L 10 R 2657/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 7708/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2657/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Wendet sich der Versicherte gegen die Neuvergabe einer Versicherungsnummer mit anderem Geburtsdatum durch den Rentenversicherungsträger ist jedenfalls die Anfechtungsklage zulässig; denn diese Neuvergabe ist ein Verwaltungsakt; offen bleibt, ob auch die Verpflichtungsklage zulässig ist.
2. Die §§ 44 ff. SGB X finden auf die Neuvergabe einer Versicherungsnummer keine Anwendung, weil die Regelungen über die Vergabe von Versicherungsnummern vorrangige Sonderregelungen enthalten.
3. Ein vor den Erstangaben des Versicherten gegenüber dem deutschen Sozialleistungsträger ergangenes türkisches Urteil mit von den Erstangaben des Versicherten abweichender Feststellung des Geburtsdatums ist grundsätzlich zu beachten.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.05.2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger zu Recht eine neue Versicherungsnummer mit einem anderen Geburtsdatum vergab.

Der Kläger wurde in der Türkei geboren. Ursprünglich wurde er dort mit dem Geburtsdatum 1947 geführt. Nach dem Besuch der Primärschule bis Juni 1960 (Bl. 49 VA), daran anschließend der Mittelschule und von September 1966 bis September 1969 des Gymnasiums (Bl. 19 VA) - jeweils mit dem Geburtsdatum 1947 - war er bis in das Studienjahr 1971/72 an der Universität Mamara immatrikuliert (Bl. 18 VA). Eine erste Arbeitsaufnahme in der Türkei ist für den 09.08.1965 mit dem von ihm angegebenen Geburtsdatum 1947 dokumentiert (Bescheinigung der türkischen Sozialversicherung vom Oktober 2011: "Personalangaben des Versicherten", Bl. 73 SG-Akte). Entsprechend weist sein am 05.08.1965 ausgestelltes Rentenversicherungsbuch (Bl. 105 VA) ebenfalls das Geburtsdatum 1947 aus. Seinen Wehrdienst in der Türkei leistete der Kläger von November 1974 bis Juli 1976 ab (Bl. 81 SG-Akte).

Dem gegenüber weist das Standesregister (N. K. Ö.) der Kreisstadt C. als Geburtsdatum des Klägers den 1949 aus. Dabei ist unter der Überschrift "Bemerkungen" insoweit folgendes dokumentiert: "Berichtigung: Durch am 02.06.1966 unter Nr. 1966/323-415 verkündetem Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Ü. wurde das bisherige Geburtsdatum 1947 als 1949 berichtigt" (vgl. Auszug aus dem Standesregister vom 11.02.2005 nebst Übersetzung; Bl. 27/28 VA). Ausweislich dieses Urteils (Bl. 57/58 VA) hatte der Kläger diese Berichtigung beantragt und sein Vater hatte in der Verhandlung bestätigt, dass der Kläger zwei Jahre älter eingetragen wurde, als sein tatsächliches Geburtsdatum war. Nach hinreichender Prüfung seitens der Staatsanwaltschaft - so im Urteil weiter - sei die Klage begründet. Entsprechend wurde auch das Geburtsdatum im Datenbestand der türkischen Sozialversicherung auf den 1949 berichtigt (Bl. 73 SG-Akte).

