S 12 KA 307/13

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 307/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 18/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Unterstellt man, dass eine langdauernde Freistellung der Vertragsärzte nach Erreichen des 60. Lebensjahres von der Teilnahme am Notdienst zu Gewohnheitsrecht erstarkt ist, so erlischt diese Regelung, wenn die Anerkennung der Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm wegfällt. Dies ist der Fall bei einer gegenläufigen Praxis der Obfrau und wenn sich die überwiegende Mehrheit der am Notdienst teilnehmenden Ärzte gegen eine Weitergeltung der Regelung wendet.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten und die Gerichtskosten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Entbindung von der Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme am gebietsärztlichen Bereitschaftsdienst ÄBD A-Stadt und Sektoren für den Bereich Augenheilkunde aus Altersgründen wegen Überschreiten des 60. Lebensjahres.

Der 1950 geb. und jetzt 63-jährige Kläger ist als Augenarzt mit Praxissitz in A-Stadt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er nimmt seit 1999 am gebietsärztlichen Bereitschaftsdienst ÄBD A-Stadt und Sektoren für den Bereich Augenheilkunde teil.

Zwischen den Beteiligten entspann sich seit Oktober 2012 ein Schriftwechsel über die Frage, ob Ärzte im ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) A-Stadt nach Erreichen des 60. Lebensjahres vom Notdienst zu befreien seien. Hierüber kam es zu einem einstweiligen Anordnungsverfahren zum Az.: S 12 KA 118/13 ER, das die Beteiligten vergleichsweise beendeten.

Gegen den gebietsärztlichen Dienstplan des ÄBD A-Stadt und Sektoren für das Jahr 2013 erhob der Kläger mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 05.03.2013 Widerspruch. Darin trug er vor, er verweise auf Beschlüsse der Notdienstgemeinschaft aus den Jahren 2001 und 2006, in denen beschlossen worden sei, dass Ärzte, die das 60. Lebensjahr vollendet hätten, nicht mehr am Notdienst teilnehmen müssten.

Verschiedene Augenärzte wandten sich mit gleichlautendem Schreiben an die Beklagte und forderten diese auf, die gültige Notdienstverordnung umzusetzen. Es gebe keine automatische Befreiung bei Erreichen des 60. Lebensjahres. Sie seien nicht mehr bereit, Notdienste für auf diese Weise freigestellte Kollegen zu übernehmen.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 03.04.2013 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Teilnahmepflicht am Notdienst folge aus dem Heilberufsgesetz, der Berufsordnung und dem Sozialgesetzbuch – gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) sowie ihrer Satzung. Nach § 3 Abs. 2 ihrer Notdienstordnung könne eine Freistellung nach Vollendung des 65. Lebensjahres ausgesprochen werden. Diese Voraussetzung erfülle der Kläger nicht. Eine Freistellung könne gem. § 3 Abs. 2 Notdienstordnung lediglich vom Vorstand oder einem von ihm beauftragten Gremium ausgesprochen werden. Die Regelungen im § 3 Abs. 2 und 3 sowie § 6 Abs. 2 Notdienstordnung seien abschließend. Das bedeute, dass eine Notdienstgemeinschaft gar nicht befugt sei, eine Freistellung von der Teilnahmepflicht am ärztlichen Bereitschaftsdienst zu erteilen. Eine solche Befugnis ergebe sich auch nicht aus § 5 Abs. 1 und 2 der Notdienstordnung.

