L 4 KA 29/12

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
4
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 11 KA 568/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 29/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 16/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Probatorische Sitzungen gehören zum Kern des Leistungsspektrums der Psychotherapeueten, sind strikt zeitgebunden aber nicht genehmigungspflichtig und daher einer Leistungsausweitung zugänglich. Sie sind Grundlage für die Diagnose und die Entscheidung über die Behandlungsbedürftigkeit und die Behandlungsmethode.

Probatorische Sitzungen sind substanziell zu honorieren, innerhalb des Regelleistungsvolumens mit einem Punktwert von mindestens 2,56 Cent (Anschluss an BSG Urteil vom 8. Februar 2012 - B 6 KA 14/11 R).

Soweit probatorische Sitzungen wegen Überschreitung des Regelleistungsvolumens mit einem unteren Punktwert von unter 2,56 Cent vergütet werden, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 21. März 2012 geändert. Die Honorarbescheide für die Quartale II/05 bis I/06 werden aufgehoben, soweit damit die probatorischen Sitzungen (GO-Nr. 35150 EBM plus) innerhalb des Regelleistungsvolumens (RLV) nicht mindestens mit einem oberen Punktwert von 2,56 Cent vergütet werden. Die Beklagte wird insoweit zur Neubescheidung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats verpflichtet. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Punktwertes für probatorische Sitzungen in den Quartalen II/05 bis I/06.

Der Kläger nimmt als psychologischer Psychotherapeut mit Praxissitz in A-Stadt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Er gehört der Honoraruntergruppe 2.25 an. In den streitgegenständlichen Quartalen ergaben sich aus den von der Beklagten erlassenen Honorarbescheiden ursprünglich folgende Abrechnungswerte:

II/05 III/05 IV/05 I/06
Abgerechnetes Honorarvolumen – in Punkten 44.330,0 41.715,0 71.715,0 70.200,0
Praxisbezogenes RLV (PK + EK) 40.814,7 33.3312,0 45.678,1 60.659,5 RLV-Fallzahl 37 30 41 55
Rechnerischer Fallpunktwert (in Punkten) 1.103,1 1.110,4 1.114,1 1.102,9
Überschreitung RLV 3.515,3 8.403,0 26.036,9 9.540,5

Honoraranforderung oberer Pw (PK – in Punkten) 24.521,4 14.110,9 22.144,7 33.611,4
Honraranforderung oberer Pw (EK – in Punkten) 16.293,2 19.201,0 23.533,3 27.048,0
Honoraranforderung unterer Pw (PK – in Punkten) 2.113,6 3.559,1 12.625,3 5.283,6
Honoraranforderung unterer PW (EK – in Punkten) 1.401,8 4.844,0 13.411,7 4.257,0
Psychotherapie zum festen Pw (PK – in Punkten) 118.105,0 95.680,0 106.145,0 215.255,0
Psychotherapie zum festen Pw (EK – in Punkten) 97.175,0 77.740,0 122.590,0 153.935,0

Honorar oberer Pw (PK) – in EUR 481.83 281,52 278,51 450,40
Honrar oberer Pw (EK) – in EUR 347,05 419,92 318,48 423,83
Honorar unterer Pw (PK) – in EUR 10,42 17,55 0,00 26,10
Honorar unterer PW (EK) – in EUR 6,97 24,07 0,00 21,20
Honorar Psychotherapie zum festen Pw (PK) – in EUR 5.515,51 4.468,26 4.956,97 10.052,42
Honorar Psychotherapie zum festen Pw (EK) – in EUR 4.567,24 3.653,79 5.761,75 7.234,98
Auffüllbetrag gem. 7.5 HVV – in EUR 60,41 -245,51 23,33 -62,24
Nettohonorar – in EUR 10.683,37 8.378,09 11.010,42 17.936,21

Fallzahl (gesamt) 37 30 47 55
Anzahl Probatorische Sitzungen (GO Nr. 35150) 11 18 20 9

Der Kläger legte jeweils Widersprüche gegen die Honorarbescheide für die Quartale II/05 bis IV/08 ein. Mit Schreiben vom 11. April 2010 konkretisierte er seine Widerspruchsbegründung dahingehend, dass das BSG in seiner Entscheidung vom 28. Mai 2008, Az.: B 6 KA 9/07 R für den Geltungszeitraum der Regelleistungsvolumina in Hessen einen Mindestpunktwert vorgegeben habe, der jedoch seitens der Beklagten regelmäßig unterschritten worden sei.

Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2010 beschränkt auf die Quartale II/05 bis I/06 und beschränkt auf die Frage des Punktwertes für probatorische Sitzungen zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass die Höhe des Punktwertes für probatorische Sitzungen in den Quartalen II/05 bis I/06 nicht zu beanstanden sei. Eine Stützungsverpflichtung sei auf Grund der Beschlussfassung des Bewertungsausschusses nur für die antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen gegeben, so dass alle übrigen Leistungen mit den Quoten der Punktwerte der jeweiligen Honorargruppe zu vergüten seien. Insoweit habe auch das BSG bisher die Notwendigkeit für eine Stützung des Punktwertes für andere Leistungen ausdrücklich verneint. Hinsichtlich der Vergütung der probatorischen Sitzungen habe das BSG jedoch ausgeführt, dass diese zwar nicht mit dem Mindestpunktwert für die zeitgebundenen und genehmigungsbedürftigen Leistungen vergütet würden aber gleichwohl unter Berücksichtigung ihrer Funktion angemessen honoriert werden müssten. Die für eine sachgerechte psychotherapeutische Versorgung in der einzelnen Praxis notwendige Mindestzahl an probatorischen Sitzungen müsse deshalb grundsätzlich so honoriert werden, dass - erforderlichenfalls nach Anwendung von Mengenbegrenzungsregelungen oder ähnlichem - jedenfalls die Hälfte des ursprünglich zur Kalkulation herangezogenen Punktwertes von 10 Cent (d. h. 2,56 Cent für solche Leistungen nicht unterschritten würde). Der obere Bruttopunktwert (d. h. ohne Abzug EHV und Notdienstumlagefaktor) für probatorische Sitzungen der psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und psychotherapeutisch tätigen Ärzten (Honorargruppe B 2.25) übersteige den vom BSG in seinen Urteilen vom 28. Mai 2010 (Az.: B 6 KA 8/07 R, B 6 KA 9/07 R und B 6 KA 10/07 R) geforderten Punktwert von 2,56 Cent. Dem Anspruch auf angemessene Vergütung der psychotherapeutischen Leistungen gemäß § 85 Abs. 4 Satz 1 - 4 SGB V sei demnach Genüge getan. Anders als die der Entscheidung des BSG vom 28. Mai 2008 zugrundeliegende Honorarverteilung für den Bereich der KV Sachsen sehe die hessische Vereinbarung zur Honorarverteilung für die Quartale II/05 - IV/05 (die bis zum Quartal I/07 fortgalt) keine Sonderregelung vor, die eine inhaltliche Überprüfung des Honorarfonds der Psychotherapeuten im Gegensatz zu den übrigen Fachgruppen explizit ausschließe. So nehme die Honorargruppe B 2.25 auch an der Stützungsregelung gemäß der Anlagen 1 und 2 zu Ziffer 7.2 des HVV teil. Teilweise übersteige der Umfang zeitgebundener genehmigungspflichtiger Leistungen die zur Verfügung stehenden Geldmenge im Honorartopf der Honorargruppe B 2.25, so dass der rechnerisch zunächst Minuswerte aufgewiesen habe. Erst nach Stützung dieser Punktwerte auf 85% des mittleren Punktwertes der Fachärzte gemäß Ziffer 2.2 der Anlagen 1 und 2 zu Ziffer 7.2 HVV hätten die Punktwerte ermittelt werden können. Eine weitere Stützung des Punktwertes ginge zu Lasten der übrigen Fachgruppen des Honorarbereichs B und stelle eine unangemessene Belastung dieser Fachgruppen dar. Unberücksichtigt bleiben müsse auch, dass der Punktwert durch den Bedarf für die Ausgleichsregelung gemäß Ziffer 7.5 HVV gemindert werde. Der Bedarf für diese Regelung sei von allen an der Honorarverteilung Beteiligten gleichsam zu tragen, da hierdurch unerwünschte Effekte der Einführung des EBM 2000plus kompensiert würden. Dieser Kompensierungseffekt komme auch dem Kläger in den Quartalen II/05 und IV/05 zugute. Weiterhin müsse unberücksichtigt bleiben, dass im Rahmen des praxisindividuellen Regelleistungsvolumens Ziffer 6.3 HVV nicht alle Leistungen zum oberen Punktwert vergütet würden. Durch Anwendung des praxisindividuellen RLV werde der Mengenausweitung innerhalb der Fachgruppe entgegengewirkt, die zu einem weiteren Punktwertabfall führen würde. Darüber hinaus sei anzumerken, dass die im Regelleistungsvolumen zugrunde zu legenden Fallpunktzahlen gemäß den Bestimmungen des HVV nach Arzt-/Fachgruppen differenziert seien und insoweit das besondere Leistungsspektrum der jeweiligen Arzt-/Fachgruppe bereits berücksichtigten. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass in der Arztrechnung dargestellte Quoten und Punktwerte den Abzug für den Honorarbereich C bereits enthielten. Diesbezüglich werde auf das Urteil des SG Marburg vom 31. März 2010 (Az.: S 11 KA 689/08 ZVW) verwiesen, in dem das Gericht festgestellt habe, dass im Rahmen der Berechnung des Mindestpunktwertes Psychotherapie keine unzulässige Verminderung durch den Abzug eines Notdienstfaktors vorgenommen würde. Nichts anderes müsse auch für den Bereich der den Regelleistungsvolumina unterworfenen Leistungen gelten.

Hiergegen hat der Kläger am 14. Juli 2010 Klage bei Sozialgericht Marburg eingelegt.

Er hat vorgetragen, dass entgegen der Behauptung der Beklagten das BSG-Urteil, wonach ein Mindestpunktwert für probatorische Sitzungen in Höhe von 2,56 Cent auszuzahlen sei, nicht umgesetzt werde. Im Quartal IV/05 sei nur ein Punktwert von 2,21 Cent in Primärkassen und 2,71 Cent im Ersatzkassenbereich ausgezahlt worden. In den Folgequartalen betrügen die Punktwerte 1,995 Cent (PK) und 2,87 Cent (EK) im Quartal IV/05 2,008 Cent (PK) und 2,16 Cent (EK). Im Quartal I/06 1,34 Cent (PK) und 1,567 Cent (EK). Im Quartal IV/05 habe er 11 probatorische Sitzungen mit einer Gesamtpunktzahl von 16.445 Punkten durchgeführt. Die Gesamtpunktzahl für die nichtgenehmigungspflichtigen Leistungen belaufe sich bei ihm auf 44.330 Punkte, woraus sich ein Honorar von 1.001,44 Euro errechne. Das anteilige Honorar für die probatorischen Sitzungen beliefe sich somit auf 371,50 Euro. Bei einem durchschnittlichen Punktwert von 0,0226 Euro ergebe sich ein Honorar pro probatorischer Sitzung von 33,77 Euro. Bei einem Mindestpunktwert von 2,56 Cent hätte das Honorar für die probatorischen Sitzungen 420,99 Euro betragen müssen. Die Differenz belaufe sich somit für das Quartal IV/05 auf 49,49 Euro. Entsprechende Differenzen ergäben sich auf für die Folgequartale. Unzutreffend sei darüber hinaus die Auffassung der Beklagten, wonach der Mindestpunktwert durch Stützungsregelungen gemäß Anlagen 1 und 2 Ziffer 7.2 des HVV und durch den Bedarf für die Ausgleichsregelung gemäß Ziffer 7.5 HVV zu mindern sei und dass der Mindestpunktwert weiter durch Anwendung des praxisindividuellen RLV abgesenkt werden könne. Nach den Feststellungen des BSG komme es darauf an, dass der Mindestpunktwert zur Auszahlung gelange und nicht darauf, ob der Mindestpunktwert irgendeine unselbstständige Rechengröße vor Durchführung von Abzügen darstelle.

Die Beklagte hat im Wesentlichen Bezug genommen auf die Gründe des Widerspruchsbescheides. Die maßgeblichen Punktwerte für probatorische Sitzungen stellten sich jedoch entgegen der Darstellung im Widerspruchsbescheid – ohne Abzug Notdienstumlagefaktor - wie folgt dar:

Quartal PW EK in Cent Pw PK in Cent
II/05 3,168 3,075
III/05 3,202 3,047
IV/05 3,288 3,174
I/06 3,135 2,818

Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Vergütung aller probatorischen Sitzungen zum oberen Punktwert. Soweit das Regelleistungsvolumen ausgefüllt sei, würden alle darüber hinausgehenden Leistungen zum jeweils unteren Punktwert vergütet, es sei irrelevant, ob es sich um probatorische Sitzungen oder andere innerhalb des Regelleistungsvolumens zu vergütenden Leistungen handele. Mit den vom Kläger abgerechneten probatorischen Sitzungen sei das Regelleistungsvolumen nicht ausgeschöpft worden.