Im Oktober 1971 kam der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland und nahm im März 1972 eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf. Mit Eintritt in die Deutsche Rentenversicherung wurde ihm von der damaligen Landesversicherungsanstalt Württemberg (LVA) eine Versicherungsnummer mit dem Geburtsdatum 1947 zugeteilt. Ausweislich des von der LVA an die Beklagte übermittelten Datenbestandes wurde die zunächst vergebene Versicherungsnummer am 25.07.1979 stillgelegt und an den Kläger eine neue Versicherungsnummer vergeben, nunmehr mit dem Geburtsdatum 1949. Eine Stilllegung dieser Versicherungsnummer erfolgte dann wiederum am 05.05.2004. Grundlage dessen war eine im Oktober 2002 erfolgte Vorsprache des Klägers, anlässlich derer er um die Berichtigung dieser Versicherungsnummer auf das Geburtsdatum 1947 bat, da dieses dem tatsächlichen Geburtsdatum entspreche. Ausweislich des entsprechenden Aktenvermerks (Bl. 62 VA) legte der Kläger seinerzeit das türkische Gerichtsurteil "v. 20.04.1966" mit dem "GBDT von 1949 auf 1947", einen Auszug aus dem Standesregister "v. 24.12.2001" mit dem "GBDT 1947 (Änderung)", den Führerschein vom 12.09.1973 mit dem "GBDT 1947" sowie den Sozialversicherungsausweis vom 08.05.1972 mit dem "GBDT 1947" vor. Mit Schreiben vom 03.05.2004 teilte die LVA dem Kläger seinerzeit mit, dass das Versicherungskonto nun unter der Versicherungsnummer mit dem Geburtsdatum 47 geführt werde und die früheren Versicherungsnummern stillgelegt und nicht mehr gültig seien (Bl. 29 VA).

Im August 2009 stellte der Kläger bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg einen Antrag auf Kontenklärung, wobei diese das Verfahren wegen der geltend gemachten türkischen Zeiten an die insoweit zuständige Beklagte abgab. Im Kontenklärungsverfahren legte der Kläger neben Bescheinigungen über Schulbesuche den erwähnten Auszug aus dem Standesregister sowie die Kopie des türkischen Urteils vor.

Mit Schreiben vom 09.08.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er künftig unter der neuen Versicherungsnummer 18 49 K 105 geführt werde. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, sich auf die zuletzt vergebene Versicherungsnummer mit dem Geburtsdatum 47 verlassen zu haben. Auch habe er seinen Arbeitsplatz verloren, da er davon ausgegangen sei, dass er bald Rente bekomme. Er sei mit dem Geburtsdatum 1947 eingereist. Das Verfahren, das mit dem Urteil vom 02.06.1966 geendet habe, sei von seinem Vater betrieben worden. Er selbst habe davon nichts gewusst. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30.11.2010 zurückgewiesen.

Am 09.12.2010 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, er sei 1947 geboren, was durch zahlreiche Urkunden belegt sei, in denen als Geburtstag jeweils der 1947 ausgewiesen sei (u.a. Bescheinigung der Primärschule vom 22.04.2010 sowie des Berufs- und Handelsgymnasiums Anadolu zu K. vom 26.08.2009, Führerschein vom 12.09.1973, Sozialversicherungsausweise vom 08.05.1972 und 03.05.2004, Bescheinigung des türkischen Sozialversicherungsträgers vom 17.10.2011, Bescheinigung des Kreiswehrersatzamts T. vom 08.02.2012).

Mit Urteil vom 23.05.2012 hat das SG die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte habe dem Kläger zu Recht eine Versicherungsnummer mit dem geänderten Geburtsdatum 1949 zugeteilt. Denn im Hinblick auf § 33a Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) sei von dem Geburtsdatum, das erstmals gegenüber einem Sozialleistungsträger angegeben wurde (hier: 1947), abzuweichen, weil eine Berichtigung des Geburtsdatums vom 1947 auf den 1949 mit dem vor Einreise des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland ergangenen Beschluss des Landgerichts Ü. vom 02.06.1966 erfolgt sei. Für die Versicherungsnummer sei daher das Geburtsdatum 1949 maßgeblich.

Am 21.06.2012 hat der Kläger dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, er sei tatsächlich am 1947 geboren. Dies werde durch die bereits vorgelegten Unterlagen belegt. Außerdem hat er die eidesstattliche Versicherung seiner Mutter vom 04.10.2012 vorgelegt (Bl. 30 LSG-Akte), in der sie das Geburtsdatum 1947 bestätigt.