Hiergegen hat der Kläger am 06.05.2013 die Klage erhoben. Zur Begründung verweist er auf einen Beschluss in einer NFD-Ausschusssitzung vom Oktober 2001, wonach Kollegen, die das 60. Lebensjahr vollendet oder beschritten hätten, eigenverantwortlich entscheiden könnten, ob sie an Bereitschaftsdiensten teilnehmen wollten oder nicht. Dieser Beschluss sei im Jahre 2006 wiederholt worden. Dieser Beschluss sei damit begründet worden, dass diejenigen Kollegen, die auf Grund einer entsprechenden Regelung als jüngere Kollegen Bereitschaftsdienste der älteren Kollegen übernähmen, mit Erreichen des 60. Lebensjahres ebenfalls in den Genuss kommen sollten, eigenverantwortlich zu entscheiden, ob sie an derartigen Bereitschaftsdiensten weiter teilnehmen wollten oder nicht. Er habe dies seit 1986 mitgetragen. Die Notdienstgemeinschaft sei befugt, Beschlüsse zu fassen, welche Kollegen abweichend von § 3 der Notdienstordnung vom Bereitschaftsdienst freizustellen seien. Unabhängig von der Frage, ob ein solcher Beschluss geändert werden könnte, sei ein neuer Mehrheitsbeschluss bisher nicht gefasst worden und hätten die älteren Kollegen einen Besitzstand erworben, der auch durch einen abgeänderten Mehrheitsbeschluss nach Erwerb des Besitzstandes nicht mehr ohne Weiteres geändert werden könne, weil diejenigen Kollegen, die vor Erreichen des 60. Lebensjahres Dienste für die älteren Kollegen geleistet hätten, sich hierdurch den Besitzstand erarbeitet hätten. Eine Genehmigung für die Beschlüsse hätte es seinerzeit nicht bedurft. Dies folge aus § 5 Abs. 1 der Notdienstordnung, wonach die für einen Notdienstbezirk zuständige Notdienstgemeinschaft grundsätzlich die Einzelheiten des Notdienstes in eigener Zuständigkeit zu regeln habe. Die im Jahr 2001 beschlossene Regelung sei bereits Anfang der 80er Jahre so beschlossen und praktiziert worden. In der Sitzung des Ausschusses vom 25.10.2001 habe man lediglich die Kollegen namentlich benannt, die das 60. Lebensjahr erreicht hatten. Soweit die Beklagte davon ausgehe, dass der Beschluss rechtswidrig sei, blende sie aus, dass er bestandskräftig geworden sei.

Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass seine Heranziehung zum ärztlichen Bereitschaftsdienst nach dem gebietsärztlichen Dienstplan des ÄBD A-Stadt und Sektoren für das Jahr 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 03.04.2013 rechtswidrig war.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Beschlüsse aus den Jahren 2001 und 2006 seien ihr nicht explizit bekannt. Dem Protokoll der NFD-Ausschusssitzung vom 25.10.2001, was sie zur Gerichtsakte reiche, lasse sich lediglich eine Liste mit Namen von den Ärzten entnehmen, welche im Laufe des Jahres 2002 von der Teilnahmepflicht am Bereitschaftsdienst befreit werden sollten. Der Name des Klägers sei nicht drunter. Daneben liege lediglich ein Schreiben des NFD-A-Stadt an Herrn Dr. med. C., einem Kollegen des Klägers, vom 15.02.2002 vor, was sie ebenfalls zur Gerichtsakte reiche, aus dem hervorgehe, dass in der genannten NFD-Ausschusssitzung beschlossen worden sei, in den einzelnen fachärztlichen Rufbereitschaften die Ärzte herauszusuchen, die das 60. Lebensjahr bereits überschritten hätten oder in Kürze erreichten, um damit den einzelnen Fachgruppen zu ermöglichen, in Eigenverantwortung zu entscheiden, ob auch die Kollegen mit Vollendung des 60. Lebensjahres vom Rufbereitschaftsdienst freigestellt werden sollten. Sowohl nach der von 1993 bis zum 30.09.2002 geltenden Notdienstordnung als auch nach den folgenden Notdienstordnungen vom 01.10.2002, 01.01.2005 und April 2010 hätten die Voraussetzungen für eine Befreiung nicht vorgelegen. Die Notdienstgemeinschaft habe jedenfalls nicht die Kompetenz zu entscheiden, ob Vertragsärzte ab Vollendung des 60. Lebensjahres von der Teilnahmepflicht zu befreien und damit einen weiteren Befreiungstatbestand, abweichend von der jeweiligen Notdienstordnung zu schaffen. Zwar sei der NFD-Ausschuss als Geschäftsausschuss der zuständigen – damals noch existenten – Bezirksstelle für die Beschlussfassung im Jahre 2001 über die Befreiung der genannten Ärzte nach regelungsbefugt gewesen. Dieser Beschluss sei aber materiell rechtswidrig, weil eine Freistellung erst ab dem 65. Lebensjahr möglich gewesen sei. Der Beschluss sehe im Übrigen nur die Befreiung der namentlich aufgeführten Ärzte vor. Unterstelle man, es habe den Beschluss tatsächlich gegeben, so entbehre dieser sowohl der formellen als auch der materiellen Rechtmäßigkeit. Die ÄBD-Gemeinschaft sei nicht zuständig, eine Freistellung zu erteilen, weil dies nicht zu den in § 5 Notdienstordnung abschließend erläuterten Aufgaben zähle. Ferner müsse ein in der Notdienstordnung aufgeführter Befreiungsgrund vorliegen. § 3 Abs. 2 Notdienstordnung beinhalte auch nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Verbescheidung, wobei insbesondere zu berücksichtigen sei, ob dem den Antrag stellenden Arzt die Bestellung und Bezahlung eines Vertreters zugemutet werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richterinnen aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig. Der Kläger hat sie nach Erledigung aufgrund Beendigung der Geltung des Dienstplans für das Jahr 2013 auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt. Diese ist wegen der Wiederholungsgefahr zulässig.