Quartal Praxisbezogenes RLV d. Kl. Abgerechnetes Honorarvolumen d. Kl. Punktzahlvolumen probatorische Sitzungen
II/05 40.814,7 44.330 16.445
III/05 33.312 41.715 26.910
IV/05 45.678,1 71.115 29.900
I/06 60.659,5 70.200 13.455

Sie – die Beklagte - sei nach der Rechtsprechung des SG Marburg (Hinweis auf Urteil vom 31. März 2010, S 11 KA 689/08 ZVW) zum Abzug der Notdienst-Umlage berechtigt. Überdies sei sie zu weiteren Abzügen im Rahmen der Ausgleichsregelung berechtigt, die dann zu einer Punktwertminderung führe. Entgegen der Auffassung des Klägers sei entscheidend, dass der obere Brutto-Auszahlungspunktwert in beiden Kassenbereichen über 2,56 Cent gelegen habe. Auch das BSG gehe in seinem Urteil vom 28. Mai 2008 davon aus, dass probatorische Sitzungen Mengenbegrenzungsmaßnahmen unterliegen dürfen. Die Regelung der Ziff. 7.5.1 finde als Härtefallregelung grundsätzlich erst nach der Verteilung der Gesamtvergütung nach Ziffer 7.2 HVV und damit nach Feststellung der Brutto-Auszahlungswerte statt.

Mit Urteil vom 21. März 2012 hat das Sozialgericht die Honorarbescheide für die Quartale II/05 bis I/06 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2010 aufgehoben, soweit darin die probatorischen Sitzungen mit einem effektiven Punktwert von unter 2,56 Cent vergütet werden. Es hat die Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Gegen das ihr am 4. April 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 3. Mai 2012 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Die Beklagte trägt vor, die Höhe des Punktwerts für die probatorischen Sitzungen in den Quartalen II/05 bis I/06 sei nicht zu beanstanden. Das Vordergericht habe sich mit § 85 Abs. 4 SGB V i. d. F. des GKV-Modernisierungsgesetzes und insbesondere mit der RLV-Systematik nicht auseinandergesetzt. Für den hier maßgeblichen Beurteilungszeitraum ab II/05 habe mit der Festlegung von Regelleistungsvolumen eine neue Regelungsstruktur gegolten. Gem. § 85 Abs. 4a SGB XI i. v. m. § 85 Abs. 4 Satz 4, 6, 7, und 8 SGB V sei der Bewertungsausschuss nicht nur für die Festlegung der Höhe der angemessenen Vergütung je Zeiteinheit für die psychotherapeutischen Leistungen zuständig gewesen, sondern auch für die Inhalte der zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Verbänden der Krankenkassen auf Landesebene im Honorarverteilungsvertrag zu vereinbarenden Regelungen zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Vertragsarztes/-psychotherapeuten. U. a. durch Beschluss in seiner 93. Sitzung habe der Bewertungsausschuss bestimmt, dass Regeleistungsvolumina arztgruppenspezifische Grenzwerte seien, bis zu denen die von einer Arztpraxis oder einem medizinischen Versorgungszentrum im jeweiligen Kalendervierteljahr erbrachten ärztlichen Leistungen mit einem von den Vertragspartnern des HVM vereinbarten, festen Punktwert (RLV-Punktwert) zu vergüten seien: für den Fall der Überschreitung sei vorzusehen, dass die überschreitende Punkzahlmenge mit abgestaffelten Punktwerten (Restpunktwert) zu vergüten sei (III.2.1 BRLV). Die antragspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen seien von der Vergütung innerhalb des RLV auszunehmen, die probatorischen Sitzungen der GO-Nr. 35150 EBM 2005 sei bei den Leistungen, die außerhalb des RLV zu vergüten seien, nicht genannt, ebenso wenig die sonstigen psychotherapeutischen Leistungen. Diese Regelungen seien für sie – die Beklagte – nach der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urteil vom 3. Februar 2010, B 6 KA 31/08 R) verpflichtend. Das BSG habe mit Urteil vom 8. Februar 2012 (B 6 KA 14/11 R) festgestellt, dass die Einbeziehung der probatorischen Sitzungen in die RLV nicht zu beanstanden sei, auch diese seien nicht losgelöst von Mengenbegrenzungsmaßnahmen zu honorieren; gerade durch die Einbeziehung der probatorischen Sitzungen in das RLV sei ein fester Punktwert von grundsätzlich 4 Cent (Ziff. 6.4 HVV) vorgesehen. Dass dieser Punktwert einer Quotierung unterliege, wenn der zur Verfügung stehende Anteil am Verteilungsbetrag in einer Honorar(unter)gruppe zur Honorierung der angeforderten Leistungen nicht ausreiche, sei eine notwendige Folge begrenzter Gesamtvergütungen und ändere nichts an der grundsätzlichen Privilegierung dieser Leistungen. Der Bewertungsausschuss habe nach der Konzeption der RLV davon ausgehen dürfen, dass im Regelfall innerhalb des RLV eine ausreichende Honorierung der probatorischen Sitzungen gewährleistet sei. Hieraus ergebe sich, dass sie berechtigt und verpflichtet gewesen sei, die probatorischen Sitzungen in die RLV mit einzubeziehen und sie entsprechend dem jeweils quartalsweise ermittelten RLV-Punktwert zu vergüten. Sie habe die Vorgaben des Bewertungsausschusses umgesetzt. Nachdem sie zunächst die Vergütung der zeitgebundenen genehmigungspflichtigen Leistungen mit einem Mindestpunktwert (LB 4.1) bei der Ermittlung des RLV-Punktwertes berücksichtigt habe, habe das noch zur Verfügung stehende Honorar des Honorartopfes der HG 2.25 nicht ausgereicht, um die darüber hinaus anerkannten Punktzahlen innerhalb des RLV mit dem oberen Punktwert von 4,0 Cent (Nr. 6.4 HVV) zu vergüten. Der HVV sehe in diesen Fällen eine Quotierung des Punktwertes vor. Die RLV-Punktwerte zur Vergütung der Leistungen innerhalb des RLV hätten nach Quotierung wie folgt ausgesehen:
Quartal Pw EK in Cent Pw PK in Cent
II/05 -5,040 -5,531
III/05 0,709 -0,849
IV/05 1,418 0,571
I/06 0,270 -3,144