Der Kläger beantragt (Schriftsatz vom 14.11.2012),

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.05.2012 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2010 zu verurteilen, an ihn eine neue Versicherungsnummer unter Zugrundelegung des Geburtsdatum 1947 zu vergeben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheidet, ist zulässig; die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 08.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte mit als Verwaltungsakt zu wertendem Schreiben vom 09.08.2010 an den Kläger eine neue Versicherungsnummer unter Zugrundelegung des Geburtsdatums 1949 vergab.

Richtige Klageart ist jedenfalls die Anfechtungsklage. Denn die Neuvergabe einer Versicherungsnummer stellt einen Verwaltungsakt dar (BSG, Urteil vom 05.04.2001, B 13 RJ 35/00 R in SozR 3-1200 § 33a Nr. 4; für die Erstvergabe offen gelassen). Ob mit der Aufhebung dieses Verwaltungsaktes, hier des Bescheids vom 09.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.11.2010, die ursprüngliche Vergabe der Versicherungsnummer mit dem Geburtsdatum 1947 (Bescheid vom 03.05.2004) wieder in Kraft tritt - mit der Folge, dass die reine Anfechtungsklage die richtige Klageart wäre - oder ob dies angesichts der nachfolgend dargestellten Regelungen über die Versicherungsnummer unter dem Aspekt, dass eine einmal gesperrte Versicherungsnummer nicht mehr aktiviert werden kann, nicht der Fall ist - mit der Folge, dass der Kläger zu Recht die Anfechtungsklage mit einer Verpflichtungsklage verbunden hat -, kann offen bleiben. Denn die Anfechtungsklage ist unbegründet, so dass zugleich feststeht, dass kein Anspruch auf eine andere Versicherungsnummer besteht.

Rechtsgrundlagen für die Vergabe bzw. vorliegend die Neuvergabe einer Versicherungsnummer sind § 147 und § 152 Nr. 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) in Verbindung mit der Verordnung über die Versicherungsnummer, die Kontoführung und den Versicherungsverlauf in der gesetzlichen Rentenversicherung (Versicherungsnummern-, Kontoführungs- und Versicherungsverlaufs-Verordnung - VKVV -) vom 30.03.2001 (BGBl. I S. 475) in der zuletzt durch Art. 76 des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung (RVOrgG) vom 09.12.2004 (BGBl. I S. 3242) geänderten Fassung. Danach kann die Datenstelle der Träger der Rentenversicherung für Personen eine Versicherungsnummer vergeben, wenn dies zur personenbezogenen Zuordnung der Daten für die Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe nach diesem Gesetzbuch erforderlich oder dies durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmt ist. Für die nach diesem Buche versicherten Personen hat sie eine Versicherungsnummer zu vergeben (§ 147 Abs. 1 SGB VI). Nach Abs. 2 der Regelung setzt sich die Versicherungsnummer zusammen aus der Bereichsnummer des zuständigen Trägers der Rentenversicherung, dem Geburtsdatum, dem Anfangsbuchstaben des Geburtsnamens, der Seriennummer, die auch eine Aussage über das Geschlecht einer Person enthalten darf, und der Prüfziffer. § 152 Nr. 3 SGB VI ermächtigt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, das Nähere über die Zusammensetzung der Versicherungsnummer sowie über ihre Änderung zu bestimmen. Die auf dieser Ermächtigungsgrundlage erlassene VKVV regelt in § 3 Abs. 1 das Nähere über die Berichtigung der Versicherungsnummer. Hiernach wird eine Versicherungsnummer nur einmal vergeben und nicht berichtigt (Satz 1). Versicherungsnummern, in denen das Geburtsdatum oder die Seriennummer unrichtig sind oder Versicherungsnummern, die auf Grund einer nach § 33a SGB I zu berücksichtigenden Änderung des Geburtsdatums fehlerhaft geworden sind, werden gesperrt (Satz 2). Die Versicherten erhalten eine neue Versicherungsnummer (Satz 3).