Die Klage ist aber unbegründet. Der gebietsärztliche Dienstplan des ÄBD A-Stadt und Sektoren für das Jahr 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.04.2013 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entbindung von der Verpflichtung zur Teilnahme am gebietsärztlichen Bereitschaftsdienst ÄBD A-Stadt und Sektoren. Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen haben die vertragsärztliche Versorgung in dem in § 73 Abs. 2 bezeichneten Umfang sicherzustellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Die Sicherstellung umfasst auch die vertragsärztliche Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten (Notdienst), nicht jedoch die notärztliche Versorgung im Rahmen des Rettungsdienstes, soweit das Landesrecht nichts anderes bestimmt (§ 75 Abs. 1 Satz 1 und 2 Sozialgesetzbuch, V. Buch, Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V). Zur Erfüllung ihrer Pflichten hat die Beklagte die hier anzuwendende, von der Abgeordnetenversammlung der KV Hessen am 24.11.2004 beschlossene und ab 01.05.2005 gültige Notdienstordnung erlassen, geändert durch die Beschlüsse der Vertreterversammlung der KV Hessen vom 21.04.2007, 13.12.2008, 19.02.2009 und 20.02.2010. Diese Notdienstordnung hat Satzungsqualität. Nach der Notdienstordnung nehmen am organisierten allgemeinen Notdienst grundsätzlich alle niedergelassenen Vertragsärzte an einer Notdienstgemeinschaft teil (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Notdienstordnung). Soweit eine gebietsärztliche Bereitschaft mit Zustimmung des Vorstandes oder eines von ihm beauftragten Gremiums besteht, was hier der Fall ist, nehmen grundsätzlich alle Gebietsärzte des entsprechenden Gebietes hieran teil (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Notdienstordnung). Eine ggf. befristete, teilweise bzw. vollständige Freistellung vom organisierten Notdienst kann nach § 3 Abs. 2 Notdienstordnung auf Antrag eines Vertragsarztes vom Geschäftsausschuss der zuständigen Bezirksstelle bzw. nach der Änderung vom Vorstand oder einem von ihm beauftragten Gremium u. a. ausgesprochen werden, wenn
a) ein Vertragsarzt aus gesundheitlichen Gründen (Krankheit oder Behinderung) hierzu nicht in der Lage ist, und dies wesentliche Auswirkungen auf seine sonstige tägliche vertragsärztliche Tätigkeit hat;
b) bei einer Vertragsärztin eine Schwangerschaft besteht (bis zum 12. Monat nach der Entbindung);
c) ein Vertragsarzt das 65. Lebensjahr vollendet hat;
d) ein Vertragsarzt wegen besonders belastender familiärer Pflichten oder wegen politischer, berufspolitischer oder wissenschaftlicher Tätigkeit nicht nur vorübergehend an der Teilnahme am organisierten Notdienst gehindert ist;
e) sonstige von einem Vertragsarzt im Einzelfall darzulegende, schwerwiegende Gründe, aufgrund derer eine Teilnahme am Notdienst auf Zeit oder dauernd nicht zugemutet werden kann, bestehen.

