. v. H. hat in seinem Gutachten vom 05.10.2009 eine depressive Stimmungslage feststellen können. Auch wenn vor diesem Hintergrund Dr. E.s Einstufung eventuell zu hoch erscheint, so liegen doch erhebliche Auswirkungen vor. Zu diesen gehört auch die Einschlafstörung, auf die auch zuletzt Dr. J. unter dem 05.08.2009 hingewiesen hat. Zu berücksichtigen ist ferner, dass zumindest früher neben den depressiven und angstgeprägten Elementen auch psychotische Symptome vorlagen, auch wenn diese nach den Angaben von Dr. E. unter dem 04.04.2011 inzwischen abgeklungen sind. Die Klägerin befindet sich wegen ihrer depressiven Erkrankung auch in Behandlung, wenngleich diese nicht durchgängig durchgeführt wird. Dies hat zuletzt Dr. J. in ihrem Arztbrief vom 05.08.2009 ausgeführt.
Es erscheint daher angemessen, hier einen Einzel-GdB von 30 anzusetzen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass dieser Wert nach Teil B Nr. 3.7 VMG (ebenso nach Nr. 26.3 AHP) lediglich die untere Stufe für stärker behindernde psychische Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit darstellt.
d) Wie ausgeführt, ist die Schmerzerkrankung der Klägerin getrennt davon zu bewerten, wenngleich es starke Überschneidungen der jeweiligen Funktionsbeeinträchtigungen gibt, weil auch die Auswirkungen einer psychiatrischen Erkrankung zum Teil über die physische Leidenskomponente bewertet werden.
Die Schmerzerkrankung, die Dr. J. unter dem 05.08.2009 als Fibromyalgie eingestuft hat, ist erheblich. Wie Prof. Dr. K. und Dr. M. und zuletzt auch der Orthopäde Dr. v. H. in seinem Gutachten vom 05.10.2009 festgestellt haben, klagt die Klägerin seit Jahren über erhebliche Schmerzentfaltungen an der Wirbelsäule mit Ausstrahlungen in die Beine, vor allem an Schmerzen der Knie sowie an häufigem Kopfschmerz, der zum Teil als Migräne mit Aura diagnostiziert worden ist. Wie Dr. v. H. ausgeführt hat, sind diese Schmerzerfahrungen durch die orthopädischen Beeinträchtigungen nicht vollständig erklärbar. Auch er hat aber darauf hingewiesen, dass die Behinderungen der Klägerin bislang weder vollständig erfasst noch in ihrem Schweregrad ausreichend gewürdigt worden seien.
Da die Schmerzerkrankung der Klägerin nicht vollständig organisch bedingt ist, jedenfalls nicht mit den Kategorien der VG für orthopädische oder sonstige Beeinträchtigungen erfasst werden kann, bietet es sich, wie ausgeführt, an, die Regelungen der VG für neurotische Erkrankungen analog heranzuziehen.
Ob vor diesem Hintergrund die Schmerzkrankheit allein mit einem GdB von 20 oder ebenfalls von 30, was bereits einer stärker behindernden Störung entspricht, bewertet werden muss, kann an dieser Stelle offen bleiben. Bei der gegebenen starken Überlappung der depressiven Erkrankung im engeren Sinne und der Schmerzerkrankung ergibt sich für beide Krankheitsfelder zusammen nur ein GdB von 40. Dieser ist allerdings gerechtfertigt, nachdem - wie ausgeführt - bereits die Bewertung der depressiven Erkrankung im unteren Bereich der dafür vorgesehenen Spanne verbleibt. Andererseits ist die Migräne der Klägerin von dieser Bewertung mit umfasst, da sie neben der Fibromyalgie, die ein den ganzen Körper umfassendes Schmerzsyndrom darstellt, keine eigenständigen Einschränkungen bedingt.
e) Auf orthopädischem Gebiet legt der Senat insgesamt einen GdB von 20 zu Grunde. Zwar hatte Dr. v. H. in seinem Gutachten vom 05.10.2009 jeweils einen GdB von 20 für die Wirbelsäulenerkrankung (vgl. Teil B Nr. 18.9 VG) und die degenerativen Veränderungen beider Kniegelenke (vgl. Teil B Nr. 18.14 VG) angenommen und in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.05.2011 ausgeführt, diese Werte zusammengefasst ergäben auf orthopädischem Gebiet einen GdB von 30. Bei der Bewertung der orthopädischen Beeinträchtigungen hat Dr. v. H. aber auch die Schmerzausstrahlungen der Wirbelsäulenschädigungen in die Beine mit berücksichtigt. Wenn diese, wie geschehen, im Rahmen der Schmerzerkrankung berücksichtigt werden, können sie nicht - nochmals - den GdB für die orthopädischen Beeinträchtigungen erhöhen. Die verbleibenden Bewegungseinschränkungen allein lassen einen GdB von 20 insgesamt angemes-sen erscheinen:
Dr. v. H. hat eine norma¬le Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule bei nur endgradiger schmerzhafter Einschränkung und eine mäßige Muskelverspannung der Halswirbelsäule mit Druckschmerzen bei uneingeschränkter Beweglichkeit, dafür aber mit deutlichen Veränderungen und einer Gefügelockerung festgestellt. Dies rechtfertigt es, im Sinne von Teil B Nr. 18.9 VG von Beeinträchtigungen an zwei Wirbelsäulenabschnitten auszugehen, die aber jeweils nur geringe funktionelle Auswirkungen haben, sodass ein GdB von knapp 20 vertretbar erscheint.