Die Frage, welches Geburtsdatum Bestandteil der Versicherungsnummer ist, richtet sich nach § 33a SGB I. Nach dessen Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 ist das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder Verpflichteten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger oder, soweit es sich um eine Angabe im Rahmen des Dritten oder Sechsten Abschnitts des Vierten Buches handelt, gegenüber dem Arbeitgeber ergibt. Nach Abs. 2 der Regelung darf von einem nach Abs. 1 maßgebenden Geburtsdatum nur abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, dass ein Schreibfehler vorliegt (Nr. 1) oder sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Abs. 1 ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt (Nr. 2).

Auf der Grundlage dieser Regelungen ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die zuletzt vom Kläger vergebene Versicherungsnummer mit dem Geburtsdatum 1947 gesperrt und eine neue Versicherungsnummer mit dem Geburtsdatum 1949 vergeben hat. Denn die an den Kläger zuvor noch von der LVA vergebene Versicherungsnummer mit dem Geburtsdatum 1947 war fehlerhaft, weshalb diese zu sperren und eine neue Versicherungsnummer mit zutreffendem Geburtsdatum zu vergeben war.

Dabei steht dem Kläger kein Vertrauensschutz zu. Mit dem Bundessozialgericht (Beschluss vom 17.02.1998, B 13 RJ 31/96 R) geht der Senat davon aus, dass die Regelungen der §§ 44 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), insbesondere also die auch umfassende Kriterien des Vertrauensschutzes enthaltende Vorschrift des § 45 SGB X (Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes), gemäß § 37 SGB I keine Anwendung finden, weil sich aus der VKVV entsprechende spezielle Regelungen ergeben. Das BSG hat dabei auf die Regelung des damaligen § 1 Abs. 5 Satz 2 der Verordnung verwiesen. Hieraus ergebe sich, dass immer dann eine neue Versicherungsnummer zu vergeben sei, wenn sich das Geburtsdatum in der bisherigen Versicherungsnummer als unrichtig erweise. Der darin zum Ausdruck kommenden erheblichen Bedeutung der Richtigkeit des Geburtsdatums für die Verwendbarkeit einer Versicherungsnummer im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung würden die verwaltungsverfahrensrechtlichen Beschränkungen nach §§ 44, 45 SGB X zuwiderlaufen. § 1 Abs. 5 Satz 2 der Verordnung in der damaligen Fassung entspricht § 3 Abs. 1 VKVV in der hier anzuwendenden Fassung.

Unter Anwendung dieser Regelungen ist zutreffend, dass die Beklagte von dem Geburtsdatum 1947, das der Kläger anlässlich seiner erstmaligen Beschäftigungsaufnahme in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber einem Sozialleistungsträger angab, abwich und als maßgeblich das Geburtsdatum 1949 ansah. Denn im Sinne von § 33a Abs. 2 Nr. 2 SGB I ergibt sich aus dem vor der erstmaligen Aufnahme einer Tätigkeit im Inland erlassenen Urteil des Landgerichts Ü. vom 02.06.1966, dass das bisher im Standesregister der Kreisstadt C. dokumentierte Geburtsdatum 1947 unrichtig war und auf das Geburtsdatum 1949 berichtigt wurde. Diese Entscheidung des Landgerichts Ü. wurde ausweislich des entsprechenden Berichtigungsvermerks im Standesregister am 08.06.1966 umgesetzt und dementsprechend als Geburtsdatum des Klägers nunmehr der 1949 aufgeführt. Gleiches gilt für den Datenbestand der türkischen Sozialversicherung. In Abweichung zu dem in § 33a Abs. 1 SGB I aufgeführten Grundsatz, wonach das bei der erstmaligen Arbeitsaufnahme angegebene Geburtsdatum maßgeblich ist, ist im Fall des Klägers somit das Geburtsdatum maßgeblich, das durch Urteil des Landgerichts Ü. vom 02.06.1966 festgelegt wurde.