Ein Antrag auf Befreiung vom organisierten Notdienst gemäß Abs. 2 ist schriftlich mit entsprechender Begründung an die für die Notdienstgemeinschaft zuständige Bezirksstelle zu richten (§ 3 Abs. 3 Notdienstordnung). Der Geschäftsausschuss der zuständigen Bezirksstelle bzw. der Vorstand oder ein von ihm beauftragtes Gremium hat auf Antrag eines Vertragsarztes über dessen Freistellung von der Teilnahmeverpflichtung am organisierten Notdienst zu entscheiden. Dabei sind die unter § 3 genannten Sachverhalte zu prüfen. Bevor eine Entscheidung über eine vollständige oder teilweise, ggf. auch zeitlich begrenzte Freistellung erfolgt, ist zu prüfen ob
a) dem betreffenden Vertragsarzt eine ärztliche Tätigkeit anderer Art im Rahmen der organisierten Dienste zugemutet werden kann. Als solche Tätigkeiten kommen insbesondere in Betracht:
aa) Bereitschaft für Notdienstleistungen in den Räumen der eigenen Praxis oder in der Notdienstzentrale bzw. an einer dazu von der zuständigen Bezirksstelle vorgesehenen Stelle bzw. nach der Änderung vom Vorstand oder einem von ihm beauftragten Gremium
bb) telefonische ärztliche Beratung in einer Notdienstzentrale oder Notdienstleitstelle
cc) Dienst im Rahmen der Rufbereitschaft/Hintergrundbereitschaft
dd) Bereitschaftsdienst zur konsiliarischen Unterstützung des Notarztes;
b) im Falle der Freistellung aus gesundheitlichen Gründen oder wegen körperlicher Behinderung eine nachteilige Auswirkung der gesundheitlichen Verhältnisse auf die allgemeine berufliche Tätigkeit des Vertragsarztes festzustellen ist;
c) dem Vertragsarzt auferlegt werden kann, die Dienste auf eigene Kosten oder zumindest mit dessen Kostenbeteiligung von einem eigenen Vertreter wahrnehmen zu lassen; in diesem Fall hat die Bezirksstelle auch die Höhe des Kostenersatzes festzulegen (§ 6 Abs. 2 Notdienstordnung).

Grundsätzlich sind alle Vertragsärzte zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst geeignet. Der Anspruch eines Vertragsarztes beschränkt sich darauf, im Rahmen der Gleichbehandlung nicht öfters zum Notfalldienst herangezogen zu werden als die übrigen Ärzte.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat wiederholt betont, dass es sich bei der Sicherstellung eines ausreichenden Not- und Bereitschaftsdienstes um eine gemeinsame Aufgabe der Vertragsärzte handelt, die nur erfüllt werden kann, wenn alle zugelassenen Ärzte unabhängig von der Fachgruppenzugehörigkeit und sonstigen individuellen Besonderheiten und ohne Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Personen oder Gruppen gleichmäßig herangezogen werden (vgl. BSG, Urt. v. 18.10.1995 - 6 RKa 66/94 - USK 95124, juris Rdnr. 15).

