L 6 SF 25/15 B

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 22 SF 53/13 E
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 25/15 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Der durchschnittliche Umfang der anwaltlichen Arbeit orientiert sich am Leitbild der zugehörigen Verfahrensordnung am Ablauf eines Verfahrens. Wird eine Klage nicht begründet, ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit grundsätzlich als unterdurchschnittlich einzuschätzen.
2. Wird mit der Klage nicht die Höhe des geltend gemachten Anspruchs beziffert und ergibt er sich auch nicht aus anderen Umständen, besteht im Festsetzungsverfahren kein Anlass hierzu Ermittlungen anzustellen oder eine durchschnittliche oder sogar überdurchschnittliche Bedeutung zu unterstellen (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschlüsse vom 8.05.2012 - L 6 SF 466/12 B und 18.03.2011 - L 6 SF 1418/10 B).
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 13. November 2014 wird zurückgewiesen. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Altenburg (SG) streitig (S 20 AS 1584/11). Dort hatten sich die von der Beschwerdeführerin vertretenen vier Kläger gegen den Widerspruchsbescheid des beklagten vom 28. März 2011 gewandt. In der Hauptsache ging es um die Ermittlung der Kosten der Unterkunft. Die Beschwerdeführerin kündigte eine Klagebegründung an, nahm Akteneinsicht und erklärte mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2011 hinsichtlich des Klägers zu 2) die Klage-rücknahme. Mit Beschluss vom 16. Januar 2012 gewährte das SG den restlichen drei Klägern Prozesskostenhilfe (PKH) ab 30. Mai 2011 und ordnete die Beschwerdeführerin bei. Nach einer Aufforderung des SG vom 25. April 2012, die für die Kläger beschwerenden Tatsachen und Beweismittel zu bezeichnen, nahm die Beschwerdeführerin die Klage am 31. Mai 2012 zurück.

Unter dem 23. Januar 2013 machte die Beschwerdeführerin für das Verfahren Gebühren in Höhe von 737,80 Euro geltend:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG 375,00 Euro Erhöhung für 2 weitere Auftraggeber nach Nr. 1008 VV-RVG 225,00 Euro Post- und Telekommunikation 20,00 Euro Zwischensumme 620,00 Euro Umsatzsteuer 117,80 Euro Gesamtbetrag 737,80 Euro

Mit Beschluss vom 8. März 2013 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) die Rechtsanwaltsgebühren auf 499,80 Euro fest und berücksichtigte die Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr (250,00 Euro), erhöht um 150,00 Euro. Zur Begründung gab sie an, aus den Unterlagen sei nicht ersichtlich, dass es sich um eine schwierige Materie gehandelt habe. Zudem habe die Beschwerdeführerin die erhöhte Gebühr nicht begründet.

Mit ihrer Erinnerung hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, die Erarbeitung des Sachverhalts sei mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden gewesen. Die Berechnung der Kosten der Unterkunft hätte die Sichtung umfangreicher Unterlagen erfordert. Der Beschwerdegegner hat sich der Berechnung der UdG angeschlossen.

Mit Beschluss vom 13. November 2014 hat das SG Altenburg die Erinnerung zurückgewiesen und die zu erstattenden Gebühren und Auslagen auf 499,80 Euro festgesetzt. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien durchschnittlich gewesen. Der von der Be-schwerdeführerin vorgetragene hohe Aufwand sei den Akten nicht zu entnehmen. Die Bedeutung der Klage für die Kläger sei durchschnittlich, deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse unterdurchschnittlich gewesen.