Auf vom Kläger im Verlauf des Verfahrens besorgte Dokumente, wie insbesondere die Schulbescheinigungen, und deutsche Dokumente, wie beispielsweise den Führerschein, kann dem gegenüber nicht abgestellt werden. Dies ergibt sich unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung des § 33a Abs. 2 Nr. 2 SGB I, wonach nur solche Urkunden zu berücksichtigen sind, die vor der ersten Angabe gegenüber dem Sozialversicherungsträger bzw. dem Arbeitgeber ausgestellt wurden. Damit können alle nach März 1972 (Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung und damit auch Vergabe der ersten Versicherungsnummer) ausgestellten Urkunden im Rahmen dieser gesetzlichen Regelung kein anderes Geburtsdatum "ergeben".

Zuzugeben ist dem Kläger allerdings, dass in dem am 05.08.1965 ausgestellten, in Kopie vorgelegten Rentenversicherungsbuch das Geburtsdatum 1947 dokumentiert ist. Grundsätzlich ist dies eine im Rahmen des § 33a Abs. 2 Nr. 2 SGB I zu berücksichtigende Urkunde.

Was unter einer Urkunde i.S. von § 33a Abs. 2 SGB I zu verstehen ist, richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen. Eine Beschränkung auf die Berücksichtigung nur bestimmter Urkunden ist der Vorschrift nicht zu entnehmen (s. BSG, Urteil vom 28.04.2004, B 5 RJ 33/03 R, auch zum Nachfolgenden, jeweils mit weiteren Nachweisen zu Rechtsprechung und weiteren gesetzlichen Regelungen). Insbesondere muss die Urkunde i.S. des § 33a Abs. 2 SGB I nicht von einer Behörde oder sonstigen Stelle, die für die Bestätigung personenstandsrechtlich relevanter Tatsachen zuständig ist, ausgestellt sein. § 33a Abs. 2 SGB I verlangt auch nicht, dass das Geburtsdatum als solches in der Urkunde ausdrücklich und vollständig vermerkt ist; es "ergibt" sich aus der Urkunde auch, wenn die durch die Urkunde bewiesenen Tatsachen zur vollen Überzeugung des Gerichts auf ein abweichendes Geburtsdatum i.S. des § 33a Abs. 2 SGB I schließen lassen. Unter einer Urkunde ist jede schriftliche Verkörperung eines Gedankens zu verstehen, der Aussteller sowie die Art und Weise der Herstellung sind unerheblich. Auch Fotokopien stellen demnach Urkunden dar. Für die Frage, welche Tatsachen durch eine Urkunde bewiesen werden, und für deren Echtheit gelten nach § 118 SGG die besonderen Beweisregeln der §§ 415 bis 419 Zivilprozessordnung (ZPO) bzw. die §§ 437 bis 440 ZPO entsprechend. Dabei besteht nach den hier auch zu beachtenden europarechtlichen Grundsätzen die Verpflichtung, von der Behörde eines anderen Mitgliedstaates ausgestellte Urkunden zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete, auf den Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt ist (BSG, a.a.O. m.w.N.). Im Übrigen entscheidet das Gericht insbesondere über die Frage, welche Bedeutung die durch eine Urkunde i.S. der Beweisregeln bewiesenen Tatsachen für das Beweisthema haben, in freier Beweiswürdigung.