Anlage 1 zu LZ 7.2 Nr. 2.2 HVV sehe eine Stützung des Honorartopfes der HG 2.25 zu Lasten der Honorartöpfe anderer Facharztgruppen vor, sofern die festgestellten Quoten um mehr als 15 % von der über alle Honorar(unter)gruppen der Honorargruppe B 2 gebildeten (mittleren) Quote abwichen. Die zur Stützung des Honorartopfes der HG B 2.25 notwendigen Beträge beliefen sich auf:

Quartal EK in EUR PK in EUR
II/05 2.704.633,37 2.387.518,40
III/05 823.606,78 1.069.146,02
IV/05 620.170,01 737.508,35
I/06 1.201.151,86 1.802.717,88

Für die Leistungen innerhalb des RLV der Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und psychotherapeutisch tätigen Ärzte (HG B 2.25) seien nach erfolgter Stützung auf den Interventionspunktwert der Fachärzte (85 % des mittleren Punktwertes) folgende Brutto-Punktwerte (vor Abzug EHV, Notdienst, Ausgleichsregelung gem. Ziffer 7.5 HVV und Verwaltungskosten) ermittelt worden.

Quartal Pw EK in Cent Pw PK in Cent
II/05 3,168 3,075
III/05 3,202 3,047
IV/05 3,288 3,174
I/06 3,135 2,818

In allen Quartalen habe sich für Leistungen innerhalb des RLV ein Punktwert von über 2,56 Cent in beiden Kassenbereichen ergeben. Unter Berücksichtigung des abgerechneten Punktzahlvolumens des Klägers ergäben sich folgende Brutto-Vergütungen innerhalb des RLV:

Quartal Pw gemittelt (PK/EK) in Cent Anzahl prob. Sitzungen zum ob. PLV-Pw EUR pro Sitzung (brutto)
II/05 3,1215 11 44,49
III/05 3,1245 18 48,30
IV/05 3,2310 20 46,71
I/06 2,9765 9 46,66

Sie – die Beklagte – sei auch nach Auffassung des Vordergerichts berechtigt, auf die Bruttopunktwerte weitere Abzüge für EHV und Notdienstumlage vorzunehmen. Darüber hinaus gelte dies auch für die weitere Punktwertreduzierung zur Finanzierung der Ausgleichsregelung nach Nr. 7.5 HVV, bei der es sich entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht um eine Mengenbegrenzungsmaßnahme handele. Sie stelle vielmehr eine Härtefallregelung dar, die Veränderungen aufgrund des zum Quartal II/05 eingeführten EBM 2005 abfedern und den Arztpraxen eine Umstellung auf die neuen Honorarstrukturen ermöglichen solle. Sie komme insoweit folgerichtig erst nach Feststellung der Auszahlungsquoten und Punktwerte gem. Ziff. 7.2 HVV und somit nach Abschluss des Abrechnungsprozesses zur Anwendung. Eine Reduzierung des RLV-Punktwertes auch für probatorische Sitzungen aufgrund der Regelung nach Ziff. 7.5 HVV sei insoweit keine Folge einer Mengenbegrenzungsmaßnahme, vielmehr habe sich auch die Honorargruppe des Klägers an der Ausgleichsregelung und damit auch an der Finanzierung der Stützungsregelung der Ziff. 7.5.1 HVV beteiligt. Nach der Rechtsprechung der 12. Kammer des SG Marburg (Hinweis auf Urteil vom 27. August 2008, S 12 KA 513/07) sei die Regelung zu Ziff. 7. 5 HVV nicht zu beanstanden, soweit sie zu Ausgleichsbeträgen führe. Insofern hätten es Praxen hinzunehmen, dass sich der Verteilungspunktwert für sie ggf. verringere. Mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren sei es, die für die Stützung der HG des Klägers notwendigen Honoraranteile zur Durchführung der Regelung nach Ziff. 7.5 HVV zusätzlich von anderen Fachgruppen einzubehalten und diese damit doppelt zu belasten, ebenso wenig könne die Fachgruppe des Klägers von der Teilnahme komplett ausgeschlossen werden. Sie sei zu Stützungsregelungen aufgrund ihres Sicherstellungsauftrages ergänzend zu den Regelleistungsvolumen berechtigt. Dass sie die zur Stützung notwendigen Beträge jeweils aus der Honorar(unter)gruppe geriere, die ausgleichsfähige Fallwertminderung i. S. der Regelung nach Ziff. 7.5 HVV aufwiesen, sei nicht zu beanstanden, da alle Fachgruppen in gleicher Weise durch diese Stützungsregelung erfasst würden.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 21. März 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend, aufgrund der Honorarverteilung sei eine Vergütung gezahlt worden, die das BSG in seinem Urteil vom 28. Mai 2008 eindeutig als unzureichend beurteilt habe, und sich wie folgt darstelle:

Quartal Punktwert PK Punktwert EK Vergütung prob. Sitzung PK Vergütung prob. Sitzung EK
II/05 2,21 Cent 29,08 EUR 24,94 EUR
III/05 1,955 Cent 21,36 EUR 27,75 EUR
IV/05 2,008 Cent 2,161 Cent 12,66 EUR 12,74 EUR
I/06 1,34 Cent 1,567 Cent 15,37 EUR 18,54 EUR