Der in der Notfalldienstverpflichtung liegende Eingriff in die Berufsfreiheit ist auch dann hinzunehmen, wenn er für den einzelnen Vertragsarzt besondere, über das übliche Maß hinausgehende Unannehmlichkeiten und Erschwernisse mit sich bringt. Erst beim Vorliegen schwerwiegender Gründe kann die Grenze der Zumutbarkeit überschritten und eine Befreiung des Betroffenen geboten sein (vgl. BSG, Urt. v. 18.10.1995 - 6 RKa 66/94 - USK 95124, juris Rdnr. 15). Die Kassenärztliche Vereinigung muss auf Erfüllung der Verpflichtung nicht bestehen, wenn genügend Kassenärzte freiwillig teilnehmen, sie kann allerdings die nicht teilnehmenden Vertragsärzte zur Finanzierung heranziehen (vgl. BSG, Urt. v. 03.09.1987 - 6 RKa 1/87 - SozR 2200 § 368m Nr. 4, juris Rdnr. 17). Der Notdienst ist in gleicher Weise Bestandteil der hausärztlichen als auch der fachärztlichen Versorgung (vgl. BSG, Urt. v. 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R - SozR 4-2500 § 75 Nr. 5 = MedR 2007, 504, juris Rdnr. 11). Auch Fachärzte sind grundsätzlich geeignet zur Teilnahme am Notfalldienst (vgl. BSG, Urt. v. 15.04.1980 - Az: 6 RKa 8/78 - USK 8055 m.w.N., juris Rdnr. 12). Beruft sich ein Facharzt auf einen Eignungsverlust, so trägt er hierfür die Feststellungslast (vgl. BSG, Urt. v. 15.04.1980 - Az: 6 RKa 8/78 - USK 8055 m.w.N. = juris Rdnr. 12; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 08.12.2004 - L 10 KA 5/04 - www.sozialgerichtsbarkeit.de.). Es besteht auch eine Pflicht zur Fortbildung für eine Tätigkeit im Notdienst (vgl. BSG, Urt. v. 15.04.1980 - Az: 6 RKa 8/78 - USK 8055 m.w.N. = juris Rdnr. 12; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 08.12.2004 - L 10 KA 5/04 - www.sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 16.07.2003 - L 5 KA 3081/02 - juris Rdnr. 22).

Ausgehend hiervon sind die genannten Satzungsbestimmungen der Beklagten, insbesondere § 3 Abs. 2 Notdienstordnung nicht zu beanstanden.

Der Kläger erfüllt in seiner Person keinen Befreiungstatbestand von der Teilnahme am gebietsärztlichen Bereitschaftsdienst, insbesondere hat er das 65. Lebensjahr noch nicht erfüllt. Dies wird von ihm im Übrigen auch nicht geltend gemacht.

Soweit der Kläger auf Beschlüsse des Jahres 2001 und 2006 verweist, sind solche nicht ersichtlich.

In der NFD-Ausschusssitzung am 25.10.2001 wurde ausweislich des von der Beklagten vorgelegten Protokolls ein solcher Beschluss nicht gefasst. Tagesordnungspunkt 1 listet unter der Überschrift "Befreiung aus Altersgründen" lediglich 11 Arztnamen auf mit dem jeweiligen Vermerk "Befreit ab ". Ferner heißt es, unter diesem Punkt werde das unterschiedliche Befreiungsalter von Ärztinnen und Ärzten angesprochen. Um eine eventuelle Entscheidung hierüber herbeiführen zu können, solle für die fachärztlichen Rufbereitschaftsgruppen eine Altersstatistik erstellt werden. Damit ist jedenfalls keine generelle Regelung beschlossen worden, dass es Ärzten mit Erreichen des 60. Lebensjahres freigestellt werde, selbst zu entscheiden, ob sie am gebietsärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen wollen oder nicht. Ob überhaupt ein Beschluss im rechtlichen Sinne vorliegt, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls liegt ein Beschluss, der es Vertragsärzten nach Vollendung des 60. Lebensjahres freistellen würde, ob sie am gebietsärztlichen Notdienst teilnehmen oder nicht, nicht vor.

Ein Beschluss aus dem Jahr 2006 konnte von der Beklagten nicht vorgelegt werden und wurde auch vom Kläger nicht vorgelegt. Insofern geht es aber zu Lasten des Klägers, der sich auf einem solchen Beschluss beruft, wenn das Vorliegen eines solchen Beschlusses nicht nachgewiesen werden kann.