Gegen den am 19. November 2014 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 3. Dezember 2014 beim SG Altenburg Beschwerde eingelegt und vorgetragen, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien überdurchschnittlich gewesen. Bei den Klägern habe es sich um eine Bedarfsgemeinschaft mit wechselnden Anspruchsgrundlagen gehandelt. Sie habe die aus drei Bänden bestehende Veraltungsakte mit 905 Blatt durcharbeiten und inzident auch die Heizkosten von 2009 überprüfen müssen. Die Bedeutung für die Kläger sei hoch gewesen, denn es habe sich um laufende Leistungen zuzüglich Heizkosten als Einmalbedarf gehandelt. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass im November 2010 Heizkosten entstanden und der Winter vor der Tür stand. Die Einkommensverhältnisse der Kläger seien nicht unterdurchschnittlich gewesen. Der in der Hausgemeinschaft lebende Ehemann habe Einkommen aus Rente, die Kläger seien Eigentümer eines Eigenheims. Die in Bedarfsgemeinschaft lebende Tochter habe eigenes Einkommen gehabt.

Der Beschwerdegegner ist dem entgegengetreten und hat zur Begründung auf den Beschluss der Vorinstanz verwiesen.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 5. Dezember 2014) und sie dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt. Mit Beschluss vom 30. Januar 2014 hat der Senatsvorsitzende das Verfahren dem Senat übertragen.

II.

Anzuwenden ist das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in der Fassung bis zum 31. Juli 2013 (a.F.), denn Auftragserteilung und Beiordnung erfolgten vor diesem Zeitpunkt (§ 60 Abs. 1 S. 1 RVG).

Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) statthaft (ständige Senatsrecht-sprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 14. Februar 2011 - L 6 SF 1376/10 B m.w.N.) und zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro und die Beschwerde ist innerhalb der Zwei-Wochen-Frist der §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt worden.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Das SG hatte den Klägern mit Beschluss vom 16. Januar 2012 PKH gewährt. An diese Entscheidung ist der Senat gebunden. Es hat nicht zu überprüfen, ob die PKH-Gewährung ohne jegliche Substantiierung der Klage, d.h. ohne Schilderung des Sachverhalts und ohne Klagebegründung (vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 30. Auflage 2014, § 118 Rdnr. 11f.) hätte erfolgen dürfen. Die Kläger waren kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. § 183 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und die Anwendung des GKG scheidet aus (§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG).

Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmen-gebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Senatsbeschluss 14. Februar 2011 - Az.: L 6 SF 1376/10 B); dann erfolgt - wie hier - eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.

Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf eine höhere als die zuerkannte Verfahrens-gebühr Nr. 3102 VV-RVG. Tatsächlich stand ihr nur die Hälfte zwischen Mindest- und Mit-telgebühr (145,00 Euro) zu. Dies ergibt sich aus Folgendem:

1. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war im Vergleich mit den übrigen sozialge-richtlichen Verfahren (vgl. Senatsbeschluss vom 18. August 2011 - L 6 SF 872/11 B) unterdurchschnittlich. Zu berücksichtigen ist dabei der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache betrieben hat und objektiv verwenden musste (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R, nach juris). Der durchschnittliche Umfang orientiert sich am Leitbild der zugehörigen Verfahrensordnung am Ablauf eines Verfahrens (vgl. Hartmann in Kostengesetze, 43. Auflage 2013, § 14 RVG Rdnr. 3), jeweils bezogen auf das in der jeweiligen Gebührenziffer umschriebene Tätigkeitsfeld. Mit der Verfahrensgebühr in Klageverfahren vor dem Sozialgericht wird der Aufwand für Besprechung und Beratung des Mandanten, das Anfordern und die Sichtung von beigezogenen und eingeholten Unterlagen, die Rechtsprechungs- und Literaturrecherche, der Schriftverkehr mit dem Mandanten und dem Gericht sowie alle Tätigkeiten, für die mangels entsprechender Gebührenvorschriften nicht eine besondere Gebühr angesetzt werden kann, vergütet. Durchschnittlich umfangreich ist eine anwaltlichen Tätigkeit, bei der die Klage erhoben, Akteneinsicht genommen, die Klage begründet und zu den Ermittlungen des Gerichts Stellung genommen wird (vgl. Pankatz in Riedel/Sußbauer, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 10. Auflage 2015, § 3 Rdnr. 15). Wird eine Klage nicht begründet, ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit grundsätzlich als unterdurchschnittlich einzuschätzen. Ein denkbarer Ausnahmefall ist hier angesichts der wenigen kurzen Schriftsätze, in denen die Beschwerdeführerin Klage erhob, Unterlagen zur PKH einreichte, um Fristverlängerung bat und die Klage zurücknahm, nicht ersichtlich. Er ist auch nicht mit dem vorgetragenen hohen Aufwand durch die Akteneinsicht zu begründen. Nachdem im Hauptsacheverfahren nur der Leistungsabschnitt Januar bis Juni 2010 streitgegenständlich war, erschließt sich nicht, dass die Beschwerdeführerin - wie vorgetragen - "inzident" das "komplette Jahr 2009" überprüfen sowie die gesamten Verwaltungsakten durchsehen und einscannen musste. Die der Beschwerdebegründung beigefügte Tabelle belegt ebenfalls nicht den vorgetragenen hohen Aufwand.