Das BSG habe zwar entschieden, dass eine Einbeziehung der probatorischen Sitzungen in die RLV nicht ausgeschlossen sei, es habe aber seine Rechtsprechung zu dem Mindestpunktwert bei probatorischen Sitzungen nicht wegen der Einführung der neuen RLV-Systematik geändert. Vielmehr habe es daran die Erwartung geknüpft, dass eine ausreichende Honorierung der probatorischen Sitzungen durch die neue RLV-Systematik gewährleistet sei. Mit Ausnahme des oberen Punktwerts bei den Ersatzkassen im Quartal II/05 lägen alle oberen Punktwerte weit unterhalb des von der Rechtsprechung des BSG als Mindestvergütung für probatorische Sitzungen angesehenen Punktwerts von 2,56 Cent. Die Beklagte verkenne, dass die Unterschreitung des Mindestpunktwerts sich nicht durch die Vorgaben des Bewertungsausschusses bezüglich der Festlegung des RLV erkläre. Denn sie führe selbst aus, dass die Vorgaben des Bewertungsausschusses zu einem Punktwert von mehr als 2,56 Cent in beiden Kassenbereichen und in allen Quartalen ergaben hätten. Somit sei die Unterschreitung des Mindestpunktwerts nicht dadurch begründet, dass ein zu geringer Verteilungsbetrag in einer Honorar(unter)gruppe zur Verfügung stehe. Aus den eigenen Darlegungen der Beklagten in der Berufungsschrift ergebe sich, dass die Unterschreitung des Mindestpunktwerts für probatorische Sitzungen dadurch bedingt sei, dass die Beklagte eine von den Vorgaben des Bewertungsausschusses unabhängige Honorarpolitik betrieben habe. Die Unterschreitung des Mindestpunktwertes könne auch weder durch Abzüge für die EHV bedingt sein, an der die psychologischen Psychotherapeuten ohnehin nicht teilnähmen, noch von der Notdienstumlage herrühren, die sich lediglich mit ca. 0,3 % (= 0,07 Cent) auf den Punktwert der Fachgruppe auswirke. Die Unterschreitung des Mindestpunktwerts erkläre sich maßgeblich durch die weitere Punktwertreduzierung zur Finanzierung der Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV. Bei dieser handele es sich zwar vordergründig nicht um einen Honorarbegrenzungsmaßnahme, sie führe aber zu einer Umverteilung des Honorars in der entsprechenden Fachgruppe und wirke sich – in Anbetracht der begrenzten Gesamtvergütung denknotwendig – als Honorarbegrenzung durch Punktwertabsenkung bei allen Mitgliedern der Fachgruppe aus. Es handele sich bei Ziff. 7.5 HVV um eine originäre Honorarumverteilungsregelung, die den Vorgaben des § 85 Abs. 4 Satz 4 SGB V widerspreche. Der darin enthaltene Begriff der "angemessenen Vergütung" für psychotherapeutische Leistungen in Bezug auf die Vergütung der probatorischen Sitzungen werde durch die Rechtsprechung des BSG zum Mindestpunktwert konkretisiert.

Für die streitgegenständlichen Quartale hat die Beklagte unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Neuberechnung der Quartalsabrechnungen erstellt und entsprechende Honorarbescheide erlassen, die zu einem geringeren Honoraranspruch des Klägers in allen streitgegenständlichen Quartalen geführt hat. Mit Schriftsatz vom 5. September 2013 hat die Beklagte auf eine Rückforderung der entsprechenden Honoraranteile verzichtet. Nach Mitteilung der Beklagten ergaben sich nach der Neuberechnung folgende Punktwerte für die Honorargruppe des Klägers:

Quartal Pw EK in Cent vor Anwendung 7.5 HVV Pw PK in Cent vor Anwendung 7.5 HVV Pw EK in Cent nach Anwendung 7.5VV Pw PK in Cent nach Anwendung 7.5 HVV
II/05 2,970 2,594 0,720 0,576
III/05 2,848 2,517 0,685 0,561
IV/05 3,122 2,799 0,742 0,618
I/06 2,813 2,329 0,586 0,437*
*wurde auf Mindestpunktwert 0,51 erhöht

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nur teilweise begründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts wird geändert. Die Honorarbescheide für die Quartale II/05 bis I/06 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2010 sind rechtswidrig, soweit damit die probatorischen Sitzungen (GO-Nr. 35150 EBM plus) innerhalb des Regelleistungsvolumens (RLV) mit einem oberen Punktwert von unter 2,56 Cent vergütet werden. Insoweit sind die Bescheide aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten. Soweit die Beklagte probatorische Sitzungen wegen Überschreitung des RLV mit einem unteren Punktwert von unter 2,56 Cent vergütet hat, sind die streitgegenständlichen Bescheide jedoch nicht zu beanstanden.

Die Regelungen zur Bildung von RLV der in den streitgegenständlichen Quartalen geltenden Honorarverteilungsverträge (Ziffer 6.3 HVV vom 10. Oktober 2005) entsprachen den Vorgaben des Bewertungsausschusses im Beschluss vom 29. Oktober 2004 zur Festlegung von RLV durch die Kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 85 Abs. 4 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2005 (DÄ 2004, A-3129) - im Folgenden BRL und sind rechtlich mit höherrangigem Recht vereinbar. An den grundsätzlichen Regelungen zur Bildung des RLV hat sich auch durch die mit den Verbänden der Krankenkassen am 15. September 2011 geschlossene Ergänzungsvereinbarung zu den für die Zeit vom 1. April 2005 bis 31. Dezember 2008 maßgeblichen Honorarverteilungsverträgen gemäß § 85 Abs. 4 S. 1 SGB V, mit der laut Mitteilung der Beklagten die Rechtsprechung des BSG in den Urteilen vom 3. Februar 2010 - B 6 KA 1/09 R und B 6 KA 31/08 R und vom 18. August 2010 - B 6 KA 26/09 R umgesetzt wurde, sowie die Nachtragsvereinbarung vom 27. Juni 2012, mit der im Nachgang die Fallpunktzahlen angepasst wurden, nichts geändert.

Die Einbeziehung der probatorischen Sitzungen in die RLV ist nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 8. Februar 2012 – B 6 KA 14/11 R –, juris) nicht zu beanstanden. Nach Teil III Nr. 4.1 BRLV vom 29. Oktober 2004 unterliegen nur die antragspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen nach den Nr. 35200 bis 35225 EBM-Ä nicht dem RLV. Das BSG hat für die Honorierung der probatorischen Sitzungen, die zwar grundsätzlich einer Mengenausweitung zugänglich sind, andererseits aber in engem Zusammenhang mit den genehmigungsbedürftigen Leistungen der Psychotherapie stehen (vgl. BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 38 RdNr. 17-18), entschieden, dass erforderlichenfalls nach Anwendung von Mengenbegrenzungsregelungen o. ä. - jedenfalls die Hälfte des ursprünglich zur Kalkulation herangezogenen Punktwertes von 10 Pfennig, mithin 2,56 Cent, nicht unterschritten werden dürfe (BSGE 100, 254 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 42, RdNr. 65). Das schließt eine Einbeziehung in die RLV nicht aus. Vielmehr ist damit klargestellt, dass auch probatorische Sitzungen nicht losgelöst von Honorarbegrenzungsmechanismen zu honorieren sind. Zudem gewährleistet gerade die Einbeziehung in das RLV die Vergütung mit einem festen Punktwert (BSG, Urteil vom 8. Februar 2012 – B 6 KA 14/11 R –, juris).

