L 22 R 302/12 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 97 R 1640/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 302/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. März 2012 geändert. Der Klägerin wird für das erstinstanzliche Klageverfahren - S 97 R 1640/10 - Prozesskostenhilfe ab 26. Oktober 2011 bewilligt. Rechtsanwältin Jana Kölling, Breite Straße 41, 13187 Berlin, wird beigeordnet. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind der Klägerin von der Staatskasse zu erstatten.

Gründe:

I.

Die 1956 geborene Klägerin begehrt von der Beklagten Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, die die Beklagte mit Bescheid vom 28. April 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 2010 abgelehnt hatte.

Am 25. März 2010 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Berlin Klage erhoben und zugleich Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gelangte am 26. März 2010 nebst Belegen zu den Akten. Nachdem vom Gericht Kontoauszüge und ein aktueller Wohngeldbescheid im November 2010 angefordert worden und diese nicht zu den Akten gelangt waren, lehnte das SG mit Beschluss vom 26. September 2011 Gewährung von Prozesskostenhilfe gemäß § 118 Abs. 2 Satz 4 Zivilprozessordnung (ZPO) ab, weil die Klägerin die erforderlichen Belege nicht eingereicht habe.

Das SG holte Befundberichte und aufgrund der Beweisanordnung vom 14. Dezember 2010 ein Gutachten ein, das Frau Dr. H auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet im Mai 2011 erstattete.

Am 26. Oktober 2011 ging beim SG ein weiterer Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ein unter Beifügung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Kontoauszügen und Bescheid des Bezirksamtes Lichtenberg vom 08. August 2011 zur Höhe des Wohngeldes ab 01. August 2011.

Mit Beschluss vom 20. März 2012 hat das Sozialgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Auf der Grundlage des Gutachtens von Frau Dr. H verneinte es die Erfolgsaussicht. Die Klägerin könne noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein. Auch wenn die Klägerin die maßgebliche Tätigkeit als Stationshilfe aus gesundheitlichen Gründen nach der nachvollziehbaren Einschätzung der Sachverständigen Dr. H, der das Gericht folge, nicht mehr ausüben könne, führe dies auch nicht zu einer Berufsunfähigkeit im Sinne von § 240 SGB VI. Eine solche liege erst vor, wenn der Versicherte nicht auf eine sozial, fachlich und gesundheitlich zumutbare berufliche Tätigkeit verwiesen werden könne.

Zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zur Bestimmung der zumutbaren Verweisungstätigkeit im Sinne des § 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI habe das BSG in ständiger Rechtsprechung ein Mehrstufenschema entwickelt. Danach würden die Berufstätigkeiten in die Leitberufe der Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion bzw. besonders hochqualifizierten Facharbeiter, Facharbeiter, die einen anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei (regelmäßig drei) Jahren ausüben, angelernten Arbeiter, die einen Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren ausführen und ungelernten Arbeiter unterteilt; verwiesen werden könne grundsätzlich nur auf Tätigkeiten der gleichen oder nächst niedrigeren Stufe (BSG SozR 3-2200 zu § 1246 RVO Nr. 72; BSG SozR 2200 zu § 1246 RVO Nr. 107, 138).

Unter Berücksichtigung des bisherigen beruflichen Werdegangs der Klägerin und ausgehend von der Tätigkeit als Stationshilfe, welche keine Anlernzeit von mehr als 12 Monaten erfordere (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 12.10.2006, L 14 R 865/05, zitiert nach juris) sei die Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, ohne dass es der Benennung eines konkreten Verweisungsberufes bedürfe.

Gegen den ihr am 27. März 2012 zugestellten Beschluss richtet sich die am 30. März 2012 eingelegte Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin.

Sie beantragt,

der Klägerin Prozesskostenhilfe für die Wahrnehmung ihrer Interessen im Verfahren erster Instanz vor dem Sozialgericht Berlin unter Aufhebung des angegriffenen Beschlusses zu gewähren.

Sie meint, das Gericht habe die Rechte der Klägerin rechtswidrig verkürzt.

Die Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist begründet.

Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 ZPO erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Nach der in Rechtsprechung und Literatur ganz herrschenden Meinung hat ein Rechtsschutzbegehren dann im Sinne des § 114 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder wenn der entscheidungserhebliche Sachverhalt unübersichtlich ist oder weiterer Klärung bedarf und das Gericht im Zeitpunkt der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Umgekehrt kann die Erfolgsaussicht verneint werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. Beschluss des BSG vom 04.12.2007 - B 2 U 165/06 B -).

Nach diesen Maßstäben besteht hinreichende Aussicht auf Erfolg jedenfalls hinsichtlich eines Anspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben nach dieser Vorschrift bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersrente auch Versicherte, die 1. vor dem 02. Januar 1961 geboren und 2. berufsunfähig sind. Berufsunfähig im Sinne des § 240 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 SGB VI).

Der weiteren Klärung bedarf jedenfalls, ob die Klägerin hiernach berufsunfähig ist.

Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Dies ist in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls dann, wenn diese zugleich die qualitativ höchste ist (Bundessozialgericht BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 53, 94, 130 zur insoweit wortgleichen, bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Vorschrift des § 43 Abs. 2 SGB VI). Allerdings bleibt eine frühere versicherungspflichtige Beschäftigung maßgeblicher Beruf, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben wurde (vgl. BSGE 2, 181, 187; BSG SozR RVO § 1246 Nrn. 33, 57 und 94; BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 158 zur insoweit wortgleichen, bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Vorschrift des § 43 Abs. 2 SGB VI).

Die Klägerin kann nach dem Gutachten von Frau Dr. H die Tätigkeit einer Schwesternhelferin aufgrund der von ihr festgestellten Leistungseinschränkungen nicht mehr ausüben. Hiernach könnte die Klägerin berufsunfähig sein. Ob dies ist der maßgebender Beruf ist, bleibt zu ermitteln. Das SG legt seiner Beurteilung die Tätigkeit einer Stationshilfe zugrunde. Die Klägerin hat in ihrem im August 2008 gestellten Antrag angegeben, von 1970 bis 1972 einen angelernten Beruf einer Teilfachverkäuferin erlernt und eine Berufsausbildung zur Schwesternhelferin von 1994/95 gemacht zu haben. Als Schwesternhelferin habe sie von 1994 bis 1995 bei dem DRK gearbeitet.

Soweit das SG meint, die Klägerin sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, ist dies ohne weitere Ermittlungen nicht nachvollziehbar.

Zunächst fehlen dafür jegliche Ermittlungsergebnisse für die Prüfung des maßgeblichen Berufes und für die Verweisbarkeit der Klägerin im Sinne des vom SG im genannten Mehrstufenschemas, was gegebenenfalls Grundlage einer berufskundlichen Prüfung sein könnte. Es ist zu erwarten, dass die Klägerin nach einem Hinweis auf die Folgen ihrer dazu noch fehlenden Auskünfte mitwirken wird und die dazu erforderlichen Ermittlungen betrieben werden können. Das SG macht mit seinem Verweis auf das Urteil des Bayerischen LSG vom 12. Oktober 2006 – L 14 R 865/05 deutlich, dass es selbst Ermittlungen zur Verweisbarkeit der Klägerin für erforderlich erachtet. Zu erkennen ist das Erkenntnisinteresse des SG zu der Frage, welche Anlernzeit die Tätigkeit einer Stationshilfe erfordert. Hierauf gibt das genannte LSG- Urteil keine Antwort.

Der Hinweis des SG auf das Urteil des Bayerischen LSG vom 12. Oktober 2006 ist –ungeachtet der Ungeklärtheit des maßgeblichen Berufes - nicht geeignet, die Verweisbarkeit zu begründen. Die Klägerin in jenem Verfahren war nach dem Tatbestand des Urteils als Stationshilfe und Reinigungskraft tätig. Das LSG legt in jenem Verfahren in den Entscheidungsgründen " ihre bisher ungelernten Tätigkeiten" zugrunde. Nicht erkennbar ist hieraus ein Erkenntnisgewinn für die Klärung des hier zu entscheidenden Verfahrens. Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 176 Rdnr. 5 a unter Hinweis auf das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 06. August 2007, L 3 B 307/06 AS) und entspricht dem Ergebnis des Beschwerdeverfahrens.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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