2. Fehlt eine Klagebegründung, kann nicht festgestellt werden, ob die anwaltliche Tätig-keit tatsächlich durchschnittlich schwierig war. Die nachträgliche Behauptung der Be-schwerdeführerin genügt hierfür nicht.

3. Der Senat kann auch keine durchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger feststellen, nachdem mit der Klage nicht die Höhe des geltend gemachten Anspruchs beziffert wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juni 2012 - L 6 SF 601/12 B) und er sich auch nicht aus anderen Umständen (z.B. aus dem Inhalt eines angenommenen Vergleichs oder einem Anerkenntnis, vgl. Senatsbeschluss vom 5. Dezember 2013 - L 6 SF 792/13 B) ergab. Dann besteht im Festsetzungsverfahren kein Anlass, hierzu Ermittlungen anzustellen oder eine durchschnittliche oder sogar überdurchschnittliche Bedeutung zu unterstellen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Mai 2012 - Az.: L 6 SF 466/12 B und 18. März 2011 - Az.: L 6 SF 1418/10 B). Insofern ist es unerheblich, dass um laufende Leistungen für die Kläger einschließlich Heizkosten gestritten wurde und der Winter unmittelbar vor der Tür stand.

4. Angesichts der Tatsache, dass die Kläger Leistungen nach dem SGB II bezogen, wa-ren ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit unterdurchschnittlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob Vergleichsparameter das Durchschnittseinkommen und -vermögen der Gesamtbevölkerung ist (vgl. Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage 2013 § 14 RVG Anm. 95; 2009: 2.000 Euro) oder ob davon noch ein Abschlag vorzunehmen ist, weil das Durchschnittseinkommen die Personenkreise vernachlässigt, die kein eigenes Einkommen haben (vgl. Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage 2013, § 14 Rdnr 18: dann 1.500,00 Euro). Das Einkommen der Kläger lag jedenfalls deutlich unter beiden Beträgen. Unerheblich ist damit auch, dass der Ehemann der Klägerin nach eigenen Angaben Einkommen aus einer Rente wegen Er-werbsminderung in Höhe von 645,14 Euro hatte. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für durchschnittliche Vermögensverhältnisse. Zwar waren die Klägerin und ihr Ehemann nach eigenen Angaben Eigentümer eines Eigenheims, dessen Wert sie im Rahmen der PKH-Gewährung mit ca. 100.000,00 Euro bezifferten. Dem standen aber Belastungen in Höhe von ca. 95.000,00 Euro gegenüber.

5. Ein besonderes Haftungsrisiko ist nicht ersichtlich.

Danach errechnen sich die Gebühren der Beschwerdeführerin wie folgt: Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG 145,00 Euro erhöht nach Nr. 1008 VV-RVG 232,00 Euro Post- und Telekommunikation 20,00 Euro Zwischensumme 252,00 Euro Umsatzsteuer 47,88 Euro Gesamtbetrag 297,88 Euro

Allerdings steht der Herabsetzung der Rechtsanwaltsvergütung um 201,92 Euro (499,80 Euro./. 297,88 Euro) das Verschlechterungsverbot ("reformatio in peius") entgegen. Im Erinne-rungsverfahren hatte sich der Beschwerdegegner nicht gegen die Festsetzung der UdG gewandt.

Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
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