Die Beeinträchtigungen der Kniegelenke sind nach Teil B Nr. 18.14 VG zu beurteilen. Diese Vor¬schrift ist durch die 3. VersMedV-ÄndV nicht geändert worden. Jene Veränderung betraf nur die Bewertung der verbleibenden Einbußen nach der Implantation von Totalendoprothesen der Hüft- oder Kniegelenke in Nr. B 18.12 VG. Die Klägerin hat eine solche Prothese jedoch noch nicht erhalten. Es kommt daher nicht auf die zwischen den Beteiligten diskutierte Frage an, ob die Änderung der VG durch die 3. VersMedV-ÄndV eine Rückwirkung entfaltet oder zeitlich gestaffelt unterschiedliche GdB-Bewertungen erzwingt. Konkret anzuwenden sind hier nicht die GdB-Werte für Bewegungseinschränkungen der Kniegelenke, denn solche liegen bei der Klägerin noch nicht vor. Die vorhandenen belastungsabhängigen Schmerzen bei erheblichen denerativen Veränderungen an beiden Kniegelenken können mit einem GdB von 10 angenommen werden, nachdem nach Nr. B 18.14 VG - erst - ausgeprägte Knorpelschäden mit anhaltenden Reizerscheinungen ohne Bewegungseinschränkungen bei einem Knie einen GdB von 10 bis 30 und entsprechend bei beiden Knien einen solchen von 20 bis 40 bedingen.
f) Die weiteren Behinderungen der Klägerin bedingen jeweils keinen GdB von mehr als 10 und können daher grundsätzlich nicht zur Erhöhung des Gesamt-GdB beitragen. Insbesondere liegt keine Hörbehinderung im Rechtssinne vor. Nach dem von Dr. N. vorgelegten Tonaudiogramm vom 14.04.2010 ergeben sich bei der Klägerin am - insoweit stärker betroffenen - linken Ohr Tonverluste von 10 dB bei einer Frequenz von 1 kHz, von 20 dB bei 2 kHz und von 30 dB bei 3 kHz (Summe bei 2 und 3 kHz: 50 dB). Hieraus folgt nach Teil B Nr. 5.2.3 VG (3-Fre¬quenz-Tabelle nach Röser) ein Tonverlust von 0 % und in der Folge - da das Hörvermögen rechts noch besser ist - nach Teil B Nr. 5.2.4 VG entsprechend kein GdB. Soweit bei der Klägerin noch ein Tinnitus dazu kommt, ist dieser zwar gesondert zu bewerten (vgl. Einleitung zu Nr. B 5 VG), würde aber den GdB für die Hörbehinderung insgesamt nur auf 10 erhöhen, nachdem der Tinnitus nach der Aussage Dr. N.s erst bei 6000 Hz, also im absoluten Hochtonbereich, auftritt.
g) Insgesamt jedoch sind die genannten Einzel-GdB für die depressive Erkrankung, die Schmerzerkrankung und die orthopädischen Beeinträchtigungen auf den GdB von 50 zusammenzuziehen, den allein die Klägerin beantragt hat (vgl. Teil A Nr. 3 lit. a VG). Eine niedrigere Bewertung erscheint angesichts der doch erheblichen Auswirkungen der psychischen Erkrankung bereits ohne die Schmerzerkrankung nicht mehr angemessen. Auch Dr. v. H. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.05.2011 einen Gesamt-GdB von 50 vorgeschlagen, wobei er sogar die psychische und die Schmerzerkrankung der Klägerin zusammen mit einem GdB von 30 bewertet hat, während der Senat insoweit von einem GdB von 40 ausgeht.
h) Die Klägerin kann auch nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine Neufeststellung dieses GdB ab Antragstellung begehren. Anders als das SG meint, ist von wesentlichen Veränderungen im Gesundheitszustand der Klägerin seit der letzten bindenden Feststellung in dem Widerspruchsbescheid vom 27.08.2003 auszugehen. Dr. v. H. hat zumindest auf orthopädischem Gebiet von einem Voranschreiten der degenerativen Veränderungen und der damit verbundenen Funktionseinbußen berichtet. Hinzu kommt, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Beklagte die Behinderungen der Klägerin im Jahre 2003 unzutreffend hoch eingeschätzt hat. Vielmehr ist in solchen Fällen die allgemeine Erfahrung zu beachten, dass die Verwaltung die wirklichen Auswirkungen eines regelwidrigen Zustandes auch dann zutreffend misst und bewertet, wenn sie z.B. die zu Grunde liegende Krankheit falsch einstuft (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urt. v. 11.10.1994 (9 RVs 9/93, Juris Rn. 10).
2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
3. Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat das Verfahren keine grundsätzliche rechtliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die einzige in diesem Sinne bedeutsame Frage nach der rückwirkenden Anwendbarkeit von Änderungen der VG muss in diesem Verfahren nicht beantwortet werden.
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