Damit ist die Kopie des im August 1965 ausgestellten türkischen Rentenversicherungsbuchs im Rahmen des § 33a Abs. 2 Nr. 2 SGB I zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen ist aber auch das Urteil des türkischen Zivilgerichts, weil es im Juni 1966 erging, also ebenfalls vor den ersten Angaben im Zusammenhang mit dem Eintritt in die deutsche Sozialversicherung. Dabei ist das dieser ersten Angabe entsprechende Geburtsdatum nicht automatisch durch das Geburtsdatum, das die ältere Urkunde (hier das türkische Rentenversicherungsbuch) enthält, zu ersetzen (BSG, Urteil vom 05.04.2001, a.a.O.; BSG, Urteil vom 31.01.2002, B 13 RJ 9/01 R). Wenn mehrere "ältere" Urkunden mit unterschiedlichen Geburtsdaten vorliegen, ist nach allgemeinen Grundsätzen des Beweisrechts zu entscheiden, ob aus einer dieser älteren Urkunden sich nunmehr statt des zuerst angegebenen Geburtsdatums ein anderes Geburtsdatum "ergibt" (s. hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 05.04.2001, a.a.O.; BSG, Urteil vom 31.01.2002, B 13 RJ 9/01 R). Dabei kommt der Art der Urkunde besondere Bedeutung zu.

Ebenso wie die Beklagte misst der Senat dem Urteil des türkischen Zivilgerichts maßgebliche Bedeutung zu. Zwar beweist auch dieses Urteil des türkischen Zivilgerichts als öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 Abs. 1 ZPO lediglich den dokumentierten Vorgang als solchen, nicht aber den Inhalt, also die Richtigkeit des darin dokumentierten Geburtsdatums (BSG, Urteil vom 05.04.2001, a.a.O.). Andererseits verpflichtet das europarechtliche Diskriminierungsverbot i.V. m. dem Beschluss des Assoziationsrates die deutschen Behörden und Gerichte grundsätzlich, die von türkischen Stellen ausgestellten Urkunden zu beachten, sofern deren Richtigkeit nicht durch konkrete, auf den Einzelfall bezogene Anhaltspunkte ernstlich in Frage gestellt ist (BSG, a.a.O. m.w.N.). In diesem Zusammenhang kann im Rahmen der Beweiswürdigung auch geprüft werden, ob sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Änderung des Geburtsdatums im Herkunftsstaat wesentlich mit dem Ziel verfolgt wurde, in Deutschland eine Sozialleistung missbräuchlich in Anspruch zu nehmen (BSG, Urteil vom 31.01.2002, B 13 RJ 9/01 R; s. auch BSG, Urteil vom 05.04.2001, a.a.O. zur Praxis in der Türkei).

Vor diesem Hintergrund ergeben sich für den Senat keine konkreten Anhaltspunkte, die die Richtigkeit der Entscheidung des türkischen Zivilgerichts ernstlich in Frage stellen würden. Immerhin - so im Urteil dokumentiert - erging dieses Entscheidung nicht nur auf Grund der Angaben des Vaters des Klägers, sondern nach hinreichender Prüfung der Sache seitens der Staatsanwaltschaft. Insbesondere stand im Zeitpunkt dieser Entscheidung eine Inanspruchnahme deutscher Sozialleistungen nicht im Raum. Der Kläger kam erst Jahre später, im Oktober 1971, nach Deutschland. Auch das Motiv einer eventuellen Verschiebung der Ableistung des Wehrdienstes in der Türkei ist auszuschließen. Seinen Wehrdienst leistete der Kläger erst von November 1974 bis Juli 1976, also mehr als acht Jahre nach der Entscheidung des türkischen Zivilgerichtes. Auch der Kläger selbst hat in Bezug auf die in Rede stehende Entscheidung des türkischen Zivilgerichts im Wesentlichen lediglich geltend gemacht, sein Vater habe dieses Urteil ohne seine Kenntnis erwirkt. Eine inhaltliche Unrichtigkeit lässt sich hieraus nicht herleiten.