Von daher kommt es auch nicht darauf an, ob die Notdienstgemeinschaft seinerzeit einen solchen Beschluss über die Befreiung von der Teilnahme am gebietsärztlichen Bereitschaftsdienst treffen konnte (vgl. zu den Voraussetzungen (zur Erhebung einer Umlage) SG Marburg, Urt. v. 22.08.2007 - S 12 KA 575/06 - juris Rdnr. 28 ff.). Unterstellt man eine entsprechende Beschlussfassung und wäre diese rechtswidrig, so könnte eine "Bestandskraft" im vom Kläger behaupteten Sinne nicht eintreten, da es sich um eine Rechtsnorm handeln würde und rechtwidrige Rechtsnormen von Anfang an nichtig sind.

Dem Beschluss der Notdienstgemeinschaft kann aber entnommen werden, was letztlich auch der Kern des Vortrags des Klägers ist, dass eine langandauernde Übung bestand, es Vertragsärzten nach Erreichen des 60. Lebensjahres freizustellen, ob sie am gebietsärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen wollten. Unterstellt eine solche Übung habe tatsächlich bestanden, könnte es sich hierbei um Gewohnheitsrecht handeln.

Gewohnheitsrecht entsteht durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.01.2009 - 2 BvR 2044/07 - juris Rdnr. 62; BGH, Urt. v. 21.11.2008 - V ZR 35/08 - juris Rdnr. 12; VGH Hessen, Urt. v. 08.09.1999 - 5 UE 4085/98 - juris Rdnr. 35; VG Karlsruhe, Urt. v. 12.02.2010 - 7 K 1669/07 - juris Rdnr. 23). Für eine Abänderung von Gewohnheitsrecht bedarf es derselben Voraussetzungen wie für seine Entstehung. Die Entstehung und der Untergang von Gewohnheitsrecht verhalten sich spiegelbildlich zueinander (vgl. Krebs/Becker: Entstehung und Abänderbarkeit von Gewohnheitsrecht, JuS 2013, 97, 102 m.w.N.).

Jedenfalls dann, wenn die Anerkennung der Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm wegfällt, erlischt eine gewohnheitsrechtliche Regelung. Vom Wegfall dieser Rechtsüberzeugung muss jedenfalls durch die gegenläufige Praxis der Obfrau für den Notdienst und insbesondere durch die "Petition für die Umsetzung der Notdienstverordnung von den Kollegen der Notdienstgruppe" ausgegangen werden. Diese sog. Petition wurde von 19 der 26 auf dem Dienstplan eingeteilten Ärzte unterzeichnet. Auf Grund der nichtförmlichen Entstehung des Gewohnheitsrechts bedarf es auch keines förmlichen Beschlusses, sondern reicht eine sich manifestierende entgegenstehende Überzeugung der Rechtsbeteiligten aus. Auch wenn man davon ausgeht, dass Gewohnheitsrecht im Sinne des Klägers entstanden sein sollte, so ist dies jedenfalls mit Aufstellung des letzten Dienstplans bzw. im März 2013 durch die sogenannte Petition erloschen.

Auch von daher brauchte die Kammer nicht der Frage nachzugehen, ob eine im Sinne des Klägers unterstelltes Gewohnheitsrecht auf Grund der Neuregelungen der Notdienstordnung möglicherweise entfallen ist.

Soweit der Kläger einen "Bestandsschutz" geltend macht, ist ein solcher nicht ersichtlich. Der Kläger persönlich ist durch keine Entscheidung der Beklagten von der Teilnahme am gebietsärztlichen Bereitschaftsdienst entbunden worden wegen Erreichen des 60. Lebensjahres, auch ist ihm gegenüber keine entsprechende Zusicherung (§ 34 SGB X) ergangen. Geht man vom Bestehen eines Gewohnheitsrechts aus, so handelt es sich um Satzungsrecht, das hier für die Zukunft geändert wurde. Ein Vertrauen darauf, dass eine einmal bestehende Regelung bestehen bleibt, gibt es nicht. Vertrauensschutzgesichtspunkte könnten allenfalls einer Rückwirkung entgegenstehen. Ferner ist nicht ersichtlich, dass der Kläger im Vertrauen auf das Bestehen der Regelung wesentliche Entscheidungen getroffen hätte.

Nach allem war die Klage daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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