Die in den streitbefangenen Quartalen geltenden Regelungen entsprachen mit der Bildung von RLV den Vorgaben des Bewertungsausschusses, die dieser - gemäß der ihm nach § 85 Abs. 4a Satz 1 letzter Teilsatz SGB V übertragenen Aufgabe - am 29. Oktober 2004 mit Wirkung für die Zeit ab 1. Januar 2005 beschlossen hatte (DÄ 2004, A 3129). Gemäß Teil III Nr. 2.1 i.V.m. Nr. 3. dieses Beschlusses waren die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, in der Honorarverteilung RLV in der Weise festzulegen, dass arztgruppeneinheitliche Fallpunktzahlen vorzusehen waren, aus denen durch Multiplikation mit individuellen Behandlungsfallzahlen praxisindividuelle Grenzwerte zu errechnen waren, in deren Rahmen die Vergütung nach einem festen Punktwert (sogenannter Regelleistungspunktwert – oberer Punktwert) zu erfolgen hat. Im Fall der Überschreitung der RLV ist die das RLV überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Punktwerten (sogenannte Restpunktwerte) zu vergüten. Die Vorgaben des Bewertungsausschusses des BRLV waren – wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. nur Urteil vom 3. Februar 2010, B 6 KA 31/08 R, juris RdNr. 22 f, Urteil vom 18. August 2010, B 6 KA 27/09 R -) für die Partner des HVV verbindlich und ließen keine Spielräume für abweichende Regelungen über die Übergangsregelung in Teil III Nr. 2.2 BRLV vom 29. Oktober 2004 hinaus.

Das BSG hat in seinem Urteil vom 8. Februar 2012 (B 6 KA 14/11 R) ausdrücklich offen gelassen, wie im Einzelnen die Vergütung probatorischer Sitzungen unter den Bedingungen der RLV auszugestalten ist. Es hat aber ausgeführt, dass der Bewertungsausschuss nach der Konzeption der RLV davon ausgehen durfte, dass im Regelfall innerhalb der RLV eine ausreichende Honorierung der probatorischen Sitzungen gewährleistet ist. Die rechnerisch vorgesehene Bewertung der innerhalb des RLV liegenden Honoraranforderungen mit einem Punktwert von grundsätzlich 4,0 Cent wurde vom BSG auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Punktwert einer Quotierung unterliegt, soweit der zur Verfügung stehende Anteil am Verteilungsbetrag in einer Honorar(unter)gruppe zur Honorierung der angeforderten Leistungen nicht ausreichte, nicht beanstandet. Diese notwendige Folge begrenzter Gesamtvergütungen stellt die grundsätzliche Privilegierung der dem RLV unterfallenden Leistungen nicht in Frage (BSG, Urteil vom 8. Februar 2012 – B 6 KA 14/11 R –, juris).

Allerdings verstoßen die Regelungen zur Aufteilung der Gesamtvergütung in Ziff. 2.2 Anlage 1 (Primärkassenbereich) und Anlage 2 (Ersatzkassenbereich) zu Ziff. 7.2 HVV in den streitgegenständlichen Quartalen insoweit gegen § 85 Abs. 4 Satz 4 SGB V (in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-Modernisierungsgesetz – G;G vom 14. November 2003, BGBl I S. 2190, m. W. v. 1. Januar 2004) als die Quotierung des Regelleistungspunktwerts (oberer Punktwert) in der Honorar(unter)gruppe B 2.25 des Klägers zu einem Punktwert von unter 2,56 Cent für die Leistungen der probatorischen Sitzungen nach GO-Nr. 35150 EBMplus geführt hat, was soweit ersichtlich nach der Neuberechnung durch die Beklagte lediglich in den Quartalen III/05 und I/06 im Primärkassenbereich der Fall war.

Ziff. 2.2 der Anlagen zu Ziff. 7. 2 HVV sieht eine Quotierung des rechnerischen Punktwerts von 4,0 Cent vor, wenn der zur Verfügung stehende Anteil am Verteilungsbetrag in einer Honorar(unter)gruppe zur Honorierung der angeforderten Leistungen nicht ausreicht. Soweit die so festgestellten Quoten um mehr als 15%-Punkte von der nach gleicher Vorgehensweise über alle Honorar(unter)gruppen der Honorargruppe B 2 gebildeten (mittleren) Quote abweichen, ist, soweit möglich, ein Ausgleich zwischen den Honorar(unter)gruppen B 2.1 bis B 2.32 mit dem Ziel der Erreichung einer maximalen Abweichung von 15%-Punkten von der mittleren Quote für alle Honorar(unter)gruppen B 2.1 bis B 2.32 durchzuführen. Diese Stützungsregelung, die in den streitgegenständlichen Quartalen nach den Angaben der Beklagten zur Stützung des Punktwerts der Honorar(unter)gruppe des Klägers zur Anwendung gebracht wurde, ist (nur) unzureichend, soweit sie nicht in dem für eine angemessene Vergütung je Zeiteinheit nach der Rechtsprechung des BSG erforderlichen Punktwert von 2,56 Cent für die Leistungsanforderungen für probatorische Sitzungen nach GO-Nr. 35150 EBMplus innerhalb des Regelleistungsvolumens geführt hat.

Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 28. Mai 2008 – B 6 KA 9/07 R –, BSGE 100, 254-282; SozR 4-2500 § 85 Nr. 38 RdNr. 17) ist bei den probatorischen Sitzungen zu beachten, dass sie zum Kern des Leistungsspektrums der Psychotherapeuten gehören. Diese durch strikte Zeitgebundenheit, aber fehlende Genehmigungsbedürftigkeit geprägten Leistungen werden im Gesetz ausdrücklich hervorgehoben (§ 28 Abs. 3 Satz 2, § 92 Abs. 6a Satz 1 SGB V), und zwischen ihnen und den sowohl zeitgebundenen als auch genehmigungsbedürftigen Leistungen der GO-Nr. 35200 ff EBMplus (Nr. 871 ff EBM-Ä a.F.) besteht ein enger Zusammenhang. Auf der Grundlage der probatorischen Sitzungen wird die Diagnose gestellt und die Entscheidung getroffen, ob eine Behandlung im Sinne der GO-Nr. 35200 ff EBMplus veranlasst und welche der verschiedenen Behandlungsmethoden die sachgerechte ist, sowie, ob zwischen dem Therapeuten und dem Versicherten eine ausreichende Beziehungsbasis für eine erfolgreiche Behandlung besteht. Aus dieser zentralen Funktion der probatorischen Sitzungen folgt, dass die Beklagte im Rahmen der ihr - ab 1. Juli 2004 gemeinsam mit den Verbänden der Krankenkassen - obliegenden Ausgestaltung der Honorarverteilungsregelungen für eine substanzielle Honorierung dieser Leistungen sorgen muss (BSG a.a.O), die das BSG in seinem Urteil vom 28. Mai 2008 (B 6 KA 9/07 R –, BSGE 100, 254-282, RdNr. 65) auf mindestens 2,56 Cent festgelegt hat.