Auch die anders lautende Angabe des Geburtsdatums im türkischen Rentenversicherungsbuch vermag keine Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des türkischen Zivilgerichts zu begründen. Denn das Rentenversicherungsbuch weist gerade jenes Geburtsdatum aus, das vom Kläger damals angegeben wurde (s. die Bescheinigung der türkischen Sozialversicherung, Bl. 73 SG-Akte: "Personalangaben des Versicherten") und später durch das Zivilgericht - nach entsprechender Prüfung - berichtigt wurde. Gleiches gilt für das Standesregister. Die dort vorgenommenen Ersteintragungen einer Geburt in der Türkei können ohnehin keine Vermutung der Richtigkeit für sich beanspruchen, da Eintragungen nicht selten erst mehrere Jahre nach der Geburt vorgenommen wurden und der genaue Zeitpunkt der Geburt bei der Eintragung unter Umständen schon nicht mehr bekannt war (vgl. hierzu und zu weiteren Gründen für fehlende bzw. nachträgliche Eintragungen BSG, Urteil vom 05.04.2001, a.a.O.).

Auch die übrigen vom Kläger vorgelegten Unterlagen aus der Türkei, die als Geburtsdatum den 1947 ausweisen, begründen keine solchen Zweifel. Denn soweit sie dieses Geburtsdatum aufführen, lässt sich dies zum einen damit erklären, dass das Dokument Personenstandsdaten wiedergibt, die zeitlich vor der gerichtlichen Berichtigung erhoben wurden, wie z.B. die Bescheinigung über den bis 1960 erfolgten Besuch der Primärschule vom April 2010 (Bl. 49 VA) und zum anderen damit, dass die entsprechenden Stellen von der im Jahr 1966 erfolgten Berichtigung nicht in Kenntnis gesetzt wurden und dort daher noch das zunächst vom Kläger verwendete und ursprünglich im Standesregister eingetragene Geburtsdatum dokumentiert war. Hiervon ist insbesondere in Bezug auf die übrigen vom Kläger vorgelegten Schulbescheinigungen auszugehen, die einen Schulbesuch zeitlich wenige Jahre nach dem ergangenen Berichtigungsurteil bestätigen. Auch aus der eidesstattlichen Versicherung der Mutter des Klägers, die nahezu 50 Jahre nach der seinerzeitigen gerichtlichen Berichtigungsentscheidung nunmehr die Richtigkeit des Geburtsdatum 1947 behauptet, vermag der Senat nichts Gegenteiliges herzuleiten.

Schließlich ergeben sich aus den vorgelegten deutschen Dokumenten ebenfalls keine Hinweise auf die Fehlerhaftigkeit des türkischen Urteils. Das im Führerschein ausgewiesene Geburtsdatum 1947 wurde ausweislich des Ausstellungsdatums 12.09.1973 (Bl. 42 LSG-Akte) in zeitlichem Zusammenhang mit den hier zur Korrektur in Rede stehenden ersten Angaben bei Eintritt in die deutsche Sozialversicherung dokumentiert. Nichts anderes gilt für die vorgelegten Sozialversicherungsausweise, die jeweils nur die vergebenen Sozialversicherungsnummern dokumentieren. Auch wenn die genauen Umstände, wie es im Mai 2004 zur Vergabe einer Versicherungsnummer mit dem Geburtsdatum 1947 kam, nicht mehr geklärt werden können, steht doch fest, dass die damals - möglicherweise ohne entsprechende Übersetzung - vorgelegten Unterlagen, soweit sie vor den ersten Angaben des Klägers i.S. des § 33a Abs. 2 Nr. 2 SGB I datieren und somit allein maßgebend sind, gerade das Gegenteil der damals im Aktenvermerk dokumentierten Umstände ausweisen.

Soweit der Kläger weiterhin vorbringt, er sei "tatsächlich" am 1947 geboren, ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber mit § 33a SGB I nicht an das "wahre" Geburtsdatum anknüpft, so dass von Seiten der Beklagten oder des Gerichts auch nicht der wahre historische Geburtstag zu ermitteln ist. Mit dieser Regelung wird das im Geltungsbereich des SGB maßgebliche Geburtsdatum vielmehr eigenständig definiert (vgl. BSG, Urteil vom 05.04.2001, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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