Eine Unterschreitung jedenfalls des (oberen) Regelleistungspunktwerts für Leistungen der probatorischen Sitzungen erachtet der Senat daher für unzulässig, auch wenn dies zu einer vergütungsrechtlichen Privilegierung dieser Leistungen führt. Diese Privilegierung ist durch die hervorgehobene Stellung der probatorischen Sitzungen für die Durchführung genehmigungspflichtiger Psychotherapien sowohl gegenüber anderen zeitgebundenen Leistungen als auch gegenüber sonstigen Leistungen, die innerhalb des Regelleistungsvolumens abgerechnet werden, gerechtfertigt.

Aus dem gleichen Grund verstößt auch die Regelung der Ziff. 7.5 HVV gegen höherrangiges Recht, soweit sie zu einer Verminderung des (oberen) Regelleistungspunktwerts für Leistungen der probatorischen Sitzungen unter einen Wert von 2,56 Cent führt.

Gem. Ziff. 7.5. HVV erfolgt zur Vermeidung von praxisbezogenen Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus nach Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß Ziff. 7.2 HVV ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal berechneten fallbezogenen Honoraranspruchs der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung in EUR im entsprechenden Abrechnungsquartal des Jahres 2004 ausschließlich beschränkt auf Leistungen, die dem budgetierten Teil der Gesamtvergütung unterliegen und mit Ausnahme der zeitbezogenen genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen. Zeigt der Fallwertvergleich eine Fallwertminderung oder Fallwerterhöhung von jeweils mehr als 5% (bezogen auf den Ausgangswert des Jahres 2004), so erfolgt eine Begrenzung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5%. Die für eine Stützung bei Fallwertminderungen – nach Maßgabe von Ziff. 7.5.2 HVV – notwendigen Honoraranteile gehen zu Lasten der jeweiligen Honorar(unter)gruppe, der die Praxis im aktuellen Quartal zugeordnet ist, und sind gegebenenfalls durch weitergehende Quotierung der Bewertungen bzw. Punktwerte zu generieren, falls die aus der Begrenzung der Fallwerte auf einen Zuwachs von 5 % resultierende Honoraranteile hierfür nicht ausreichend sollten (Ziff. 7.5.1 HVV).

Diese Regelung verstößt gegen das Gebot der angemessenen Vergütung psychotherapeutischer Leistungen pro Zeiteinheit gem. § 85 Abs. 4 Satz 4 SGB V in der hier maßgebenden Fassung, soweit zur Finanzierung der Ausgleichsregelung der Ziff. 7.5 HVV Honoraranteile für die Vergütung probatorischer Sitzungen innerhalb des RLV herangezogen werden, soweit der (obere) Regelleistungspunktwert für diese Leistungen 2,56 Cent nicht übersteigt. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es maßgeblich auf die substanzielle Honorierung dieser Leistung an (BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 6 KA 9/07 R -, BSGE 100, 254, 282, RdNr. 64), so dass – worauf der Kläger zu Recht hinweist – auf den Auszahlungspunktwert vor – zwischen den Beteiligten unstreitig zulässigem - Abzug der Notdienstumlage (vgl. hierzu auch SG Marburg, Urteil vom 31. März 2010, S 11 KA 689/08 ZVW) sowie – soweit Vertragsärzte betroffen sind – der EHV-Umlage abzustellen ist. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, dass es sich bei der Ausgleichsregelung gem. § 7.5 HVV auch nach der Rechtsprechung des Senats um eine allgemeine Härtefallregelung handelt, die der Senat nicht beanstandet hat, soweit sie bei Fallwertverlusten von 5 % eine Begrenzung der Honorarminderung auf den maximalen Veränderungsrahmen von 5 % vorsieht (Senatsurteil vom 4. November 2009, L 4 KA 99/08 juris; vom 13. Juli 2011, L 4 KA 14/10, juris). Der Charakter einer Härtefallregelung ändert indessen nichts daran, dass durch die zur Finanzierung der Ausgleichsregelung eine Honorarumverteilung vorgenommen wird, die in allen streitgegenständlichen Quartalen in beiden Kassenbereichen nach den von der Beklagten vorgelegten Berechnungen zu einer (weiteren) Quotierung des (oberen) Punktwerts geführt hat, in deren Folge der Punktwert auch für probatorische Sitzungen auf einen Wert von unter 2,56 Cent gesunken ist. Ungeachtet dessen, dass die Ausgleichsregelung nach Ziff. 7.5 HVV keine Mengensteuerung bezweckt, ist sie in ihren honorarbegrenzenden Auswirkungen für die zur Finanzierung herangezogenen Praxen der betroffenen Honorar(unter)gruppe einer Mengenbegrenzungsregelung vergleichbar. Die zur Finanzierung der Ausgleichsregelung vorgenommene Quotierung führte im vorliegenden Verfahren dazu, dass in allen streitbefangenen Quartalen der (obere) Regelleistungspunktwert für die probatorischen Sitzungen selbst dann unter den Punktwert von 2,56 Cent gefallen ist, wenn er zuvor einen höheren Wert erreicht hatte.

Soweit der (obere) Regelleistungspunktwert für probatorische Sitzungen den Wert von 2,56 Cent (vor Abzug Notdienst und ggf. EHV) in den streitgegenständlichen Quartalen unterschreitet, hat der Kläger einen Anspruch auf Neubescheidung seiner Quartalsabrechnungen.

Ein weitergehender Anspruch auf Neubescheidung besteht dagegen auch nicht soweit der (untere) Restpunktwert den Punktwert in Höhe von 2,56 Cent in allen streitgegenständlichen Quartalen (bei Weitem) nicht erreicht. Die Unterschreitung des sog. Mindestpunktwerts für probatorische Sitzungen ist nach Auffassung des Senats rechtlich nicht zu beanstanden, soweit die Vergütung von Leistungsanteilen betroffen ist, mit denen das RLV überschritten wurde.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist – auch unter Berücksichtigung der zentralen Funktion probatorischer Sitzungen für die genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Behandlungen - nicht jede erbrachte probatorische Sitzung mit einem Punktwert von mindestens 2,56 Cent zu vergüten, sondern lediglich "die für eine sachgerechte psychotherapeutische Versorgung in der einzelnen Praxis notwendige Mindestzahl an probatorischen Sitzungen" (BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 6 KA 9/07 R –, BSGE 100, 254 - 282).

Die Bestimmung dieser Mindestzahl fällt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in deren Gestaltungspielraum als (zusammen mit den Landesverbänden der Krankenkassen) Normgeberin des HVV, sondern gem. § 85 Abs. 4a Satz 1 i. V. m. § 85 Abs. 4 Satz 4 SGB V in den Gestaltungsspielraum des Bewertungsausschusses, der den Inhalt der Regelungen zur Vergütung psychotherapeutischer Leistungen zu treffen hat, die eine angemessene Höhe der Vergütung je Zeiteinheit gewährleistet. Der Bewertungsausschuss hat mit dem BRLV in der Normierung der Regelleistungsvolumen implizit eine Bestimmung der für eine sachgerechte psychotherapeutische Versorgung in der einzelnen Praxis notwendigen Mindestzahl an probatorischen Sitzungen vorgenommen. Deren Umfang wird in der Systematik der RLV durch den Anteil der probatorischen Sitzungen an dem Leistungsvolumen, das innerhalb des RLV zu einem oberen Punktwert, der nach Auffassung des Senats – wie dargelegt – 2,56 Cent als Auszahlungspunktwert vor Abzug von EHV und Notdienstumlage vergütet werden muss, bestimmt. Das durch die Vorgaben des BRLV zur Bestimmung des praxisindividuellen Regelleistungsvolumens definierte Leistungsvolumen, welches zu einem oberen Punktwert zu vergüten ist, bestimmt sich nämlich hinsichtlich der Berechnung der Fallpunktzahlen gem. Anlage 2 zum Teil II zum BRLV unter Heranziehung des arztgruppenspezifischen Leistungsbedarfs in Punkten des Vorjahresquartals sowie der arztgruppenspezifischen Anzahl der kurativ-ambulanten Behandlungen im Bezugszeitraum. Es berücksichtigt somit rechnerisch auch den fachgruppendurchschnittlich erforderlichen Anteil des pro Behandlungsfall erforderlichen Leistungsbedarfs für probatorische Sitzungen in der Fachgruppe des Klägers. Hierbei ist davon auszugehen, dass in den jeweiligen Bezugsquartalen der fachgruppendurchschnittliche Leistungsbedarf pro Fall dem psychotherapeutisch tätigen Arzt/Psychotherapeuten eine sachgerechte psychotherapeutische Versorgung der Patienten mit probatorischen Sitzungen erlaubte.

Die der RLV-Systematik immanente Mengenbegrenzung auf die Vergütung zum oberen Punktwert nur im Umfang des nach den Vorgaben des BRLV berechneten RLV ist – wie das BSG bereits entschieden hat (BSG, Urteil vom 8. Februar 2012 – B 56 KA 14/11 R) – zwangsläufige Folge einer begrenzten Gesamtvergütung. Die Vergütung von Leistungsanteilen, mit denen das RLV überschritten wurde, zu einem (unteren) Restpunktwert ist der RLV-Systematik immanent und auch für die Vergütung probatorischer Sitzungen hinzunehmen, denn von den Vorgaben des § 85 Abs. 4 Satz 7 SGB V - arztgruppenspezifische Grenzwerte und feste Punktwerte sowie für die darüber hinausgehenden Leistungsmengen abgestaffelte Punktwerte – kommt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 17. März 2010 – B 6 KA 43/08 R –, BSGE 106, 56 62; Urteil vom 18. August 2010 – B 6 KA 27/09 R -, SozR 4-1500 § 85 Nr. 58; Urteil vom 9. Mai 2012 – B 6 KA 30/11 R -, juris) besonderes Gewicht den festen Punktwerten zu. Dies ergibt sich aus dem Ziel der Regelung, den Ärzten Kalkulationssicherheit hinsichtlich ihrer Praxisumsätze und -einkommen zu geben (vgl. die Begründungen zum Gesetzentwurf vom 16.6.2003, BT-Drucks 15/1170 S 79, und vom 8.9.2003, BT-Drucks 15/1525 S 101). Für das hiermit bezeichnete Ziel, stabile Punktwerte zu gewährleisten und den Ärzten dadurch zu ermöglichen, ihr zu erwartendes vertragsärztliches Honorar sicherer abzuschätzen (vgl. BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 23, RdNr. 24; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr. 28 RdNr. 12), stellt das Erfordernis der Festlegung fester Punktwerte (anstelle sog floatender Punktwerte) eine zentrale und strikte Vorgabe dar (BSG, Urteil vom 17. März 2010 – B 6 KA 43/08 R –, BSGE 106, 56-62). Ihre notwendige Folge ist wegen der begrenzten Gesamtvergütung eine (Rest-)Vergütung zum unteren Punktwert, dem auch die das RLV überschreitenden Leistungsanteile für probatorische Sitzungen unterliegen. Eine Stützung des unteren Punktwerts für probatorische Sitzungen auf 2,56 Cent würde dagegen dazu führen, dass die von Bewertungsausschuss zulässigerweise normierte Einbeziehung der probatorischen Sitzungen in das RLV im Ergebnis unterlaufen würde.

Dieses Ergebnis ist auch unter dem Gesichtspunkt einer angemessenen Vergütung zeitgebundener psychotherapeutischer Leistungen hinzunehmen, weil der HVV der Beklagten mit Ziff. 6.3 eine hinreichende Härtefallregelung geschaffen hat, aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung Ausnahmen vom Regelleistungsvolumen zu gestatten. Dass beim Kläger keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Voraussetzungen für eine Ausnahme von Regelleistungsvolumen im Sinne von Ziff. 6.3 HVV gegeben sind, führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Vergütung zum (unteren) Restpunktwert unterhalb des Wertes von 2,56 Cent in allen streitgegenständlichen Quartalen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
Saved